„Ob Bachelor oder Master, es ist alles ein Desaster“
Rede zum Bologna-Prozess und dem Umbau der Hochschulen
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
seit Wochen demonstrieren Studierende gegen die gravierenden Mängel an den Hochschulen, in vielen europäischen Ländern wurden Hörsäle und Institute besetzt.
Im Zentrum der Kritik steht der sogenannte Bologna-Prozess. Vor zehn Jahren verabschiedeten die europäischen Bildungsminister die Bologna-Erklärung und läuteten eine grundlegende Hochschulreform ein. Heute herrscht an den Hochschulen vor allem Frust über die Umsetzung der Reform, denn die schöne neue Campuswelt entpuppt sich zunehmend als schnöde Lernfabrik. Zehn Jahre Bologna-Prozess sind kein Grund zum Feiern, sondern vor allem Anlass für Proteste. Und die zeigen erste Wirkung.
Die Kritik am Bologna-Prozess ist nicht neu. Der Deutsche Hochschulverband bezeichnete die Reform bereits vor über einem Jahr als „weitgehend misslungen“ und auch von Seiten der Studierenden und der Gewerkschaften wurde die Umsetzung kritisiert.
Ziele der Reform und Realität an den Hochschulen
Durch den Bologna-Prozess sollte das Studium praxisnäher, effizienter und schneller werden, ein einheitlicher europäischer Hochschulraum sollte entstehen. Mobilität, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit sollten gefördert werden.
Das Ziel internationale Mobilität zu fördern ist nicht erreicht worden. Im Gegenteil: Auslandssemester passen nicht in die engen Studienpläne der neuen Bachelor-Studiengänge. Zudem sind die Studiengänge oft so spezialisiert, dass ein Ortswechsel nahezu unmöglich ist. Frau Ministerin, es reicht nicht, auf die Erfolge der Umstellungsgeschwindigkeit zu verweisen, den Studierenden wurde versprochen, dass sie zukünftig problemlos zwischen Berlin und Madrid wechseln können. Nun stellen sie fest, dass nicht mal ein Hochschulwechsel von Berlin nach Frankfurt funktioniert.
Beim europäischen Austauschprogramm Erasmus sinkt in vielen Ländern die Nachfrage nach Auslandssemestern, auch in Deutschland. Mobilität ist nachweisbar vom sozialen Hintergrund abhängig und damit ein Privileg von materiell Bessergestellten.
Die Studiengänge sollten praxisnäher werden und stärker auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse ausgerichtet sein. Aber die Unternehmen empfangen die Bachelor-Absolventen nicht mit offenen Armen. Haben sich die Wirtschaftsbosse zuvor beschwert, die Hochschulabsolventen in Deutschland seien zu alt, beschweren sich jetzt die Ersten, die Bachelor-Absolventen seien zu jung und unreif. In den Trainingsprogrammen der Unternehmen ginge es zu wie in der Jungendherberge. Das ist die Folge davon, wenn man junge Menschen möglichst schnell auf den Arbeitsmarkt bringen will, die Schulzeit verkürzt und das Studium auf drei Jahre schrumpft. Und zukünftig werden die Absolventen noch jünger, wenn die G8-Jahrgänge die Hochschulen verlassen.
Jüngst ermahnte Bundesbildungsministerin Schavan die Arbeitgeber, die „richtigen Signale“ zu geben, dass man mit dem Bachelor „hervorragende Berufschancen habe“. Wenn die Unternehmen schon dazu aufgefordert werden müssen, sagt das eigentlich alles.
Bachelor-Absolventen könnten als Ersatz für Menschen mit Berufsausbildung eingesetzt werden. Das würde zu einem Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt führen. Unklar ist auch die tarifliche Eingruppierung des Bachelors im Vergleich zum Master.
Durch die Umstellung der Studiengänge stellt sich kein höherer Studienerfolg ein. In einigen Fächern wie den Ingenieur- und Naturwissenschaften steigt die Zahl der Studienabbrecher sogar. Die Studiengänge sind immer schwerer studierbar, in manchen Fachbereichen bleibt ein Drittel bis die Hälfte auf der Strecke.
Die Reform hat die Lern- und Arbeitsbedingungen an den Hochschulen erheblich verschlechtert.
Die Modularisierung führt zu einer Verschulung und Verdichtung des Studiums. Die Studiengänge sind überfrachtet, der Stoff aus acht Semestern soll jetzt in sechs Semestern zu schaffen sein. Das lässt keinen Platz für selbstbestimmtes Lernen und führt zu einem Übermaß an Klausuren und Prüfungen und zum sogenannten Bulimie-Lernen, d.h. vor Klausuren wird schnell auswendig gelernt und anschließend alles wieder ausgespuckt.
