Arbeitsplätze sichern - Verkehrswende einleiten
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,
die wirtschaftliche Situation und die Lage auf dem Arbeitsmarkt sind besorgniserregend. Für Deutschland wird mit einer Steigerung der Arbeitslosenzahlen auf über 5 Millionen gerechnet - nachdem in den letzten zehn Jahren schon Millionen aus der Statistik getilgt worden sind. Die Arbeitsagenturen bereiten sich darauf vor, Ende 2010 1,5 Millionen neue Fälle bearbeiten zu müssen, weil die Entlassenen von heute dann in Hartz IV abrutschen.
Diese Krise ist nicht allein Folge einer falschen staatlichen Politik. Zwar haben die drastische Umverteilung von unten nach oben, Deregulierung, Privatisierung und die aktive Förderung der Finanzmärkte erheblichen Vorschub geleistet. Der Kapitalismus ist ein Krisensystem und das bekommen wir immer wieder schmerzhaft zu spüren.
Das Tragische ist aber, dass die Regierung diesen verheerenden Entwicklungen vor allem als Zuschauer gegenübersteht und nicht viel mehr tut, als ihr Bedauern auszudrücken oder auf bessere Zeiten zu hoffen. Das ist verantwortungslos. Es ist verantwortungslos gegenüber den 47.000 Beschäftigten in Hessen, die allein im April auf Kurzarbeit gesetzt wurden. Es ist verantwortungslos gegenüber den Menschen bei Schaeffler und Conti, die sich jetzt um ihr Einkommen sorgen müssen, während eine Frau Schaeffler - immerhin auf Platz 22 der reichsten Deutschen - lieber 8.000 Arbeitsplätze abbaut, als ihr milliardenschweres Privatvermögen zur Rettung dieser Arbeitsplätze einzusetzen.
In dieser Krise wird deutlich, wie sehr der Staat gebraucht wird als marktunabhängiger Akteur. Der Staat könnte vielen Lohnabhängigen helfen und sich aktiv einmischen in ein Wirtschaftsgeschehen, das aus dem Ruder läuft. Dazu muss er handlungsfähig und zahlungsfähig bleiben. Wir brauchen mehr öffentliche Beschäftigung im Umweltbereich, in der Bildung, im Gesundheitswesen. Die Quote der Beschäftigten im öffentlichen Sektor liegt in Deutschland unter den USA.
Hätten wir die Quote mancher skandinavischen Länder, gäbe es vier Millionen Arbeitsplätze mehr.
Und wer jetzt nach einer Kreditsperre für den Staat ruft und sich gleichzeitig in historischen Ausmaßen verschuldet, macht sich in hohem Maße unglaubwürdig.
Die Landesregierung hält an den alten Rezepten fest, die in diese Krise geführt haben, das zeigt dieser Haushalt - insbesondere der Einzelplan 7. Der „Kampf um jeden Arbeitsplatz" ist genauso wenig sichtbar, wie die dringend nötige Wende in der Verkehrspolitik.
Opel
Dabei könnte gerade die wirtschaftliche Krise der Automobilbranche eine Chance bieten, zukunftsfähige und ökologisch sinnvolle Korrekturen in der Industrie vorzunehmen. Aber diese Gelegenheit nimmt die Regierung nicht wahr. Hier gilt: Wer die Produktionsmittel besitzt, bestimmt auch, was produziert wird, z.B. umweltfreundlichere Autos. Stattdessen setzen Sie auf private Investoren, deren eigene Schwierigkeiten absehbar dazu führen werden, dass Opelstandorte geschlossen und Arbeitsplätze vernichtet werden - und das mit staatlicher Unterstützung. Herr Koch, Sie sprachen davon, Fiat wolle Opel „helfen". Nun ist Fiat aber nicht die Caritas, die wollen ein Geschäft machen und wenn da ein Standort stört, dann wird sich die Verbundenheit zur lokalen Arbeitnehmerschaft in Grenzen halten. Opel ist kein Einzelfall, sondern überall möglich, deshalb: keine öffentlichen Mittel ohne öffentliche Kontrolle.
Die FDP hat ihre Vorbehalte gegen den Staat als Arbeitgeber zwar aufgegeben, aber leider schlägt sich das nur in zusätzlichen Stellen im Justizministerium nieder. Darauf beschränkt sich der Kampf dieser Regierung um jeden Arbeitsplatz bislang.
Verkehr
Meine Damen und Herren,
Jede gute Klimaschutzpolitik setzt bei der Verkehrspolitik an, jede schlechte leider auch.
In diesem Haushalt findet sich kein Hinweis auf eine grundlegende Modernisierung der Verkehrspolitik. Im Gegenteil, ins Auge sticht die gebetsmühlenartige Wiederholung des politischen Zieles, die Verkehrsinfrastruktur, „insbesondere auch den Luftverkehr" auszubauen.
Dabei steigt Fraport gerade auf Kurzarbeit um, weil die Gewinne im Zuge der Krise einbrechen, für eine Kapazitätsausweitung, also für den Flughafenausbau, besteht also derzeit überhaupt kein Bedarf.
Für den Ausbau des Flughafens Kassel-Calden hat die Regierung weit über
100 Millionen eingestellt. Wie viele zehntausend Arbeitsplätze durch diese Investition entstehen, darüber darf sich jeder seinen eigenen Träumen hingeben. In diesem Falle haben sogar die Vertreter von CDU und FDP offenbar den Eindruck, der Staat könne ein ganz guter Unternehmer werden. Private Investoren finden sich für dieses Projekt ja nicht. Die Zeche zahlt der Steuerzahler. Dass Kassel-Calden zum Jobmotor für die Region wird ist so sicher wie der Aufschwung, der uns für das jeweils kommende Quartal vorhergesagt wird. Das Geld wäre in anderen Projekten in Nordhessen sicher besser angelegt.
