Janine Wissler zu den Corona-Hilfen für hessische Unternehmen
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In seiner 39. Plenarsitzung am 6. Mai 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Corona-Hilfen für hessische Unternehmen. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler:
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Die Folgen der Corona-Krise treffen alle, aber sie treffen nicht alle gleichermaßen hart. Diese Krise erfordert vor allem Solidarität, und zwar mit jenen, die diese Krise besonders hart trifft – gesundheitlich, finanziell, wirtschaftlich und persönlich.
Deswegen ist es richtig, dass jetzt viele Milliarden ausgegeben werden, um die wirtschaftliche Existenz von Familien, von Berufstätigen und von Unternehmen zu retten. Aber es gibt bei diesen Rettungsprogrammen einige Lücken, und es gibt eine Schieflage, und zwar sowohl bei den Regelungen, die derzeit gelten – wer darf öffnen, warum, wer nicht? –, als auch bei den Hilfsprogrammen.
Herr Kasseckert, Sie sagen, die Soforthilfe war vor allem eine Liquiditätshilfe. Man kann sagen, dass das vielen Unternehmen geholfen hat – in Verbindung mit Kurzarbeitergeld. Denn diese Unternehmen haben die Möglichkeit, die Lohnkosten durch das Kurzarbeitergeld zu kompensieren.
Aber die Solo-Selbstständigen sind bei den Soforthilfen durch die Gitter gerutscht, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht als Betriebsausgaben geltend machen können. Ein freiberuflicher Musiker zahlt sich selbst kein Geschäftsführergehalt, für das er dann Kurzarbeitergeld beantragen kann. Ein freiberuflicher Fotograf oder Schauspieler hat keine Betriebskosten, wenn er kein Büro oder kein Atelier hat und von zu Hause arbeitet. Das ist das Problem, weil dort eine Lücke entstanden ist, die in einigen Bundesländern durch Regelungen gefüllt wurde, in Hessen aber leider nicht.
(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)
Im vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen wird das als Problem erkannt.
(Torsten Warnecke (SPD): Tja!)
Sie erkennen das als Problem. Sie sagen: Es ist ein Problem, dass die Lebenshaltungskosten der Solo-Selbstständigen nicht von den Soforthilfen abgedeckt werden. – So schön diese Erkenntnis ist, jedoch in der Folge einfach die Verantwortung auf den Bund abzuschieben, reicht einfach nicht aus. Damit stehlen Sie sich aus der Verantwortung.
(Beifall DIE LINKE, SPD und Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))
Schön, dass Sie das Problem erkennen, aber wenn Sie es nicht lösen, dann ist das so wie mit dem Klatschen: Es ist ganz nett, aber es hilft niemanden. Frau Kinkel, deswegen verstehe ich die Kritik am Bund. Aber das befreit das Land nicht davon, dass es auch in der Verantwortung ist.
(Beifall DIE LINKE und SPD)
Gerade Kunst und Kultur sind für die Gesellschaft elementar wichtig. Wenn wir wollen, dass die vielfältige Kulturlandschaft, die wir in Hessen haben, überlebt, dann brauchen wir Hilfsprogramme. Es gab eine Abfrage vom Verband laPROF, in welcher Schauspieler der freien Szene und kleine Theater in Hessen gefragt wurden, mit welchen Einnahmeverlusten sie rechnen, wenn bis Sommer keine Aufführungen mehr stattfinden können. Das Ergebnis dieser Abfrage ergab eine Summe von 3,8 Millionen €. Ein Schaden in Höhe von 3,8 Millionen € entsteht kleinen Theatern und Schauspielern alleine in Hessen bis zum Sommer, wenn sich der Lockdown in diesem Bereich so fortsetzt.
3,8 Millionen € sind sehr viel Geld für kleine Theater und Schauspieler. Aber 3,8 Millionen € in Relation zu 2 Milliarden € im Nachtragshaushalt und im Verhältnis zu den Summen, über die wir im Zusammenhang mit der Rettung von Großunternehmen sprechen, sind nicht zu viel. Dem Land muss es das wert sein, 3,8 Millionen € in diesen Bereich zu stecken. Ein so reiches Land kann sich das leisten; sonst sprechen wir über Milliardenbeträge.
(Beifall DIE LINKE und SPD)
Das ist eine relativ kleine Summe, aber eben nicht für die Betroffenen. Es ist eine Frage der Prioritäten, und es ist eine Schieflage, wenn die Geldspritzen bei Großunternehmen, die Milliarden fordern, locker sitzen und jetzt schon wieder über Abwrackprämien geredet wird, aber ein paar Tausend Euro Soforthilfe für Solo-Selbstständige an bürokratischen Regeln scheitern sollen.
