Rede zur Aktuellen Stunden anlässlich des Bildungsstreiks

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,


diese Woche gingen 85.000 Menschen in mehr als 60 Städten auf die Straße, um für eine bessere Bildungspolitik zu demonstrieren. Im Rahmen des Bildungsstreiks protestierten sie mit bunten und kreativen Aktionen gegen die gravierenden Mängel an den Schulen und Hochschulen, die chronische Unterfinanzierung und die Selektivität des Bildungssystems.
Auch in Wiesbaden gingen 10.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Politik der Landesregierung zu demonstrieren. Sie konnten es selber hören, die Studierenden zogen ja bis vor den Landtag.

Studierende
Von Österreich aus bekam die Studierendenbewegung in Deutschland eine neue Dynamik. Mittlerweile wurden an über 50 Hochschulen Hörsäle und Institute besetzt. Wobei Besetzung eigentlich der falsche Ausdruck ist: Die Studierenden holen sich ihre Hochschulen zurück - von den undemokratischen Hochschulräten und den privaten Sponsoren.
Wir brauchen demokratische Hochschulen, die sich an den Menschen und nicht an der öko-nomischen Verwertbarkeit orientieren. Kritische Wissenschaften müssen gefördert werden und Bildungsblockaden wie Gebühren und Zulassungsbeschränkungen fallen.
Die Besetzungen zeigen erste Erfolge: Die niedersächsische Landesregierung hat eine Reform der Bachelor-Studiengänge angekündigt und Bundesbildungsministerin Schavan will jetzt das BaFöG erhöhen, obwohl sie das ausgeschlossen hatte.
Das zeigt: wer kämpft, kann gewinnen. Auch in Hessen war es die Studierenden, die die Ab-schaffung der Studiengebühren erkämpft haben.

Schüler
Auch viele Schülerinnen und Schüler waren auf der Straße für kleinere Klassen, die Abschaf-fung des Turboabiturs G8 und eine Schule für Alle bis zur zehnten Klasse.
Es ist ein Verbrechen an der Entwicklung und der freien Entfaltung von Kindern, wenn sie nach der 4. Klasse aussortiert werden. Das trifft besonders Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus armen Familien. Das ist „Auslesen statt Fördern“. Deshalb brauchen wir die Gemeinschaftsschule, nicht als weitere Schulform, sondern als Regelschule für alle Kinder.

Lehrer
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rief Hessens Lehrerinnen und Lehrer zu einer eintägigen Arbeitsniederlegung auf, um für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken.

Die GEW fordert eine Pflichtstundenreduzierung, die Einstellung von mehr jungen Lehrern, die Fortsetzung der Altersteilzeitregelung und keine Erhöhung des Eintrittsalters in den Ruhe-stand.
Die Landesregierung will den Lehrerinnen und Lehrern das Streikrecht absprechen, ein Grundrecht, das ihnen auch nach europäischem Recht zusteht. Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Herr Rentsch, erklärt gar, der Eintritt in ein Beamtenverhältnis bedeute, dass man das Demonstrationsrecht abgebe. Ich empfehle den sogenannten Liberalen die Lektüre des Grundgesetzes.
Ihre gestrigen Angriffe auf den Vorsitzenden der hessischen GEW, Jochen Nagel, in diesem Zusammenhang, sind völlig inakzeptabel und offenbaren Ihr Demokratieverständnis.

Die Lehrer sind keine Leibeigenen und das 19. Jahrhundert ist vorbei.
Deshalb Frau Kultusministerin: Nehmen Sie die berechtigten Forderungen ernst und verhän-gen Sie keine Sanktionen und Disziplinarmaßnahmen.

Die Lehrer, die gestreikt haben, sind ein Vorbild für ihre Schüler, denn wir brauchen keine Generation von Duckmäusern, sondern selbstbewusste junge Menschen, die sich nicht alles gefallen lassen.
Die Landesregierung verweigert die Arbeit, nicht die Lehrer. Bildung ist chronisch unterfinan-ziert, während maroden Banken Milliarden an Steuergeldern in den Rachen geworfen werden, bröckelt an den Schulen der Putz von der Decke.

Herr Rentsch, nicht die Lehrer haben Eltern und Kinder im Stich gelassen, wie Sie behaupten. Die Lehrer streiken für die Eltern und Schüler, nicht gegen sie.
Die Schulen werden von der Landesregierung im Stich gelassen. Die Belastungen an den Schulen sind gestiegen: mehr Stunden, größere Klassen und neue Aufgaben angesichts wachsender gesellschaftlicher Probleme, aber das Land finanziert weder Schulsozialarbeit noch ausreichend Schulpsychologen. Kein Wunder, dass der Lehrerberuf immer unattraktiver wird, das ist verheerend angesichts des drohenden Lehrermangels.

Im Bildungswesen brodelt es: Nach dem KITA-Streik jetzt der Streik der Lehrer und der zweite Bildungsstreik in diesem Jahr und damit ist die Regierung noch gut bedient.
Die Bildungsproteste genießen Unterstützung in der Bevölkerung, das wissen auch CDU und FDP. Diesmal hat niemand aus Ihren Reihen die Aktivisten als nützliche Idioten beschimpft.

DIE LINKE steht an der Seite der Eltern, Studierenden, Schülern und an der Seite der Lehre-rinnen und Lehrer.
Frau Henzler und Frau Kühne-Hörmann, nehmen Sie die Proteste ernst und handeln Sie.

Bildung ist ein Menschenrecht, denn: „Entfremdet und entwürdigt ist nicht nur der, der kein Brot hat, sondern auch der, der keinen Anteil an den großen Gütern der Menschheit hat.“
Dieser Satz stammt von Rosa Luxemburg.

In diesem Sinne: Solidarität mit dem Bildungsstreik!

Janine Wissler


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