Das Studium wird zur reinen Punktejagd, es gibt keine Zeit, eigene Schwerpunkte zu verfolgen.
Viele Studierende haben eine 40 bis 50 Stunden-Woche, wohlgemerkt ohne Jobben und ganz zu schweigen von politischen, familiären und kulturellen Engagement.
Zwei Drittel aller Studierenden müssen arbeiten, um sich das Studium überhaupt finanzieren zu können, das kollidiert mit Anwesenheitspflichten bei Seminaren und den engen Prüfungsrhythmen. Immer mehr Studierende leiden unter dem dauernden Stress, Überforderung und Leistungsdruck.
Auch für das Personal an den Hochschulen hat die Umsetzung der Reform zu einer höheren Arbeitsbelastung geführt. Statt die Betreuung zu verbessern, wurde die Reform bei gleichbleibender oder sinkender personeller und finanzieller Ausstattung umgesetzt, die Hauptlast tragen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Hochschulen.
Die Reform bedeutet Verdruss für Lehrende und Lernende, an den Hochschulen heißt es deshalb: „Ob Bachelor oder Master, es ist alles ein Desaster“
Regierungen in Bund und Ländern versuchen die Verantwortung auf die Hochschulen abzuschieben, denn die seien für die Umsetzung zuständig. Aber der Fisch stinkt vom Kopf. Der Bundespräsident stellte richtig fest: Die Länder „können die Verantwortung nicht einfach weiterreichen an die Hochschulen, denen sie zwar mehr Freiheit gewährt haben, ohne das aber wirklich mit einem neuen Aufbruchsimpuls und mit den nötigen Ressourcen zu unterlegen".
Lassen Sie mich aus der FAZ vom 24. November zitieren, sicher kein Zentralorgan der Linken:
„Zehn Jahre nach der Einführung der Bologna-Reform an den Universitäten kann die tiefgreifendste Reform der deutschen Universität nach dem 19. Jahrhundert als gescheitert gelten. Das gestehen inzwischen sogar die Verantwortlichen ein. Dafür haben einzig und allein die Proteste der Studenten gesorgt. Allerdings wären es nicht dieselben Politiker und Wissenschaftsmanager mit Vierjahresgedächtnis, die auch die Reform zu verantworten haben, wenn sie nicht eine neue Ausflucht parat hätten: Das sei alles ein „Umsetzungsproblem“. Nein, das ist es nicht. Die Bologna-Reform ist ein wissenschaftsfernes Zwangskorsett, das der Verkürzung der Studienzeiten und der Verringerung der Abbrecherquote dienen sollte. Es war nicht umsonst von Anfang an von einem europäischen Hochschul- und Wirtschaftsraum die Rede. Und es ist kein Zufall, dass die Bologna-Blase so kurz nach der Finanzblase platzt. In beiden Systemen haben die Verantwortlichen jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren.“
Die Kritik an der Umsetzung greift in der Tat zu kurz. Der Bologna-Prozess steht auf einer falschen Grundlage. Er orientiert sich an der Lissabon-Strategie, die vorsieht, dass die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ werden sollte. Bei der Umgestaltung der Hochschulen standen nicht etwa soziale Durchlässigkeit und Demokratisierung im Vordergrund, sondern Wettbewerbsfähigkeit und Standortlogik.
In der Praxis hieß das vor allem die Verkürzung der Studienzeit und die Reduzierung der Studieninhalte auf eine kurzfristige Arbeitsmarktbefähigung - auf Kosten des wissenschaftlichen Anspruchs. Bei der Entrümpelung der Lehrinhalte landete die kritische Wissenschaft als erstes auf dem Müll.
Praxisnähe wurde das genannt. Niemand ist gegen einen wissenschaftlichen Praxisbezug, Wissenschaft muss sich immer anhand der Praxis überprüfen lassen, sonst ist sie irrelevant.
Aber die europäischen Regierungen haben die Interessen der Wirtschaft zum Maßstab für die neoliberale Umgestaltung der Hochschulen gemacht. Hochschulabsolventen maßgeschneidert für die Wirtschaft: jung, flexibel, formbar, so wie Personalchefs es sich wünschen.
