Operation "Keine Zukunft"

Rede von Janine Wissler zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend geplanter Kahlschlag im Bildungsbereich - Kürzungen bei Schulen und Hochschulen verhindern am 29. April 2010

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die Landesregierung will im Landeshaushalt 2011 700 Millionen Euro einsparen, vor allem bei den Kommunen und der Bildung. Der Operation Düstere Zukunft von 2003 folgt jetzt die Operation Keine Zukunft. Laut Landesregierung seien die Kürzungen im Bildungsbereich nötig aufgrund „unabwendbarer landeshaushalterischer Rahmenbedingungen“. Erklären Sie doch mal den Leidtragenden, warum um alles in der Welt Steuererleichterungen für Hoteliers unabwendbar waren?

Warum ist es unabwendbar, Reiche weiter zu entlasten? Meine Damen und Herren, jetzt wird deutlich, wo das Geld eingespart wird, das Ihre Parteifreunde in Berlin Hoteliers und reichen Erben in Form von Steuersenkungen in den Rachen geworfen haben. Die Zeche zahlen die Kommunen, die öffentlichen Schulen und Hochschulen, soziale Einrichtungen und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst.

Sparen Sie sich Ihre Krokodilstränen, solange Sie im Bundesrat die Hand heben, um die öffentlichen Kassen noch weiter zu leeren, damit Sie Ihre Klientel bedienen können. Was interessiert da noch der Koalitionsvertrag oder gar das Wahlprogramm, in dem seitenlang ausgeführt wurde, wie wichtig Bildung für die Zukunft unserer Kinder sei und dass Sie die Finanzmittel spürbar steigern werden.

Die Realität ist: minus 45 Millionen Euro im Bereich des Kultusministeriums, bei der Lernmittelfreiheit und den Vertretungslehrern, trotz aller Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden vom Bildungsland Nummer 1. Bereits jetzt liegt Hessen bei den Bildungsausgaben weit hinten im Vergleich zu anderen Bundesländern, Sie wollen die öffentlichen Schulen und Hochschulen weiter kaputtsparen. HochschulenDie Hochschulen sollen mehr als 30 Millionen Euro einsparen, so sieht es der neue Hochschulpakt vor und das nennen Sie dann ein „faires Angebot“ an die Hochschulen.

Frau Ministerin, Ihr Hochschulpakt ist kein Angebot, sondern eine Zumutung. Die Hochschulen sind schon heute chronisch unterfinanziert, überfüllte Hörsäle, schlecht ausgestattete Bibliotheken und zu wenig Personal, es fehlt an allen Ecken.
Und jetzt sollen die Hochschulen auf Basis sinkender Mittelzuweisungen noch zusätzliche Aufgaben erfüllen: die Zahl der Studienplätze erhöhen, neue Studiengänge einrichten, die Studienorientierung verbessern, die Abbrecherquoten senken und die Bologna-Reform fortsetzen. Und Sie haben die Hochschulen gegen deren Willen verpflichtet neue Auswahlverfahren einzuführen, wie Auswahlgespräche und Studierfähigkeitstests. Das alles ist derzeit schon nicht zu bewerkstelligen, geschweige denn mit drastisch gekürzten Mitteln.

Ab 2012 kommen zudem die sogenannten Doppeljahrgänge an die Hochschulen, wegen der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit, also durch G8. Die Studierendenzahlen werden stark ansteigen, das wissen Sie seit Jahren, unternommen haben Sie nichts. Und die Hochschulen müssen Ihre verfehlte Politik ausbaden. Sie verschlechtern die Lehr-, Lern- und Arbeitsbedingungen an den Hochschulen auf Kosten der Beschäftigten und Studierenden und gefährden damit die Qualität von Forschung und Lehre.

Dabei brauchen die Hochschulen eine bedarfsdeckende Finanzierung, die ihnen durch langfristige Planungssicherheit ermöglicht, ihre Aufgaben zu erfüllen und nicht Bildungspolitik nach Konjunktur- und Kassenlage. Frau Ministerin, zur Rechtfertigung Ihrer Kürzungspläne führen Sie die angeblich hohen Rücklagen der Hochschulen an. Dabei wissen Sie, dass die Hochschulen Rücklagen in sehr unterschiedlicher Höhe gebildet haben.

