„Neuordnung der Finanzmärkte - Vernunft statt Populismus"
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
ich stelle fest, die Kollegen von der FDP-Fraktion machen sich schon Sorgen um eine mögliche Überregulierung, bevor überhaupt konkrete Vorschläge zur Eingrenzung des Spekulationswahnsinns an den Finanzmärkten vorliegen.
Wir haben Jahrzehnte der Deregulierung, des Abbaus rechtlicher Grenzen für Finanzakteure erlebt, und das Ergebnis ist, dass heute in Zeiten der Krise die Länder am schnellsten in den Abgrund gerissen werden, die ihre Finanzmärkte am stärksten liberalisiert haben. In Großbritannien und den USA steigt die Arbeitslosigkeit explosionsartig. Millionen Menschen müssen um ihre Altersersparnisse bangen, weil Banken pleite gehen und betriebliche Renten zusammen mit den Betrieben im Erdboden verschwinden. Die angelsächsischen Staaten waren die Vorreiter der Deregulierung und Liberalisierung des Finanzsektors wie überhaupt der Wirtschaft.
Deutsche Politiker wollten es kopieren: durch das Aufbrechen vermeintlich „verkrusteter Strukturen" am Arbeitsmarkt, also das Aufweichen von Kündigungsschutz, Tarifverträgen und Arbeitsschutzbestimmungen. Nur wenn Unternehmer die Freiheit hätten, zu heuern und zu feuern, wie es ihnen passt, so das Mantra der Neoliberalen in allen Parteien, könnten wir zu Wachstum und einem Sinken der Arbeitslosigkeit kommen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass diese Rechnung nicht aufgeht.
Stattdessen erlebten wir eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Mehr Freiheit fürs Kapital hat zu mehr Reichtum an für Wenige geführt und zu immer schlechteren Löhnen und Arbeitsbedingungen bei der Mehrheit der Bevölkerung.
Die Gehälter der führenden Manager deutscher Banken und Konzerne sind rasant gestiegen. Durchschnittlich verdient ein Vorstandschef eines DAX-Konzerns 4,7 Millionen Euro.
Ich frage Sie: Finden Sie eine Begrenzung der Manager-Bezüge auf eine halbe Million Euro im Jahr „unvernünftig", geehrte Kollegen von der FDP-Fraktion? Empfinden Sie das als überzogene Einschränkung unternehmerischer Freiheit, wenn auf der anderen Seite ein Viertel aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor arbeitet und Tausende Bankangestellte um ihren Job bangen?
Es ist bizarr, dass Sie inmitten der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise, die dieses Land und die Welt seit 80 Jahren erleben, zur Zurückhaltung raten, wenn es um gesetzliche Regelung geht, die eine Wiederholung und ein Ausbreiten der Krise verhindern sollen.
Und die Bundesregierung macht den Bock zum Gärtner, wenn man sich die personelle Besetzung der Expertengruppe „Neue Finanzarchitektur" ansieht, die die Bundesregierung ins Leben gerufen hat. Den Vorsitz führt mit Herrn Issing ein langjähriger Berater der Investmentbank Goldman Sachs. Unter diesen Voraussetzungen müssen die Kollegen der FDP wenig Sorgen haben, dass Ihre Klientel für die Kosten der Krise herangezogen wird.
Und wenn SPD und Grüne heute die Auswüchse der Spekulation beklagen, sollten Sie sich daran erinnern, dass es Ihre Parteifreunde waren, die den Grundstein dafür gelegt haben. Sie haben den Börsenhandel erst nach angelsächsischem Vorbild liberalisiert, den Investmentfonds ihr Geschäft erleichtert und Leerverkäufe legalisiert. In Deutschland gäbe es keine Hedge Fonds, wenn Rot-Grün ihnen 2005 mit dem Investmentmodernisierungsgesetz nicht die Tür geöffnet hätte, davor haben attac und andere immer gewarnt.
Das Investmentmodernisierungsgesetz, das 2004 in Kraft trat, war eine Gemeinschaftsproduktion der damaligen rot-grünen Bundesregierung mit den damaligen Oppositionsfraktionen. Es diente ganz ausdrücklich dem Ziel, den „Investmentstandort Deutschland" unter anderem durch die Zulassung von Hedge Fonds zu fördern.
Auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums, das bekanntermaßen seit vielen Jahren von der SPD geführt wird, wird immer noch verkündet und zwar unter der Überschrift „Konkrete Schritte zum Erfolg":
„Das Investmentgesetz war die Grundlage für die Einführung von Hedgefonds in Deutschland und eröffnete damit den direkten Zugang für deutsche Anleger zu diesem innovativen Produkt." Und weiter: „Hedgefonds können auch in schwieriger Marktlage Erträge erwirtschaften. Vor dem Hintergrund der Börsenentwicklung in den vergangenen Jahren sind sie für institutionelle Anleger immer wichtiger geworden. Der Finanzplatz Deutschland ist [...] reif für ein solches Produkt."
„Durch Deregulierung und weitere Anpassung" solle die Position der deutschen Börsen und Marktteilnehmer im europäischen und internationalen Wettbewerb verbessert werden.
Jetzt müssen Konsequenzen aus dieser Krise gezogen werden: die Akteure an den Finanzmärkten, aber auch in der Realwirtschaft müssen mit klaren Regeln an ihre Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit erinnert und gebunden werden. Das ist das Mindeste angesichts der Kosten, die dort gerade verursacht werden.
Statt milliardenschwerer Rettungsschirme für die Banken, sollte der Bankensektor in die öffentliche Hand überführt werden, das befürworten nach einer Umfrage zwei Drittel der Deutschen.
Die entscheidende Frage ist doch: Wer zahlt für diese Krise?
Diese Krise darf nicht auf dem Rücken derer abgewälzt werden, die schon vom Aufschwung nichts hatten: die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen und die Rentner.
Jetzt müssen die Profiteure der letzten Jahre zahlen durch die Einführung der Vermögenssteuer und einer Millionärsabgabe.
Keine der regierenden Parteien im Land oder im Bund will ernsthaft an diese Aufgabe herangehen, daher müssen die Betroffenen selbst für ihre Interessen eintreten. Deshalb unterstützt DIE LINKE die Demonstrationen am 28. März, die unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise" stattfinden. Nur wenn Menschen massenhaft auf die Straße gehen, können wir verhindern, dass für die Krise wieder die geradestehen müssen, die schon vom Aufschwung nichts hatten.
Und wir bleiben dabei, diese Krise zeigt auch: Der Kapitalismus ist ein zutiefst ungerechtes und instabiles Krisensystem, deshalb kann und darf er nicht das Ende der Geschichte sein.
Daher könnte unser Antrag „Wir zahlen nicht für Eure Krise" auch unter der Überschrift „Vernunft statt Populismus" stehen.
Janine Wissler
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hr-online: Janine Wissler - "Wir erleben eine zunehmende Spaltung zwischen arm und reich"