Rede zur Ausbildungsmisere

Herr/Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,

seit Wochen finden Proteste für bessere Bildung statt, Schülerinnen und Schüler demonstrieren, Studierende besetzen ihre Hochschulen, Lehrerinnen und Lehrer streiken.
Die Aktivisten demonstrieren für bessere Schulen und Hochschulen, sie kämpfen aber auch für diejenigen, die eine berufliche Ausbildung absolvieren – oder das zumindest versuchen. Über die wird nämlich selten gesprochen.

Der Übergang von der Schule in den Beruf gestaltet sich für viele junge Menschen schwierig. Und zwar unabhängig davon, welchen Schulabschluss sie erworben haben und wie der ausgefallen ist. Immer mehr zählen zur sogenannten Generation Praktikum, die sich von einem Job zum nächsten hangeln, ein Praktikum nach dem nächsten absolvieren – und das häufig unbezahlt, immer in der Hoffnung, die Chance auf eine Ausbildung zu bekommen.
Wer eine betriebliche Ausbildung anstrebt, steht vor dem Problem, dass das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen konjunkturabhängig ist. Und damit sind die Lebenschancen junger Menschen abhängig von der Konjunktur – das ist nicht hinzunehmen.
Auch für die Wirtschaft insgesamt, die schon jetzt über Fachkräftemangel klagt, wird das in absehbarer Zeit zu einem Problem werden.

Aus gutem Grund würde niemand – außer vielleicht den Kollegen von der marktradikalen Fraktion – die Finanzierung des Schulwesens von der Konjunkturentwicklung abhängig machen. Das würde vermutlich dazu führen, dass ein erheblicher Anteil der Kinder im Alter von 10 Jahren noch nicht lesen und schreiben könnte. Die Schulbildung ist dem Markt mit seinen Schwankungen entzogen und unter staatliche Obhut gestellt. Deshalb gibt es eine Schulpflicht. Es gibt aber keine Pflicht zur Berufsausbildung, die ebenso unentbehrliche Fertigkeiten vermittelt.

Schulabgängerinnen und Schulabgänger, die kein Studium aufnehmen, brauchen einen Ausbildungsplatz, wenn sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben wollen. Aber viele bekommen keine Chance, weil es den Unternehmen frei steht, ob sie auszubilden oder nicht. Obwohl die Verantwortung für ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot zu sorgen bei der Wirtschaft liegt, wie auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, kommen die Unternehmen ihrer Verantwortung nicht nach.

Statistiken

Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit versuchen, über die Misere auf dem Ausbildungsmarkt hinwegzutäuschen. Denn nicht jeder, der gern einen Ausbildungsplatz hätte, wird in der Statistik überhaupt geführt. Alle Jugendlichen, die auf ihrer Suche nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz irgendetwas gefunden haben: eine schulische Maßnahme, eine so genannte berufsvorbereitende Maßnahme oder die sich aus der aktiven Suche verabschiedet haben, gelten als versorgt.
Die DGB-Jugend Hessen hat in ihrer Ausbildungsbilanz 2009 aufgezeigt, dass die Zahlen geschönt sind.
Unter anderem wurden die Optionskommunen, von denen Hessen besonders viele hat, rausgerechnet und schon ist alles in Butter – aber eben nur statistisch.

Die SPD hat dazu erklärt, sie erwarte eine vollständige Aufklärung, wer zu welchem Zeitpunkt über diese Zahlendiskrepanzen informiert war. Sie wollte diesen Vorgang zum Thema der nächsten Landtagssitzung machen. Das war Anfang November. Wir haben das jetzt mal in die Hand genommen, sicherlich in Ihrem Sinne.

Fehlende Ausbildungsreife

Die Agentur streicht zudem eine unbekannte Zahl junger Menschen, weil sie angeblich nicht ausbildungsreif seien. Wir kennen alle das Klagen der Arbeitgeber über die angeblich mangelnde Qualifizierung der jungen Menschen, die unsere Schulen verlassen. Eigentlich müssten dem alle Kultusminister entweder vehement widersprechen oder sofort die Lehr- und Lernsituation an den Schulen verbessern. In Hessen müsste die CDU aufschreien, wo Sie doch sonst so überzeugt von Ihrer Schulpolitik sind, sobald sie von Seiten der Opposition kritisiert wird. Die angeblich nicht ausbildungsreifen Jugendlichen kommen aus den Schulen, für die Sie seit über zehn Jahren zuständig sind.
Wenn erfolgreiche Schulabgänger nicht einmal in der Lage sein sollen, eine Lehre zu beginnen, liegt die Schuld entweder bei den Schulen oder – was ich für wahrscheinlicher halte – bei den Unternehmen. Die Schuld bei den Jugendlichen selbst zu suchen ist so einfach wie falsch.
Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt spiegelt die Lage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wider. Die Kolleginnen und Kollegen, die in Folge der Krise entlassen werden, sind ja auch nicht auf einmal faul oder unfähig geworden.

