Breitbandversorgung ist ein Grundrecht

Rede von Janine Wissler zum Ausbau von Hochgeschwindigkeits-Breitbandnetzen in Hessen am 6. Oktober 2011 (unkorrigiertes Redemanuskript)

Herr/Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,

im vergangenen März hat der Landtag einen gemeinsamen Antrag von vier Fraktionen zum Breitbandausbau verabschiedet. An diesem Antrag haben wir kritisiert, dass er von Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten strotzte. Es wurde nicht definiert, was Breitband eigentlich zu bedeuten habe: Übertragungsraten von einem, 16 oder 50 Megabit pro Sekunde?

Als Ziel wurde ausgegeben, dass man den hessischen ländlichen Raum nicht „dauerhaft“ vom Breitband abhängen wolle. Aber nirgends fand sich eine Definition dessen, was mit dauerhaft gemeint war. Und ich habe damals gesagt, dass 5,2 Millionen Landesförderung den Dimensionen eines flächendeckenden Ausbaus nicht angemessen wären. Der heutige Antrag der Regierungsfraktionen trifft wenigstens eine Aussage dazu, was Breitband sein soll: Übertragungsraten von 2 Megabit pro Sekunde.

In der Breitbandversorgung sind seit vorigem Jahr Fortschritte erzielt worden. Wie groß diese aber tatsächlich sind, müssen wir noch herausfinden. Ich finde es jedenfalls verfrüht, mich darüber zu freuen, dass die hessischen Gemeinden jetzt das erhalten haben sollen, was die Regierungsfraktionen eine „Grundversorgungsperspektive“ nennen. Eine Perspektive ist keine Garantie, es ist auch nicht klar, woraus die Perspektive eigentlich besteht. Wann erhält wer zeitgemäße Breitbandanschlüsse? Auf diese Frage gibt Ihr Antrag keine Antwort. Was soll das heißen, dass 99 Prozent aller Haushalte einen Anschluss oder eine Perspektive auf einen Anschluss haben?

Was das Fördervolumen angeht, sind Sie mittlerweile in etwas realistischere Dimensionen eingestiegen. Aktuell geht es um ein Bürgschaftsvolumen von 200 Millionen Euro. Ob das ausreichen wird, zumal es hier nur um Bürgschaften und nicht um Fördermittel geht, bleibt abzuwarten. Aber 200 Millionen kommen der Sache schon mal näher als 5,2 Millionen.

Ich kann auch nicht zustimmen, dass der Hessische Landtag, also der Gesetzgeber, die Landesregierung darum bittet, den hessischen Haushalten den Zugang zu Breitbandinternetanschlüssen zu ermöglichen. In so einer Formulierung wedelt der Hund mit dem Schwanz. Zumal Sie ausdrücklich festhalten, dass Ihrer Ansicht nach natürlich wieder privat vor Staat gelten soll. Warum sollten wir also die Landesregierung um etwas bitten, das sie Ihrer Meinung nach ohnehin besser nicht machen, sondern privaten Akteuren vorbehalten sollte?

Konsequenterweise müssten Sie schreiben, dass wir die Landesregierung bitten sollen, privaten Unternehmen so viel Steuergeld zu geben, dass es sich für die lohnt, die hessischen Bürgerinnen und Bürger mit Breitband zu versorgen. Das nennen Sie dann Schließung der Wirtschaftlichkeitslücke.

Denn verpflichten wollen Sie die Unternehmen natürlich nicht. Warum eigentlich nicht? Das ginge rechtlich. Es laufen die Beratungen zur Novelle der EU-Universaldienstleistungsrichtlinie, und auch durch die Neufassung des Telekommunikationsgesetzes könnten die Anbieter verpflichtet werden, Breitbandanschlüsse zur Verfügung zu stellen. Auf Bundes- wie auf EU-Ebene bestehen erhebliche Einflussmöglichkeiten für die Regierungsparteien.

