Kein Kahlschlag bei der Bildung – Rede zum Hochschulpakt

Rede von Janine Wissler zum Antrag der SPD betreffend Chancen nutzen, Potenziale erschließen, Hochschulen ausbauen am 19. Mai 2010

Herr Präsident, meine Damen und Herren,


der Ministerpräsident hat keine 48 Stunden nach Schließung der Wahllokale in NRW klar zum Ausdruck gebracht, wo seiner Meinung nach in Zukunft gespart werden soll: nämlich bei der Bildung. Alles im Namen der Generationengerechtigkeit, absurder geht es kaum.
Der Spiegel hat die Pläne treffend kommentiert: Sie würden zu einem kulturellen und ökonomischen Siechtum führen, kämen einer Kriegserklärung an die Jugend und an die Zukunft des Landes sehr nahe und würden Gegenwartsegoismus auf die Spitze treiben. Damit qualifiziere Koch sich als Präsident des Bankenverbandes, aber nicht für ein Staatsamt.

„Wir leben dramatisch über unsere Verhältnisse" erklären Sie. Das mag ja für Sie stimmen, Herr Ministerpräsident, für manch andere auch, aber für die Mehrheit der Menschen in Deutschland gilt das nicht.

Das reichste Zehntel der Bevölkerung besitzt fast zwei Drittel des gesamten Vermögens. Lassen Sie uns doch mal darüber reden, welchen Beitrag diese 10 Prozent leisten können zur Bewältigung der Krisenkosten. Aber wenn es um Ihre Klientel geht, hält das Denkverbot beim Sparen, das Sie beklagen, offensichtlich an.

In Hessen läuten Sie die Operation Keine Zukunft ein, jetzt wird deutlich, wo das Geld eingespart wird, das Ihre Parteifreunde in Berlin Hoteliers in Form von Steuersenkungen in den Rachen geworfen haben, nämlich an den Hochschulen.
Der neue Hochschulpakt sieht Kürzungen von jährlich 30 Millionen Euro vor.

Etwa so viel kostet Hessen allein die Beschenkung der Hoteliers jährlich und diese 30 Millionen Euro wollen Sie bei den Hochschulen jetzt sparen, trotz aller Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden vom Bildungsland Nummer 1. Und das nennen Sie dann Solidarpakt.
Dabei liegt Hessen bereits jetzt bei den Bildungsausgaben weit hinten im Vergleich zu anderen Bundesländern, Sie wollen die öffentlichen Hochschulen weiter kaputtsparen.

Über 10.000 Menschen demonstrierten letzte Woche anlässlich der geplanten Unterzeichnung des Paktes gegen dieses Spardiktat. Und es war mehr als eine Studierendenbewegung. Professoren, Dekane, Beschäftigte, Personalräte, ganze Senate und Präsidiumsmitglieder zogen vor das Ministerium.

Die Ministerin zog für die Verhandlung über den Hochschulpakt den Schutz dicker Klostermauern vor, aus Angst erneut Zeugin studentischen Protests zu werden, und flüchtete ins Kloster Eberbach. Trotzdem war das Wissenschaftsministerium von der Polizei großräumig abgeriegelt, Bürgernähe strahlt die Ministerin in letzter Zeit nicht gerade aus.

Vier Hochschulpräsidenten weigerten sich letzte Woche den Pakt zu unterzeichnen aus Sorge um Forschung und Lehre in Hessen.
Der Ministerpräsident spricht von „inszeniertem Protest", darin ist er selbst ja Fachmann, unvergessen Ihr Schauspiel im Bundesrat vor einigen Jahren.

Der Hochschulpakt wurde gestern unterzeichnet, aber acht von zwölf Hochschulpräsidenten haben bei Unterzeichnung des Sparpaktes in einer Protokollnotiz ihrem massiven Unbehagen Ausdruck verliehen.

