Umstieg auf Erneuerbare Energien ist überfällig

Rede von Janine Wissler zur Zweiten Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN für ein Viertes Hessisches Zukunftsenergie- und Klimaschutzgesetz zur Änderung des Hessischen Landesplanungsgesetzes

mit

Zweiter Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Zweites Hessisches Zukunftsenergie- und Klimaschutzgesetz

und

Zweiter Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Drittes Hessisches Zukunftsenergie- und Klimaschutzgesetz am 23. Juni 2010

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Hessen ist beim Anteil an erneuerbaren Energien Schlusslicht unter den Bundesländern. In jeder Debatte um die Energiepolitik hier im Landtag muss man das sagen, um klarzumachen, vor welchem Hintergrund wir hier diskutieren.

Der Herr Ministerpräsident hatte angekündigt, Hessen zum Musterland für erneuerbare Energien zu machen. In Wahrheit ist es seine Regierung, die den Umstieg auf erneuerbare Energien verschleppt und blockiert hat, wo immer es ging – mit unsäglichen Kampagnen gegen „Windkaftmonster" oder gegen die „Verspargelung der Landschaft".

Herr Rock und Herr Stephan, damit haben Sie Kampagnen durchgeführt und ganz bewusst Stimmungen

geschürt, auf die Sie sich jetzt beziehen. Das, was Sie hier machen, ist alles andere als ehrlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Ära Koch endet auch die kurze Ära Lautenschläger im Umweltministerium; denn die Frau Ministerin hat erklärt, dass Roland Koch ihr politisches Vorbild sei und dass sie ohne ihn nicht weitermachen wolle. Das muss man respektieren; jeder hat seine Vorbilder.

Frau Ministerin, Sie hatten eineinhalb Jahre Zeit, um ein Konzept für eine Energiewende vorzulegen. Aber aus Ihrem Ministerium kamen keine Initiativen, keine Gesetzentwürfe und keinerlei Vorstöße. Im Gegenteil, wann immer sich die Gelegenheit dazu geboten hat, haben Sie sich als Verbündete der Atom- und Kohlelobby profiliert. Man muss es so deutlich sagen: Mit Ihrem Rücktritt verlieren RWE und E.ON wirklich eine ihrer tüchtigsten Außendienstmitarbeiterinnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Landesregierung hat als Ziel festgelegt, dass bis zum Jahr 2020 20 % der in Hessen verbrauchten Energie aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Das ist kein ehrgeiziges, kein ambitioniertes Ziel. Es bleibt weit hinter dem zurück, was nötig und dringend geboten wäre, zumal der gesamte Verkehr bei diesem Anteil von 20 % – „Planungen der Regierung" ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt, Planungen gibt es schließlich kaum – überhaupt nicht berücksichtigt wird.

Dann haben Sie eine Nachhaltigkeitskonferenz ins Leben gerufen. Ja, Herr Stephan, Sie haben eine Nachhaltigkeitskonferenz ins Leben gerufen, die eine reine Showveranstaltung der Landesregierung ist, ohne dass damit irgendwelche Verbindlichkeiten verknüpft wären. Sie produzieren im Rahmen der Nachhaltigkeitskonferenz vor allem aufwendig gestaltete Homepages und das, was wir in der Klimapolitik am wenigsten brauchen, nämlich viel heiße Luft. Sie verbrauchen damit auch noch die Zeit von Menschen, die wirklich engagiert sind und wirklich gute Ideen haben.

(Zuruf der Ministerin Silke Lautenschläger)

– Das stimmt gar nicht, Frau Ministerin. Ich war beim letzten Mal anwesend und habe mir das alles angeschaut und angehört, um mir selbst ein Bild davon machen zu können. Das Bild, das ich mir davon gemacht habe, habe ich Ihnen gerade beschrieben.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Ministerin Silke Lautenschläger)

Meine Damen und Herren, aus ökologischen und ökonomischen Gründen steht eine radikale Wende in der Energiepolitik an. Durch Ihre Untätigkeit verschärfen Sie nur den Bruch, der im Interesse der nachkommenden Generationen irgendwann vollzogen werden muss. Sie schreiben sich immer die Generationengerechtigkeit auf die Fahne. Generationengerechtigkeit bedeutet, den Umstieg auf erneuerbare Energien heute einzuleiten und zu beschleunigen, anstatt ihn den nachfolgenden Generationen aufzubürden.

Wir alle wissen, dass die fossilen Brennstoffe endlich sind. Deswegen gibt es überhaupt keine Alternative zu einem Umstieg auf Energie aus Wasser, aus Wind und aus Sonne. Es gibt keine Alternative dazu. Die Frage ist nur: Wann machen wir das, und wie groß ist der Schaden, den wir bis dahin noch anrichten?

Natürlich müssen wir auch über die Verkehrspolitik reden; denn wir brauchen dort eine Wende. Die Landesregierung privilegiert den Flug- und den Straßenverkehr, statt Konzepte zur Verkehrsvermeidung vorzulegen und statt den öffentlichen Personennahverkehr sowie den Güterschienenverkehr zu stärken. Sie verschandeln damit die Landschaft mehr, als es Windräder je könnten.

