Flughafen Frankfurt: Mit jeder Stunde nächtlichen Fluglärms steigt die Zahl der Erkrankungen und vorzeitigen Todesfälle

NORAH-Studie der Landesregierung ist teure Beruhigungspille
Anlässlich der Pressekonferenz mit Prof. Dr. med. Eberhard Greiser, Umweltepidemiologe, zu den Folgen von Fluglärm erklärt Janine Wissler, Vorsitzende und verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag.

„Ob Wirbelschleppen, Vogelschlag oder Erkrankungen: die Landesregierung versucht in fahrlässiger Weise, Gefahren und gesundheitliche Folgen des Flugverkehrs am Frankfurter Flughafen zu bestreiten und zu verharmlosen. Das ist skrupelloser Wirtschaftslobbyismus.

Die Ergebnisse der von Prof. Greiser und Prof. Glaeske vorgelegten Arbeit über Krankheitskosten und Erkrankungen durch Fluglärm am Frankfurter Flughafen gebieten ein Nachtflugverbot zwischen 22 bis 6 Uhr, wie wir es gemeinsam mit zahlreichen Kommunen und Bürgerinitiativen schon seit Jahren fordern.
Darüber hinaus muss der Fluglärm insgesamt begrenzt und die gefährliche Nordwest-Bahn wieder geschlossen werden."

Zu den zentralen Ergebnissen der zusammen mit Prof. Glaeske erstellten Studie erklärt Prof. Eberhard Greiser: „Mit jeder Stunde nächtlichen Fluglärms steigt die Zahl der Erkrankungen und vorzeitigen Todesfälle. Aus der Erhöhung der Erkrankungsrisiken infolge nächtlichen Fluglärms und der Anzahl der betroffenen Menschen, können wir berechnen, wie viele Menschen im Umfeld des Frankfurter Flughafens voraussichtlich zusätzlich erkranken werden, wenn ein Nachtflugverbot nicht ab 22 Uhr, sondern erst ab 23 Uhr einsetzt.

Das Ergebnis: Innerhalb von zehn Jahren wird der nächtliche Fluglärm nach konservativen Berechnungen bei einem Nachtflugverbot ab 23 Uhr ca. 23.400 Erkrankungen mehr verursacht haben, als dies bei einem Nachtflugverbot ab 22 Uhr der Fall gewesen wäre. Diese zusätzlichen Erkrankungen werden im selben Zeitraum zu voraussichtlich 3.400 vorzeitigen Todesfällen führen. Die Krankheitskosten werden 1,5 Milliarden Euro übersteigen."

Grundlage der vorgelegten Prognose sei die große epidemiologische Studie in der Umgebung des Flughafens Köln/Bonn von 2010. Die dort ermittelten Risiko-Koeffizienten für Erkrankungen haben Prof. Greiser und Prof. Glaeske auf die in der Region Rhein-Main von nächtlichem Fluglärm betroffene Bevölkerung übertragen. In der Prognose werden die im Laufe von zehn Jahren (2012-2021) zusätzlich durch nächtlichen Fluglärm zu erwartenden Krankheitsfälle und Krankheitskosten abgeschätzt.

Greiser: „Es ist nicht zu erwarten, dass die um den Frankfurter Flughafen lebenden Menschen prinzipiell anders auf Fluglärm reagieren als Menschen in der Region Köln/Bonn. Unsere Berechnung, wie viele Menschen im Umfeld des Frankfurter Flughafens von nächtlichem Fluglärm betroffen sein könnten, basiert auf dem Flugplan 2005 und der vom Flughafen ausgehenden Lärmausbreitung für die sechs verkehrsreichsten Monate. Danach waren ca. eine Million Menschen Fluglärm mit einem Dauerschallpegel ab 40 dB(A) ausgesetzt.

Die Prognose der Folgen nächtlichen Fluglärms um den Flughafen Frankfurt könnte aber erheblich präziser ausfallen, wenn Daten über die Anzahl von Erkrankungen und das tatsächliche Erkrankungsrisiko im Umfeld des Frankfurter Flughafens zu Verfügung stünden."