Wir haben im Bundestag bereits 2008 beantragt, die Unternehmen gesetzlich zur flächendeckenden Versorgung mit Breitbandanschlüssen zu verpflichten. Dabei geht es nicht nur um Wirtschaft und Unternehmen im ländlichen Raum, sondern auch um demokratische Teilhabe, die einen Zugang zu Informationen voraussetzt.

Dazu müsste die Breitbandversorgung in den Katalog der Universaldienstleistungen aufgenommen werden. Gegenwärtig haben bundesweit noch schätzungsweise vier Millionen Menschen keine Möglichkeit, einen Anschluss zu bekommen.
Nach dem Grundgesetz muss die Bundesregierung für „flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen“ im Bereich der Telekommunikation sorgen (Art. 87f GG). Dieser Auftrag ist eigentlich deutlich genug.

Wir überlassen es doch auch nicht dem Markt, dass die Menschen, die beispielsweise auf den Halligen wohnen, mit Post- und Telefondienstleistungen versorgt werden. Derart grundlegende und unverzichtbare Versorgungsleistungen für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft dürfen nicht dem Markt überlassen werden. Warum sollen wir das bei der Breitbandversorgung anders machen und sie nicht in die Universaldienstleistungspflicht aufnehmen?

Auch ist deutlich, dass die jahrelangen Verhandlungen mit den Unternehmen bislang nicht dazu geführt haben, dass das Problem effektiv angegangen würde. Die Probleme sind nicht technischer, sondern finanzieller Art. Oder um es noch genauer zu sagen: das Problem ist, dass die, die das Geld haben, es nicht für die Versorgung von Menschen, Regionen und Unternehmen ausgeben wollen, an denen sie nicht unmittelbar verdienen können. Und das zweite Problem ist, dass CDU und FDP auf sich auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass das auch so bleibt.

Aber auch in dieser Frage setzen Sie unbeirrbar auf das alte Prinzip: die öffentliche Hand soll zahlen, die Privaten sollen verdienen.

Und das tun die. Die Liberalisierung der Telekommunikation hat einen neuen Markt geschaffen, der für eine Reihe von Großinvestoren äußerst einträglich ist. Diese Unternehmen und ihre Produkte basieren alle auf einer grundlegenden Infrastruktur, die aus Steuermitteln aufgebaut wurde. Und sie verdienen kräftig. Die Jahresabschlüsse der größten Telekommunikationsunternehmen für 2010 prahlen mit folgenden Zahlen zum Gewinn vor Steuern:
Die Telekom verkündet, dass ihr Konzernüberschuss sich gegenüber 2009 fast verfünffacht hat. „Die Deutsche Telekom hat ihre Finanzziele für 2010 erreicht, zum Teil sogar übertroffen“, heißt es in ihrem Geschäftsbericht 2010. Der Konzern verzeichnete im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Gewinn von 19,5 Milliarden Euro.
Bei Vodafone sind es 3,5 Milliarden Euro. O2 berichtet, dass das Unternehmen 2010 beim operativen Jahresgewinn erstmals die Milliarden-Marke geknackt hat. Das entsprach einem Anstieg um 23,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 1&1 feiert ein starkes Umsatzwachstum auf 1,9 Milliarden Euro und ein immerhin leichtes Gewinnplus auf 358 Millionen Euro.

Dem gegenüber stehen die öffentlichen Haushalte. Die hessischen Kommunen strengen aktuell eine Klage gegen das Land an, weil ihre Finanzlage derart desolat ist. Das Land Hessen hat gerade dieser Tage die Marke von 40 Milliarden Euro bei der Verschuldung gerissen. Und was auf den Bund zukommt aufgrund der europaweiten Banken- und Schuldenkrise, kann überhaupt noch niemand abschätzen. Das Einzige, was da verlässlich scheint, ist, dass man den Ankündigungen und Einschätzungen nicht trauen kann. Was läge in so einer Situation näher, als die gut Verdienenden an den Ausgaben und Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge zu beteiligen, auch im Breitbandbereich?

