Für eine Re-Kommunalisierung der Energieversorgung

Rede von Janine Wissler zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE betreffend Neuverhandlungen der Konzessionsverträge mit den Grundversorgern für Gas und Strom am 20. Mai 2010

Herr/Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,

wir haben die Landesregierung um Auskunft darüber gebeten, für welche hessischen Gemeinden wann die Neuverhandlungen ihrer Konzessionsverträge mit den Grundversorgern für Gas und Strom anstehen. Ich finde es schade, dass die Landesregierung keinen vollständigen Überblick über den Wechsel und den Stand der Konzessionsinhaber im Land Hessen hat. Aber dennoch haben wir eine ausführliche Antwort auf unsere Anfrage bekommen, wofür ich mich ausdrücklich bedanke.

Der Großteil der Verträge wurde Anfang der 90er Jahre abgeschlossen mit einer Laufzeit, die das gesetzlich festgelegte Limit von 20 Jahren ausschöpfte. Vielerorts laufen diese Verträge daher gegenwärtig aus oder sind bereits ausgelaufen. Da die Versorgung mit Gas und Strom wirtschaftlich und sozial zu den Grundleistungen gehört, müssen neue Verträge ohne Verzögerung an die alten anschließen.

Es bietet sich also nur ein kurzes Zeitfenster, in dem die betroffenen Kommunen Entscheidungen treffen können. Und da Verträge über eine so kapitalintensive Dienstleistung wie die Strom- und Gasversorgung lange Laufzeiten unvermeidlich macht, wird die nächste Möglichkeit, hier zu entscheiden, erst in vielen Jahren wieder kommen. Der Deutsche Städtetag sieht Handlungsmöglichkeiten bis 2016 und dann erst wieder in 20 Jahren.

Die Wahl eines Versorgers ist eine schwerwiegende Entscheidung. Es geht hier um hohe Vertragswerte und langfristige Bindungen.

Und es geht um Entscheidungen, die sowohl Privathaushalte wie auch die Gemeinden als Gebietskörperschaften direkt und mit weit reichenden Konsequenzen betreffen. Und es ist eine politische Entscheidung: sehen wir Strom und Gas als Waren, die zu einem möglichst niedrigen Preis auf dem Markt zu erstehen sind? Oder betrachten wir auch deren Erzeugung, die Umstände ihrer Lieferung, die Wertschöpfungsketten, die Netze, das Umfeld, und wollen wir in das Treiben des Marktes eingreifen, etwa indem wir die Ware Strom zu unterschiedlichen Preisen abgeben?

Das tun die privaten Stromkonzerne übrigens auch: Großkunden zahlen deutlich weniger für die Kilowattstunde als Privathaushalte – je geringer der Verbrauch, desto höher der Preis pro Einheit, das ist nichts anderes als eine verdeckte Subventionierung der großen Verbraucher durch kleine Haushalte. Eine sinnvollere Preisgestaltung wäre die Entlastung von Privathaushalten und die Einführung von Sozialtarifen. Es ist skandalös, wenn in einem reichen Land wie Deutschland Rentner, Erwerbslose und Geringverdiener im Winter frieren müssen, weil sie wegen wachsender Preise ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.

Für eine solche Preisgestaltung braucht man aber politischen Zugriff auf die Energieversorgung.

Und die Verfechter des freien Wettbewerbs haben mir auch noch nicht erklären können, warum die Energiekonzerne Kosten für Emissionsrechte an ihre Kunden „weitergeben" dürfen, obwohl sie für diese Kosten gar nicht zur Kasse gebeten werden.

Zur Bevorzugung der milliardenschweren Großen Vier gehören auch die völlig unzureichende und unausgewogene so genannte Liberalisierung des Strommarktes und die unablässige Werbung für die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, einschließlich Stadtwerke.

Privat ist effizienter, der Staat ist ein schlechter Unternehmer und bremst Innovation aus. Diese Leier hören wir seit Jahrzehnten.

