Netzausbau: Landesregierung nimmt Energiegipfel nicht ernst

Rede von Janine Wissler zum Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend sichere und intelligente Stromnetze für die Zukunft am 19. Mai 2011

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

wenn Sie von Seiten der Regierungsfraktionen den Eindruck erwecken wollen, dass der Energiegipfel ergebnisoffen tagt, dann sollten Sie besser damit aufhören, mit Anträgen ihre Mehrheitsposition festzuklopfen.

So machen Sie den Energiegipfel zur Farce. Auch deshalb, weil Ihr Antrag im Widerspruch steht zum Diskussionsstand in der Arbeitsgruppe zu den Stromnetzen. Mit diesem Antrag demonstrieren Sie, dass Sie den Energiegipfel und die Arbeitsgruppe überhaupt nicht ernst nehmen. Das ist keine Form des Dialogs und lässt einmal mehr vermuten, dass der Energiegipfel eine reine Alibiveranstaltung für Sie ist.

Nun scheint das Thema Netzausbau das neue Lieblingsthema von Schwarz-Gelb zu sein. Nachdem das Image der Atomlobby endgültig im Keller ist, denken Sie sich neue Drohkulissen aus, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter zu blockieren.

Deshalb bauen Sie den Netzausbau zu einem Popanz auf, um neue Sorgen und Ängste zu schüren vor riesigen Mästen und neuen Hochspannungsleitungen, vor den enormen Kosten und der Landschaftsverschandelung.

Dena II

Dabei stützen Sie sich auf die Ergebnisse einer Studie der Deutschen Energie-Agentur, die Dena Netzstudie II, die den Ausbaubedarf bei den Netzen bei bis zu 3.600 km bis 2025 sieht. Mit ihrem Antrag wollen Sie diese Annahme zur Grundlage der weiteren Debatte machen.

Dabei verschweigen Sie schon mal, dass die Dena II Studie auch Alternativen zu 3.600 km Freileitungen benennt. Würden beispielsweise Hochtemperaturseile genutzt, reduziert sich der Neubaubedarf auf die Hälfte. Auch die Erdverkabelung ist nach Dena II eine Möglichkeit. Gerade in Siedlungsnähe ist die Erdverkabelung eine Entlastung für die Anwohner. Ja, beide Varianten wären erheblich teurer, und dann müssen wir mal reden über die Milliardenprofite, die die Großkonzerne in den letzten Jahren gescheffelt haben.

Aber das Problem bei der Studie liegt tiefer. Denn schon die Grundannahmen sind höchst umstritten. Es wird von Prämissen ausgegangen, die äußerst interessensgeleitet sind, um es vorsichtig auszudrücken.

Warum rechnet die Studie für das Jahr 2020 nur mit einem Drittel der installierten Leistung im Bereich Photovoltaik im Vergleich zu dem Wert, den die Bundesregierung in ihrem Aktionsplan nennt? Auch bei den anderen Erneuerbaren Energien plant die Studie mit niedrigeren, also noch weniger ambitionierten Ausbauzielen als die Bundesregierung.

Mit einer Ausnahme: Die Stromerzeugung aus Offshore-Windenergie.

Hier rechnet die Studie mit einem höheren Wert als die Bundesregierung. Zwischen 2015 und 2020 soll sich demnach die Strommenge aus Offshore-Windenergie verdoppeln, während Windkraft vom Land nur moderat wachsen soll.

Die Dena-Studie geht also von einem Szenario aus, dass von Großkraftwerken und Windparks vor den Küsten geprägt ist und nicht von einem massiven Ausbau der Energieerzeugung vor Ort.

Warum? Ganz einfach: Wer für eine Studie bezahlt, erwartet Ergebnisse, die den eigenen Interessen entsprechen.

Und wenn man sich ansieht, wer die Dena-Netzstudie getragen und finanziert hat, sind diese Ergebnisse wenig verwunderlich. Mitglieder der Projektsteuerungsgruppe waren unter anderem die großen Netzbetreiber wie E.on Netz, EnBW Transportnetze und Amprion, die Tochtergesellschaft von RWE, das Bundesumwelt- und Wirtschaftsministerium, Verbände der Energiewirtschaft, das Offshore Forum Windenergie und die Stiftung Offshore-Windenergie.

