Verantwortung übernehmen – Ausbildungsplätze sichern

Rede von Janine Wissler zum Antrag der Fraktion DIE LINKE „Verantwortung übernehmen – Ausbildungsplätze sichern“ am 9. Juli 2009

Herr/Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,

heute ist die letzte Plenarsitzung vor den Ferien, wir freuen uns alle auf Urlaub, es sei uns gegönnt. Viele Schulabgänger gehen allerdings mit gemischten Gefühlen und voll Sorgen in ihre letzten großen Ferien, weil es unklar ist, wie es für sie danach weitergeht. Denn nach den Sommerferien beginnt das neue Ausbildungsjahr – aber leider nicht für alle. Wie in den letzten Jahren fehlen Ausbildungsplätze, so dass auch dieser Jahr nicht alle, die das wollen, eine Berufsausbildung beginnen können. Immer mehr Jugendliche suchen vergeblich nach einem Ausbildungsplatz und hunderttausende junge Menschen befinden sich in Warteschleifen ohne berufliche Perspektive. Mittlerweile sind in Deutschland 1,5 Millionen Jugendliche unter 25 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung, dass sind rund 15 %.

Situation
Die Bundesarbeitsagentur hat ihre aktuellen Zahlen zur Entwicklung auf Ausbildungsmarkt veröffentlicht und wie zu erwarten war, hat sich die Wirtschaftskrise bereits niedergeschlagen. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze lag bis März bereits um 12 Prozent unter dem Vorjahreswert. 14 Prozent der hessischen Unternehmen gaben im Mai an, dass sie künftig weniger ausbilden wollen. Bislang sind es über 5.000 mehr Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz, als die hessische Wirtschaft anbietet.

Und dies ist nur die offizielle Zahl derer, die sich an die Ausbildungsvermittlungen gewandt haben. Schulabgänger, die in sogenannten Warteschleifen, in berufsvorbereitenden Maßnahmen, untergekommen sind, die jobben oder ohne Berufsausbildung anfangen zu arbeiten, sind nicht mitgerechnet. Und auch die AltbewerberInnen, die mittlerweile mehr als die Hälfte aller Bewerber in Hessen ausmachen, sind in dieser Zahl nicht enthalten. Deshalb wäre der erste Schritt zu einer besseren Berufsbildungspolitik eine realistische Statistik.
Rechnerisch sind somit 5.677 Jugendliche unversorgt, ohne Berücksichtigung von Wahlfreiheit und Zumutbarkeitskriterien.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung von 1980 festgehalten, dass ein „auswahlfähiges Angebot“ an Ausbildungsplätzen, das den Verfassungsgrundsatz der Berufswahlfreiheit erfüllen würde, erst dann gegeben ist, wenn das Angebot die Nachfrage um mindestens 12,5% übersteigt. Davon sind wir weit entfernt, für ein auswahlfähiges Angebot fehlen bundesweit 200.000 Ausbildungsplätze.
Das Urteil und das Grundrecht auf freie Berufswahl werden in der Realität nicht beachtet, der Ausbildungsplatzmangel ist daher ein andauernder Verstoß gegen das Grundgesetz.
Es gibt immer wieder den Versuch den Jugendlichen selbst die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das Problem liegt aber nicht bei der angeblich mangelnden Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen. Der ganz überwiegende Teil der erfolglosen Bewerber hat einen Schulabschluss vorzuweisen. Wenn zu viele Bewerber zu wenigen offenen Stellen gegenüberstehen, kann einfach rechnerisch nicht jeder einen Platz finden. Die Klage über die angeblich fehlenden Grundfertigkeiten der heutigen Schulabgänger ist ein reines Ablenkungsmanöver.
Es gibt zu wenige Ausbildungsplätze, und das nicht erst seit heute, sondern seit vielen Jahren. Und die Folgen der Wirtschaftskrise stehen größtenteils noch aus.
In der Wirtschaftskrise brauchen wir einen Schutzschirm für Ausbildungsplätze, aber auch eine grundlegende Neuorientierung, um nicht nur an den Symptomen herumzudoktern, sondern endlich die Ursachen für die Ausbildungsmisere anzugehen.
Die hessischen Unternehmen müssen eine Ausbildungsplatzquote von mindestens sieben Prozent einhalten, das würde die Lücke zwischen Bewerbern und angebotenen Plätzen zumindest rechnerisch ausgleichen.