In der Staatskanzlei gibt es ein Beratungszentrum für die Förderung und Beratung öffentlich-privater Partnerschaften. In der Realität sind diese Projekte die kostspielige Verpachtung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Stadtverordneten bekommen die relevanten Verträge meist überhaupt nicht zu sehen, weil sie Geschäftsgeheimnisse enthalten. Und wenn sie Einsicht nehmen können, können sie die tausende Seiten starke Konvoluten aus Rechtsenglisch, die teure Beraterfirmen zusammengeschrieben haben, kaum ausreichend bewerten.

Die Werbung für derartige Projekte muss in vielen Fällen als Beihilfe zum Anlagebetrug bezeichnet werden. Das hat sich unter Gemeindekämmerern mittlerweile herumgesprochen.

Deshalb haben wir bereits bei den letzten Haushaltsberatungen beantragt das Beratungszentrum für ÖPP-Projekte aufzulösen und durch ein Beratungszentrum Re-Kommunalisierung zu ersetzen.

Denn wir erleben bundesweit eine kleine Renaissance der Re-Kommunalisierung.

Der Auslöser sind oftmals bittere Erfahrungen mit privaten Betreibern, die sich den Gemeinden, in denen sie tätig sind, nur gerade soweit verpflichtet fühlen, wie sie dazu vertraglich verpflichtet sind. Um jede Kleinigkeit muss gefeilscht und häufig vor Gericht gezogen werden. Die Gewinne gehen an die privaten Betreiber und stehen den Kommunen nicht zur Verfügung und in vielen Fällen liegen die Preise über denen, die Stadtwerke verlangen würden. Und die Gewinne der Stadtwerke kommen der Gemeinde direkt zugute. Es hat sich gezeigt, dass den Gemeinden durch die Privatisierungen nicht nur politische Gestaltungsmöglichkeiten, sondern auch bares Geld flöten geht.

Stadtwerke, über die Gemeinden als ihre Eigentümer direkt entscheiden können, haben einen enormen volkswirtschaftlichen Nutzen für die Gemeinden. Und zwar nicht mal, weil sie so viel billiger produzieren – was übrigens häufig der Fall ist-, sondern weil sie nicht so viel Profit abwerfen müssen und nicht Aktionären und institutionellen Anlegern verpflichtet sind, sondern einem Gemeinderat, der ein unmittelbares Interesse an stabilen Preisen und Arbeitsplätzen in der Kommune hat. Stadtwerke bieten beispielsweise überdurchschnittlich viele Ausbildungsplätze an.

Ich finde die Beweggründe der Kommunen, die ihre Energieversorgung wieder in Eigenregie organisieren, interessant, der Minister zitiert einige Kommunen in der Antwort auf die Anfrage.

So hat die Gemeinde Gründau ihre Entscheidung für einen kommunalen Betreiber unter anderem damit begründet, dass so „das Vermögen des Landkreises und das der Bürger gesichert" und kommunaler Einfluss auf die Elektrizitätsversorgung gewahrt werde. Andere Gemeinden räumen ihren Einwohner die Möglichkeit ein, selbst Anteile an genossenschaftlich organisierten Eigenbetrieben zu werden – sie werden dann alle Genossen sozusagen. Standorte, Arbeits- und Ausbildungsplätze werden gesichert, und die demokratisch gewählten Gemeindevertreter haben die Entscheidungen in der Hand und nicht ferne Konzernzentralen, die aus ihren Engagements nur möglichst viel Geld ziehen wollen.

Denn Privatisierung von öffentlicher Daseinsvorsorge ist auch ein Abbau von Demokratie. Warum sollen die Menschen noch ein Stadtparlament wählen, wenn über das kommunale Krankenhaus, die Müllabfuhr und das Stadtwerk gar nicht mehr entschieden werden kann.

