Die Kürzungen sind eine existentielle Gefahr für die Lehre in Hessen

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Bereits in diesem Semester sei die Zahl der Erstsemester auf einem Rekordniveau, sagt Wissler. Die Ministerin habe das gewusst, aber nichts unternommen.





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Rede von Janine Wissler zur Aktuellen Stunde von Bündnis 90/DIE GRÜNEN betreffend Studieren statt Marschieren – Hochschulen für Studierendenansturm rüsten am 16. Dezember 2010

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

„Studieren statt Marschieren" haben die Grünen diese Aktuelle Stunde genannt.

Wir können dieses antimilitaristische Motto nur unterstützen, denn junge Menschen sind an Hochschulen sehr viel besser aufgehoben als bei der Bundeswehr.

Und wir können ergänzen: Auslandssemester statt Auslandseinsätze - sei es in Afghanistan und anderswo auf der Welt.

Meine Damen und Herren, durch die geplante Aussetzung der Wehrpflicht ist ein neuer Ansturm von Erstsemestern an den hessischen Hochschulen zu erwarten.

Dabei haben wir bereits in diesem Wintersemester einen Rekord von Studienanfängern. Im Vergleich zum letzten Jahr erhöhte sich ihre Zahl um knapp drei Prozent.

Und die doppelten Jahrgänge durch die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit, durch G8, kommen erst noch, nämlich ab 2012. Sie wissen das seit Jahren, unternommen haben Sie nichts, um die Hochschulen darauf vorzubereiten.

Einer Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie ist zu entnehmen, dass bis 2020 bundesweit bis zu einer Million mehr Studienplätze erforderlich sind. Für Hessen bedeutet das: In den nächsten Jahren fehlen noch tausende Studienplätze. Im nächsten Jahr etwa viereinhalb Tausend, im Jahr 2014 sogar 8.000.

Dabei haben die Hochschulen bereits heute ihre Kapazitätsgrenzen überschritten, die Hochschule RheinMain erhält aktuell Geld für 6.200 Studierende, bildet aber 9.300 aus. Das ist eine Auslastung von 150 Prozent.

Der Präsident der TU Darmstadt hat vor dem Wissenschaftsausschuss berichtet, wie dramatisch die Situation an seiner Uni ist. Auf 5.000 Studienplätze bewerben sich 25.000 Bewerber. Die TU Darmstadt stößt an ihre Kapazitätsgrenze, und durch den Hochschulpakt bekommt sie 4,5 Millionen Euro weniger an staatlicher Finanzierung.

Hochschulpakt

Denn genau in dieser Zeit zwingt die Landesregierung die Hochschulen mit ihrem Hochschulpakt dazu, bis 2015 mehr Studierende mit weniger Mitteln auszubilden.

Sie kürzen 30 Millionen jährlich an den Hochschulen und dieser Pakt wurde mit den Hochschulen nicht verhandelt, mit der Androhung weiterer Mittelkürzungen hat die Ministerin die Unterschriften der Präsidenten erpresst. Frau Ministerin, wer den Hochschulen ein Spardiktat aufzwingt und die Präsidien so massiv unter Druck setzt, der handelt verantwortungslos und darf sich über scharfen Gegenwind nicht beklagen.

Die Landesregierung brüstet sich damit, dass sie die Ausgaben für die Hochschulen stetig erhöht habe.

Wenn man den Anstieg der Studierendenzahlen und die Inflation berücksichtigt und sich die Ausgaben pro Studierenden mal ansieht, dann werden den Hochschulen 2015 fast 20 Prozent weniger Mittel pro Studierendem zur Verfügung stehen als noch 1999.

Aber die Hochschulen sollen auf Basis sinkender Mittelzuweisungen zusätzliche Aufgaben erfüllen: die Zahl der Studienplätze erhöhen, neue Studiengänge einrichten, die Studienorientierung verbessern, die Abbrecherquoten senken und die Bologna-Reform fortsetzen.

Die Aufgaben sind derzeit schon nicht zu bewerkstelligen, geschweige denn mit drastisch gekürzten Mitteln.

Von den Hochschulen wird bundesweit erwartet, dass sie mehr Studienplätze schaffen, damit die im internationalen Vergleich niedrige Studienanfängerquote erhöht wird. Aber das geht nicht ohne eine entsprechende finanzielle Ausstattung der Hochschulen.

Denn wenn der zusätzliche Bedarf an Studienplätzen nicht ausreichend finanziert wird, drohen erhebliche Verschlechterungen der Ausbildungsqualität an den Hochschulen.

Das zeigt sich gerade, durch den Hochschulpakt werden Hessenweit hunderte Stellen abgebaut. Die Betreuungsverhältnisse an den Hochschulen werden also noch schlechter werden.

Angesichts der zunehmenden Studierendenzahlen bei sinkenden Mitteln für die Hochschulen liegt auf der Hand, was passiert: Die Clusterpreise werden sinken und das führt zu einer weitere massiven Verschlechterung der Ausbildung und zu drastischen Zulassungsbeschränkungen durch Aufnahmestopps oder vielleicht sogar durch die Wiedereinführung von Studiengebühren.

Im Namen der Generationengerechtigkeit und der so genannten Schuldenbremse beschneiden sie die Bildungschancen kommender Generationen. Der Hochschulpakt bedeutet, dass die Qualität der Ausbildung in den nächsten Jahren massiv sinken wird und nicht jeder, der das möchte, studieren wird können. Die Kürzungen sind eine existentielle Gefahr für die Lehre in Hessen.

Deshalb fordern wir, dass die unterfinanzierten Hochschulen konsolidiert werden, statt einen Konsolidierungsbeitrag für den Haushalt leisten zu müssen.

Und daher fordern wir Sie Frau Ministerin auf, den Hochschulpakt wieder aufzuschnüren und die Kürzungen zurückzunehmen. Die Hochschulen brauchen eine höhere Grundfinanzierung, um den erneuten Studierendenansturm bewältigen zu können.