Rede zu Leih- und Zeitarbeit in Hessen

Herr/ Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,

wir begrüßen, dass das Thema Leih- und Zeitarbeit heute auf der Tagesordnung steht.

Denn gerade macht der Fall Schlecker bundesweit Schlagzeilen. Schlecker entlässt tausende Mitarbeiterinnen, um sie in neuen XL-Filialen als Leiharbeiterinnen wieder einzustellen, befristet und zu Niedrigstlöhnen. Statt zuvor 12,50 Euro erhalten sie jetzt einen Brutto-Stundenlohn von 6,61 bis 7,35 Euro. Davon kann man nicht leben, die Beschäftigten werden zu Aufstockern. Schlecker bereichert sich also auf Kosten der Allgemeinheit.

Erst ein öffentlicher Proteststurm hat dazu geführt, dass Schlecker zumindest keine neuen Verträge mit der betreffenden Leiharbeitsfirma abschließen will. Wir wünschen den Betriebsräten und Mitarbeiterinnen viel Kraft und Durchhaltevermögen, um gegen diese skandalösen Zustände bei Schlecker anzukämpfen.
Völlig zu Recht fordert die Gewerkschaft Verdi jetzt eine generelle Überprüfung der Regeln für Leiharbeit. Das unterstützen wir als LINKE ausdrücklich.

Denn Schlecker ist kein Einzelfall, in anderen Branchen gibt es ähnliche Vorgänge. Unternehmen gründen eigene Leiharbeitsfirmen und ersetzen einen Teil der Belegschaft durch Leiharbeiter. Diese Leiharbeiter sind oft die ehemaligen regulären Beschäftigten, die nun auf Gehalt, betriebliche Altersversorgung, Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten müssen. So werden Tarifverträge unterlaufen und Lohndumping betrieben.

Denn die Löhne in der Zeitarbeitsbranche liegen bei durchschnittlich 7 Euro pro Stunde.
Aber prekäre Beschäftigung macht sich nicht nur an der Lohnhöhe fest. Zeit- und Leiharbeiter genießen noch weniger Kündigungsschutz und Arbeitsplatzsicherheit als die Beschäftigten in anderen Branchen. Dazu kommt die fehlende Möglichkeit der betrieblichen Interessenvertretung durch Gewerkschaften und Betriebsräte. Leiharbeiter sind gegenüber den Beschäftigten in den weniger werdenden „Normalarbeitsverhältnissen“ drastisch benachteiligt. Sie werden oft wie „Tagelöhner“ und Arbeitnehmer zweiter Klasse behandelt. Und dabei geht es in der Mehrzahl um Menschen, die eine Ausbildung und in vielen Fällen Berufserfahrung vorweisen.

Besonders betroffen sind aber auch junge Menschen und Berufseinsteiger. Gleichzeitig lamentieren Regierungen, dass junge Menschen immer weniger Kinder bekommen und keine Familie gründen. Ja, wie denn, wenn man von seiner Arbeit schon alleine nicht leben kann? Wenn man nicht weiß, in welche Stadt man in der nächsten Woche verliehen wird oder ob man morgen noch einen Job hat? Leiharbeiter sein, heißt ständig auf Abruf zu leben, ohne feste Arbeitszeiten und ohne verlässliche Lebensperspektive. Da wäre es doch geradezu verantwortungslos, eine Familie zu gründen.

Jedem, der immer noch glaubt, die Agenda 2010 sei eine Erfolgsgeschichte, möchte ich ein Buch empfehlen: „Deutschland Dritter Klasse – Leben in der Unterschicht“. Die Autoren schildern das Leben von Menschen, die im reichen Deutschland in Armut leben.

Einer von ihnen ist Volker Hoppe. Er ist seit fünf Jahren arbeitslos und hat gerade seine 560. Bewerbung abgeschickt. Mit der Arbeitslosigkeit ist er von der Mittelschicht in Hartz IV abgerutscht, Altersversorgung, Eigenheim, Freundeskreis und soziales Umfeld, alles bröckelt nach und nach weg.

