Die Privatisierung der Uniklinik ist ein Desaster

Rede von Janine Wissler zur Ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU und der FDP für ein Gesetz zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte am Universitätsklinikum Gießen und Marburg am 24. August 2011 (Manuskript - unkorr.)

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die Privatisierung der Unikliniken Gießen und Marburg entpuppt sich immer mehr als ein Desaster. Die Beschäftigten beklagen den zunehmenden Leistungsdruck, die Überstunden häufen sich, die Anzahl pflegerischer Überlastungsanzeigen steigt und Ärzte warnen vor einer Verschlechterung der Versorgung. Diese Folgen waren absehbar, deshalb war die erste komplette Universitätsklinikprivatisierung in der deutschen Hochschulmedizin von Beginn an umstritten, eben weil eine Verschlechterung der Patientenversorgung, der Arbeits-, Lehr- und Lernbedingungen befürchtet wurde. Auch DIE LINKE hat die Privatisierung von Anfang an abgelehnt.

Und unsere prinzipielle Kritik wird bestätigt durch das gebrochene Versprechen der Rhön-Klinikum AG, ein Partikeltherapie-Zentrum einzurichten. Der Privatisierungsvertrag zwischen dem Land und der Rhön-AG enthielt dazu eine klare Verpflichtung. Allein dafür wollte die Rhön-AG 107 Millionen investieren. Diese Zusage war mit ausschlaggebend dafür, dass dieses Unternehmen den Zuschlag bei der Privatisierung und sogar einen Nachlass beim Kaufpreis erhielt. Die anstehenden Investitionen waren das wichtigste Argument der Landesregierung für die Privatisierung.

Der damalige Ministerpräsident Koch verwies in einer Festansprache auf die Bedeutung dieser Investition: Er sei froh und dankbar, einen finanzkräftigen und verlässlichen Betreiber gefunden zu haben. Mit dem Partikeltherapie-Zentrum werde „ein weiterer Leuchtturm der Versorgung von schwer erkrankten Patienten entstehen, der weit über die hessischen Grenzen hinaus sichtbar ist", so Koch wörtlich. Das war im Jahr 2008.

Und jetzt der Rückzieher und die Erklärung, dass es kein Zentrum geben werde. Da stellt sich nicht nur die Frage, ob die Landesregierung den Nachlass beim Kaufpreis zurückfordert, Ihre ganze Pro-Privatisierungsargumentation bricht in sich zusammen.

Und die Öffentlichkeit wüsste schon gerne, was der Grund dafür ist. Lag das an technischen Gründen oder lag es daran, wie vielfach vermutet wurde, dass es nicht profitabel betrieben werden kann?

Damit würde einmal mehr deutlich, dass bei privatisierten Kliniken eben nicht das Wohl des Patienten an erster Stelle steht, sondern die Gewinne.

Urteil Bundesverfassungsgericht

Anfang des Jahres hat dann noch das Bundesverfassungsgericht die Privatisierung der Unikliniken Gießen und Marburg in Teilen für verfassungswidrig erklärt, weil die Rechte der Beschäftigten eklatant verletzt wurden. Dieses Urteil ist eine Riesenklatsche für die Landesregierung sowie für alle anderen Privatisierungsbefürworter.

Damit stürzt Ihr Leuchtturm völlig in sich zusammen, wie so viele sogenannter Leuchtturmprojekte aus der Regierungszeit von Roland Koch: die Skandalhochschule EBS, das Wolkenkuckucksheim Beberbeck und der Flughafen Kassel-Calden ist eine Luftnummer.

Wenn diese Landesregierung eine Musikband wäre, müsste sie sich „Einstürzende Leuchttürme" nennen. Und da kann Ihnen nicht mal Bilfinger Berger helfen, um die alle wieder aufzubauen.

Ihr Privatisierungsgesetz ist mit Artikel 12 des Grundgesetzes unvereinbar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt die durch das Grundgesetz geschützten Rechte der Arbeitnehmer bei der Privatisierung von Staatsbetrieben und das können wir nur begrüßen.

Sie haben dem nicht-wissenschaftlichen Personal der Unikliniken kein Widerspruchsrecht gegen den Wechsel ihres Arbeitgebers und den Verlust der Anstellung im öffentlichen Dienst eingeräumt.

Das war besonders problematisch, weil das Land hier eine Doppelrolle wahrnimmt, nämlich sowohl als (bisheriger) Arbeitgeber wie als Gesetzgeber, der sich selbst unmittelbar durch Gesetz seinen arbeitsvertraglichen Pflichten entzogen hat.