Nach dem Bachelor wurde eine weitere Bildungshürde eingezogen, der Master soll einer kleinen Elite vorbehalten sein, während die breite Masse eine Schmalspurausbildung durchläuft. Welchen Sinn machen diese Zwei-Klassen-Abschlüsse? Zu einem zersplitterten Schulsystem kommt jetzt noch ein zersplittertes Hochschulsystem mit verschiedenen Abschlüssen. Von Einheitlichkeit keine Spur.
Unter dem Deckmantel des Bologna-Prozesses wurde Bildungsabbau vorangetrieben. Und ich will nur daran erinnern, dass es eine rot-grüne Bundesregierung war, die die Bologna-Reform auf den Weg brachte, die SPD und Grüne heute kritisieren.
Forderungen
Was tun mit der verkorksten Reform?
Die GRÜNEN fordern die Einrichtung eines Runden Tischs in Hessen zur Bologna-Reform. Böse Stimmen behaupten, solche Tische müssten rund sein, damit man sich ungestört im Kreis drehen kann.
Denn bereits im Sommer lud Bundesbildungsministerin Schavan Studierendenvertreter, Rektoren und Kultusminister zu einem Runden Tisch ein, konkrete Ergebnisse gibt es bis heute nicht.
Dabei ist eine Reform der Reform dringend nötig.
Um europaweit bessere Bedingungen an den Hochschulen durchzusetzen, ist eine europäische Studierendenbewegung nötig. Die derzeitige Studierendenbewegung ist Anlass zur Hoffnung, wir wünschen viel Erfolg.
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Herr Präsident, meine Damen und Herren,
seit Wochen demonstrieren Studierende gegen die gravierenden Mängel an den Hochschulen, in vielen europäischen Ländern wurden Hörsäle und Institute besetzt.
Im Zentrum der Kritik steht der sogenannte Bologna-Prozess. Vor zehn Jahren verabschiedeten die europäischen Bildungsminister die Bologna-Erklärung und läuteten eine grundlegende Hochschulreform ein. Heute herrscht an den Hochschulen vor allem Frust über die Umsetzung der Reform, denn die schöne neue Campuswelt entpuppt sich zunehmend als schnöde Lernfabrik. Zehn Jahre Bologna-Prozess sind kein Grund zum Feiern, sondern vor allem Anlass für Proteste. Und die zeigen erste Wirkung.
Die Kritik am Bologna-Prozess ist nicht neu. Der Deutsche Hochschulverband bezeichnete die Reform bereits vor über einem Jahr als „weitgehend misslungen“ und auch von Seiten der Studierenden und der Gewerkschaften wurde die Umsetzung kritisiert.
Ziele der Reform und Realität an den Hochschulen
Durch den Bologna-Prozess sollte das Studium praxisnäher, effizienter und schneller werden, ein einheitlicher europäischer Hochschulraum sollte entstehen. Mobilität, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit sollten gefördert werden.
Das Ziel internationale Mobilität zu fördern ist nicht erreicht worden. Im Gegenteil: Auslandssemester passen nicht in die engen Studienpläne der neuen Bachelor-Studiengänge. Zudem sind die Studiengänge oft so spezialisiert, dass ein Ortswechsel nahezu unmöglich ist. Frau Ministerin, es reicht nicht, auf die Erfolge der Umstellungsgeschwindigkeit zu verweisen, den Studierenden wurde versprochen, dass sie zukünftig problemlos zwischen Berlin und Madrid wechseln können. Nun stellen sie fest, dass nicht mal ein Hochschulwechsel von Berlin nach Frankfurt funktioniert.
Beim europäischen Austauschprogramm Erasmus sinkt in vielen Ländern die Nachfrage nach Auslandssemestern, auch in Deutschland. Mobilität ist nachweisbar vom sozialen Hintergrund abhängig und damit ein Privileg von materiell Bessergestellten.
Die Studiengänge sollten praxisnäher werden und stärker auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse ausgerichtet sein. Aber die Unternehmen empfangen die Bachelor-Absolventen nicht mit offenen Armen. Haben sich die Wirtschaftsbosse zuvor beschwert, die Hochschulabsolventen in Deutschland seien zu alt, beschweren sich jetzt die Ersten, die Bachelor-Absolventen seien zu jung und unreif. In den Trainingsprogrammen der Unternehmen ginge es zu wie in der Jungendherberge. Das ist die Folge davon, wenn man junge Menschen möglichst schnell auf den Arbeitsmarkt bringen will, die Schulzeit verkürzt und das Studium auf drei Jahre schrumpft. Und zukünftig werden die Absolventen noch jünger, wenn die G8-Jahrgänge die Hochschulen verlassen.
