Redebeitrag zur Mahnwache gegen Naziterror am 29.11.2011 in Frankfurt
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir sind heute hier, weil wir bestürzt sind über die von Neonazis verübte Mordserie. Wir wollen Solidarität und Mitgefühl zeigen mit den Familien der Ermordeten.
Die Familien haben nicht nur den Verlust eines geliebten Menschen erlebt, sie mussten ertragen, dass die Opfer jahrelang seitens der Ermittlungsbehörden fälschlich verdächtigt und diffamiert wurden, statt dass die Behörden den Hinweisen auf ein rassistisches Motiv nachgingen.
Allein die Bezeichnung „Döner-Morde“, die bis vor wenigen Wochen durch die Presse geisterte, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und verschleiert völlig, was hier passiert ist.
Wir sollten heute ein klares Zeichen setzen: Frankfurt ist eine weltoffene Stadt. Frankfurt hat Platz für 180 Nationalitäten, aber Frankfurt hat keinen Raum für Nazis.
Wir sind bestürzt und wir sind wütend. Wütend, weil diese Morde keine Einzelfälle sind, sondern vielmehr die Spitze eines Eisberges. Seit der Wiedervereinigung sind mindestens 182 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen.
Es ist noch kein halbes Jahr her, da tötete ein Rechtsradikaler in Oslo und Utoya fast 80 Menschen, weil er sich in einem Feldzug gegen den Kommunismus und den Islam wähnte. Auch da wurde gesagt, er sei nicht vernetzt und ein Einzeltäter.
Wir müssen aber den gesellschaftlichen Kontext betrachten, in dem derartige Taten passieren. Derzeit erleben wir in vielen europäischen Ländern Europas eine Rechtsentwicklung: ob in Skandinavien, Ungarn, Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden. In vielen Ländern Europas erleben rechtsradikale Parteien Wahlerfolge.
Gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise versuchen Nazis an der Verunsicherung vieler Menschen anzuknüpfen. Sie verbinden ihre pseudo-antikapitalistischen Antworten mit rassistischen Kampagnen. Das haben wir in Mecklenburg-Vorpommern jüngst gesehen, wo die NPD wieder in den Landtag eingezogen ist.
Deshalb müssen wir eine gesellschaftliche Stimmung bekämpfen, in der Migranten zu Sündenböcken erklärt und diffamiert werden. Es ist noch nicht lange her, da stand in Deutschland das Buch „Deutschland schafft sich ab“ auf Platz 1 der Bestsellerliste und überall wurden die rassistischen Thesen von Sarrazin diskutiert. Es wurden Stimmungen gegen Migranten und insbesondere gegen Muslime geschürt, die unter Generalverdacht gestellt und beleidigt wurden. Wer rechte Gewalt wirksam bekämpfen will, muss jeder Form des Rassismus den Kampf ansagen.
Nazi-Strukturen sind kein ostdeutsches Problem, wie gerne behauptet wird. Auch in Hessen gibt es verfestigte Nazi-Strukturen, es gab Übergriffe und Brandanschläge. Deshalb muss endlich Schluss sein mit der Verharmlosung seitens der Landesregierung, die stattdessen den vermeintlichen Linksextremismus und den Islamismus als Gefahr darstellt.
Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass der sogenannte Verfassungsschutz nicht Teil der Lösung, sondern vielmehr Teil des Problems ist. Wir fordern endlich Aufklärung über die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die rechte Szene. Diese Aufklärung muss öffentlich geschehen und nicht hinter verschlossenen Türen in geheim tagenden parlamentarischen Kontrollkommissionen. Die Antwort auf den Nazi-Terror darf nicht lauten, dass mehr „Verfassungsschutz“ und mehr Überwachung nötig sind.
Vielmehr ist es notwendig, alle V-Leute aus der NPD abzuziehen und endlich ein neues Verbotsverfahren einzuleiten. Es ist doch eine Schande, wenn eine Partei wie die NPD auch noch aus Steuergeldern finanziert wird.
Ja, ein NPD-Verbot ist nötig, aber das alleine wird das Problem nicht lösen. Wir können die Nazis nur schwächen, wenn wir ihnen eine gesellschaftliche Mobilisierung entgegensetzen, wenn wir uns den Nazis überall entgegenstellen, wo sie aufmarschieren, denn wo wir sind, kann kein Nazi sein.
Statt den Kampf gegen Rassismus und Faschismus zu stärken, kürzt die Bundesfamilienministerin bei den Mitteln und erschwert den Initiativen gegen Rechts durch die unsägliche Extremismusklausel die Arbeit.
Menschen, die sich an Anti-Nazi-Protesten beteiligen, werden kriminalisiert. Das erlebe ich selbst gerade. Die sächsische Justiz hat beim Hessischen Landtag beantragt die Immunität von Willi van Ooyen und mir, als Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Hessischen Landtag, aufzuheben. Gleiches gilt für den thüringischen und den sächsischen Fraktionsvorsitzenden der LINKEN. Wir sollen angeklagt werden, weil wir letztes Jahr gemeinsam mit über 10.000 Menschen in Dresden den größten Nazi-Aufmarsch Europas erfolgreich blockiert haben.
Die Ermittlungen führt im LKA Sachsen übrigens die Abteilung „Politisch motivierte Kriminalität links - Verratsdelikte und Kriegsverbrechen“.
Dabei sollte man denken, dass die sächsische Justiz angesichts der Zwickauer Terrorzelle anderes zu tun haben sollte, als Menschen wegen einer friedlichen Anti-Nazi-Blockade strafrechtlich zu verfolgen. Dieser Kriminalisierung von Anti-Nazi-Protesten müssen wir gemeinsam entgegentreten.
Wir werden auch im nächsten Jahr wieder nach Dresden fahren und uns an der Blockade gegen die Nazis beteiligen, ob mit oder ohne Immunität. Ich hoffe, dass gerade angesichts der aktuellen Geschehnisse diesmal noch viel mehr Menschen in Dresden zusammenkommen als in den letzten Jahren, die deutlich machen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.