Wir beschneiden den Spielraum politischer Gestaltungsmöglichkeiten, denn der Vorstandsvorsitzende eines Energiekonzerns wird nicht von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt, er ist seinen Aktionären verpflichtet, nicht dem Gemeinwohl.

Privatisierungen lösen die strukturellen Finanzprobleme der Kommunen nicht, alles kann nur einmal verkauft werden und im Fall der Energieversorgung verzichten die Kommunen auf Gewinne, die in kommunale Belange zurückfließen könnten.

Es gibt verschiedene Initiativen, die von Privatpersonen getragen werden oder auch vom Verband kommunaler Unternehmen, Überblicke über auslaufende Konzessionsverträge zu erstellen und den Kommunen, für die diese Entscheidung ansteht, das nötige Fachwissen zur Verfügung zu stellen.

Denn es ist nicht ohne Weiteres möglich, sich in der Gas- und Stromversorgung von den Monopolen unabhängig zu machen. Die Gründung von Stadtwerken kann große Einstiegsinvestitionen erfordern. Gerade für kleine Kommunen stellen die ein Hindernis dar, das sich zum Beispiel durch eine Kooperation mit Nachbargemeinden überwinden lässt. Und rechtlich wie technisch brauchen viele Gemeinden Beratung und geschultes Personal, über das sie oft einfach deshalb nicht mehr verfügen, weil sie den Betrieb auf falschen Rat hin oder vor dem Hintergrund knapper Kassen vor Jahren veräußert haben. HGO

Wir werden die knappe Zeit nutzen, um in möglichst vielen hessischen Kommunen die Diskussion um Re-Kommunalisierungen anzustoßen.

Es gibt zahlreiche Gemeinden im ganzen Land, die in die Auseinandersetzung mit den großen Versorgern gegangen sind und viel Positives über den Erfolg der Re-Kommunalisierung ihrer Versorgung zu berichten haben. Strom und Gas sind Teil der Daseinsvorsorge oder können dies zumindest sein, wenn der politische Wille da ist.

Meine Damen und Herren, wir haben gestern wieder lange diskutiert, dass Erneuerbare Energien Vorrang haben müssen. Das heißt auch, dass dezentrale Energiegewinnung Vorrang vor Großkraftwerken bekommen muss. Denn der Vorteil von Energie aus Sonne, Wind und Wasser ist, dass sie fast überall verfügbar ist. Damit vermeiden wir lange Transportwege, durch die viel Energie verloren geht. Außerdem werden die Kommunen unabhängig von den Energieriesen.

Stadtwerke können auf erneuerbare Energien setzen, weil sie langfristiger denken und planen können und nicht nur auf die Quartalszahlen achten müssen. Gebietskörperschaften haben ein ureigenes Interesse daran, dass ihre Umwelt und ihr Gebiet nicht belastet oder verschandelt werden. Kraftwärmekopplung und Biomasseverwertung sind für Kommunen gerade in ländlichen Gebieten eine Möglichkeit. In Hessen kommt vielerorts die Geothermie hinzu.

Eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien ist notwendig. Der Verband Kommunaler Unternehmen VKU weist darauf hin, dass seine Mitglieder in regenerative Energien investieren, Projekte im Umfang von 6,5 Milliarden Euro sind in Planung. Die Kommunalen sind die einzigen ernsthaften Konkurrenten und Alternativen zu den Monopolisten, die weiter auf Atom und Fossile setzen.

Diese Energiekonzerne müssen entmachtet werden, damit das Gemeinwohl im Vordergrund steht und nicht der Profit Weniger.

Roland Weiß, der Bürgermeister von Meckenbeuren, einer kleinen Gemeinde im Bodenseekreis, erklärte zur gemeinschaftlichen Gründung eines regionalen Energieversorgungsunternehmens: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist." In diesem Sinne wollen wir das Auslaufen der Konzessionsverträge nutzen, um eine Neuausrichtung der Energiepolitik zu diskutieren, hin zu einer Dezentralisierung von Erzeugung und Eigentum.