Da frage ich Sie, Frau Kinkel, Herr Kasseckert und Herr Wirtschaftsminister: Wer hält Sie davon ab, ein eigenes Landesprogramm zu machen? Der Bund hat keine Mittel bereitgestellt, der Bund hat Ihnen das aber auch nicht verboten. Natürlich können Sie aus Landesmitteln ein eigenes Programm aufsetzen.
(Beifall DIE LINKE, SPD und Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))
Dass es geht, haben NRW, Bayern und Baden-Württemberg gezeigt. Es gibt Bundesländer, die Regelungen geschaffen haben. Es muss eine Möglichkeit geben, dass das Land Ausfallhonorare bei den Kulturbetrieben zahlt und die Kommunen damit unterstützt. Wir brauchen eine Art Pandemieübergangsgeld. Eigentlich brauchen wir das auf Bundesebene, da haben Sie völlig recht. Wir brauchen das auf Bundesebene für Freiberufler, egal ob das nun freiberufliche Fitnesstrainer, die gerade nicht arbeiten, freiberufliche Musiker, Fotografen, Taxifahrer oder entlassene Minijobber sind.
Ich unterstütze die Forderung, dass wir das auf Bundesebene brauchen. Aber nur, weil es das auf Bundesebene nicht gibt, heißt das nicht, dass das Land nichts tun kann. Wir können ein eigenes Programm machen. Ich finde es beschämend, Kulturschaffende auf die Grundsicherung zu verweisen und zu sagen: Beantragt doch Hartz IV.
(Beifall DIE LINKE)
Natürlich ist es für viele ein enormer Einnahmeverlust, und es ist eine sehr große Hemmschwelle. Es sei auch darauf hingewiesen, dass es auch Menschen gibt, die in Bedarfsgemeinschaften leben. Die Vermögensprüfung bei Hartz IV ist zwar ausgesetzt, der Unsinn der Bedarfsgemeinschaften besteht aber weiterhin, und deswegen gibt es viele Künstlerinnen und Künstler, die Hartz IV nicht beantragen können und trotzdem sehr hohe Einnahmeverluste haben.
Kredite helfen natürlich nicht wirklich. Wer soll sie denn dann zurückzahlen? In diesem Bereich gibt es keine nachholenden Effekte. Wer im Frühjahr nicht ins Theater gegangen ist, geht im Herbst deswegen normalerweise nicht dreimal ins Theater.
Wir haben eine Kulturlandschaft, die ähnlich wie andere Bereiche gefährdet ist, über die wir gestern geredet haben, wie die Jugendherbergen, wo gerade etwas wegbricht. Das Land muss hier aktiv sein. Der Bund ist in der Pflicht, aber wenn der Bund das nicht tut, dann muss das Land einspringen. Sie können sich hierbei nicht aus der Verantwortung stehlen, meine Damen und Herren.
(Beifall DIE LINKE)
Parallel dazu – das steht im Kontrast – gibt es bereits Milliardenforderungen seitens der Autoindustrie. Die Mehrwertsteuersenkungen für die Gastronomie alleine kosten auf Bundesebene 3 Milliarden €. Kaufprämien für Neuwagen sind ein gutes Beispiel für Subventionen, die wirtschaftlich kaum etwas bewirken, weil sie in der Regel nur zu Mitnahmeeffekten bei ohnehin geplanten Käufen führen.
Die meisten Autos verkaufen deutsche Autobauer bekanntlich auch nicht in Deutschland, sondern außerhalb von Deutschland, vom umweltpolitischen Sinn ganz zu schweigen. Wir wissen, dass Neuwagen im Schnitt 18 Jahre gefahren werden. In 18 Jahren müsste man längst aus der Nutzung von Verbrennungsmotoren ausgestiegen sein, um die Klimaziele zu erreichen. Jetzt noch den Kauf von mit Verbrennungsmotoren betriebenen Fahrzeugen zu fördern, ist klimapolitischer Wahnsinn.
(Beifall DIE LINKE)
Ich frage mich, warum wir immer bei Autos über Kaufprämien diskutieren. Man könnte auch über Kaufprämien für Bücher diskutieren.
(Christiane Böhm (DIE LINKE): Fahrräder!)
Der lokale Buchhandel ist akut gefährdet. Wir könnten auch in anderen Bereichen, wie bei Fahrrädern, über Kaufprämien reden, aber es geht immer nur um Autos.
(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Die wollen nur die Abwrackprämie!)