Wissler hält es für keinen Zufall, dass es genauere Daten nicht gebe. Zu erinnern sei daran, dass der frühere Wirtschafts- und Verkehrsminister Dieter Posch (FDP) am 16. Februar 2012 auf Fragen der LINKEN (Drs. 18/5263) in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr bestätigt habe, dass auch die Lärmwirkungsstudie NORAH des Umwelt- und Nachbarschaftshauses keine Informationen über zusätzliche Herz- und Kreislauf- oder Krebserkrankungen durch Fluglärm bringen werde.
„Dies ist angesichts der Kosten der Studie - gegenwärtig ca. 8,5 Millionen Euro - außerordentlich bedauerlich", so Greiser. „Umso mehr als mit dieser ‚weltweit größten Fluglärmstudie' Untersuchungen zu Fragen angestellt werden, die durch frühere Studien bereits endgültig geklärt sind, beispielsweise ob Fluglärm die Betroffenen stört, ob Fluglärm den Schlaf stören kann oder den Blutdruck erhöht."
Erschwerend komme hinzu, dass der teuerste Teil der Studie wegen der angewandten Methodik und der wissenschaftlich indiskutablen Durchführung überhaupt keine verallgemeinerbaren Ergebnisse erbringen könne.

Greiser: „Lediglich der Studienteil, in dem der Einfluss von Fluglärm auf Schulkinder untersucht wird, entspricht höchsten wissenschaftlichen Anforderungen. Der epidemiologische Teil der Studien beinhaltet zwar gute wissenschaftliche Ansätze, ist jedoch unterdimensioniert."

Wissler: „Seit 2010 bemühen wir uns darum, eine Studie für den Frankfurter Flughafen zu initiieren, wie es sie für den Flughafen Köln/Bonn gibt. Das hat die Landesregierung abgeblockt und am Parlament vorbei die Lärmwirkungsstudie NORAH in Auftraf gegeben. Die ist in erster Linie eine teure Beruhigungspille, die die entscheidenden Fragen ausspart."

Die Hessische Landesregierung versuche die Zusammenhänge zwischen Fluglärm und Erkrankungen systematisch zu verleugnen und kleinzureden. So schreibt Wirtschafts- und Verkehrsminister Florian Rentsch (FDP) zu einer weiteren Anfrage der LINKEN (Drs. 18/6773) vom 07.12.2012:

„Die kausalen Mechanismen der Fluglärm-Erkrankungs-Beziehung sind (...) allerdings nicht eindeutig nachgewiesen, so dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein kausal interpretierbarer Einfluss von Fluglärm auf Erkrankungen weder bestätigt noch ausgeschlossen werden kann."

„Dieses scheint nicht ganz zuzutreffen", meint Prof. Greiser und erinnert an eine Anhörung im Hessischen Landtag am 24. September 2010, in der auf eine Frage aus dem parlamentarischen Raum Dr. Wolfgang Babisch vom Umweltbundesamt feststellte, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Fluglärm und Herz- und Kreislaufkrankheiten mittlerweile erwiesen sei.
Von den anwesenden Epidemiologen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland kam zu dieser Aussage kein Widerspruch. Dies sei im Wortprotokoll der Anhörung nachzulesen.

Hinweis:
Die Methoden und Ergebnisse der Prognose-Berechnung sind im Heft der medizinischen Fachzeitschrift ‚Gesundheitswesen' (März-Ausgabe) erschienen; Thieme-Verlag Stuttgart (Greiser, E. u. Glaeske, G: Soziale und ökonomische Folgen nächtlichen Fluglärms im Umfeld des Flughafens Frankfurt/Main.- Gesundheitswesen 2013; 75(03):127-133, im Internet unter: https://www.thieme-connect.com/ejournals/abstract/10.1055/s-0033-1333785