Rede zum ÖPNV Gesetz

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

es ist selten, aber es kommt vor, dass die Landesregierung etwas tut, was wir nicht vollständig ablehnen. Die Übernahme der EG Verordnung 1370 von 2007 in das Hessische ÖPNV-Gesetz ist so ein Fall. Die schmerzliche Erfahrungen mit der Privatisierung öffentlicher Verkehrsmittel hat nämlich in vielen Fällen gezeigt, dass dieses vermeintliche Allheilmittel zwar den Betreibern zum Teil erhebliche Profite bringt, den Nutzern und der öffentlichen Hand aber nichts als Ärger und astronomische Kosten. In Berlin sehen wir, wie die Umwandlung der Bahn in eine auf Share-Holder-Value ausgerichtete Aktiengesellschaft dazu geführt hat, dass dort seit Monaten ein Verkehrschaos herrscht. Die Bahn wollte Kosten einsparen und hat die Reparatur-Intervalle ausgedehnt. Das Ergebnis ist, dass etliche S-Bahnwaggons Haarrisse in den Rädern haben könnten und sich nun herausgestellt hat, dass auch die Bremsanlagen jederzeit zusammenzubrechen drohen. Für die S-Bahn in Berlin ist der Bund zuständig.

Der Europäische Rat hat in der Richtlinie 1370 eingeräumt, dass Privatisierungen nicht immer der Weg zum Erfolg sind.

Die EU hat das Thema aufgegriffen, weil öffentlicher Verkehr von allgemeinem Interesse ist, oder wie die EU es nennt von wirtschaftlichem Interesse. Also wenn etwas wirklich funktionieren muss, dann überlässt man es besser nicht privaten Investoren.

Die In-House-Vergabe bleibt also möglich. Für die hessischen Gemeinden und Verkehrsverbünde ist das eine gute Nachricht. Nicht alles muss europaweit ausgeschrieben werden.

Mit dem hessischen Weg in der Verkehrspolitik hat die Landesregierung verschiedenen Studien zufolge das Gegenteil von dem erreicht, was sie vorgeblich erreichen wollte: statt Bürokratieabbau und Effizienzsteigerungen hat die vermehrte Privatisierung des Verkehrswesens zu neuen Bürokratien geführt. Und die Regiekosten laufen aus dem Ruder. Allein die Frankfurter Nahverkehrsgesellschaft traffiq hat ihre Regiekosten von 2002 bis 2007 mehr als verdoppelt und verschlingt jedes Jahr neun Millionen Euro. Der pro-Kopf-Aufwand an Regiekosten in Frankfurt liegt bei 23 Euro im Jahr, nur für die Verwaltung der Ausschreibungen und die Koordination der unterschiedlichen Auftragnehmer. Das ist Bürokratieabbau nach dem Rezept der hessischen CDU. Herr Minister Posch stellte – damals als Abgeordneter - anlässlich der Verabschiedung des jetzigen ÖPNV-Gesetzes noch klipp und klar fest, es gebe zu viel Regie. Ich bin zuversichtlich, dass Sie sich dem Gesetz erneut zuwenden und diesen Privatisierungswahn wieder eindämmen. Wir werden sicher in den kommenden Jahr noch einmal über dieses Thema zu reden haben.

Auch der Mittelstand hat vom hessischen Weg nicht profitiert. Es sollte es darum gehen, die öffentlichen Monopole zu knacken und so neuen Wettbewerbern eine Chance zu geben. Der Marktanteil der Mittelständler im hessischen ÖPNV ist rückläufig. Das mittelständische Verkehrsgewerbe hat gut ein Drittel seines Marktanteils eingebüßt. Die großen Gewinner der Privatisierungen sind international agierende Großkonzerne gewesen.

Das sind die Gewinner. Wer nicht gewonnen hat, sind die Mitarbeiter, auf deren Rücken der Wettbewerb ausgetragen wird, durch Lohndumping und Tarifflucht.

Und das sind die Fahrgäste. Ganz besonders diejenigen, die kein oder noch kein eigenes Geld verdienen. Ich bin wie Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen von einem Vater aus Karben angeschrieben worden, der jährlich 1.450 Euro für die Nahverkehrstickets seiner beiden schulpflichtigen Kinder ausgibt. Wenn die in das Alter kommen und eine Ausbildung beginnen – und da kann man ihnen in Hessen nur viel Glück wünschen – dann steht es den Verkehrsverbünden nun frei, für sie ein Azubi-Ticket anzubieten. Es ist wenigstens nicht verboten – immerhin etwas.

Der Weg zu einer zukunftsgewandten Verkehrspolitik führt nicht über Straßen und schon gar nicht über Autobahnen, er führt über die Schiene, die wollen wir stärken.