Rede zum Einzelplan des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums im Haushalt 2012

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Bevor ich auf die Einzelheiten des Haushaltsplans des hessischen Wirtschaftsministeriums eingehe, möchte ich ein paar Bemerkungen zur wirtschaftlichen Lage Hessens machen. Die wurde während der Debatte hier vielfach bejubelt.

Im letzten Jahr schien es so, als wäre die schwerste Wirtschaftskrise seit den Dreißigerjahren fast überwunden. Heute aber warnen Ökonomen – ich denke, das sollte man nicht ignorieren – allen triumphalen Reden zum Trotz bereits vor dem nächsten Einbruch.

Ein Grund dafür ist – darauf hat Minister Posch in seiner Regierungserklärung im Februar dieses Jahres bereits hingewiesen –: Dieses Wachstum müssen wir importieren. Sie setzen einseitig auf eine Exportorientierung und vernachlässigen die Binnennachfrage.

Die Exporte aber gehen zurück. Schauen wir uns die Zahlen des Statistischen Landesamtes einmal an. Im September lagen die Auslandsbestellungen bereits um 0,5 % unter dem Wert vom September 2010. Noch im Sommer hieß es, der Aufschwung werde sich gegenüber dem Vorjahr leicht abkühlen – von 3,2 % fürs ganze Jahr war zu hören. Die Zahlen, die mittlerweile vorliegen, sprechen eine deutlich andere Sprache. Für das zweite Quartal wuchs die Wirtschaft um 0,1 %, im dritten womöglich um 0,4 %.

Das wirkt sich natürlich auch auf die hessische Konjunktur aus. Ich darf das Statistische Landesamt zitieren:

Der zuletzt deutliche Beschäftigungsanstieg der Industrie verstärkte sich im zweiten Quartal weiter, ohne allerdings die Einbußen aus der Krise wettmachen zu können.

Das heißt, noch immer haben wir nicht das Vorkrisenniveau erreicht.

Bei den Beschäftigten kommen die Wohlstandszuwächse, die wir derzeit haben, eigentlich überhaupt nicht mehr an. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in diesen Tagen eine ausführliche Untersuchung zur Stagnation der Lohneinkommen herausgegeben. Darin heißt es: „Betroffen waren nicht nur einzelne Gruppen von Arbeitnehmern, vielmehr war die Lohnentwicklung übergreifend schwach.“

Meine Damen und Herren, Sie wissen das: Mittlerweile arbeiten 23 % der Beschäftigten in Hessen zu Niedriglöhnen. Vier von fünf Jobs, die neu geschaffen werden, sind befristet oder in der Leiharbeit. Auch das ist ein Ergebnis Ihrer, wie Sie sagen – Herr Lenders oder Herr Arnold –, „ausgezeichneten Wirtschaftspolitik“. Wir als LINKE haben einen Gesetzentwurf zum Vergabegesetz in den Landtag eingebracht, weil wir gesagt haben: Wir brauchen ein Vergabegesetz für öffentliche Aufträge – damit die öffentliche Hand nicht auch noch Unternehmen dafür belohnt, wenn sie Dumpinglöhne bezahlen und Umweltstandards missachten. Wir wollen, dass Aufträge aus Steuergeldern nur an solche Unternehmen vergeben werden, wenn diese Mindeststandards einhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das haben Sie leider abgelehnt. Wir warten darauf, dass Sie ein Vergabegesetz vorlegen, das diese Regelungen beinhaltet.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das werden wir auch weiterhin ablehnen!)

– Ja, Sie werden das weiterhin ablehnen, weil Sie völlig beratungsresistent und an diesem Punkt ziemlich ideologisch verbohrt sind.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Weil Sie die Reichen noch reicher machen wollen! Das verstehen wir! – Gegenruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Ich will auf eine weitere bemerkenswerte Zahl hinweisen. Im zweiten Quartal nämlich hat die Zahl der Verbraucherinsolvenzen in Hessen fast den historischen Höchststand vom vierten Quartal 2010 erreicht. Derweil aber – ich finde, das kann man nicht ganz auslassen, wenn man über Wirtschaftspolitik in Hessen redet – drohen uns auf der europäischen Ebene große neue Risiken, weil die schwarz-gelbe Bundesregierung durch die internationale Krise laviert wie durch eine Geisterbahn: Ständig erschrickt sie vor Ereignissen, die eigentlich gar nicht eintreten dürften – wenn es denn so wäre, wie Sie glauben: dass sich die Märkte am besten selbst organisieren.

