BAföG-Erhöhung statt Taschengeld für die Eliten

Rede von Janine Wissler zum Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Hessen unterstützt Einstieg in ein nationales Stipendienprogramm am 3. Februar 2011


Herr Präsident, meine Damen und Herren,

„Taschengeld für die Elite" so wurde das nationale Stipendienprogramm der Bundesregierung in den Medien genannt.

Zu Recht. Ursprünglich war geplant, dass 160.000 Studierende, die „leistungsstärksten 10 Prozent", 300 Euro monatlich bekommen, für besondere Studienleistungen. Die Hälfte sollte von privaten Sponsoren kommen und den Rest sollten sich Bund und Länder teilen.

Nicht nur wir LINKE fanden das Programm von Anfang an wenig überzeugend. Die Studierenden lehnen das Programm mehrheitlich ab, die meisten Hochschulen lehnen es ab und die Länder wollten es nicht unterstützen.

Aber Frau Schavan weigert sich das Programm zu beerdigen und will es gegen alle Widerstände durchsetzen. Es ist ihr sogar so wichtig, dass der Bund schließlich den Anteil, der den Ländern zugedacht war, selbst übernahm, um so die Zustimmung der CDU-Länder zu erkaufen.

Und deshalb ist schon die Überschrift Ihres Antrages schlicht falsch.

Sie lautet: Hessen unterstützt den Einstieg in ein nationales Stipendienprogramm. Das stimmt doch gar nicht.

Sie bejubeln hier ein Programm, für das Sie sich geweigert haben auch nur einen Cent aus Landesmitteln bereitzustellen. Und für diese Entscheidung ist die Landesregierung mal ausnahmsweise nicht zu kritisieren.

Nun ist das Programm zusammengeschrumpft. Es geht nur noch um zunächst 10.000 Studierende, die Kosten sollen sich Bund und Wirtschaft teilen.

Vor wenigen Tagen fand in Berlin ein Festakt zum Startschuss für das Programm statt, wo Frau Schavan ihr Programm den Unternehmen vorstellte. Die Veranstaltung wurde begleitet von Protesten Studierender, die ihre Ablehnung gegen eine derartige Eliteförderung zeigten.

Frau Schavan warb mit dem Satz: Junge Talente fördern kostet jetzt nur noch halb so viel.

Das ist natürlich Unfug, die Förderung kostet immer noch genauso viel, nur übernimmt der Steuerzahler jetzt einen großen Anteil.

Und die Regierung hat wohl übersehen oder übersehen wollen, dass die Unternehmen ihre Spenden von der Steuer absetzen können. Damit schrumpft der private Anteil erheblich.

Das grundsätzliche Problem aber ist die Stoßrichtung des Programms.

Es forciert die soziale Selektion im Bildungssystem und zielt darauf ab, den ohnehin privilegierten Studierenden nun ein Extrataschengeld zukommen zu lassen, während eine steigende Zahl von Studierenden unter der Armutsgrenze studiert.

Das nationale Stipendienprogramm soll die Motivation zur Aufnahme eines Studiums steigern, heißt es in der Begründung des Gesetzes. Drei Viertel der Abiturienten, die auf ein Studium verzichten, nennen finanzielle Probleme und die Angst vor Schulden als Gründe für ihren Studienverzicht. Wie sollen die mit der völlig unsicheren Aussicht auf ein Stipendium motiviert werden? Im Gegensatz zum BAföG gibt es bei Stipendien weder einen Rechtsanspruch noch soziale Kriterien, die angelegt werden können.

Stipendien sind hochgradig sozial selektiv.

Denn die Stipendienvergabe nach Leistung begünstigen Studierende aus Akademikerfamilien gleich doppelt. Sie haben aufgrund ihres familiären Umfelds bessere Voraussetzungen, gute Leistungen zu erbringen, und ihre Leistungen werden selbst dann, wenn sie nicht besser sind, häufig besser bewertet als die anderer.

Hinzu kommt, dass die Stipendien direkt über die Hochschulen abgewickelt werden. Will ein Studierender die Uni wechseln, riskiert er, sein Stipendium zu verlieren. Damit bremsen Sie die ständig eingeforderte Mobilität der jungen Menschen.

Stipendien sind – bezüglich Chancengleichheit und der sozialen Öffnung der Hochschulen – nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Sie verschärfen die vorhandene Ungerechtigkeit, indem sie den Privilegierten noch mehr Privilegien zubilligen. Hier werden Steuermittel vergeudet, die an anderer Stelle dringend notwendig wären.

Das Stipendiengesetz ermöglicht Dritten de facto Zugriff auf öffentliche Gelder. Die private Seite, die Unternehmen, übernehmen nur rund ein Drittel der Kosten – den Rest ihrer Spende bekommen sie über Steuerabschreibungen zurück -, aber entscheiden über das Studienfach und reden bei der Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber mit.

Das ist nicht nur unsozial, das ist auch völlig undemokratisch.

Die Hochschulen sollen sich selbst darum kümmern, Spender einzuwerben. Und es ist zu befürchten, dass die Hochschulen auf einem großen Teil der Kosten für den Verwaltungsaufwand sitzen bleiben, weil die Bundesregierung diese Kosten viel zu niedrig ansetzt.

Es wird geschätzt, dass 20 bis 25 Prozent der Spendensumme allein für die Verwaltung und das Einwerben der Spenden anfällt.

Hinter der Idee steckt ein gescheiterter FDP-Politiker. Andreas Pinkwart war bis zur letzten Landtagswahl Hochschulminister in NRW, bzw. Innovationsminister, wie er sein Ministerium umtaufte. Und eine seiner sogenannten Innovationen ist das Stipendienprogramm. Außer ihm fand das allerdings niemand so richtig innovativ.

