Janine Wissler - Verbesserungen beim Vergabegesetz wären dringend nötig

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In seiner 33. Plenarsitzung am 18. Februar 2020 diskutierte der Hessische Landtag auf Antrag der SPD über Verbesserungen beim Tarif- und Vergabegesetz. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und wirtschaftspolitischen Sprecherin Janine Wissler.

Es werde Licht.

(Heiterkeit – Tobias Eckert (SPD): Du hast den falschen Knopf gedrückt!)

Reden kann ich, ihr wisst ja alle, wie ich aussehe. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

(Die Plenarsaalbeleuchtung geht wieder an.)

– Jetzt werde ich auch wieder angestrahlt. Vielen Dank dafür.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alle Lampen stehen still, wenn mein starker Arm es will! – Heiterkeit)

Meine Damen und Herren,

die öffentliche Hand, von der Kommune bis zur Bundesbehörde, ist ein wichtiger Auftraggeber. Das haben wir in diesem Haus mehrfach diskutiert. Sie erteilt Bauaufträge, sie kauft Dienstleistungen und Waren. Mehr als 15 % des Bruttoinlandsprodukts gehen auf öffentliche Aufträge zurück. Das ist eine enorme Marktmacht, die man für Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt, für soziale und ökologische Verbesserungen nutzen sollte.

Deshalb müsste es doch eigentlich selbstverständlich sein, dass der Staat Aufträge nur an Unternehmen vergibt, die sozial und ökologisch sinnvoll arbeiten, an Firmen, die ihre Beschäftigten gut bezahlen und die seriös kalkulieren. Aber – da gebe ich der Kollegin Barth vollkommen recht – das ist längst nicht die Regel. Viel zu oft kommen immer noch die Billigsten zum Zuge.

Deswegen ist es gut, dass ein neuer Anlauf unternommen wird, heute von der SPD, dass wir ein ziemlich untaugliches Vergabegesetz, das wir in Hessen haben, auf den Prüfstand stellen und deutlich machen, dass wir hier Veränderungen brauchen. Wir haben uns schon mehrfach daran versucht, die SPD, auch wir als LINKE, und sind zuletzt 2018 an der schwarz-grünen Mehrheit gescheitert. Es ist richtig, dass hier die Forderungen auch der Gewerkschaften aufgenommen werden. Wir brauchen ein gutes Vergabe- und Tariftreuegesetz, das dafür sorgt, dass die Regelungen auch kontrolliert und wirklich eingehalten werden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das Gesetz von Schwarz-Grün, so wie es in Kraft ist, ist eben – ich will es einmal höflich formulieren – nicht gerade ein großer Wurf. Wir haben schon damals kritisiert, und das haben auch die Gewerkschaften in der Anhörung kritisiert, dass es ein „zahnloser Tiger“ ist. Denn: Soziale und ökologische Kriterien in Ausschreibungen zu fordern ist freiwillig. Eine echte Tarifbindung gibt es nur im Bereich des ÖPNV. Und das wenige, was festgeschrieben wird, wird de facto überhaupt nicht kontrolliert.

Das ist der große Konstruktionsfehler, z. B. dass eine Generalunternehmerhaftung fehlt. Das heißt, Firmen, die sich um Aufträge der öffentlichen Hand bewerben, können über Subsubsubsubsubunternehmen einfach diese Standards unterlaufen und haften überhaupt nicht für das, was Nachunternehmer tun. Das ist ein großes Problem; das diskutieren wir immer wieder in der Baubranche. Wir brauchen die Generalunternehmerhaftung; denn ohne die kann man durch die Vergabe an Subunternehmen alle tariflichen Standards und alle sozialen Standards gerade wieder aushebeln, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Sie haben damals gesagt, das wird doch der Markt schon selbst kontrollieren, und eine Kontrollbehörde wäre überdimensioniert. Das haben wir schon damals kritisiert. Denn es ist doch absurd, mit Selbstverpflichtungen zu arbeiten. Das ist ein bisschen so, als ob man sagt: Jeder Autofahrer unterschreibt eine Selbstverpflichtung: „Ich halte mich an die Straßenverkehrs-Ordnung“; dann müssen wir das nicht kontrollieren, wir brauchen keine Radaranlagen mehr. – Meine Damen und Herren, das ist doch vollkommen weltfremd. Man kann sich doch nicht auf Selbstverpflichtungen verlassen. Natürlich muss man kontrollieren, dass soziale und ökologische Standards auch eingehalten werden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Angesichts dieser Tatsache ist es kaum überraschend, dass die tatsächlichen Auswirkungen dieses Gesetzes kaum wahrnehmbar sind. Die Evaluation, die im Gesetz vorgesehen war, kam jetzt sehr spät und war eher eine kleine Umfrage unter den Kommunen, mit begrenztem Aussagewert. (Zustimmung SPD)

Was im neuen Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün in Bezug auf das Vergabegesetz steht, stimmt auch nicht gerade optimistisch. Dabei könnte man hier mit vielen Regelungen vielen Menschen direkt helfen und indirekt bewirken, dass mehr Menschen davon profitieren, die nicht direkt im öffentlichen Auftrag arbeiten – etwa mit einem Landesmindestlohn.

