Rede zum Gesetz über den öffentlichen Personenverkehr in Hessen

Herr/Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,

der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des ÖPNV-Gesetzes ist alles andere als ein verkehrspolitischer Meilenstein, in Anbetracht dessen, was eigentlich nötig wäre. Klimaschutzpolitik muss an der Verkehrspolitik ansetzen, die Schiene muss privilegiert werden gegenüber Straße und Flughafen. Übrigens sind die Beschäftigungseffekte im ÖPNV viel höher als in der Automobilindustrie und im Flugverkehr. Dort zu investieren, heißt Arbeitsplätze zu schaffen.

Die umfassende Novelle des Gesetzes wird uns in den kommenden Jahren beschäftigen. Das wird eine wichtige Debatte, dem Öffentlichen Personenverkehr kommt eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung der Treibhausgase und des Individualverkehrs zu. Die Nutzerzahlen des ÖPNV müssen steigen, statt zu stagnieren, wie sie das in den letzten Jahren in Hessen getan haben. Denn das wird umweltpolitisch, sozial und städtebaulich der einzige Weg sein, die sich anbahnenden Probleme zu lösen. Und auch der Weg zum staufreien Hessen führt nur über den ÖPNV.
Daran führt kein Weg vorbei.
Wenn Hessen die notwendige Politikwende hinbekommen will, die gerade in Kopenhagen verhandelt wird, und wenn wir Mobilität als Grundvoraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe für alle sicherstellen wollen, kommen wir an einem deutlichen Ausbau des ÖPNV nicht vorbei.
Die aktuellen Veränderungen im hessischen ÖPNV-Gesetz, die der Entwurf der Regierungsfraktionen vorsieht, sind in dieser Hinsicht nicht grade wegweisend, um das mal sehr vorsichtig auszudrücken.


Auf europäischer Ebene wurde nach langwierigen Auseinandersetzungen mit der 1370 eine Verordnung verabschiedet, die den unterschiedlichen Gegebenheiten und Erfahrungen versucht gerecht zu werden. Sie lässt den „zuständigen Behörden“ einige Freiheit bei der Wahl der Mittel zur Herstellung eines angemessenen ÖPNV-Angebotes, und dabei sollen weder öffentlich-rechtliche noch private Unternehmen bevorzugt werden. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Ausschreibung und Privatisierung des ÖPNV zustande gekommen. Die waren zum Teil katastrophal, zum Teil konnte das Niveau öffentlich bestellter Verkehre gehalten werden. Allen Erfahrungen gemein ist eigentlich nur, dass der Wettbewerb mit einer Aushöhlung tariflicher Standards bei den Beschäftigten einherging. Was die Zufriedenheit der Kunden angeht: in Rhein-Main ist sie seit dem verstärkten Einsatz von Ausschreibungen nur leicht gesunken. Die Entlohnungstabellen der Busfahrer bei den privaten Betreibern zeigen aber eindeutig, dass die früher zufriedener gewesen sein müssen.
Für die Aufgabenträger und die öffentliche Hand insgesamt hat der „hessische Weg“ in der ÖPNV-Politik nicht die versprochenen Einsparungen gebracht, und auch die Fahrgäste sind weder als Steuerzahler noch als Fahrkartenkunden entlastet worden. Rechnet man in die öffentlichen Ausgaben mit ein, was der Stellenabbau für Folgekosten bedeutet, gerät die Gesamtrechnung deutlich ins Negative. Und selbst der Mittelstand, den zu fördern und zu stützen die Regierungsparteien sich auf die Fahnen schreiben, hat in Hessen und anderswo von der neuen Ausschreibungspraxis nicht profitiert, ganz im Gegenteil. Die großen Gewinner der Privatisierung sind Großkonzerne. Mittelständische Betriebe sind in großer Zahl aus dem Markt ausgeschieden.
Verkehrsunternehmen stampft niemand aus dem Boden - wenn ein Mittelständler erst einmal hat aufgeben müssen, wächst für ihn kein Ersatz mehr nach. Nun eröffnet 1370 eine Reihe von Möglichkeiten, um die Probleme, die ich eben angesprochen habe, in den Griff zu bekommen. Sie stellt es den zuständigen Behörden frei, soziale Kriterien „aufrechtzuerhalten und zu erhöhen“, zum Beispiel im Hinblick auf den Umweltschutz oder Mindestarbeitsbedingungen. Sie sollen ausdrücklich Lohndumping verhindern und „die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigen“ können. Das sind alles wertvolle Ziele, die die 1370 erwähnt, um „die öffentlichen Personenverkehrsdienste optimal nach den Bedürfnissen der Bevölkerung gestalten zu können“. Viele Gemeinden würden sich dafür gern einsetzen. Was läge also näher, als sie zu den zuständigen Behörden zu erklären? Gerade die Direktvergabe könnte für ortsansässige Unternehmen, die ohnehin seit vielen Jahren Dienstleistungen für die Kommune erbringen, eine wichtige Hilfe sein. Die regionale Wirtschaft profitiert von regionalen Unternehmen. Ähnliche Vorteile entstehen auch aus der Vergabe an kommunale Eigenbetriebe, und zu den wichtigen zähle ich hier die höhere Bindung an Tarifverträge.
Durch die Festlegung der Lokalen Nahverkehrsorganisationen als zuständige Behörde im Sinne der 1370 werden die Möglichkeiten zur Direktvergabe erheblich eingeschränkt oder ganz verhindert.
Man gibt Einrichtungen ein Recht an die Hand, von dem sie gar keinen Gebrauch machen können. Den Kommunen in ihrer Funktion als Aufgabenträger dagegen wird hier weiterer Handlungsspielraum genommen. Den hätten sie als zuständige Behörde. Dann wäre ihnen immer noch freigestellt, Ausschreibungen vorzunehmen, aber sie wären dazu nicht gezwungen.

Azubi-Rabatte

Zum einem weiteren Punkt des Änderungsantrags, den Rabatten für Schüler und Auszubildende: Die umfangreiche Definition der Fördergruppe ist begrüßenswert. Die Tatsache, dass die Finanzierung der Rabatte aber nicht dynamisiert worden ist, lässt schon erahnen, wie die Debatte darum in den kommenden Jahren aussehen wird. Denn entweder wir bekommen jährlich Auseinandersetzungen um die Erhöhung der Landesmittel in diesem Bereich oder Sie sagen ein für alle Mal, dass mehr Geld nicht kommt. Aber Sie können nicht die Schulen in die finanzielle Selbstverwaltung des Mangels entlassen, den Kommunen 400 Millionen aus dem kommunalen Finanzausgleich streichen und ihnen dann die Entscheidung überlassen, ob sie in Zukunft die Förderung von Schülertickets an den Preissteigerungen ausrichten wollen oder nicht. Der Hessische Städtetag hat genau dieses Problem erkannt und benannt und eine Kopplung der Landeszuschüsse an die Tariferhöhungen gefordert. Diese Forderung ist nicht nur im Hinblick auf die kritische Situation der kommunalen Haushalte zu unterstützen, sondern gerade mit Blick auf die direkt Betroffenen, die Eltern und Schüler. Es darf nicht sein, dass über die Transportkosten der Schulabschluss vom Portemonnaie der Eltern abhängig gemacht wird. Die Betroffenen sind gut beraten, die Landesregierung in dieser Frage nicht aus der Verantwortung zu entlassen.
Wir werden dem Gesetz nicht zustimmen, es wird den Anforderungen an einen modernen und attraktiven ÖPNV in Zeiten des Klimawandels nicht ansatzweise gerecht.