Ähnlich absurd ist, was gerade bei der Lufthansa geschieht, einem der größten Arbeitgeber in Hessen. Das muss man sich vorstellen: Der Staat verhandelt mit einem Unternehmen, unter welchen Bedingungen er es retten darf. Der Lufthansa-Vorstand nimmt die Beschäftigten als Faustpfand und droht mit der Insolvenz. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. In den letzten Tagen zeichnet sich ab, dass der Staat 10 Milliarden € in die Lufthansa stecken wird, mehr als zweieinhalbmal so viel, wie das Unternehmen zurzeit wert ist, und lässt sich dann mit 25 % der Aktien abspeisen. Das ist schon ein bisschen hanebüchen. Wenn der Staat eine Fluggesellschaft mehrfach kauft, dann müsste er auch ein Mitspracherecht haben.
(Dr. Daniela Sommer (SPD): Richtig!)
Ein staatlicher Wiedereinstieg bei der übrigens erst 1997 komplett privatisierten Lufthansa müsste konsequent genutzt werden, um die Fluglinie nicht auf schnellen Profit zu trimmen, sondern sozial und ökologisch umzubauen. Das zeigt Frankreich ganz gut.
(Beifall DIE LINKE)
In Frankreich sind Staatshilfen für Air France und KLM beschlossen worden. Das ist an die Auflage gekoppelt worden, dass man die Airlines nachhaltig umbaut. Zu den geforderten Maßnahmen gehören die Halbierung der CO2Emissionen bis 2030 und die faktische Abschaffung der Inlandsflüge jenseits des Zubringerverkehrs; denn wir müssen sehen – das hat Frau Kinkel richtig gesagt –, die Klimakrise geht weiter. Der Luftverkehr muss schnell und radikal umgebaut werden.
Lassen Sie uns diese Krise nutzen, um wirtschaftspolitisch Einfluss zu nehmen, damit Klimaziele erreicht werden können, meine Damen und Herren.
(Beifall DIE LINKE)
Ein weiterer Punkt ist, bei allen Staatshilfen darauf zu achten, dass Unternehmen, die sie erhalten, in dieser Zeit weder Dividenden ausschütten noch exorbitante Vorstandsboni zahlen. Der Staat sollte schon die Forderung stellen, dass Milliardenhilfen nicht an Unternehmen gehen, die ihr Geld in Steueroasen auslagern oder Tarifverträge umgehen.
Unsere Bundestagsfraktion hat gerade die Geschäftsberichte der 30 DAX-Konzerne auswerten lassen, von denen viele um Staatshilfe bitten, und alle 30 haben Töchter und Beteiligungen in Steueroasen. Das ist nicht akzeptabel. Wer in der Krise, in schlechten Zeiten Geld aus Steuermitteln haben möchte, der sollte auch seine Steuern hier zahlen und keine Steuervermeidungspraktiken in Steueroasen betreiben.
(Beifall DIE LINKE)
Der Druck muss erhöht werden. Dänemark tut das. Dort erhalten Unternehmen mit Sitz in Steueroasen keine Staatshilfen, und das Gleiche gilt für Unternehmen, die trotz der Krise noch Dividenden ausschütten. Das ist letztlich eine Frage der Prioritäten, eine Frage des politischen Muts.
Wenn wir über Wirtschaft reden, dann reden wir über die Beschäftigten in diesem Land. Für viele reicht das Kurzarbeitergeld von 90 % überhaupt nicht aus. Auch hier muss sich das Land beim Bund dafür einsetzen, dass es erhöht wird. Jetzt wird hier wieder über Deregulierung geredet. Wir brauchen in dieser Krise keine Deregulierung, keine Ausweitung der Arbeitszeiten, keine Auflockerung der Sonntagsarbeit. Was wir brauchen, ist Schutz für die Beschäftigten und keine Deregulierung, meine Damen und Herren.
(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))
Das ist bezahlbar. Wir leben in einem sehr reichen Land. Es gab noch nie so viel privates Geldvermögen in diesem Land wie heute, welches zutiefst ungerecht verteilt ist.
(Zuruf Andreas Lichert (AfD))
Deswegen müssen wir natürlich auch über die Krisenlasten reden. Es kann nicht sein, dass die Armen und der Mittelstand die Kosten für diese Krise weiterhin tragen, wenn das reichste Prozent der Bevölkerung in Deutschland ein Drittel des Vermögens besitzt.
(Volker Richter (AfD): Wo ist das SED-Vermögen?
– Weitere Zurufe)
Präsident Boris Rhein:
Kollegin Wissler, Sie müssten langsam zum Ende kommen.
Janine Wissler (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Es gäbe noch viel zu sagen, aber dann komme ich zum Schluss.
Der Bund könnte mehr tun, aber auch das Land müsste mehr tun, insbesondere bei den Kulturschaffenden, bei den Solo-Selbstständigen. Gerade in dieser Not zeigt sich: Wir brauchen Solidarität, und wir brauchen Rücksichtnahme sowohl bei der wirtschaftlichen Absicherung als auch beim Gesundheitsschutz. – Vielen Dank.
(Beifall DIE LINKE)