Jüngst ermahnte Bundesbildungsministerin Schavan die Arbeitgeber, die „richtigen Signale“ zu geben, dass man mit dem Bachelor „hervorragende Berufschancen habe“. Wenn die Unternehmen schon dazu aufgefordert werden müssen, sagt das eigentlich alles.
Bachelor-Absolventen könnten als Ersatz für Menschen mit Berufsausbildung eingesetzt werden. Das würde zu einem Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt führen. Unklar ist auch die tarifliche Eingruppierung des Bachelors im Vergleich zum Master.
Durch die Umstellung der Studiengänge stellt sich kein höherer Studienerfolg ein. In einigen Fächern wie den Ingenieur- und Naturwissenschaften steigt die Zahl der Studienabbrecher sogar. Die Studiengänge sind immer schwerer studierbar, in manchen Fachbereichen bleibt ein Drittel bis die Hälfte auf der Strecke.
Die Reform hat die Lern- und Arbeitsbedingungen an den Hochschulen erheblich verschlechtert.
Die Modularisierung führt zu einer Verschulung und Verdichtung des Studiums. Die Studiengänge sind überfrachtet, der Stoff aus acht Semestern soll jetzt in sechs Semestern zu schaffen sein. Das lässt keinen Platz für selbstbestimmtes Lernen und führt zu einem Übermaß an Klausuren und Prüfungen und zum sogenannten Bulimie-Lernen, d.h. vor Klausuren wird schnell auswendig gelernt und anschließend alles wieder ausgespuckt.
Das Studium wird zur reinen Punktejagd, es gibt keine Zeit, eigene Schwerpunkte zu verfolgen.
Viele Studierende haben eine 40 bis 50 Stunden-Woche, wohlgemerkt ohne Jobben und ganz zu schweigen von politischen, familiären und kulturellen Engagement.
Zwei Drittel aller Studierenden müssen arbeiten, um sich das Studium überhaupt finanzieren zu können, das kollidiert mit Anwesenheitspflichten bei Seminaren und den engen Prüfungsrhythmen. Immer mehr Studierende leiden unter dem dauernden Stress, Überforderung und Leistungsdruck.
Auch für das Personal an den Hochschulen hat die Umsetzung der Reform zu einer höheren Arbeitsbelastung geführt. Statt die Betreuung zu verbessern, wurde die Reform bei gleichbleibender oder sinkender personeller und finanzieller Ausstattung umgesetzt, die Hauptlast tragen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Hochschulen.
Die Reform bedeutet Verdruss für Lehrende und Lernende, an den Hochschulen heißt es deshalb: „Ob Bachelor oder Master, es ist alles ein Desaster“
Regierungen in Bund und Ländern versuchen die Verantwortung auf die Hochschulen abzuschieben, denn die seien für die Umsetzung zuständig. Aber der Fisch stinkt vom Kopf. Der Bundespräsident stellte richtig fest: Die Länder „können die Verantwortung nicht einfach weiterreichen an die Hochschulen, denen sie zwar mehr Freiheit gewährt haben, ohne das aber wirklich mit einem neuen Aufbruchsimpuls und mit den nötigen Ressourcen zu unterlegen".
Lassen Sie mich aus der FAZ vom 24. November zitieren, sicher kein Zentralorgan der Linken:
„Zehn Jahre nach der Einführung der Bologna-Reform an den Universitäten kann die tiefgreifendste Reform der deutschen Universität nach dem 19. Jahrhundert als gescheitert gelten. Das gestehen inzwischen sogar die Verantwortlichen ein. Dafür haben einzig und allein die Proteste der Studenten gesorgt. Allerdings wären es nicht dieselben Politiker und Wissenschaftsmanager mit Vierjahresgedächtnis, die auch die Reform zu verantworten haben, wenn sie nicht eine neue Ausflucht parat hätten: Das sei alles ein „Umsetzungsproblem“. Nein, das ist es nicht. Die Bologna-Reform ist ein wissenschaftsfernes Zwangskorsett, das der Verkürzung der Studienzeiten und der Verringerung der Abbrecherquote dienen sollte. Es war nicht umsonst von Anfang an von einem europäischen Hochschul- und Wirtschaftsraum die Rede. Und es ist kein Zufall, dass die Bologna-Blase so kurz nach der Finanzblase platzt. In beiden Systemen haben die Verantwortlichen jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren.“
Die Kritik an der Umsetzung greift in der Tat zu kurz. Der Bologna-Prozess steht auf einer falschen Grundlage. Er orientiert sich an der Lissabon-Strategie, die vorsieht, dass die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ werden sollte. Bei der Umgestaltung der Hochschulen standen nicht etwa soziale Durchlässigkeit und Demokratisierung im Vordergrund, sondern Wettbewerbsfähigkeit und Standortlogik.