In fünf Jahren fand er einen einzigen Job:
„Er unterschrieb einen Vertrag bei einer Leiharbeitsfirma, die ihn in die Verwaltung eines Großunternehmens schickte. „Ich hab da zwar nur neun Euro brutto die Stunde bekommen, halb so viel wie meine Kollegen. Aber ich war trotzdem begeistert. Ich hab mich reingehängt. Überstunden gemacht, mich von der allerbesten Seite gezeigt. Mein Vorgesetzter war zufrieden mit mir, […]. Die Leute bei der Leiharbeitsfirma waren zufrieden.“ Alle hätten ihm signalisiert, dass er bald auf eine feste, regulär bezahlte Stelle übernommen werden könnte. „Dann, nach fast drei Monaten, an einem Freitagmittag, hat mich der Chef zu sich geholt“, […] „Sie brauchen am Montag nicht mehr zu kommen, wir benötigen Sie nicht mehr“, […]. „Es war wie ein Schlag in den Magen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass sie mich übernehmen wollen.“ Er habe sich dann umgehört, mit vielen Kollegen gesprochen und erfahren, dass das immer so laufe. „Die bestellen immer Leiharbeiter für zwei, drei Monate, melden sie dann wieder ab, und dann kommt der nächste. Und ich hatte wirklich geglaubt, dass ich mich nur bewähren muss und dann eine echte Chance habe.“ Am Montag sei er gleich zu der Leiharbeitsfirma gegangen, […]. Schließlich hatte er dort einen unbefristeten Vertrag unterschrieben. „Die haben mir aber sofort gekündigt. In dem Vertrag war eine Klausel, die besagt, dass die mich nur beschäftigen, solange das große Unternehmen mich anfragt.“

So sehen also die Erfahrungen eines Betroffenen aus, damit auch ein Leiharbeiter in dieser Debatte zu Wort kommt.
Und so viel zu dem viel beschworenen „Klebeeffekt“, wonach Menschen durch die Leiharbeit irgendwann in einem Betrieb bleiben und eine reguläre Beschäftigung finden.

Die Leiharbeit erfüllt einen Zweck für Unternehmen, wie ein Firmenchef das einige Seiten weiter sehr offen ausspricht:
„Erst mal können wir die Leiharbeiter testen, und zwar monatelang. Wer uns nicht gefällt, den können wir zurückgeben. Und wenn mal einer krank wird, Urlaub hat oder sonst wie ausfällt, brauchen wir ihn nicht zu bezahlen. Ist natürlich ein schöner Vorteil unsererseits.“
Warum also sollten Leiharbeiter in reguläre Beschäftigung übernommen werden, wenn man doch gerade einen Teil der Stammbelegschaft in die Leiharbeit ausgegliedert hat, um diese Vorteile zu haben?
Der einzige Klebeeffekt, der sich einstellt, ist der Profit, der bei den Zeitarbeitsfirmen kleben bleibt.

Und wie die Landesregierung in ihrer Antwort richtig schreibt, sind es die Leiharbeiter, die im Zuge der Krise als erste gefeuert wurden. So erklärt sich der statistische Rückgang der Leiharbeit in den vergangenen Monaten. Jahrelang wurde vom „atmenden Arbeitsmarkt“ gesprochen, in der Krise hat sich gezeigt, wie das tiefe Ausschnaufen eines deregulierten Arbeitsmarktes tausenden Menschen die Existenzen raubt.
Auch wenn die Leiharbeit in Hessen „nur“ knapp 2 Prozent der Erwerbstätigen betrifft, sind das über 60.000 Betroffene mit Angehörigen und Familien. Jeder Achte von ihnen ist zusätzlich auf Leistungen des Arbeitslosengeldes II angewiesen.
Die Arbeitsagenturen vermitteln 60 Prozent ihrer so genannten Kunden in Zeitarbeit. Das ist für viele, die im Zuge von Restrukturierungen, Standortverlagerungen und der Wirtschaftskrise ihre Stelle verlieren, die einzige Alternative zu Ein-Euro-Jobs. Sozial ist aber eben nicht, was Arbeit schafft.