Freiwilligkeit

Bundes- und Landesregierungen setzten jahrzehntelang auf Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, beschränkten sich auf Appelle und Sonntagsreden.
Keine der freiwilligen Vereinbarungen mit den Arbeitgebern hat am Ausbildungsplatzmangel etwas ändern können. Die letzte von der Regierung koordinierte Vereinbarung, der Ausbildungspakt von 2004, hat sich in der Einschätzung der Gewerkschaften als weitere Mogelpackung erwiesen und das Problem in keiner Weise gelindert.

In Hessen bilden nur 35 Prozent der Betriebe bilden aus, obwohl 63 Prozent eine Ausbildungsgenehmigung haben.
Die Ausbildungsquote hessischer Unternehmen liegt bei 4,4 Prozent, Hessen liegt auch hier konstant unter dem Bundesdurchschnitt.


Wolfgang Drechsler, ehemaliger Sprecher des Unternehmerverbandes Südhessen, hat die Einstellung vieler Unternehmer so formuliert: „Die Unternehmen treffen Entscheidungen in erster Linie nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wenn sich Ausbildung nicht rechnet, wird eben nicht ausgebildet.“
Und heute klagen Unternehmerverbände über einen Mangel an Fachkräften, die sie in den vergangenen Jahren nicht bereit waren, ausreichend auszubilden.

Und die Landesregierung tut nichts, um sie in die Pflicht zu nehmen. Die Bundesregierung handelt immer wieder Ausbildungspakte aus, die zu keinem greifbaren Ergebnis für die Betroffenen führen. Hinter so einem Pakt versucht sich auch die Landesregierung vor ihrer Verantwortung zu verstecken. Ich habe gesehen Sie haben dazu einen Jubelantrag in sieben Akten eingereicht.
Aber was soll man von einer Vereinbarung halten, die sich im Wesentlichen auf Appelle beschränkt, während das Land selbst weit hinter der Zielmarke von sieben Prozent Ausbildungsplätzen zurückbleibt?

Die dauerhafte Ausbildungsmisere führt zu Perspektivlosigkeit und drohender Verarmung.
Vertrösten wir die junge Generation nicht mit geschönten Statistiken und leeren Mitleidsbekundungen, sondern handeln wir.

1. Ende der Freiwilligkeit
Die Unternehmen müssen ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung endlich gerecht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat klar festgestellt: Zitat „Die Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen liegt bei den Arbeitgebern.“
Freiwillig ist die deutsche Wirtschaft offenbar nicht bereit - oder in der Lage – ein auswahlfähiges Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen zu schaffen.
Weder der Ausbildungspakt noch der Ausbildungsbonus sind der richtige Weg zu diesem Ziel. DIE LINKE fordert stattdessen wie die Gewerkschaften eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage. Alle Betriebe, die sich nicht an der Ausbildung junger Menschen beteiligen, sollen in einen Fonds einzahlen. Das ist die Kompensation für die Betriebe, die über die angestrebte Quote von 7 Prozent hinaus ausbilden. Heute ist - grob gesagt - die Arbeitsteilung so, dass kleine und mittelständische Unternehmen ausbilden und die Großbetriebe von den Ausgebildeten profitieren. Das Prinzip einer gesetzlichen Ausbildungsplatzumlage ist ebenso einfach wie gerecht. Es schafft einen Ausgleich zwischen den Unternehmen, die ausbilden, und den Unternehmen, die nicht ausbilden. Und so kann nämlich gesetzlich dafür gesorgt werden, dass es ein auswahlfähiges, also ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen für alle Jugendlichen gibt. Die Politik muss klarstellen: Ausbildung ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung der Wirtschaft, sondern Pflicht. Deshalb bedarf es statt wirkungsloser Versprechen endlich bindender Gesetze. Deshalb wollen wir, dass die Landesregierung eine Initiative zur Einführung einer bundesweiten Ausbildungsplatzumlagefinanzierung in den Bundesrat einbringt. Wer nicht ausbildet, soll zahlen.

