Janine Wissler zur Änderung des Vergabegesetzes
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In seiner 39. Plenarsitzung am 6. Mai diskutierte der Hessischen Landtag über eine Reform des Vergabegesetzes. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Die FDP legt heute einen Gesetzentwurf vor, der das geltende Vergabegesetz in seinen sozialen und ökologischen Kriterien noch weiter entkernen soll – und das, wo schon das aktuelle Gesetz eigentlich so wenig weitreichend ist, ohnehin nur unverbindliche Kannbestimmungen für soziale und ökologische Kriterien enthält und auch keine Kontrollen vorsieht. Deswegen wurde dieses Gesetz oft als „zahnloser Tiger“ bezeichnet, und diesem armen, bedauernswerten zahnlosen Tiger wollen Sie jetzt auch noch die letzte halbe Kralle ziehen, liebe FDP. Dieses Gesetz ist schon jetzt schlecht, und Sie wollen es noch schlechter machen.
Konkret wollen Sie die Kannbestimmungen streichen und die Freigrenzen erhöhen, unterhalb derer das Gesetz gar nicht greift, und das halten wir für unverantwortlich. Die Corona-Krise trifft natürlich viele Unternehmer und auch deren Beschäftigte hart, klar. Aber das mindert andere Krisen nicht, die derweil parallel weiterlaufen, etwa die Klimakrise oder auch den Anteil der Armut hierzulande. Im Gegenteil: Die soziale Spaltung droht sich durch die Corona-Krise eher noch zu verschärfen, gerade auch, weil das Augenmerk von diesen Problemen genommen wird und weil die finanziellen Mittel teilweise umgeleitet werden.
Genauso wie die vielen Milliarden, die jetzt zur Unterstützung in die Wirtschaft fließen, genutzt werden müssen, um den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft voranzutreiben und den Kampf gegen den Klimawandel zu beschleunigen, genau so muss auch das Geld, das die öffentliche Hand beim Einkauf nutzt, selbstverständlich für gute, soziale und ökologisch sinnvolle Waren und Dienstleistungen ausgegeben werden – nicht trotz Corona, sondern jetzt erst recht.
(Beifall DIE LINKE)
Nun wissen wir, Deregulierung, Steuersenkung und Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten sind die Antworten der FDP auf eigentlich alle Probleme, von Zahnweh bis Wohnungsbau. Aber es hilft einfach nichts. Die Krise jetzt zu nutzen, um Arbeitnehmerrechte und soziale Standards zu beschneiden und sich dann wieder hinzustellen, zu klatschen und zu sagen: „Toll, was die Beschäftigten in diesem Land leisten“, und das Ganze dann auch noch mit dem Schutz von Arbeitsplätzen zu begründen, das finde ich nicht in Ordnung. Die Beschäftigten brauchen doch jetzt Schutz und keine Deregulierung und Lockerungen. Wir müssen doch die Schutzmaßnahmen verstärken. Herr Dr. Naas, heute Morgen haben Sie sich hierhin gestellt, als es um die Solo-Selbstständigen ging, und haben völlig zu Recht nach dem Staat gerufen, der Staat müsse jetzt eingreifen und helfen. – Jetzt aber erzählen Sie, staatliche Schutzstandards müssten wieder zurückgebaut werden, und begründen das auch noch mit den Beschäftigten und mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen. Dabei zeigt doch diese Krise gerade, dass der Markt es eben nicht regelt.
(Beifall DIE LINKE)
Deshalb ist das Gegenteil von dem notwendig, was die FDP fordert, nämlich die Überarbeitung des Vergabegesetzes dahin gehend, dass der Staat einkauft, was sozial und ökologisch sinnvoll ist, bei Firmen, die ihre Beschäftigten gut bezahlen und die seriös kalkulieren. Eigentlich sollte das die Regel sein, aber viel zu oft kommt noch der Billigste zum Zug. Da spart der Staat vielleicht ein paar Euro beim Einkauf, aber am Ende muss er die ökologischen Folgeschäden bezahlen, und die Allgemeinheit muss die Löhne aufstocken, wenn sie nicht zum Leben reichen.
Deswegen finde ich, an Herrn Dr. Naas und an die FDP gerichtet, dass es nicht nur ein Schutz für die Beschäftigten ist. Es ist auch ein Schutz von Unternehmen, die tariftreu sind, die sich an soziale und ökologische Standards halten, es ist ein Schutz dieser Unternehmen vor Dumpingkonkurrenz. Sie wissen doch, was zum Teil auf den Baustellen los ist. Sie wissen doch, wie dort versucht wird, Löhne zu drücken. Sie schützen damit doch gerade die Unternehmen, die Ausbildungsmöglichkeiten schaffen und soziale Arbeitgeber sind, davor, dass sie von anderen Unternehmen bei Ausschreibungen und Vergaben mit Dumpinglöhnen niederkonkurriert werden können. Deswegen ist Ihr Ansatz grundfalsch.
(Beifall DIE LINKE)
Das Problem beim schwarz-grünen Vergabegesetz ist die
Freiwilligkeit. Es ist letztlich alles freiwillig. Eine echte Tarifbindung gibt es nur im Bereich des ÖPNV, und all das Wenige, das festgeschrieben wird, wird de facto nicht kontrolliert. Die ILO-Kernarbeitsnormen kommen gar nicht vor, und – ein ganz großer Konstruktionsfehler – es gibt keine Generalunternehmerhaftung. Das haben wir schon mehrfach diskutiert. Das heißt also, ein Unternehmer bewirbt sich um einen Auftrag, und dann vergibt er den Auftrag weiter an Subsubsubsubunternehmen, und die sind dann zu gar nichts mehr verpflichtet. Damit steht ein Scheunentor offen, um die wenigen überhaupt vorhandenen Standards zu unterlaufen.
Deswegen müsste ein gutes Gesetz Leitplanken setzen, um die Beschäftigten zu schützen, die im öffentlichen Auftrag arbeiten. Das würde auch die Bedingungen am Arbeitsmarkt insgesamt verbessern. Daher wird es höchste Zeit, soziale Standards bei der Vergabe endlich verpflichtend festzuschreiben. Es gibt keine guten Argumente für diese wirtschaftspolitischen Ansätze der FDP, und Corona bzw. die Corona-Krise ist schon gar kein Argument dafür. – Vielen Dank.
(Beifall DIE LINKE)