Rede zum Einzelplan des Wissenschaftsministeriums im Landeshaushalt 2012

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Die Zeitungen in den letzten Wochen waren voll mit Schlagzeilen wie „überfüllte Hörsäle“, „Hochschulen platzen aus allen Nähten“ und „Studieren auf Bierbänken und im Kinosaal“.

Meine Damen und Herren, dieser Ansturm auf die Hochschulen, diese Entwicklung ist nicht wie ein Naturereignis gekommen, sondern sie ist lange vorausgesagt worden, und ihr Höhepunkt ist noch nicht erreicht. In Hessen werden ab dem nächsten Jahr die doppelten Abiturjahrgänge durch die Umstellung auf G 8 an die Hochschulen kommen. Das Problem ist, dass die Landesregierung natürlich alle diese Probleme kannte und dennoch die Hochschulen sehenden Auges in diese Lage hineingesteuert hat.

Mittlerweile gibt es in der Bundesrepublik insgesamt etwa 2,2 Millionen Studierende. Experten haben aber berechnet, dass nur für die Hälfte davon die Studienplätze voll ausfinanziert sind. Alles andere ist Überlast. Alles andere ist Notversorgung. Das ist genau das, was die hessischen Hochschulpräsidenten beklagen, dass ein großer Teil der Studierenden an ihren Hochschulen überhaupt nicht finanziert wird.

Auch in Hessen haben wir drastische Zustände. Allein an den fünf Universitäten studieren derzeit 140.000 Studierende. Allein in Frankfurt sind es 41.000. Schaut man dann einmal in den Einzelplan 15 dieses Haushalts, so braucht man nur Seite 818 für die Frankfurter Universität aufzublättern. Dort findet man als sogenannte Leistungszahl für Lehre und Forschung im kommenden Jahr die Zahl 23.308. Dass das nicht nur ein bisschen mit der realen Studierendenzahl differiert, dafür braucht man keine großen Berechnungen anzustellen. Das ist offensichtlich.

Aber diese Leistungszahlen bilden die Grundlage für das Budget, und das hat mit der Wirklichkeit gerade einmal die Hälfte zu tun.

Dasselbe könnte man für alle anderen Hochschulen des Landes nachschlagen. Das Bild ist immer das gleiche: Der wirklichen Zahl der Studierenden stehen nicht die erforderlichen Mittel gegenüber. Das sind die unbestreitbaren Fakten.

Stattdessen hören wir von der Ministerin, aber auch von den Rednern von CDU und FDP, dass die Hochschulen so gut aufgestellt seien wie nie usw. usf.

Herr Büger, wenn Sie sich immer wieder hinstellen und von dem hohen Budget für die Hochschulen sprechen, dann habe ich Ihnen an der Stelle schon einige Male gesagt, dass niemand bestreitet, dass das Budget für die Hochschulen höher ist, als es vor vielen Jahren war.

(Dr. Matthias Büger (FDP): Als es jemals war!)

– Von mir aus auch „als es jemals war“. – Entscheidend ist aber nicht die absolute Zahl, sondern Sie müssen das Budget herunterrechnen, Sie müssen es inflationsbereinigt betrachten, und vor allem müssen Sie sich die Mittel pro Studierendem anschauen. Dann werden Sie sehen, das Budget ist eben nicht gestiegen, weil die Zahl der Studierenden ganz erheblich gestiegen ist. Wir haben ein Rekordniveau an Studierenden, an Erstsemestern. Wenn man dann die Mittel pro Studierendem herunterrechnet, dann dürfen Sie die Backen nicht ganz so dick aufblasen, Herr Büger, denn dann sieht Ihre Regierung nicht besonders gut aus. Dann zeigt sich nämlich, dass die Mittel pro Studierendem eben nicht auf einem hohen Niveau sind, sondern dass die Studienplätze völlig unterfinanziert sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Es reicht nicht, die Zahlen schönzurechnen, sondern man muss sich die realen Zustände an den Hochschulen einmal anschauen, Herr Büger. Es ist so, dass Studierende das ganze Semester lang keinen Sitzplatz bekommen und dass auch in den frühesten Morgenstunden und in den spätesten Abendstunden Vorlesungen gehalten werden, damit man den Bedarf überhaupt decken kann. Das sind ganz, ganz schwierige Zustände an den Hochschulen.

Zum Hochschulbau will ich nur sagen: Da ist Geld hineingesteckt worden. Auch das bezweifelt niemand. Aber man muss natürlich auch sehen, dass hier ein ganz enormer Nachholbedarf bestand.

(Dr. Matthias Büger (FDP): Richtig! Wer hat denn davor regiert?)

– Wir nicht. – Da gab es einen unglaublich hohen Sanierungsbedarf. Das zeigt doch, was passiert, wenn man die öffentlichen Investitionen wegen der Schuldenbremse oder warum auch immer herunterfährt. Dann verschiebt man letztlich die Investitionen einfach in die Zukunft. Irgendwann muss man ja doch investieren. Wenn man über Jahre hinweg nicht saniert, keine neuen Gebäude baut – das gilt nicht nur für die Hochschulen, sondern das gilt generell für die öffentliche Verwaltung –, dann stauen sich die notwendigen Investitionen auf. Irgendwann muss man sie aber dann doch tätigen.

Ich will ausdrücklich anerkennen, dass die Hochschulen versuchen, das Beste aus der Situation herauszuholen. Das forschende und das lehrende Personal zeigt einen sehr großen Einsatz. Ich finde, das verdient den Respekt dieses Landtags. Die Situation ist aber nun wirklich nicht zu bejubeln. Ganz im Gegenteil, die Arbeitsbedingungen sind absolut prekär, insbesondere im universitären Mittelbau. Dort gibt es fast nur noch befristete Verträge. Überstunden sind die Regel. Das ist wirklich eine Situation, die so überhaupt nicht hinnehmbar ist.