2. Land Hessen
Gerade in Zeiten der tiefen Wirtschaftskrise muss Hessen Verantwortung übernehmen, mit gutem Beispiel vorangehen und mehr Ausbildungsplätze beim Land schaffen. Die Ausbildungsquote des Landes Hessen muss auf mindestens 7 Prozent erhöht werden, damit Hessen seiner Vorbildfunktion gerecht wird.
Auch deshalb lehnen wir weiteren Personalabbau im Öffentlichen Dienst strikt ab.
Zudem muss das Land auf Unternehmen, an denen es beteiligt ist einwirken, wie der RMV, Fraport und die Nassauischen Heimstätten, dass sie ebenfalls eine Ausbildungsquote von 7% einhalten.
Allein mit diesen beiden Maßnahmen könnten bis zu 1.000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden.
Zudem müssen die Programme zur Erstausbildung ausgeweitet werden, damit kleine und mittelständische Unternehmen ihre Ausbildungsplatzangebote aufrechterhalten und ausweiten können. Und – darüber haben wir bereits im Zusammenhang mit der Neuordnung der Wirtschaftsförderung gesprochen – in die Förderrichtlinien muss die Ausbildungsplatzquote Eingang finden. Ein Unternehmen, das sich weigert seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen und nicht ausbildet, darf dafür nicht noch durch Fördermaßnahmen belohnt werden.

3. Grundrecht auf Ausbildung
Bildung und Ausbildung sind Voraussetzungen für gesellschaftliche Partizipation. Die Zukunftschancen junger Menschen dürfen nicht konjunkturabhängig sein.
Der UN-Sonderberichterstatter, Vernor Muñoz, stellt fest: „In Deutschland lebenden Mädchen und Jungen wird das Recht auf Bildung vorenthalten.“
Deshalb sollte das Recht auf Ausbildung im Grundgesetz verankert werden, wie es auch in einer Petition an den Bundestag von über 70.000 Jugendlichen gefordert wurde. Die Landesregierung kann hierfür die Initiative ergreifen.
Missstände treffen die Schwächsten einer Gesellschaft immer besonders hart. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind im gesamten Bildungssystem vielfach benachteiligt und viele haben kaum Chancen auf eine Ausbildung. Daher brauchen wir spezifische Förderangebote und ein Recht auf Ausbildung.

4. Gute Ausbildung
DIE LINKE tritt ein für „Gute Arbeit“ und „Gute Ausbildung“.
Das bedeutet eine umfassende und moderne Ausbildung mit einem vollwertigen und anerkannten Abschluss. Die Qualität der Ausbildung muss gewahrt bleiben. Schmalspurausbildungen führen vielfach direkt in den Niedriglohnsektor. Viele Auszubildende werden als billige Arbeitskräfte missbraucht, oftmals ist die fachliche Anleitung mangelhaft und Ausbildungspläne werden nicht eingehalten. Die Vergütung der Ausbildung reicht in einigen Branchen nicht einmal für den nötigen Lebensunterhalt, viele schulische Ausbildungen kosten sogar Gebühren.
Deshalb sind höhere Ausbildungsvergütungen, bundesweit einheitliche Mindestausbildungsentgelte und eine bessere Ausbildungsförderung notwendig.

Praktika müssen gesetzlich geregelt werden, damit sie nicht länger als Deckmantel für Dumping-Löhne für Berufseinsteiger missbraucht werden. Die Übergänge von der Schule in die Ausbildung und von der Ausbildung in die Berufstätigkeit müssen erleichtert werden.

Meine Damen und Herren,
Die Berufswahl prägt den Lebensweg wie kaum eine andere Entscheidung. Die Politik muss deshalb die Voraussetzungen dafür schaffen, dass junge Menschen ihre Berufswünsche auch verwirklichen können. DIE LINKE kämpft für das Recht aller Jugendlichen auf eine qualifizierte Berufsausbildung. Die Ausbildungsmisere darf nicht auf dem Rücken der Jugendlichen ausgetragen werden, das war auch eine Forderung des bundesweiten Bildungsstreiks.
Wir wollen, dass alle Schulabgänger ihre Ferien genießen können bevor sie ins Berufsleben starten, in einen Beruf, den sie sich ausgesucht haben.