Herr Hofmann, da will ich Ihnen widersprechen. Was Sie hier sagen, ist falsch. Natürlich ist es möglich, einen Landesmindestlohn zu verabschieden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich sage Ihnen, es gibt eine ganze Menge Länder, in denen die GRÜNEN regieren, die das auch gemacht haben. Ich denke an Bremen, Hamburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. In Berlin liegt der Landesmindestlohn bei 12,50 €, also deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn. Das ist sehr wohl möglich. Das ist machbar. In diesen Ländern gibt es einen Landesmindestlohn. Wie gesagt, sogar die GRÜNEN haben dem zugestimmt. – Sagen Sie, wenn Sie es nicht wollen. Das kann man argumentieren. Aber sagen Sie nicht, es ist nicht möglich. Zu sagen, das geht nicht, weil einem der politische Wille fehlt – ich finde, das Argument ist ein bisschen schwierig.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Vizepräsidentin Karin Müller:

Einen kleinen Augenblick bitte, Frau Abg. Wissler. – Die Diskussion bei der AfD-Fraktion sollten Sie bitte draußen führen. Wir hatten uns einmal darauf verständigt.

Janine Wissler (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist natürlich klar, dass wir einen solchen Landesmindestlohn in Hessen brauchen, der bei mindestens 12 € bis 13 € liegen muss. Denn erst das sind Löhne, die vor Armut schützen, die oberhalb der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Das sind bundesweite Werte. Wenn man die enormen Preise im Rhein-Main-Gebiet, z. B. die hohen Mieten, berücksichtigt, dann ist 13 € ein unterer Wert.

Es kann nicht sein, dass es Menschen gibt, die in diesem Land arbeiten und die auch für das Land arbeiten – in landeseigenen Gesellschaften und Unternehmen, aber auch im öffentlichen Auftrag –, die zu wenig verdienen, um damit über die Runden zu kommen, und Angst vor Altersarmut haben müssen. Deswegen ist es auch aus Respekt und Anerkennung für die Arbeit von Menschen in diesem Land richtig, dass das Land verbindliche Standards einzieht und sagt: keine öffentlichen Aufträge für Unternehmen, die Lohndumping betreiben, die soziale und ökologische Standards unterlaufen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Deshalb brauchen wir diese verbindlichen Leitplanken. Gerade im Baubereich wäre das wichtig. Man muss sehen, es werden so viele Bauaufträge von der öffentlichen Hand ausgelöst, dass Leitplanken gesetzt werden können. Für die, die nicht vom Tarifvertrag erfasst sind, brauchen wir den Landesmindestlohn, damit es kein Lohndumping gibt.

Natürlich sollte bei der Auftragsvergabe auch berücksichtigt werden – das soll verpflichtend gemacht werden –, dass Unternehmen bevorzugt werden, die ausbilden. Die Unternehmen dürfen sich nicht aus der Verantwortung für die Ausbildung stehlen. Deswegen sollte auch das stärker berücksichtigt werden. Dabei sollten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, die ihrer Verpflichtung zur Ausbildung nachkommen, bevorzugt werden.

Soziale und ökologische Standards sind angesprochen worden. Es ist doch logisch und sinnvoll, dass man Unternehmen, die umweltschonend produzieren, bei der Vergabe bevorzugt. Denn am Ende ist es die öffentliche Hand, die sonst für die Folgeschäden geradestehen muss und das finanzieren muss. Es ist angesprochen worden: Das funktioniert alles nicht mit Freiwilligkeit. Dazu brauchen wir eine starke Prüfbehörde, die aktiv kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Eine Behörde!)

Die muss dann aber auch sanktionieren, und zwar spürbar.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Sehr viel von dem, was im SPD-Gesetzentwurf steht, haben wir vor zwei Jahren auch gefordert. Vielleicht ist die eine oder andere Formulierung ein bisschen weicher. Da steht einmal „kann“ oder „sollte“, wo bei uns vielleicht „muss“ stand.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abg. Wissler, es ist Zeit für den letzten Satz.

Janine Wissler (DIE LINKE):

Den wollte ich gerade beginnen, Frau Präsidentin.

Dennoch – das will ich deutlich sagen – ist der vorgelegte Gesetzentwurf ein großer Schritt in die richtige Richtung. Insofern sind wir gespannt auf die Anhörung. Wir finden den Gesetzentwurf im Grundsatz sehr gut. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)