Von Freiwilligkeit und offenen Verhandlungen konnte keine Rede sein. Mit ihrer Androhung weiterer Mittelkürzungen hat die Landesregierung die Unterschriften der Präsidenten erpresst. Das ist Politik nach Gutsherrenart. Sie diktieren den Hochschulen einen unzumutbaren Pakt, und wenn die ihn abzulehnen wollen, dann drohen Sie ihnen. Wer den Hochschulen ein Spardiktat aufzwingt und die Präsidien so massiv unter Druck setzt, sollte nicht länger von der Autonomie der Hochschulen sprechen.

Frau Ministerin, so weit so schlecht. Aber dass Sie nachdem Sie die Hochschulpräsidenten öffentlich gedemütigt haben, den Pakt gestern auch noch als ‚Sicherheitsnetz für Hochschulen in schwierigen Zeiten' der Öffentlichkeit präsentieren, das ist angesichts der Sorgen an den Hochschulen blanker Zynismus. Der Pakt gibt die ‚Sicherheit', dass die Qualität der Ausbildung in den nächsten Jahren massiv sinken wird und mit Entlassungen zu rechnen ist. Er bedeutet eine existentielle Gefahr für die Lehre in Hessen.

Die Landesregierung ignoriert die Bedenken der Präsidenten. Ihr Stil gegenüber den Hochschulen, die Sie als „Partner" bezeichnen, ist ungeheuerlich. Wenn Sie das unter Partnerschaft verstehen, dann sollte man Ihnen lieber aus dem Weg gehen.

Sie haben in den letzten Wochen systematisch falsche Behauptungen in die Welt gesetzt, um die Glaubwürdigkeit der Hochschulen zu untergraben. Sie haben behauptet, die Hochschulen würden Pakt nicht einhalten und seien mit einem Minus von „nur" 2,2 Prozent privilegiert.

Die CDU in Person von Herrn Reißer erklärt: „Offensichtlich haben viele Hochschulpräsidenten nicht den Mut zur Verantwortung oder die Kreativität, mit den Senaten zusammen Einsparmöglichkeiten zu erörtern." Das ist der völlig unzulässige Versuch die Verantwortung auf die Präsidenten abzuschieben.

Die Hochschulpräsidenten haben sehr wohl Mut bewiesen, nämlich als sie den Pakt öffentlich kritisiert haben.

Und dann erklärt Herr Reißer, dass „viele Abteilungen in einem großen Unternehmen dankbar zugreifen" würden, wenn man ihnen diese „maßvolle Absenkung und die gleichzeitige Garantie des Budgets über fünf Jahre garantieren würde". Lieber Herr Reißer, ein privatwirtschaftliches Unternehmen würde pleitegehen bei einem Minus von 2,2 Prozent drei Jahre hintereinander. Minus 150 Millionen Euro und das nennen Sie ein faires Angebot. Die Ministerin hat vorgeschlagen, die Hochschulen könnten bei der Verwaltung sparen, womit Sie unterstellen, dass die Beschäftigten dort ineffizient arbeiten. Das Gegenteil ist der Fall.

Die Landesregierung verschweigt, dass die Hochschulen auf Basis sinkender Mittelzuweisungen zusätzliche Aufgaben erfüllen sollen: die Zahl der Studienplätze erhöhen, neue Studiengänge einrichten, die Studienorientierung verbessern, die Abbrecherquoten senken und die Bologna-Reform fortsetzen.

Zudem war es die Landesregierung, die mit Ihrem Projekt „Mehr Bürokratie wagen", die Hochschulen gegen deren Willen im letzten Jahr gesetzlich verpflichtet hat, zukünftig Auswahlgespräche und Studierfähigkeitstests durchzuführen. Das alles geschieht auf dem Rücken der Beschäftigten an den Hochschulen.

Die Aufgaben sind derzeit schon nicht zu bewerkstelligen, geschweige denn mit drastisch gekürzten Mitteln.

Ab 2012 kommen zudem die sogenannten Doppeljahrgänge an die Hochschulen, wegen der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit, also durch G8. Die Studierendenzahlen werden stark ansteigen, das wissen Sie seit Jahren, unternommen haben Sie nichts. Und die Hochschulen müssen Ihre verfehlte Politik ausbaden. Die Hochschulen sind schon jetzt chronisch unterfinanziert. Die Hochschule RheinMain z.B. erhält derzeit für 43 Prozent ihrer Studierenden keine Mittel.