Über die Hälfte der insgesamt 212 Millionen Euro machen die Rücklagen von nur zwei Universitäten aus: der TU Darmstadt und der Stiftungsuni Frankfurt. Das sind zwei von zwölf Hochschulen.Gerade die Fachhochschulen haben wenig Mittel zurücklegen können. Vor allem aber haben die Hochschulen die Rücklagen nicht gebildet, um den Landeshaushalt zu entlasten, sondern für zukünftige Aufgaben. Sie vermitteln diesen Hochschulen, dass Sparen bestraft wird, wenn Sie wollen, dass die Hochschulen die Mindereinnahmen aus den Rücklagen finanzieren. Drittmittel aus der Wirtschaft können und dürfen diese Kürzungen nicht kompensieren. Hochschulfinanzierung ist eine staatliche Aufgabe und muss es auch bleiben.

Der Unmut an den Hochschulen ist zu recht groß. Bereits jetzt gibt es Mittelkürzungen und Haushaltssperren als Reaktion auf die Sparpläne. Der Hochschule Rheinmain droht die Streichung eines ihrer sechs Fachbereiche. Der Senat hat dem Präsidium deshalb empfohlen, den Hochschulpakt abzulehnen. Auch die Fachhochschule Frankfurt will die Unterschrift verweigern. Denn parallel zu den Einsparungen soll die FH Frankfurt die Zahl der Studenten in den kommenden Jahren um bis zu 30 Prozent zu erhöhen, das muss zwangsläufig zur massiven Verschlechterung der Ausbildungsqualität führen. Über 300 Marburger Professoren haben sich in einem Brief an die Landtagsabgeordneten gewandt. Die Kürzung bedeute eine „ernsthafte Gefährdung von Lehre und Forschung" schreiben sie.
Ähnliche Briefe gab es mittlerweile auch von anderen Hochschulen. Auch von den Asten kommt Kritik. Selbst die Vereinigung hessischer Unternehmerverbände kritisiert Ihre Pläne. Die Sparpläne würden zu einer Zweiklassengesellschaft führen, meint die VhU. Die Hochschulen könnten ihr Angebot nicht einfach zurückfahren und trotzdem mehr Studenten aufnehmen. Die Kürzungen würden „Magersucht und Hungertod bewirken".

Widerstand Hochschulen
Ich halte fest: Die Hochschulpräsidenten sind gegen Ihre Pläne, die Studierenden auch, die Gewerkschaften sind dagegen, ja sogar die Unternehmer sind dagegen. Frau Ministerin, das wird eine einsame Amtszeit. Jetzt wollen einige Hochschulen aus Sorge um die Qualität der Lehre den Hochschulpakt nicht unterzeichnen, und was macht die Ministerin? Sie erklärt: „Wer den Pakt nicht unterschreibt, für den gibt es bei der Höhe der Landesmittel in den nächsten Jahren auch keine Grenze nach unten.“ Das schlägt dem Fass den Boden aus. Auf die Sorgen der Hochschulen zu erwidern, wer nicht mitmache, der müsse mit noch Schlimmerem rechnen, das ist Politik nach Gutsherrenart. Von wegen Autonomie der Hochschulen: Sie diktieren den Hochschulen einen unzumutbaren Pakt, und wenn die so autonom sind, ihn abzulehnen, dann drohen Sie mit weiteren Verschlechterungen. Dabei ist die einzig verantwortungsvolle Reaktion der Hochschulen auf den geplanten Kahlschlag ein klares Nein und entschlossener Protest.
Für die Proteste machen Sie jetzt die Hochschulen verantwortlich, die hätten die geplanten Kürzungen nach innen nicht gut vermittelt. Wenn es Proteste gegen die Landesregierung gibt, sind alle daran schuld, nur die Landesregierung nicht, tolle Logik. Wir haben es aber nicht mit einem Vermittlungsproblem zu tun, sondern mit einer existenziellen Gefährdung von Forschung und Lehre in Hessen. Deshalb, Frau Ministerin, nehmen Sie die Hochschulen ernst, statt Drohungen auszusprechen.

