Zweite Lesung Landeshaushalt 2011: Wirtschaft und Verkehr

Rede von Janine Wissler zum Einzelplan Wirtschaft und Verkehr des Landeshaushaltes 2011


Herr/Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,

der DGB Hessen hat am Montag eine Studie zum Niedriglohnsektor veröffentlicht. Aus dieser geht hervor, dass der Niedriglohnsektor auch in Hessen seit Mitte der 1990er Jahre gewachsen ist, und zwar von 12 Prozent auf 21,3 Prozent. Damit liegt Hessen beim Niedriglohnsektor über dem Durchschnitt der westdeutschen Bundesländer.

Und das obwohl Hessen einer der wirtschaftsstärksten Flächenstaaten ist und sich der hessische Durchschnittslohn in der Spitzengruppe befindet.

Aber das ist eben nur der statistische Durchschnitt.

Und laut Statistik haben ein Millionär und ein armer Schlucker je eine halbe Million, wusste schon Roosevelt.

Wir erleben eine wachsende Lohnspreizung: Immer mehr Niedriglohnbeschäftigten stehen Spitzenverdiener gegenüber, deren Einkommen weiter wachsen. Das private Geldvermögen in Deutschland liegt bei 4,8 Billionen Euro. Die Zahl der Vermögensmillionäre erreichte nach der Krise ein Allzeithoch und die Zahl der Milliardäre stieg erstmals auf eine dreistellige Zahl. Und angesichts solch immensem Reichtum, wird den Menschen erzählt, es sei kein Geld da für Soziales, Gesundheit und anständige Löhne.

Prekäre Beschäftigung und die Leiharbeit nehmen zu. Der gegenwärtige bejubelte Aufschwung geht wieder einmal an den Lohnabhängigen vorbei. Und zu den Wachstumszahlen, die hier bejubelt werden, muss auch gesagt werden, dass dem ein Einbruch von 5 Prozent vorausgegangen ist. Das Vorkrisenniveau ist noch lange nicht erreicht.

Und er ist abhängig von einer Exportorientierung auch in der hessischen Wirtschaft, die die Unternehmen abhängig macht von Entwicklungen in anderen Ländern.

Statt einseitig auf Exporte zu setzen, sind steigende Löhne nötig und der Staat ist als Nachfrager und Investor gefordert.

Aber dieser Forderung kommt das Land nicht nach. Die Quote öffentlicher Investitionen in Hessen liegt bei 0,9 Prozent des Inlandproduktes, das liegt weit unter den niedrigen 1,5 Prozent für Deutschland insgesamt und ist im Hinblick auf die öffentliche Infrastruktur deutlich zu niedrig.

Verkehr

Wir haben einen Investitionsstau im Öffentlichen Personennahverkehr, der „auf Verschleiß" fährt, wie eine Studie zum Finanzierungsbedarf dieses Bereichs ergeben hat. Eine Hessen-spezifische Aufstellung steht noch aus. Die Kommunen und Infrastrukturbetreiber können schon heute die turnusmäßigen Reinvestitionen nicht in dem erforderlichen Umfang leisten.

Und auch die vom Verkehrsministerium beschlossene Erhöhung der Mittel für die Förderung des ÖPNV-Angebotes ist gerade mal ein Inflationsausgleich gegenüber dem Vorjahr. Für einen qualitativen Ausbau im ÖPNV-Bereich ist es eindeutig zu wenig.

