Datenschutz
Rede von Janine Wissler zum Festakt "40 Jahre Datenschutz in Hessen" 8. Oktober 2010
Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Prof. Ronellenfitsch,
meine Damen und Herren,
als erstes möchte ich mich bedanken, dass ich die Gelegenheit habe, zu diesem feierlichen Anlass auch den Gruß der Fraktion DIE LINKE überbringen zu dürfen, verbunden mit unserem Dank an Sie, Herr Professor Ronellenfitsch, an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natürlich auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Regierungspräsidium Darmstadt im Bereich des betrieblichen Datenschutzes für Ihre wichtige Arbeit.
In der Tat hat das Bundesland Hessen beim Datenschutz Pionierarbeit geleistet: mit der Schaffung eines ersten Datenschutzgesetzes mit weitreichenden Konsequenzen, welches im Laufe der Zeit Vorbild für viele Datenschutzgesetze in Deutschland wurde.
Und das – und das halte ich für wirklich bemerkenswert – bereits vor 40 Jahren, also in einer Zeit, als die massenhafte Verbreitung und Anwendung von Computertechnik, Mobilfunk, Internet, Chipkartensystemen und Sozialen Netzwerken noch wie Sience Fiction geklungen haben müssen.
Umso weitsichtiger handelten die Mütter und Väter des hessischen Datenschutzgesetzes, weil sie die Gefahren für uns alle bereits sehr früh erkannt und erste gesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht haben.
Anders als vor 40 Jahren hat das Erlangen, Nutzen, Speichern und Weitergeben von Informationen heute eine wesentlich größere Bedeutung. Unser Kommunikationsverhalten, ob in der Arbeitswelt oder bis tief ins Privatleben hinein, ist mit dem von vor 40 Jahren kaum noch zu vergleichen.
Niemand, der sich mit Chancen und Risiken dieser Entwicklung auseinandersetzt, kommt an der Bedeutung des Datenschutzes vorbei.
Denn die technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen haben auch zu neuen Problemen geführt und bewirken, dass Datenschutzgesetze und Datenschützer im öffentlichen und nicht-öffentlichen Bereich ständig mit neuen Entwicklungen konfrontiert sind. Das stellt hohe Anforderungen an die gesetzlichen Regeln zum Datenschutz.
Als letzter Rednerin einer Reihe von Grußworten möchte ich bereits Gesagtes und Richtiges nicht ausufernd wiederholen.
Zentral scheint mir aber die Frage zu sein, wo wir heute stehen und was die vor uns liegenden Aufgaben sind. Lassen Sie mich hierauf mit einigen Bemerkungen eingehen.
Modernisierung des Datenschutzes heißt in Zeiten des Internets vor allem Datensparsamkeit und Verwendung von Daten nur zu dem Zweck, der den Verbraucherinnen und Verbrauchern bekannt gemacht wurde, dem sie zustimmen und den sie auch ablehnen können.
Denn inzwischen sind Daten zu einer Ware geworden. Jede Adresse, jedes Geburtsjahr, jedes sonstige Merkmal wird von Adresshändlern ge- und verkauft.
Daten dienen der Wirtschaft zur Entscheidung über Kreditkonditionen, Werbemaßnahmen, Angebote und vieles mehr.
Sensible Informationen über Nutzungsgewohnheiten und Konsumpräferenzen werden erhoben und ökonomisch verwertet. Damit wird die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer verletzt.
Internetgeschäfte funktionieren auch, wenn Verbraucherdaten geschützt werden und dafür zu sorgen ist Aufgabe von Politik und Datenschutz.
Bürgerinnen und Bürger müssen wissen (können), wer Daten von ihnen hat, was damit gemacht wird und welchen Zwecken sie dienen.
Heute, nach einer langen Reihe von Datenschutzskandalen - von Lidl bis Telekom - wird deutlich, dass Datenschutz eine enorme gesellschaftspolitische Aufgabe ist. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in allen Bereichen zu verwirklichen, für Verbraucherinnen und Verbrauchen, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Sozialleistungsbezieherinnen und Bezieher. Dieses Recht darf nicht kommerziellen und wirtschaftlichen und auch nicht sicherheitspolitischen Interessen unterworfen werden.
Denn nicht nur Unternehmen wie Google, auch der Staat will immer mehr Daten sammeln. Unter dem Vorwand der Bekämpfung des „Sozialleistungsmissbrauchs" und vor allem im Namen der „Terrorismusbekämpfung" hat der Bundestag eine Reihe von Ausnahmen vom Datenschutz beschlossen, die vor allem die Überwachungsmöglichkeiten von Behörden ausgeweitet haben, bei Konten, Telefondaten und DNA-Proben.
Die datenschutzrechtlichen Bedenken gegen Projekte wie die elektronische Gesundheitskarte, biometrische Ausweise und Gendatenprojekte müssen ernst genommen und berücksichtigt werden.
Gerade im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, ist es nicht selbstverständlich, dass die Freiheit immer gewahrt bliebe.
Seit dem 11. September 2001 erlebten wir eine ganze Reihe von Sicherheitsgesetze, auch in Hessen, die die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit verschoben haben, und zum Teil mit verfassungsmäßigen Rechten nicht in Einklang standen.
Die prominenten Stichworte Rasterfahndung, Vorratsdatenspeicherung und automatische Kennzeichenerfassung, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden, sind nur die Spitze des Eisberges.
„Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren." Deshalb dürfen grundlegende Freiheitsrechte nicht für eine vermeintliche Sicherheit geopfert werden.
Auch wenn die Diskussionen über SWIFT-Abkommen, ELENA und Arbeitnehmerdatenschutz nicht immer zu den Ergebnissen führen, die man sich im Sinne weitgehender Freiheitsrechte wünschte, so zeigt die öffentliche Debatte doch, dass es ein wachsendes Bewusstsein für den Schutz persönlicher Daten gibt und das ist auch der Arbeit der Datenschützer zu verdanken.
Das zeigt: Zur Voraussetzung eines wirksamen Datenschutzes zählt auch die personelle, finanzielle und rechtliche Stärkung unabhängiger Datenschutzeinrichtungen.
Ein ausgeprägtes Bewusstsein der Menschen für ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ein wirksamer gesetzgeberischer Rahmen gegenüber kommerziellen Verwertungsinteressen personenbezogener Daten und die Anerkennung und Stärkung dieses Freiheitsrechtes durch den Staat, müssen einen Dreiklang bilden.
Meine Damen und Herren, Selbstbestimmung und freie Entfaltung sind Voraussetzungen für Freiheit und der Datenschutz ist ein Werkzeug dafür. Deshalb brauchen wir einen starken Datenschutz, der den geänderten Bedingungen des Informationszeitalters wirksam begegnet.
Das ist nicht einfach, wie alleine die langen und schwierigen Diskussionen über die nun notwendige Zusammenlegung des Datenschutzes im öffentlichen und privaten Bereich zeigt.
Der heutige Festakt sollte uns darin bestärken mit langem Atem das zu tun, was im Sinne der Stärkung und Weiterentwicklung des Datenschutzes richtig und notwendig ist. In der Tradition der hessischen Mütter und Väter des Datenschutzes sollten wir weiter ringen für diese Freiheitsrechte, damit sie erhalten und ausgebaut werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.