Weiterhin setzt die Landesregierung auf Straßen statt Schiene. Die Prioritäten im Langstreckenverkehr sind eindeutig, dabei wäre gerade im Güterverkehr eine konsequente Umstellung auf die Schiene das Gebot der Stunde. Die unmittelbaren Arbeitsplatzeffekte des Schienenverkehrs sind im Übrigen bei weitem stärker als die des Flugverkehrs. Dann bräuchten wir auch keine Programme mehr für ein staufreies Hessen, die dazu dienen, den überbordenden Automobilverkehr zu kanalisieren.
Für die Entwicklung und Verkehrsanbindung Nordhessens könnte die volle Aktivierung der Kurhessenbahn einen wichtigen Beitrag leisten. Die Regierung beschränkt sich aber darauf, erst einmal prüfen zu lassen, inwieweit wohl die Umsetzung eines Vorhabens möglich und machbar sein könnte, dessen Sinn und Machbarkeit seit Jahren auf der Hand liegt. Die jährlichen Zahlungen dafür, dass zwischen Frankenberg und Korbach keine Züge fahren, ließen sich sinnvoller dafür einsetzen, auf dieser Strecke Züge fahren zu lassen.
Der Öffentliche Personennahverkehr in Hessen und gerade im Rhein-Main-Gebiet zählt zu den teuersten in Deutschland. Die Stadt Frankfurt unterstützt wenigstens die Geringverdiener bei den Kosten für Monatskarten. Damit wird der wachsenden Zahl der prekär Beschäftigten und Geringverdiener ein wichtiger Teil gesellschaftlicher Teilhabe ermöglicht, nämlich Mobilität. Zudem trägt es zur Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel bei.
Das wäre auch auf Landesebene denkbar. Stattdessen fördert die Regierung weiter Autobahnen und den Luftverkehr, statt die Schiene zu bevorzugen, damit das Klima zu entlasten und für mehr Arbeitsplätze zu sorgen.
Eine moderne, dem Gemeinwohl unterstellte Mobilitätsbranche könnte das Herzstück einer sozial und ökologisch nachhaltigen Verkehrspolitik werden. Diese müsste damit anfangen, die Einwohner flächendeckend mit einem attraktiven, verlässlichen und erschwinglichen öffentlichen Personennahverkehr zu versorgen. Jeder Ort, jedes Dorf muss öffentlich erreichbar sein. So ließe sich der individuellen Abhängigkeit von steigenden Benzinpreisen entgegenwirken, und volkswirtschaftlich hätten wir erhebliche Einsparpotenziale beim Pro-Kopf-Verbrauch.
Berufsausbildung
Der Wirtschaftskrise fallen nicht nur Arbeitsplätze zum Opfer, sondern auch Ausbildungsplätze, jeder vierte Betrieb will Ausbildungsplätze streichen. Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist bereits jetzt angespannt, viele Jugendliche stecken in sogenannten Warteschleifen. Die Mittel für Programme zur Erstausbildung wollen Sie nicht erhöhen. Jetzt in der Krise muss das Land direkt Ausbildungsplätze schaffen, im Öffentlichen Dienst, um die Auswirkungen der Krise abzufedern. Die Lebenschancen junger Menschen dürfen nicht abhängig von der Konjunktur sein.
Entwicklungszusammenarbeit
Die Ministerpräsidenten der Länder haben im Oktober letzten Jahres einstimmig erklärt, dass ZITAT „die Bewältigung der globalen wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Umwälzungen" auch von den Bundesländern „verstärkte Anstrengungen" erfordert. Im Hinblick auf die Milleniumsziele der G8 haben sie ihre Mitverantwortung erklärt.
Der Beitrag Hessens zur Entwicklungszusammenarbeit belief sich im vergangenen Jahr auf 260.000 Euro, das sind rund 0,0001 Prozent des hessischen Bruttoinlandprodukts. Und dieser Betrag soll jetzt noch reduziert werden. Statt aufzustocken, verabschiedet sich Hessen damit aus der Entwicklungszusammenarbeit.
Sinnvoll und angemessen wäre eine Verdopplung der eingestellten Mittel auf 520.000 Euro. Hessen täte gut daran, der jüngsten Selbstverpflichtung nachzukommen.
Wohnen
Wir haben über das Thema Wahrung und Erweiterung des Bestandes an bezahlbarem Wohnraum im vergangenen Jahr gesprochen. Gerade in den Ballungsgebieten steht zu wenig erschwinglicher Wohnraum zur Verfügung. Und Menschen sind gezwungen, immer weitere Arbeitswege in Kauf zu nehmen - was das Verkehrsaufkommen erhöht und die Lebensqualität senkt.
Die jährlichen Mittel für die Wohnraumförderung werden für die nächsten sieben Jahre nicht erhöhen. Ihr Programm Soziale Stadt leidet darunter, dass es zu viele Anlässe zu feierlichen Eröffnungen und Fototerminen bietet, aber zu wenig Kontinuität. Soziale Projekte können nicht sinnvoll arbeiten, wenn sie sich ständig Sorgen um ihre Finanzierung machen müssen. Nötig wären längere Bewilligungszeiträume. Damit wäre der tatsächlichen Arbeit geholfen.
Der Einzelplan 07 ist genauso einfallslos wie der gesamte Haushalt: Mit Rezepten von gestern lässt sich die Krise nicht bewältigen.
Janine Wissler