Von einer unabhängigen wissenschaftlichen Studie kann also keine Rede sein, sondern vielmehr von einer Auftragsarbeit für die Energiekonzerne. Problematisch ist auch, dass niemand eine alternative Berechnung anstellen kann, weil viele benötigte Daten nicht öffentlich zugänglich sind, etwa die reale Netzauslastung. Über diese Daten verfügen ausschließlich die Netzbetreiber.

Die Art der Energieerzeugung ist entscheidend für den Netzausbau. Wenn man einseitig auf Offshore Windenergie setzt, dann braucht man natürlich auch in erheblichem Umfang neue Trassen, weil man den Strom von der Küste nach Süddeutschland transportieren muss.

Aber ein solch massiver Netzausbau wäre nicht nötig, wenn die Energieerzeugung stärker dezentral vor Ort erfolgt.

Das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik kurz IWES kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass allein die Windenergie an Land bis zu 65 Prozent des deutschen Strombedarfs decken kann, damit könnten die Atomkraftwerke komplett ersetzt werden. Nötig wären dazu zwei Prozent der Landesfläche.

Und das ist auch interessant in Bezug auf die aktuelle Debatte zum Netzausbau. Denn nach Berechnungen des IWES ist das Windenergiepotential gerade in den Bundesländern am größten, in denen die Windkraft bisher am wenigsten ausgebaut ist. Demnach hat Bayern das größte Potential und an dritter Stelle folgt Baden-Württemberg. Würde das Potential in Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen genutzt, wäre der immer wieder angedrohte massive Netzausbau überflüssig.

Das IWES betont in der Studie, dass die Windenergie an Land die kostengünstigste Erneuerbare Energiequelle ist. Offshore-Windanlagen sind bei Bau und Erhalt wesentlich teurer und machen neuen Trassen notwendig.

Das ist auch nachzulesen in der Wirtschaftswoche, die über jeden Verdacht erhaben ist ein Kampfblatt der Öko-Bewegung zu sein. Die Wirtschaftswoche schreibt, dass Windenergie vom Land fast um die Hälfte billiger ist als vom Meer. Das Versprechen vom preiswerten Meeresstrom aus Wind entpuppt sich immer mehr als Luftschloss.

Dennoch steht der Ausbau der Offshore-Erzeugung bei den vier großen Konzernen an erster Stelle bei den Erneuerbaren.

Warum setzen die Konzerne trotz höherer Kosten auf Offshore-Windkraft? Die Energiekonzerne wollen die zentralistische Energieerzeugung durch Großkraftwerke unbedingt beibehalten, auch im Bereich der Erneuerbaren. Denn nur Großtechnologien sichern ihre Monopolstellung und ihre Marktmacht. Denn der Vorteil für RWE und Co ist, dass nur sie diese Investitionen aufbringen können. Eine Windkraftanlage an Land kann auch ein Stadtwerk oder eine Genossenschaft installieren, offshore hingegen sind die Großen Vier fast konkurrenzlos.

Und das wird auch noch politisch flankiert durch das Bundesumweltministerium. Der kostengünstige Strom aus Windkraft vom Land soll in Zukunft weniger gefördert werden zugunsten von Offshore-Projekten, bei denen die Vergütung erhöht werden soll.

Das Setzen auf Offshore-Technologien ist volkswirtschaftlich unklug, ineffizient und teuer.

Aber genau diese Zielsetzung macht sich die Dena-Studie zu Eigen. Sie entspricht der Interessenslage der vier Großen. Und dies macht sich Schwarz-Gelb wiederum zu Eigen.

Deshalb stelle ich für meine Fraktion fest, dass die Dena II-Studie aus unserer Sicht keinen Konsens darstellt.

Das heißt nicht, dass wir keinen Handlungsbedarf bei den Netzen sehen. Aber der Schwerpunkt muss auf der Optimierung und nicht auf dem Neubau liegen. Und natürlich brauchen wir intelligente Netze, die neuen Anforderungen gerecht werden.

Wenn wir über die Netze reden, dann müssen wir auch über die ausgebliebenen Investitionen der letzten Jahre reden. In Vorbereitung auf die Liberalisierung und in den Folgejahren sind die Investitionen in die Netze massiv eingebrochen. Mit dem Wegfall der staatlichen Investitionsaufsicht gab es an dieser Stelle keinerlei staatliche Kontrolle mehr.

Im Gegenteil: Die Bundesnetzagentur hat noch zu einer Verschärfung beigetragen, indem sie ihre Regulierung ausschließlich auf die Kostensenkung und nicht auf die Qualität ausgerichtet hat. Das war eine falsche Regulierung, die falsche Anreize geschaffen hat.