Der Verband der kommunalen Unternehmen (VkU) hat kürzlich eine Broschüre zum Thema Breitbandausbau herausgegeben. Darin berichtet der Verband, dass Stadtwerke mittlerweile erfolgreich als Netzbetreiber auftreten, und gibt Tipps, wie sich Kommunen in diesem neuen Betätigungsfeld aufstellen können. Bei den Stadtwerken und Gemeinden sitzen die Betroffenen selbst an den entscheidenden Stellen und haben sowohl ein Interesse an einem technisch hochwertigen und bezahlbaren Netzzugang als auch die Mittel an der Hand. Wenn man sie nur lässt, muss man leider dazu sagen.

Die wirtschaftliche Betätigung der hessischen Gemeinden ist rechtlich so eingeschränkt wie in kaum einem  anderen Bundesland. In der Frage der Energieversorgung scheint es diesbezüglich auf Seiten der Regierungsfraktionen mittlerweile erste Ansätze zu einem Umdenken zu geben. Die FDP will das nicht, für Sie ist schon die kommunale Organisation der Müllabfuhr sozialistisches Teufelszeug. Aber es gibt Hoffnung, ich habe heute gelesen, dass der neue Entwurf für das FDP-Grundsatzprogramm eine Lohnuntergrenze, also einen Mindestlohn vorsieht. Marx sagte, das Sein bestimmt das Bewusstsein, offenbar haben Sie so viel Angst um ihre Posten und Abgeordnetendiäten, dass Sie jetzt schon die Einführung eines Mindestlohns erwägen.

Es ist doch offensichtlich, dass die Gemeinden und ihre Stadtwerke aus vielerlei Gründen produktive Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten können, und zwar gerade in Bereichen, die sich nicht unmittelbar oder nicht kurzfristig rechnen.

Einen solchen Bereich nennen Sie in Ihrem Antrag schon selber: die Verlegung von Leerrohren. Das ist eine sehr sinnvolle Maßnahme, denn bei der Verlegung von Glasfaserkabeln machen die Baukosten 80 Prozent der Gesamtausgaben aus. Wenn die Rohre anlässlich anderer Bauarbeiten gleich mit verlegt werden, spart das erheblich Kosten – für den Netzbetreiber. Für die Kommunen aber ist diese Leerrohrverlegung erst einmal eine zusätzliche Ausgabe, von der sie unmittelbar nichts haben. Eine Investition in eine ungewisse Zukunft.

Die Kommunen können es sich wohl kaum leisten. Das Land steht unter Kürzungsdruck, also soll jetzt die Infrastruktur des Bundes mit benutzt werden – wobei natürlich auch der unter Kostendruck steht. Bleiben die Stadtwerke. Aber die wollen Sie ausdrücklich aus allen Bereichen heraushalten, wo sich Geld verdienen lässt. Denn was heißt das im Klartext, wenn, wie Sie schreiben, „ein wirtschaftlicher Ausbau durch einen privaten Anbieter nicht möglich ist“?

Das heißt, die Gemeinden und ihre Betriebe sollen nur dort einspringen, wo der Einsatz nicht wirtschaftlich ist, also mehr Kosten als Einnahmen verursacht. Das halten wir für falsch. Wenn die Gemeinden einen Beitrag leisten sollen, dann nicht nur da, wo sie Geld verlieren.
So wird das Rosinenpicken durch Private noch verstärkt. Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert. Die Privaten machen in den Ballungsgebieten und Großstädten Gewinne und für die ländlichen Gebiete ist die öffentliche Hand zuständig. Das halten wir für falsch.
Dann muss den Kommunen im Paragraph 121 Absatz 3 der Hessischen Gemeindeordnung wieder freigestellt werden, sich da wirtschaftlich zu betätigen, wo sie das für richtig halten.