Und wenn SPD und Grüne jetzt über die Auswüchse von Leiharbeit und Niedriglöhnen klagen, dann möchte ich Sie daran erinnern, dass es eine rot-grüne Regierung war, die die „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ zu verantworten hat. Dieses Gesetzpaket, besser bekannt als Hartz- Gesetze, ist Grundlage der Ausbreitung der Leih- und Zeitarbeit in Deutschland.
Die Landesregierung weist in ihrer Antwort darauf hin, dass die Arbeitnehmerüberlassung in den 50er und 60er Jahren in Deutschland mit unerlaubter Arbeitsvermittlung gleichgesetzt wurde und deshalb verboten war. Seit Beginn der 70er Jahre wurden die Regeln zur Leiharbeit schrittweise gelockert. Gänzlich wurden die Schleusen ab 2003 geöffnet.
Das heißt, jede wichtige Ausweitung der Leiharbeit fand unter sozialdemokratischen Regierungen statt.
Das Resultat dieser Politik fasst der DGB so zusammen: „Zeitarbeit wird in Deutschland systematisch zum Lohndumping missbraucht.“
Bei der Debatte zu Hartz I im Bundestag verwies der damalige SPD-Wirtschaftsminister Clement, der heute auf keiner Veranstaltung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft fehlen darf, darauf, dass sich im Kern, nämlich bei der Abschaffung von Arbeitnehmerschutzrechten, alle damals im Bundestag vertretenen Fraktionen einig seien. Der Ausbau des Niedriglohnsektors war eines der zentralen Anliegen der rot-grünen Bundesregierung, um zu neuem Schwung in den vermeintlich verkrusteten Strukturen am Arbeitsmarkt zu kommen. Um den „Reformstau“ aufzulösen, wie es damals hieß. Wie passend, dass Clement nach dem Ausscheiden aus der Regierung einen hoch dotierten Posten bei einer Zeitarbeitsfirma angenommen hat. Dort will er sich dafür einsetzen, dass die Zeitarbeit „aus der Schmuddelecke“ herausgeholt wird.

„In der Opposition will sich die SPD für die Regulierung der Leiharbeit einsetzen“, schrieb die Berliner Morgenpost vorige Woche. In der Regierung hat die SPD über zehn Jahre lang an der Deregulierung der Leiharbeit gearbeitet. Ausgerechnet im Jahr 2010 kommt die strategische 180-Gad-Wende der SPD. Wird das die neue Agenda 2010? In der Opposition will sich die SPD nun also für die Lösung von Problemen einsetzen, die sie selbst geschaffen hat, um den Menschen zu helfen, denen sie durch ihre Gesetze den Weg in den Abgrund gebahnt hat.

Leih- und Zeitarbeit bedeuten für die Betroffenen erhebliche Belastungen, Nachteile und einen Verlust von sozialen Rechten und Sicherheiten.
Die großen Gewinner sind die Verleihunternehmen, mittlerweile 7.000 in Deutschland, die sich an der Ausbeutung der Betroffenen jährlich Gewinne in Milliardenhöhe sichern, und Betriebe, die Tarifverträge unterlaufen und ihre eigenen Belegschaften unter Druck setzen wollen.
Dabei ist der Kündigungsschutz in Deutschland – auch das ist ein Erbe von Rot-Grün - so weit aufgeweicht, dass eigentlich kein Unternehmen mehr fürchten muss, Beschäftigte halten zu müssen, die man loswerden will. Leiharbeit schafft betriebsratsfreie Zonen und soll die Belegschaften spalten und disziplinieren. Leiharbeit wird nicht zu Unrecht oft als moderner Sklavenhandel bezeichnet, sie muss wieder gesetzlich verboten werden.

Um die Situation der Leiharbeiter und der fest Angestellten zu verbessern, müssten Sofortmaßnahmen umgesetzt werden, wie:
  1. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter müssen ab dem ersten Einsatztag den gleichen Lohn erhalten, ohne dass ein Tarifvertrag schlechtere Bedingungen vorsehen darf. Durch eine zusätzliche Flexibilitätsvergütung, wie sie zum Beispiel in Frankreich in Höhe von 10 Prozent des Lohnes gezahlt wird, wollen wir Leiharbeit zurückdrängen.
  2. Begrenzung der Überlassungshöchstdauer: Die Dauer, für die Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen an ein und dasselbe Unternehmen verliehen werden können, darf drei Monate nicht überschreiten.
  3. Ausweitung der Mitbestimmung auf die Leiharbeit.
  4. Verbot von Leiharbeit in bestreikten Betrieben: Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen dürfen nicht als Streikbrecher missbraucht werden.
  5. Verbot der Synchronisation von Arbeitsverträgen und Ausleihzeiten: Leiharbeiter dürfen von den Leiharbeitsfirmen nicht nur für die Dauer ihres Verleihs an ein bestimmtes Unternehmen beschäftigt werden.


Die LINKE hat übrigens all diese Vorschläge im Deutschen Bundestag zur Abstimmung gestellt. Alle anderen Fraktionen haben sie abgelehnt. Die Leidtragenden sind die Menschen, die dringend nach Arbeitsplätzen suchen, die ihnen ein Leben in Würde ermöglichen.