Die Beteiligten – Verbünde, Verkehrsunternehmen und Gemeinden – müssen sich Jahr für Jahr einen zu kleinen Topf teilen und sich darum streiten, wer die Lasten trägt, die durch die Kürzungen von Bund und Land auf sie zukommen. Das Konzept der Landesregierung ist der so genannte „hessische Weg". Er besteht aus einer verfehlten

Privatisierungspolitik in dem Glauben, über mehr Markt und Wettbewerb ließe sich höhere Effizienz erreichen. Das Ergebnis dieser Politik war ein Massensterben der mittelständischen Verkehrsunternehmen, die bei der Ausschreibung nicht mehr zum Zuge gekommen sind, weil die Lose zum einen zu groß sind und zum anderen EU-weit ausgeschrieben wird. Die Gewinner dieser Ausschreibungen sind international tätige Großunternehmen, die reihenweise hessische Mittelständler aus dem Markt gedrängt oder aufgekauft haben. Von Wettbewerb kann heute keine Rede mehr sein, wenn pro Ausschreibung drei bis fünf Angebote abgegeben werden, die immer von denselben drei bis fünf bekannten Verkehrskonzernen stammen.

Der Druck zur Privatisierung hat vor allem zu einem geführt: zur Aushöhlung des Tarifgefüges im ÖPNV. Die öffentlichen Tarife wurden abgelöst durch die der privaten Anbieter, die deutlich darunter liegen. Heute verdient ein Busfahrer hier der Landeshauptstadt Wiesbaden bei der ausgesourceten Stadtwerke-Tochter 11 Euro brutto in der Stunde. Zuschläge gibt es praktisch keine mehr. Bei Ausbildungskosten von rund 10.000 Euro für einen Busfahrer macht sich die Branche mittlerweile ernste Sorgen um den Nachwuchs. Wer will schon 10.000 Euro investieren, um dann ein Nettogehalt zu kassieren, das gerade so für die Lebenshaltungskosten reicht? Nicht nur bei den Fahrzeugen, sondern auch beim Personal fährt der ÖPNV auf Verschleiß.

Die Verlagerung von Straßenverkehr auf die Schiene ist kein Anliegen dieser Regierung, obwohl sie ökologisch und volkswirtschaftlich weit überlegen sind. Das gilt auch für den Gütertransport.

Die Regierungsfraktionen haben vor kurzem einen Antrag eingereicht, dass Zitat „eine weitere Verlagerung des Güterverkehrs auf den Verkehrsträger Schiene ein ökologisch wie ökonomisch sinnvolles Ziel darstellt... Eine hochwertige Eisenbahninfrastruktur ist für den grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Schienenverkehr auf europäischer Ebene von zentraler Bedeutung", heißt es da. Das ist einer der wenigen Anträge in diesem Haus, die einstimmig von allen Fraktionen begrüßt wurden. Im Einzelplan heißt es dann konsequenterweise: „Die Förderung von Schieneninfrastruktur für den Güterverkehr wurde mit Ablauf des Haushaltsjahres 2010 eingestellt." Als Regierungsfraktionen stellen Sie Schaufensteranträge, als Regierung tun sie das genaue Gegenteil.

Ausbildung

Und dann stellt sich die Regierung hin und streicht die Förderung der Erstausbildung zusammen. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt habe sich derart verbessert, dass die Schaffung neuer Ausbildungsplätze nicht mehr vorrangiges Ziel sein müsse. Die Handelskammern und Arbeitgeberverbände beklagen den Fachkräftemangel, aber die Landesseite stiehlt sich aus der Verantwortung und fährtn die noch verbliebenen Landesprogramme runter.

Solange es noch Jugendliche gibt, die keine betriebliche Ausbildung finden können, steht das Land in der Verantwortung, sie zu unterstützen. Und das tun Sie nicht, indem sie die Zahlen schön rechnen. Bei der Regionaldirektion der Bundesarbeitagentur für Arbeit waren im August 11.300 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz gemeldet – wie viele außerdem suchen, sich aber nicht gemeldet haben, das wissen wir gar nicht.

Ihnen standen 7.700 freie Ausbildungsplätze gegenüber. Ende Oktober galten offiziell weiter 740 Bewerber als unversorgt. Hinzu kamen aber über 6.300, die nach erfolgloser Suche ein Qualifizierungsangebot der Arbeitsagentur angenommen haben oder auf eine weiterbildende Schule ausgewichen sind. Wir reden hier von tausenden Einzelschicksalen junger Leute, die einen Einstieg ins Arbeitsleben suchen und dabei auf Betriebe stoßen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht ausreichend ausbilden.