Frau Ministerin, dann führen Sie die Rücklagen der Hochschulen an zur Rechtfertigung Ihrer Kürzungspläne. Dabei wissen Sie, dass über die Hälfte der insgesamt 212 Millionen Euro machen die Rücklagen von nur zwei Universitäten aus: der TU Darmstadt und der Stiftungsuni Frankfurt. Das sind zwei von zwölf Hochschulen.

Vor allem aber haben die Hochschulen die Rücklagen nicht gebildet, um den Landeshaushalt zu entlasten, sondern für zukünftige Aufgaben. Drittmittel aus der Wirtschaft können und dürfen diese Kürzungen nicht kompensieren. Hochschulfinanzierung ist eine staatliche Aufgabe und muss es auch bleiben.

Sie brüsten sich damit, dass das Exzellenzprogramm der Landesregierung LOEWE fortgesetzt wird. In der Tat für Eliteförderung findet die Landesregierung immer ein Töpfchen. Ich finde, das hat Professor Frenking von der Uni Marburg auf der Demonstration sehr richtig kommentiert: Es ist ungefähr so, wie wenn man tausend Hungernden erklärt, fünf von Ihnen dürften ins 5-Sterne-Restaurant. Mit LOEWE ist es genauso: Die Mehrheit hat davon nichts. Es wird eben nicht überall gespart, für Exzellenz und Elitenförderung wollen Sie mehr Geld bereit stellen, durch eine Verschiebung von Mitteln ins Erfolgsbudget.

Eliteförderung für eine kleine Minderheit und Bildungskürzungen in der Breite – das ist die Stoßrichtung dieses Paktes.
Wir brauchen eine Aufstockung der Mittel für öffentliche Hochschulen und eine flächendeckende Finanzierung statt Wettbewerb und Standortkonkurrenz zwischen den Hochschulen. Die Hochschulen brauchen eine bedarfsdeckende Finanzierung, die ihnen durch langfristige Planungssicherheit ermöglicht, ihre Aufgaben zu erfüllen und nicht Bildungspolitik nach Konjunktur- und Kassenlage.
Deshalb muss sich auch die Klientel der FDP an der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben beteiligen und kann sich nicht in elitäre Parallelgesellschaften zurückziehen. In Hessen gilt: Wer hat, dem wird gegeben, das Land unterstützt die private European Business School mit über 30 Millionen Euro Steuergeld, für 200 Studierende pro Jahrgang wohlgemerkt. Das entspricht der Summe, die an den staatlichen Hochschulen jährlich eingespart werden soll. Die Stadt Wiesbaden legt noch einmal zehn Millionen Euro drauf für eine Hochschule, an der Studenten 12.000 Euro Studiengebühren im Jahr bezahlen müssen.

Gleichzeitig verrotten die öffentlichen Schulen. Mehr Geld für Bildung, das ist auch eine Forderung des Bildungsstreiks am 9. Juni, den wir ausdrücklich unterstützen.

Der Hochschulpakt ist unterzeichnet, das heißt aber nicht, dass das letzte Wort schon gesprochen ist. Die Proteste gehen weiter, gestern gab es Vollversammlungen an vielen Hochschulen, über 2500 Studierende kamen zusammen, um sich über die Konsequenzen des Hochschulpaktes zu informieren. In Marburg versammelten sich über 1000 Studierende, Angestellte und Professorinnen und riefen erneut zum gemeinsamen Protest gegen die Landesregierung auf. Im Anschluss entwickelte sich eine Spontandemonstration, die für eine halbe Stunde die Stadtautobahn besetzte.

Frau Ministerin, der letzte Minister, der sich ernsthaft mit den Studierenden angelegt hat, ist jetzt in der Wirtschaft und seine Studiengebühren sind Geschichte. Nehmen Sie die Hochschulen ernst, nehmen Sie die Studierenden und Beschäftigten ernst und unterschätzen Sie die Stimmung nicht, die Sie durch Ihr Vorgehen an den Hochschulen erzeugt haben.