Die Wirtschaft kommt ihrer Verantwortung nicht nach ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot zu schaffen. Jahr für Jahr werden Jugendliche in die Perspektivlosigkeit geschoben und ihnen wird gesagt, dass kein Bedarf nach ihnen und ihrer Leistung besteht. Und in diesem Bereich ist Ihnen der Staat als Ersatz für Unternehmer gerade recht. Sie parken Jungendliche in Maßnahmen der Bundesagentur, damit sie nicht einfach auf der Straße landen. Dieses Warteschleifensystem ist in Teilen sinnlos und kein vollwertiger Ersatz für eine Ausbildung im Dualen System.
Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass bundesweit jährlich dreieinhalb Milliarden Euro aus Steuermitteln in diesen Flickenteppich alternativer Ausbildungsmodule fließen. Andere gehen von sechs Milliarden aus.
Und am Ende bekommen die Absolventen Zertifikate, die von den Arbeitgebern als Ausbildung zweiter Klasse angesehen werden. Das ist eine Verschwendung der Energie und Leistungsbereitschaft der jungen Menschen und der Steuergelder ihrer Eltern. Zahlen sollten die Unternehmen, die nicht ausbilden. Das würde die Bereitschaft auszubilden vermutlich steigern.
Die Tatsache, dass mittlerweile 2,5 Millionen Jugendliche unter 25 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, belegt das Scheitern der Ausbildungspakte, bei denen immer wieder auf den guten Willen und die Freiwilligkeit der Unternehmen gesetzt wurde.
Die Arbeitgeber sind angeblich nicht in der Lage, mit den heutigen Schulabgängern zu arbeiten. So eine Situation gab es historisch noch nie, dass weniger als die Hälfte eines Jahrgangs von den Betrieben als tauglich angesehen werden und einen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten und der Rest in Warteschleifen und „alternative Maßnahmen“ abgeschoben werden.

Wenn die Wirtschaft die Menschen nicht mehr braucht, müssen sich die Menschen fragen, ob sie diese Wirtschaft noch brauchen können. Denn nicht die Menschen sind der Wirtschaft anzupassen, sondern die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen.

Dabei greift die Bundesregierung den Unternehmen, die ihrer Aufgabe nicht nachkommen, sogar recht großzügig unter die Arme. Dazu hat die schwarz-rote Bundesregierung den so genannten Ausbildungsbonus eingeführt.
Dieses Programm ist sicherlich nicht das Gelbe vom Ei und keine Alternative zu einer gesetzlichen Ausbildungsplatzumlage.
100.000 Ausbildungsplätze zusätzlich zu den bestehenden sollten durch die Anreize des Bonus entstehen und kein ohnehin angebotener Ausbildungsplatz sollte verdrängt werden. Die LINKE kritisierte damals, dass auch Unternehmen Förderung beantragen könnten, die aktuell weniger Ausbildungsplätze als im Vorjahr anböten und es Mitnahmeeffekte geben könnte.

Die Bundesregierung beschließt also eine finanzielle Unterstützung für Ausbildung, und was macht die Landesregierung? Die ist nun in ihrem Erfindungsreichtum auf die unsägliche Idee gekommen, dieses Geld vom Bund zu nehmen, aber nicht um die Mittel für die sogenannten Altbewerber aufzustocken. Nein, die Regierung kürzt die Landesmittel um den Betrag des Bundes.
Sie benutzen den Ausbildungsbonus, um den Landeshaushalt auf Kosten der Schulabgänger zu entlasten. Mit einer solchen Kaltschnäuzigkeit hätte niemand gerechnet.
Was Sie machen, widerspricht der Intention der Bundesregierung, an der Sie beteiligt sind und waren.
Dieses Vorgehen ist völlig inakzeptabel.

Sie kürzen das landeseigene Förderprogramm mit dem Argument, dessen Zielgruppe und die des Ausbildungsbonus seien praktisch deckungsgleich und deshalb könne man die Landesausgaben einsparen.

Die bisherigen Mittel haben aber gar nicht ausgereicht. Das ist nachzulesen beim Regierungspräsidium Kassel, das schon im Sommer auf seiner Homepage verkündete, dass „aufgrund der aktuellen Antragssituation im Altbewerberprogramm 2009“ nicht mehr sichergestellt sei , dass“ genügend Haushaltsmittel für die Gewährung von Leistungen nach diesem Programm zu Verfügung stehen.“ Diese Meldung haben die Kammern wörtlich übernommen und ihren Mitgliedern bekannt gegeben.
Und es gibt auch Fördertöpfe, die nicht ausgeschöpft werden, weil zu wenig Menschen von ihrer Existenz wissen. In Hessen stehen rund 10.000 Altbewerber ohne einen Ausbildungsplatz da, deshalb brauchen wir eine Kampagne, in der allen Beteiligten die Möglichkeit der Förderung bekannt gemacht wird.

In einem Zug mit einer historischen Neuverschuldung sparen Sie ausgerechnet bei den Altbewerbern und verlassen sich auf ein unausgegorenes Bundesprogramm. Die zusätzlichen Mittel sind zusätzlich zu verwenden.
Für die Landesmittel zur Altbewerberförderung gäbe es genügend Verwendungsmöglichkeiten, mit denen sie jungen Menschen helfen könnten. Das wäre ein Signal.
DIE LINKE unterstützt die Forderungen des Bildungsstreiks: Wer nicht ausbildet, muss zahlen. Eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage ist überfällig. Bildung ist ein Grundrecht und die freie Berufswahl ist im Grundgesetz garantiert. Der Ausbildungsplatzmangel ist ein andauernder Verstoß gegen das Grundgesetz, den nehmen Sie hin, statt die Unternehmen endlich in die Verantwortung zu nehmen. Angesichts Ihrer Politik können Sie froh sein, dass die Berufsbildungszentren noch nicht allesamt besetzt sind wie einige Hörsäle. Dazu gäbe es nämlich allen Grund.