(Beifall bei der LINKEN)

Neben dem Verkehr ist der Energieverbrauch von Gebäuden einer der wichtigsten Faktoren. Die Gebäudeisolierung, das Aufstellen von Solardächern oder das Installieren moderner Heizanlagen sind schnell zu realisierende und effektive Mittel zur Gewährleistung des Klimaschutzes, die sich rasch amortisieren.

Mit der Novellierung der Bauordnung wollen Sie den Kommunen diese Möglichkeit nehmen, statt das zu fördern. So etwas wie die Marburger Solarsatzung ist dringend notwendig. Sie hätten diese Initiative begrüßen sollen, statt dafür zu sorgen, dass das in Zukunft unmöglich ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Land sollte selbstverständlich bei den eigenen Liegenschaften vorangehen. Aber es sollte auch Richtlinien für die öffentliche Beschaffung setzen. Es gibt in vielen Bundesländern Vergabegesetze, die sich an sozialen und ökologischen Kriterien orientieren. In Hessen haben wir das nicht. Ich weiß nicht, warum wir Unternehmen, die soziale Standards und Umweltstandards missachten und mehr CO2 in die Luft pusten, als es unbedingt nötig wäre, auch noch mit öffentlichen Aufträgen belohnen sollen. Deshalb finde ich, dass die Arbeit an einem Vergabegesetz eine ganz dringende Aufgabe ist, auch vor dem Hintergrund des Umstiegs auf erneuerbare Energien und des Klimaschutzes.

(Beifall bei der LINKEN)

Die öffentliche Hand ist der größte Abnehmer von Waren und Dienstleistungen. Sie könnten deutliche Marktsignale setzen und so zur Etablierung von Produktketten beitragen, die Klima und Umwelt, aber eben auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlasten.

Was die Umstellung des Landesfuhrparks betrifft: Wir haben im Hessischen Landtag schon mehrmals beantragt, den Landesfuhrpark auf schadstoffarme Autos umzustellen. Das ist, ganz nebenbei gesagt, auch billiger; denn die verbrauchen weniger Sprit. Es gibt einfach keinen Grund, warum Sie diese EU-Richtlinie nicht umsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Erstellung von Katastern, in denen Daten zu den Möglichkeiten erneuerbarer Energien in Hessen zusammengestellt werden, ist eigentlich nur zu sagen: Dass es so etwas noch nicht gibt, zeigt eindrücklich, wie ernst es der Landesregierung mit der Förderung erneuerbarer Energien wirklich ist. Sie gefallen sich darin, alle ehrgeizigeren Ziele im Zusammenhang mit der Energiewende als illusorisch, unrealistisch und ideologisch abzutun. Aber Sie haben bis heute noch nicht einmal einen Überblick darüber vorgelegt, was in Hessen tatsächlich möglich wäre.

Sie legen Werte für die Windenergie fest. Aber Sie interessieren sich überhaupt nicht dafür, wo Windräder aufzustellen sind, damit sie am effektivsten genutzt werden können. Sie schätzen den Beitrag, den die Wasserkraft zur Stromversorgung leisten könnte; aber Sie untersuchen nicht genau, welche Flüsse und Seen sich mithilfe moderner Technik als Standorte für kleine, dezentrale Wasserkraftwerke eignen würden.

Meine Damen und Herren, wir haben es immer gesagt: Eine Umstellung auf erneuerbare Energien bedeutet auch eine zunehmende Dezentralisierung der Energieerzeugung. Das heißt, dass man nicht primär auf Großkraftwerke setzt, die nur immer dazu führen, dass die großen Energiekonzerne ihre Gewinne machen, sondern dass man eine dezentrale Energieversorgung organisiert. Der Vorteil der erneuerbaren Energien ist gerade, dass sie fast überall zu gewinnen sind und dass wir uns damit auch lange Transportwege schenken können, auf denen immer viel Energie verloren geht.

Wir werden den Gesetzentwürfen zustimmen – heute noch nicht, aber beim nächsten Mal. Wir bedauern sehr, dass die Landesregierung derart beratungs- und auch erfahrungsresistent ist, dass sie sich lieber auf irgendwelche Stimmungen in der Bevölkerung beruft, die es nach Umfragen in dieser Form gar nicht gibt. Es gibt Umfragen, wonach eine Mehrheit der Leute erklärt, dass sie, wenn dadurch beispielsweise die Energiepreise sinken würden, sehr wohl bereit wären, Windräder in ihrer Nachbarschaft zu akzeptieren. Besonders hoch ist der Prozentsatz bei den Leuten, die schon praktische Erfahrungen damit haben.

Lassen Sie uns von daher keine Kampagnen gegen erneuerbare Energien starten, die am Ende nur den Energiemonopolisten nutzen. Lassen Sie uns stattdessen endlich den Umstieg auf die erneuerbaren Energien einleiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)