Anstatt die Hochschulen finanziell vernünftig auszustatten, hat die Landesregierung im Rahmen des Hochschulpakts die Mittel um 30 Millionen € gekürzt, obwohl eher eine Aufstockung der Mittel als ihre Kürzung angebracht war. Wenn den Hochschulen jetzt aufgrund der wachsenden Steuereinnahmen die versprochenen 20 Millionen € zurückgegeben werden, dann ist das eben kein Mehr, das die Hochschulen bekommen, sondern allenfalls eine Minderung der Kürzung. Es ist aber nicht so, dass die Hochschulen in irgendeiner Form mehr Geld bekommen würden, sondern es bleibt bei einer Kürzung der Mittel; sie fällt nur nicht so stark aus.

Dass diese Kürzung nicht nur bei den Studierenden, sondern auch bei den Hochschulpräsidenten auf enormen Widerstand gestoßen ist, dass die Ministerin einen ganz eigenen Umgang, auch mit den Hochschulpräsidentinnen und -präsidenten pflegt, will ich jetzt nicht vertiefen. Ich finde aber die Art und Weise nicht angebracht, wie die Ministerin mit den Hochschulen umgeht.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Sie ziehen sich auf die vage Hoffnung zurück, dass sich der gegenwärtige Anstieg der Zahl der Studierenden einfach wieder von selber erledigt, weil dann die geburtenschwachen Jahrgänge kommen. Man hat schon früher gedacht, dass man einen solchen Studentenberg einfach „untertunneln“ kann, ihn einfach aussitzen kann. Ich will zuerst sagen, dass es ein bisschen schwierig ist, den Studierenden, die von den miserablen Zuständen betroffen sind, zu sagen: „Ihr habt leider gelitten, ihr gehört leider zu dem Studentenberg, deshalb habt ihr jetzt schlechte Bedingungen.“

Zweitens glaube ich nicht, dass sich dieser Studentenberg einfach „untertunneln“ lässt, weil die Studierwilligkeit weiter steigen wird. Es ist ja eigentlich das Ziel, dass man – auch im internationalen Vergleich – eine höhere Studierendenquote hat. Deswegen müsste man gerade diese Situation doch nutzen, mehr Geld in die Hochschulen zu stecken, mehr Lehrende einzustellen, bessere Bedingungen zu schaffen, damit wir auch dann, wenn die geburtenschwächeren Jahrgänge kommen, langfristig eine höhere Studierendenquote erreichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen eine verbesserte finanzielle Lage an den Unis. Was wir nicht brauchen, Frau Ministerin, sind Werbetafeln und Hochglanz-Flyer für 500.000 €, mit denen Sie das LOEWE-Programm bewerben, dessen Mittel ohnehin ausgeschöpft sind und das inzwischen jedem bekann ist. Das ist wieder nur eine Kampagne zur Selbstdarstellung der Landesregierung. Das brauchen die Hochschulen sicher nicht. Dieses Geld könnten sie anderswo sehr viel besser einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Sorge hat es schon angesprochen: Die Wohnungsnot der Studierenden hat dramatische Ausmaße angenommen. Die jüngste Hausbesetzung in Frankfurt ist dafür ein Ausdruck. Das Land muss ein Programm zum Bau von Studentenwohnheimen auflegen. Es besteht ein außerordentlich hoher Bedarf an Wohnraum. Sie müssen jetzt aber auch den Immobilienbestand überprüfen. Wo gibt es Leerstände, die kurzfristig bereitgestellt werden können, um die Situation zu entschärfen? Auf der anderen Seite dürfen Studierende, die mit friedlichen Aktionen auf diese Misere aufmerksam machen und leer stehende Gebäude in einer friedlichen Aktion besetzen, aber nicht kriminalisiert werden, Frau Ministerin.

(Dr. Matthias Büger (FDP): Das ist aber doch Rechtsbeugung!)

Deren Anliegen muss ernst genommen werden, und es muss eine Lösung für das Problem gefunden werden. Daher darf man nicht mit Anzeigen und Strafverfolgung darauf reagieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Der letzte Punkt, auf den ich kurz eingehen möchte: Hand in Hand mit der Mittelkürzung für die öffentlichen Hochschulen geht bei Ihnen die Bereitstellung von Millionen Euro für den Aufbau einer Law School an der privaten European Business School. Da kostet ein Studienjahr bekanntermaßen 12.000 €. Die Investitionen zahlen die Steuerzahler, deren Kinder mehrheitlich nicht die Chance haben, die European Business School zu besuchen. Im Moment ist es die exklusive Zahl von 88 Studierenden, die dort mit dem Studium begonnen haben. Wie dort mit öffentlichen Geldern umgegangen worden ist, wissen wir. Wir sind der Meinung – unserem Antrag haben leider alle anderen Fraktionen nicht zugestimmt –, man muss die Förderung der EBS sofort einstellen. Das Geld muss an die öffentlichen Hochschulen und darf nicht an private Eliteschulen fließen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie betrachten die Hochschulpolitik immer weniger als öffentliche Aufgabe. Grundlegende Weichenstellungen werden nicht mehr vom Ministerium vorgenommen, sondern gleich von einer Wirtschaftsberatung. Auch das halten wir für nicht hinnehmbar. Wir begrüßen die für morgen angekündigte Aktion der Studierenden unter der Losung „Occupy education“, weil wir denken, eine breite Mobilisierung des Protestes ist immer noch das beste Mittel, um auf Missstände aufmerksam zu machen und um Verbesserungen im Bildungssystem zu erreichen.

(Beifall bei der LINKEN)