Am Ende – und das ist noch lange nicht absehbar – stehen die öffentlichen Haushalte tief in den roten Zahlen, weil die Steuerzahler für all das haften, was die Banken an den internationalen Finanzmärkten verzocken.

Dann aber kommen die Kollegen von den Regierungsfraktionen und verkünden, dass wir alle über unsere Verhältnisse gelebt haben – zum dutzendsten Mal müssten jetzt alle den Gürtel enger schnallen. Für die Rettung von Banken legen Sie Milliardenpakete auf, für alle anderen gilt die Schuldenbremse. Es kann einfach nicht sein, dass die Banken Gewinne einfahren, die Risiken aber komplett ausgelagert sind und dafür dann der Steuerzahler haftet.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Zurück zum Thema!)

– Ich habe gesagt, ich möchte ein paar Vorbemerkungen machen.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung bejubelt die Lage am Ausbildungsmarkt. Tatsächlich sehen die Zahlen am Ausbildungsmarkt besser aus als sonst. Aber auch hier kann von einer Entwarnung keine Rede sein und auch nicht davon, dass mittlerweile alle Jugendlichen vernünftig versorgt sind. Zwischen der Zahl der Bewerberinnen und Bewerber und der Zahl der freien Plätze klafft auch in diesem Jahr wieder eine Lücke. Ich will nur sagen: Die doppelten Abiturjahrgänge durch die Einführung von G 8 kommen erst noch, ab dem nächsten Jahr. Auch das wird sich natürlich auf dem Ausbildungsmarkt widerspiegeln.

– Nein, wir haben noch keinen G 8-Jahrgang. Das stimmt nicht. Sie kommen erst im nächsten Jahr. Die, die jetzt an die hessischen Universitäten kommen, kommen aus anderen Bundesländern.

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Ab nächstem Jahr kommen die hessischen Abiturienten, und da sie nicht alle an hessischen Hochschulen studieren können, weil sie überfüllt sind, werden auch viele hessische Abiturienten eine Berufsausbildung beginnen.

(Judith Lannert (CDU): Schlimm, dass Sie sich nicht auskennen! Von was reden Sie überhaupt? – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Meine Herren, wenn Sie sich langsam wieder beruhigen würden. Wenn man davon redet, dass es auf dem Ausbildungsmarkt unbesetzte Stellen gibt, dann muss man auch darüber reden, was das für Stellen sind. Das sind natürlich vor allem Branchen und Berufe, bei denen die zu erwartenden Einkommen enorm niedrig sind. Das sind vor allem Stellen im Rhein-Main-Gebiet. Auszubildende haben dann das Problem, dass sie entweder pendeln müssen, oder sie müssen ins Rhein-Main-Gebiet ziehen, wo die Mieten so hoch sind, dass sie sie kaum noch bezahlen können.

Es ist weiterhin so, dass ein Großteil der hessischen Betriebe überhaupt nicht ausbildet. Das ist angesichts des oft beklagten Fachkräftemangels ein Riesenproblem.

Das Hessische Wirtschafts- und Verkehrsministerium hatte angekündigt, bei den Kürzungen in den Ressorts eine Spitzenposition einnehmen zu wollen. Ganz so erfolgreich wie die Ankündigungen werden die tatsächlichen Einsparungen nicht, das liegt vor allem an Kassel-Calden. Ich will noch einmal das Thema Straßen ansprechen. Herr Lenders sagte, es gebe ein Recht auf sichere Straßen. Ich würde sagen: Ihre Kürzungspläne gefährden die Sicherheit auf den hessischen Straßen. Sie hatten angekündigt, den Straßenwinterdienst auszudünnen. Dies sei das „Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Ziel eines ungehinderten Straßenverkehrs und den zur Haushaltskonsolidierung erforderlichen Einsparungen aufgrund erheblicher Preissteigerungen“, erklärte die Sprecherin der Hessischen Straßen- und Verkehrsverwaltung.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das ist doch alles durch!)