In der Praxis hieß das vor allem die Verkürzung der Studienzeit und die Reduzierung der Studieninhalte auf eine kurzfristige Arbeitsmarktbefähigung - auf Kosten des wissenschaftlichen Anspruchs. Bei der Entrümpelung der Lehrinhalte landete die kritische Wissenschaft als erstes auf dem Müll.
Praxisnähe wurde das genannt. Niemand ist gegen einen wissenschaftlichen Praxisbezug, Wissenschaft muss sich immer anhand der Praxis überprüfen lassen, sonst ist sie irrelevant.
Aber die europäischen Regierungen haben die Interessen der Wirtschaft zum Maßstab für die neoliberale Umgestaltung der Hochschulen gemacht. Hochschulabsolventen maßgeschneidert für die Wirtschaft: jung, flexibel, formbar, so wie Personalchefs es sich wünschen.
Nach dem Bachelor wurde eine weitere Bildungshürde eingezogen, der Master soll einer kleinen Elite vorbehalten sein, während die breite Masse eine Schmalspurausbildung durchläuft. Welchen Sinn machen diese Zwei-Klassen-Abschlüsse? Zu einem zersplitterten Schulsystem kommt jetzt noch ein zersplittertes Hochschulsystem mit verschiedenen Abschlüssen. Von Einheitlichkeit keine Spur.
Unter dem Deckmantel des Bologna-Prozesses wurde Bildungsabbau vorangetrieben. Und ich will nur daran erinnern, dass es eine rot-grüne Bundesregierung war, die die Bologna-Reform auf den Weg brachte, die SPD und Grüne heute kritisieren.
Forderungen
Was tun mit der verkorksten Reform?
Die GRÜNEN fordern die Einrichtung eines Runden Tischs in Hessen zur Bologna-Reform. Böse Stimmen behaupten, solche Tische müssten rund sein, damit man sich ungestört im Kreis drehen kann.
Denn bereits im Sommer lud Bundesbildungsministerin Schavan Studierendenvertreter, Rektoren und Kultusminister zu einem Runden Tisch ein, konkrete Ergebnisse gibt es bis heute nicht.
Dabei ist eine Reform der Reform dringend nötig.
- Als erstes muss der Lerndruck reduziert werden und die Regelstudienzeit in den Bachelor-Studiengängen erhöht werden. Lernen braucht Raum und Zeit, beides versuchen sich die Studierenden gerade durch die Besetzungen zurückzuerobern. Die neuen Studiengänge müssen auf ihre Studierfähigkeit überprüft und allen Studierenden das Recht auf Teilzeitstudium eingeräumt werden.
- Soziale Durchlässigkeit muss zum wichtigsten Ziel europäischer Hochschulpolitik werden. Weder die Studierendenquote noch der Anteil von Studierenden aus finanzschwachen Elternhäusern wurde deutlich gesteigert. DIE LINKE setzt sich für die Umsetzung des UN-Sozialpakts ein, den fast alle Bologna-Staaten unterzeichnet haben. Darin ist die Gebührenfreiheit des Studiums als Ziel verankert. Dafür könnte sich die hessische Landesregierung in Europa stark machen, denn bei der Abschaffung der Studiengebühren ist Hessen ein Erfolgsmodell. Chancengleichheit bedeutet auch Geschlechtergerechtigkeit zu verankern.
- Der Master muss zum Regelabschluss werden, weder Quote noch Note dürfen die Zulassung zum Masterstudium beschränken. Derzeit werden zu wenige Masterstudienplätze geschaffen, das bedeutet soziale Selektion und Bildungsabbau in der Breite.
- Eine Studienreform muss zu mehr Qualität im Studium führen. Bisher ist das Gegenteil der Fall. Im Hauruckverfahren wurde der Prozess in Deutschland eingeleitet und umgesetzt. Die Studierenden wurden viel zu wenig einbezogen, vor allem aber fehlten die notwenigen finanziellen Mittel. Eine qualitative Studienreform geht nur mit deutlich mehr Geld und einer besseren Personalausstattung.
Um europaweit bessere Bedingungen an den Hochschulen durchzusetzen, ist eine europäische Studierendenbewegung nötig. Die derzeitige Studierendenbewegung ist Anlass zur Hoffnung, wir wünschen viel Erfolg.
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