Proteste
Die Marburger Universität ruft ihre Professoren, Mitarbeiter und 21.000 Studierende zu einem „Marsch auf Wiesbaden“ auf. Die Protestdemonstration ist für den 11. Mai geplant, an dem Tag soll der Hochschulpakt unterzeichnet werden. Siegfried Bien, Sprecher der liberal-konservativen Professorenliste, hofft, dass aus Marburg Tausende nach Wiesbaden reisen: Das sei keine Sache von ein paar Studenten, sagte der Medizinprofessor, der selbst noch nie demonstriert hat. Denn mit diesen Kürzungen habe die Uni praktisch keinen Spielraum mehr. Auch andere Hochschulen haben bereits angekündigt, sich am 11. Mai zu beteiligen.

Das können wir als LINKE nur unterstützen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir nicht nur eine Studierendenbewegung, sondern eine Hochschulbewegung erleben werden. Einen ersten Vorgeschmack auf die anstehenden Proteste gab es bereits. An mehreren Hochschulen fanden bereits Vollversammlungen, Sitzblockaden und Spontandemos statt. Auch die Ministerin hat das schon mitbekommen, in Marburg bei der feierlichen Einführung der neuen Uni-Präsidentin. Im Saal trugen viele Professoren Trauerkleidung anlässlich des Sparpaktes. Vor dem Saal demonstrierten 600 Studierende. Eine Delegation der Studierenden wurde mit Applaus empfangen – Sie nicht, Frau Ministerin.

Der Presse entnahm ich, dass Sie Ihre Rede nach nur einer Minute abgebrochen haben. Erst dachte ich, es wäre alles gesagt gewesen. Aber dann hörte ich, dass Sie wegen einiger protestierender Studierenden im Saal fluchtartig die Veranstaltung verlassen hätten. In der Tat: Ein freundlicher Empfang sieht wohl anders aus, aber Grund zur Flucht bestand objektiv wohl nicht. Die Unileitung sprach von einer Überreaktion. Und immerhin ging die Veranstaltung ja bis zum Schluss weiter – ohne Sie.

Die Frankfurter Rundschau schreibt – und bitte laufen Sie jetzt nicht gleich wieder weg: „Von einem Podium zu flüchten, weil es laut wird, zeugt […] von erstaunlicher Mimosenhaftigkeit. … Wer austeilt, muss einstecken können. Und wer eine Debatte lostritt, muss sie zu Ende führen.“Frau Ministerin, wer nicht hören will, muss gehen. Denken Sie an das Schicksal Ihres Vorgängers, Herr Corts hat gegen alle Mahnungen die Studiengebühren eingeführt und musste deshalb seinen Hut nehmen. „Haben ihn die Studenten geschafft?“ fragte die BILD-Zeitung damals.

Für Hessens Studenten war er der meist gehasste Mann. Frau Ministerin, auch Sie haben die Studierenden offensichtlich im Sturm für sich erobert, wenn Sie sich schon jetzt nicht mehr ohne Bodyguards an eine hessische Hochschule trauen. Ich komme zum Schluss, wir brauchen eine Aufstockung der Mittel für öffentliche Schulen und Hochschulen. Deshalb muss sich auch die Klientel der FDP an der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben beteiligen und kann sich nicht in elitäre Parallelgesellschaften zurückziehen. In Hessen gilt: Wer hat, dem wird gegeben, das Land unterstützt die private European Business School mit über 30 Millionen Euro Steuergeld.

Das entspricht der Summe, die an den staatlichen Hochschulen jährlich eingespart werden soll. Die Stadt Wiesbaden legt noch einmal zehn Millionen Euro drauf für eine Hochschule, an der Studenten 12.000 Euro Studiengebühren im Jahr bezahlen müssen.Gleichzeitig verrotten die öffentlichen Schulen. Erst kürzlich musste die Wiesbadener Schuldezernentin wegen Geldmangels laufende Arbeiten an Neubauten stoppen.

Nun wurden allen Schulen die Budgets gekürzt, so dass einige bald nicht mal mehr wissen, wie sie das Toilettenpapier bezahlen sollen, geschweige denn den neuen Kopierer.Mehr Geld für Bildung, das ist auch eine Forderung des Bildungsstreiks am 9. Juni, der angesichts der Zustände im Bildungssystem mehr als berechtigt ist.

Video:
Janine Wissler (Linke): "Operation Keine Zukunft"