Herr Arnold, ja natürlich, Sie haben recht, inzwischen haben Sie das zurückgenommen. Das zeigt aber, dass Kürzungen in diesem Bereich an die Substanz der hessischen Infrastruktur gehen. Das sehen nicht nur wir so. In seltener Einmütigkeit haben der ADAC, die IG Bau, der Verband der hessischen Unternehmer und andere ein Positionspapier zur hessischen Verkehrsinfrastruktur verfasst. Darin schreiben Sie:

Weil es uns um die Belange kommender Generationen geht, dürfen wir nicht nur das finanzielle Erbe des öffentlichen Sektors, also den Schuldenberg, betrachten,

(Clemens Reif (CDU): Die wollen nicht von Ihnen vertreten werden!)

sondern wir müssen auch das sächliche Erbe des öffentlichen Sektors in den Blick nehmen.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Gestatten Sie mir kurz darauf hinzuweisen, dass die angemeldete Redezeit vorüber ist.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Sie ist doch mehrfach unterbrochen worden!)

Janine Wissler (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Milde.

(Zurufe: Uiuiui!)

Frau Präsidentin, Sie haben gehört, dass die CDU möchte, dass ich länger rede. Vielleicht können Sie mir einfach drei Minuten Ihrer Redezeit geben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die genannten Verbände sehen „die Gefahr, dass die Politik den Defizitabbau mittels Reduktion der öffentlichen Investitionen anstrebt – zulasten kommender Generationen. … Nötig ist ein Vorrang für Investitionen im Landeshaushalt …“

Das ist genau das, was wir auch kritisieren. Sie sparen den kommenden Generationen im Namen der Schuldenbremse die Infrastruktur kaputt. Deswegen sehen wir das auch sehr kritisch, ich habe das bei der Einbringung schon gesagt. Bei der Umstrukturierung im Bereich der Hessischen Straßen- und Verkehrsverwaltung geht es nicht darum, eine bessere Dienstleistung zu erreichen, es geht darum, zu kürzen und diese Behörde zu zentralisieren.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Wir halten den Abbau von 300 Stellen für falsch. Wenn diese Behörde so ausgedünnt wird, werden Dienstleistungen nicht mehr in dem Umfang erbracht, wie wir es gewohnt sind. Das leistet weiteren Privatisierungen in diesem Bereich Vorschub.

(Clemens Reif (CDU): Wir hätten so viel Unterstützung von Ihnen gar nicht erwartet!)

Woran dieser Landesregierung wirklich gelegen ist, dafür ist sie auch bereit, trotz aller Sparvorgaben sogar ein Polster anzulegen. Wirklich gelegen ist Ihnen am Regionalflughafen Kassel-Calden, dessen Kosten sich von Jahr zu Jahr steigern. Wir reden mittlerweile über 271 Millionen €, statt der anfangs geplanten 150 Millionen €. Das für einen Flughafen, den niemand braucht. Er liegt 70 km von Paderborn entfernt. Er ist ökologisch und ökonomisch völliger Unsinn.

Dafür haben Sie Geld, während Sie für die Entwicklungszusammenarbeit gerade mal 260.000 € übrig haben. Das finde ich wirklich bemerkenswert.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss, ich habe die Redezeit schon etwas strapaziert. Wir haben letzte Woche beim Energiegipfel darüber diskutiert, dass wir unbedingt auf erneuerbare Energien umsteigen müssen. Wir haben darüber diskutiert, dass wir CO2 reduzieren müssen.

Wenn man die Flughäfen weiter ausbaut, wenn man weiterhin auf den Ausbau von Autobahnen setzt, und dabei beim Öffentlichen Personennahverkehr bei den Verkehrsverbünden 20 Millionen € einspart, dann ist das eine Politik, die wirtschafts- und verkehrspolitisch völlig verfehlt ist. Diese Politik wird auch den Klimaschutzzielen nicht gerecht. Der Einzelplan des Wirtschaftsministeriums setzt völlig falsche Prioritäten, und er ist nicht vereinbar mit einer zukunftsfähigen Wirtschafts- und Verkehrspolitik. – Vielen Dank.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Wissler. – Das Wort für die Landesregierung hat Herr Minister Posch.