Mit anderen Worten: Sie haben sich aus der Verantwortung gestohlen. Sie sind als Arbeitgeber dem Schutz der Arbeitnehmer verpflichtet und diese Schutzfunktion haben Sie nicht ausgefüllt.

Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst darf nicht durch Gesetz ein neuer privater Arbeitgeber zugewiesen werden.

Warum Sie den Beschäftigten ihr Widerspruchsrecht vorenthalten haben, ist auch im Urteil das BVG nachzulesen. „Die Nichteinräumung eines Widerspruchsrechts hatte aus der Sicht des Landesgesetzgebers das Ziel, die Privatisierung zu erleichtern."

So ist es. Der Verzicht auf ein Widerspruchsrecht und die Ausschaltung der Arbeitnehmerrechte sollten den reibungslosen Vollzug der Privatisierung erleichtern. In Ihrem Privatisierungswahn wollten Sie potentielle Investoren nicht verschrecken. Dabei haben Sie in Kauf genommen gegen die Verfassung und die Grundrechte der Beschäftigten zu verstoßen. Denn wenn ein Großteil der Beschäftigten von Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hätten, hätte die Rhön AG ein Problem gehabt. Das hätte die gesamte Privatisierung stoppen können.

Jetzt wollen Sie mit dem vorgelegten Gesetzentwurf den verfassungswidrigen Zustand, den Sie selbst geschaffen haben, beseitigen.

Aber schon die Überschrift ist ein schlechter Witz. Sie lautet „Gesetz zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte am Uniklinikum". Es geht aber nicht um eine Stärkung, sondern gerade mal um die Einhaltung von verfassungsmäßigen Arbeitnehmerrechten und um die Beseitigung eines verfassungswidrigen Zustandes. Der Titel suggeriert etwas ganz anderes, als würden Sie den Beschäftigten Sonderrechte einräumen.

Frau Ministerin, ich glaube, Sie haben immer noch nicht verstanden, was Ihnen das Bundesverfassungsgericht da bescheinigt hat.

Sie haben sich ein halbes Jahr Zeit gelassen, um ein schlechtes Gesetz vorzulegen, das gerade mal die Minimalanforderungen des Bundesverfassungsgerichts umsetzt und die Verunsicherung der Beschäftigten nicht beseitigen wird.

Die Einrichtung eines Runden Tisches kann eine vernünftige gesetzliche Grundlage nicht ersetzen.

Sie räumen den Beschäftigten zwar ein Rückkehrrecht ein, aber keine Beschäftigungsgarantie und treffen auch keine Regelung zum Ort der Beschäftigung.

Wer sein Rückkehrrecht jetzt nachträglich wahrnimmt, setzt seinen Arbeitsplatz aufs Spiel.

Die Beschäftigten riskieren, wenn sie von ihrem Rückkehrrecht Gebrauch machen, betriebsbedingt gekündigt zu werden, weil das Land keine Verwendung für medizinisches Personal mehr hat.

Zu den Kosten schreiben Sie in Ihrem Gesetzentwurf, dass sie nicht abzuschätzen seien. Wenn wir einen solchen Gesetzentwurf vorlegen würden, dann will ich Sie mal sehen. Was Sie damit sagen ist, dass auf den Steuerzahler aufgrund Ihrer verfassungswidrigen Gesetzgebung ein nicht abzuschätzendes Kostenrisiko zukommt.

Frau Ministerin, natürlich ließen sich die maximalen Kosten beziffern. Sie wissen mittlerweile – das hat auch lange genug gedauert – dass 4600 Beschäftigte betroffen sind.

Da geht es rückwirkend seit 2005 um Verdienstausfall und Altersteilzeit und natürlich um die Kosten für die weitere Beschäftigung.

Sie sind zu feige, diese maximalen Kosten und damit das Desaster, das Sie angerichtet haben, zu beziffern. Aber spätestens im Haushalt müssen Sie eine Rücklage einstellen, vielleicht hoffen Sie, Sie können das dort besser verstecken.

Privatisierung war ein Fehler

Meine Damen und Herren, die Privatisierung der Uniklinik war ein schwerer Fehler. Und zwar sowohl aus Sicht der Patienten, der Beschäftigten und der Wissenschaft. Und nun wird sie auch noch unberechenbar teuer.

Wir sind der Meinung, dass Krankenhäuser und Kliniken grundsätzlich in die öffentliche Hand gehören. Deshalb sollte die Landesregierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den Konflikt um das Partikeltherapiezentrum zum Anlass nehmen, auch die Möglichkeiten einer Rückabwicklung der Privatisierung zu prüfen, um diesen Fehler insgesamt zu korrigieren.