Fahrtkosten für alle Schülerinnen und Schüler übernehmen

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Wisslers Meinung nach bejubelt die CDU sich selbst. Bei genauerem Hinsehen würde aus dem Bildungspaket ein Bildungspäckchen werden.





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Rede von Janine Wissler zur Aktuellen Stunde der CDU betreffend Verhandlungen der Landesregierung: Erfolg für Hessens Schüler - Schülerfahrtkostenerstattung für Einkommensschwache am 16. Dezember 2010

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Bildungspaket

Die CDU will mit dieser Aktuellen Stunde das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung für Kinder im Hartz IV-Bezug bejubeln – und natürlich ihren eigenen Beitrag dazu.

Herr Minister Grüttner hat in einer Eigenlob-Presseerklärung mitgeteilt, das Bildungspaket sei eine runde Sache, die die Landesregierung unterstütze.

Aber bei näherem Hinsehen schrumpft das Bildungspaket nicht nur auf ein kleines Päckchen zusammen. Leider stellt die Bundesregierung damit auch grundlegend die falschen Weichen.

Statt in die soziale Infrastruktur zu investieren und allen Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Unterstützung zu gewähren, baut sie eine neue, stigmatisierende Bürokratie auf – und das in den Jobcentern, denen hierfür sowohl die Kapazitäten als auch die Kompetenz fehlen.

Weder die Strukturen und Arbeitsweisen noch das Personal der Jobcenter sind geeignet, um Aufgaben aus dem Bildungssystem und der Jugendhilfe zu übernehmen.

Und es ist mit erheblichen Verwaltungskosten verbunden, die nach offizieller Berechnung knapp ein Viertel der Leistungsausgaben betragen werden – und die Bundesagentur für Arbeit hat bereits angekündigt, dass dies nicht ausreichen wird.

Mit dem Bildungspaket werden Gutscheine für private Nachhilfe als Regelinstrument eingeführt. Damit wird privaten Anbietern mit öffentlichen Mitteln das übertragen, was viele Schulen aufgrund ihrer chronischen Unterfinanzierung nicht mehr leisten können.

Zudem bedeuten Gutscheinsysteme, Chipkarten oder individuelle Kostenübernahmeerklärungen für die betroffenen Kinder, dass sie sich bei jeder Gelegenheit als Hilfebedürftige outen müssen – sei es beim Schulmittagessen, im Sportverein oder an der Schwimmbadkasse.

Viele Bildungs- und Freizeitbedürfnisse von Kindern, wie etwa das Erlernen eines Musikinstrumentes, sind auch mit der neuen Teilhabeleistung von 10 Euro im Monat nicht zu finanzieren.

Die Leistungen für Kinder und Jugendliche, die von Hartz IV leben müssen, sind weder wirklichkeits- noch bedarfsgerecht. Die Kinderregelsätze sind viel zu niedrig angesetzt. Und es ist ein Skandal, dass sie im Zuge der Hartz IV-Reform nicht erhöht werden. Deshalb wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung morgen im Bundesrat keine Mehrheit finden.

Und jetzt zu Ihrer Großtat, Herr Minister: Ja, die Schülerbeförderungskosten sollen in das Bildungspaket aufgenommen werden. Sich dafür zu loben, zeigt, wie weit Ihre Politik von vernünftiger Bildungspolitik entfernt ist.

Die Übernahme von Schulfahrtkosten müsste während des gesamten Schulbesuches eine Selbstverständlichkeit sein. Wir sprechen hier von dem kostenlosen Zugang zu Bildung, von der Teilhabe an Bildung.

Wir fordern allen Schülerinnen und Schülern bis zum Abschluss der Oberstufe den kostenfreien Zugang zur Bildungsinstitution Schule zu ermöglichen.

Nicht nur Eltern, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, können ihren Kindern keine Monatskarten finanzieren.

Auch Geringverdiener haben dieses Problem, mindestens auf die müsste die Regelung ausgeweitet werden. Die werden von Ihnen jedoch erst gar nicht erwähnt.

Und auch bei durchschnittlichen Einkommen sind die Fahrtkosten enorm hoch, vor allem, wenn es um mehr als ein Kind geht.

Zum Ergebnis, das jetzt erzielt wurde:

Gerade veröffentlichte die Bundesagentur für Arbeit eine Information „Leistung zur Teilhabe und Bildung – Schülerbeförderung". Was bei Ihnen so klingt, als würde jede Schülerin und jeder Schüler in der Oberstufe nun problemlos die Kosten für die Fahrkarte erstattet kriegen, sieht bei genauerem Hinsehen ganz anders aus. In der Information der Bundesagentur heißt es: „die Aufwendungen für die Schülerbeförderung sind nur zu berücksichtigen, soweit ... es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, sie aus der Regelleistung zu bestreiten."

Wie das von 287 € Regelsatzleistung möglich sein soll, ist mir nicht klar. Das Geld reicht ja nicht einmal annähernd, um den Grundbedarf eines 14 bis 18-jährigen zu decken.

Und dann wird noch hinzugefügt, dass wenn die Kosten für eine Schülermonatskarte anerkannt werden, „wird der Preis für das Monatsticket um den im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Verkehr vermindert, wenn dieses Ticket auch privat genutzt werden kann."

Dieser Eigenanteil des Kindes beträgt bis zu 20 Euro.

Ihnen ist schon klar, dass keine Fahrttickets im öffentlichen Personennahverkehr existieren, die eine Privatnutzung ausschließen? Wie soll das auch funktionieren?

Also können wir davon ausgehen, dass pauschal ein Teil der Fahrtkostenübernahme einbehalten wird, weil die Schüler die Unverschämtheit besitzen könnten, ihr Ticket zu nutzen, um am sozialen Leben außerhalb des Schulbetriebes teilzuhaben und nicht nur zur Schule sondern auch mal zur Stadtbücherei zu fahren.

Wie genau die Prüfung bezüglich der Notwendigkeit einer Fahrtkostenerstattung aussehen wird, bleibt unklar. Vielmehr scheint es, als sei den Jobcentern hier freie Hand gegeben.

Herr Minister, kommen Sie uns nicht regelmäßig mit solchen Scheininnovationen. Ihr bildungspolitisches Versagen ist auch hier ein nett eingepacktes aber inhaltsloses Weihnachtsgeschenk - es hinterlässt bei genauem Hinsehen nur enttäuschte Kindergesichter.