Dazu gehört auch, Betriebe zu unterstützen, die nicht ausbilden können, weil sie zu klein sind oder aus technischen Gründen keinen eigenen Ausbildungsplatz anbieten können. Viele dieser Betriebe wollen aber trotzdem ausbilden und beteiligen sich deshalb an Ausbildungsverbünden. Diese Ausbildungsverbünde sind eine sinnvolle Einrichtung und bieten hoch qualitative Ausbildungen mit einer hohen Übernahmequote. Deshalb werden sie aus dem Europäischen Sozialfond gefördert – wenn von Landesseite die Ko-Finanzierung gesichert wird. Auch an dieser Stelle sparen sie bei den Falschen und lassen lieber EU-Gelder verfallen, als die Existenz der hessischen Ausbildungsverbünde zu sichern.

Soziale Stadt

Wir erleben in Hessen ein fortschreitendes Auseinanderdriften von Arm und Reich. Gerade in den Städten macht sich das in Form räumlicher Trennung bemerkbar und in der Bildung von Reichenvierteln auf der einen und sogenannten sozialen Brennpunkten auf der anderen Seite. Das Bundesprogramm Soziale Stadt wurde ins Leben gerufen, um auf der Ebene der Städtebauförderung dieser unheilvollen Entwicklung entgegenzuwirken. Nun hat die Bundesregierung die sozialen Komponenten dieses Programms praktisch vollständig gestrichen.

Der Deutsche Städtetag hat sich deutlich dagegen ausgesprochen, weil er das Programm in seiner bisherigen Form als Zitat „Instrument zur Stabilisierung benachteiligter und in der Sozialstruktur problematischer Stadtquartiere" ansieht. Angesicht zunehmender sozialer Spreizung innerhalb der deutschen Gesellschaft – insbesondere in den Städten – solle dieses Programm mit seinem umfassenden Ansatz aufgestockt und nicht gekürzt und beschränkt werden, schreibt der Städtetag in seiner Stellungnahme für den Bundestag.

Diesen Mahnungen zum Trotz hat die Bundesregierung ihre Mittel für die Städtebauförderung um die Hälfte zusammengestrichen. Das Programm Soziale Stadt ist davon stark betroffen und damit auch die benachteiligten Viertel der hessischen Städte und Gemeinden. Hier wäre ein Landesprogramm notwendig, das die inhaltlichen und finanziellen Beschneidungen durch den Bund ausgleicht.

Kassel-Calden

Und wir reden hier nicht über exorbitante Summen. Die Kürzungen bei der Sozialen Stadt belaufen sich auf fünf Millionen Euro.

Wenn es um ein Himmelfahrtskommando wie den Flughafen Kassel-Calden geht, gelten andere Maßstäbe. Die geschätzten Kosten des Ausbaus sind geradezu explodiert. Trotzdem stehen Sie weiter zu einem Flughafen, den niemand braucht, den die Fluggesellschaften nicht anfliegen wollen und von dem niemand sagen kann, wie viele Arbeitsplätze er bringen wird und welche Qualität die haben werden. Bei diesem Projekt reden wir über Kostensteigerungen von 120 Millionen Euro. Diese Gelder stellen Sie sorglos in den Haushalt, Jahr für Jahr.

Und ebenso verfahren Sie mit Beberbeck, diesem verworrenen Traumprojekt, für das sich bis heute keine Investoren, keine Interessenten, kein Konzept gefunden hat. Es ist beeindruckend, mit welchem Nachdruck Sie an derartigen Projekten festhalten, bei den Millionen an Steuergeldern sinnlos verblasen werden, während anderswo gekürzt wird.

Meine Damen und Herren, nach der tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise gilt der kluge Satz von Albert Einstein: „Probleme lassen sich nicht mit den Denkweisen lösen, die zu ihnen geführt haben." Leider hat die Landesregierung weder Ihr Denken noch Ihr Handeln durch die Krise grundsätzlich geändert.