Auch im Bereich der Netze stellt sich die Frage der Rekommunalisierung. An vielen Orten laufen die Konzessionsverträge aus und eine wachsende Zahl von Kommunen rekommunalisieren die Netze. Das bietet die Chance, dass Kommunen die Energieversorgung wieder in die eigene Hand nehmen und die Gewinne daraus für kommunale Zwecke verwandt werden können.

So können sich die Kommunen unabhängiger machen von den großen Konzernen, die einen Großteil der Netze kontrollieren.

Denn die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz ist nicht unabhängig vom Eigentum. Wenn mir ein großer Konzern ein Windrad in den Vorgarten stellt, von dem ich unmittelbar keinen Nutzen sondern nur Beeinträchtigungen habe, wäre ich auch dagegen. Menschen müssen vor Ort in einem transparenten Verfahren entscheiden können und vor allem, darf der Gewinn nicht in die Taschen von Aktionären fließen, sondern muss zum Nutzen der Einwohner in der Kommune bleiben. Dann gibt es auch kein Akzeptanzproblem.

Aber das größte Akzeptanzproblem gegenüber Erneuerbarer Energien haben wir bekanntlich nicht in der Bevölkerung sondern bei CDU, FDP und Ihren Freunden von der Atomlobby. Im Fall von Atom und Kohle haben Sie großzügig über gesellschaftliche Mehrheiten hinweggesehen. Aber jetzt verstecken Sie sich hinter einer vermeintlichen Ablehnung in der Bevölkerung. Gesellschaftliche Akzeptanz wird erreicht durch Transparenz und Einbeziehung – beides sind keine kennzeichnenden Eigenschaften der Atomlobby.

Umweltschutz

Und deshalb haben die Menschen auch Recht, wenn Sie angesichts Ihrer Aussagen zum Netzausbau skeptisch sind.

Denn Sie wollen den Netzausbau nutzen, um den Umweltschutz aufzuweichen.

Das ist perfide: Sie wollen Klimaschützer und Atomkraftgegner gegen die Umweltschützer ausspielen, nach dem Motto: Wer Erneuerbare Energien will und wer sie schnell will, der muss in Kauf nehmen, dass beim Umweltschutz Abstriche gemacht werden müssen. Wenn's schnell gehen soll, dann müssen Planungszeiten verkürzt werden und Einspruchsmöglichkeiten reduziert werden.

Meine Damen und Herren, wer den Ausbau der Erneuerbarer Energien gegen Umwelt- und Klimaschutz und die Biodiversität in Stellung bringt, der hat schon verloren. Sie wollen anhand des Netzausbaus die Rechte der Bürger und der Verbände beschneiden und dabei geht es Ihnen natürlich nicht um den Ausbau der Erneuerbaren Energien, sondern letztlich um Autobahnen, Flughäfen und Großkraftwerke. Wer Planungszeiten verkürzen will muss auf Transparenz und Einbeziehung der Menschen setzen und auf dezentrale Strukturen statt immer neue Großprojekte.

Kosten

Ja, der Netzausbau kostet Geld und die Frage ist, wer zahlt. Wir wollen keine Energiewende auf Kosten der Schwachen.

Die Energiewende muss auch von denen finanziert werden, die sie bislang verhindert haben. Seit Beginn der Liberalisierung hat es geradezu eine Gewinnexplosion bei den Großen Vier gegeben auf Kosten der Verbraucher und der Beschäftigten.

Die Stromkonzerne haben in den vergangenen Jahren unberechtigt Milliardenprofite durch das Einpreisen von kostenlosen Emissionszertifikaten in den Strompreis gemacht.

Diese Zusatzprofite müssen für die Energiewende zur Verfügung gestellt werden.

2010 steigerte RWE den bereinigten Nettogewinn um 6,2% auf 3,75 Milliarden Euro. Das lag noch über den Erwartungen. RWE verwies zur Begründung für das erzielte Ergebnis auf die Stromerzeugung in Deutschland als „vorrangigen Erfolgsfaktor". Im Klartext heißt das: die Stromkunden blechen für dieses Rekordergebnis durch überhöhte Energiepreise und die Aktionäre machen den Reibach. Im Gegenzug vernachlässigen die Konzerne die Investitionen in die Netze und blockieren den Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Wer die Energiewende sozialverträglich und schnell umsetzen will, muss die großen Energiekonzerne zur Finanzierung heranziehen. Es kann nicht sein, dass Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert werden.