Fast ein Jahre lang warb Pinkwart bei den anderen Bundesländern für sein Programm, dann führte er es in NRW im Alleingang ein. 3400 Studierende, nicht einmal jeder hundertste, sollten davon profitieren - doch es wurden noch weniger: gerade mal 1400, also 0,3 Prozent.

Ich frage Sie: Warum eigentlich ist Annette Schavan dieses Stipendienprogramm so wichtig, dass sie es trotz der Erfahrungen in NRW und trotz massiver Kritik und starkem Gegenwind unbedingt durchsetzen will?

Es geht hier um einen grundlegenden Umbau der Studienfinanzierung. Die Bundesregierung will sich sukzessive aus der Verantwortung für eine sozial gerechte und zukunftsweisende Studienfinanzierung stehlen.

In Zukunft bestimmen Unternehmen durch ihre Spendenbereitschaft in wachsendem Maße, wie viele Studierende ein Stipendium bekommen. Sie bestimmen auch, für welche Studiengänge und Fachrichtungen sie eingerichtet werden sollen. Und sie suchen sich die Hochschule ihres Vertrauens selbst aus. Das Stipendienprogramm wird die regionale Differenzierung der Hochschulen weiter vorantreiben.

Wer soll in strukturschwachen Gebieten Stipendien sponsern, wo vielerorts die Hochschule der größte Arbeitgeber ist?

Wenn die Wirtschaft zahlt, finanziert sie nur das was ihr auch nützt.

Welcher großherzige Spender wird Soziologen oder Germanisten bedenken, wenn sein Unternehmen vor allem an Ingenieuren und Betriebswirtschaftlern interessiert ist?

Geistes-, Sozial-, und Kulturwissenschaftler kommen im wirtschaftsfinanzierten Stipendienwesen zu kurz. Das zeigen die Erfahrungen aus NRW. Ein Drittel des Geldes ging an Ingenieure.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Selbstverständlich wollen wir Unternehmen an der Finanzierung von Bildung beteiligen, aber wir wollen sie nicht anbetteln, sondern endlich angemessen besteuern.

Der Vorteil davon ist, dass dann demokratisch entschieden werden kann, was mit dem Geld passiert, und nicht einzelne Unternehmer nach Gutdünken einzelne Hochschulen sponsern und so über die Zukunftschancen junger Menschen entscheidet.

So aber macht man sich von der Spendenbereitschaft von Unternehmen abhängig. Die Wirtschaft reagiert bisher sehr zurückhaltend, derzeit liegen erst 1.000 feste Zusagen vor, also nicht mal ein Zehntel von dem, was geplant war.

Logisch weitergedacht hat Ihren Ansatz eine Initiative namens studienaktie.org. Die haben eine ganz eigene Form der Bildungsfinanzierung entwickelt. Ein sogenannter Bildungsinvestor kann sich einen Studierenden als Aktie kaufen, der damit sein Studium finanziert.

Auf der Homepage heißt es über das Projekt:

„studienaktie.org bietet Dir eine Plattform, auf der Du Deinen persönlichen Bildungsinvestoren begegnen kannst. [...] Die Bildungsinvestoren entscheiden sich für Dich anhand Deines anonymisierten Profils. In Deinem Profil gibst Du unter anderem einen Einblick in das, was Du mit Deinem Bildungsprojekt und in Deinem späteren Leben erreichen willst. Ihr könnt Euch [...] für ein persönliches Treffen verabreden, wo Ihr gemeinsam herausfindet, ob Ihr eine Bildungspartnerschaft miteinander eingehen wollt. Wenn ja, dann erwirbt Dein Bildungsinvestor eine bestimmte Anzahl Deiner „studienaktien".

Diese sichern ihr oder ihm einen Anteil an Deinem zukünftigen Nettoertrag (Gehalt und sonstige Einkünfte abzüglich Sozialabgaben und Steuern) zu. Rechtlich handelt es sich dabei um ein [...] Darlehen mit Erfolgsbeteiligung."

Meine Damen und Herren, das klingt skurril, ist aber in der Logik leider nicht weit von dem entfernt, was die Bundesregierung plant. Studierende werden zu Kapitalanlagen, im wahrsten Sinne zu Humankapital. Nur blöd nur, wenn ein Profil niemanden zusagt, weil die beruflichen Aufstiegschancen zu begrenzt sind für ein Darlehen mit Erfolgsbeteiligung.

Wenn die Bildung davon abhängt, ob man einen Bildungsinvestor findet oder ein von Unternehmen gesponsertes Stipendium erhält, dann verkommt das im Grundgesetz garantierte Recht auf freie Berufswahl zur Farce. Es ist die Aufgabe der staatlichen Bildungsfinanzierung jedem Studierwilligen die Aufnahme eines Studiums zu ermöglichen.

Anstatt auch nur einen Cent für dieses unsoziale und undemokratische Stipendienprogramm zu verwenden, sollten Sie sich für eine BAföG-Erhöhung einsetzen, die mehr ist als nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die erste BAföG-Erhöhung seit Jahren betrug durchschnittlich 7 €, das gleicht nicht einmal die gestiegenen Lebenshaltungskosten ausgleicht.

Gleichzeitig streicht die Bundesregierung den Bonus für die BAföG-Empfänger, die zum besten Drittel ihres Jahrgangs gehören.

Wer beim Studienabschluss besonders gut abschnitt, dem erließ der Staat bis zu 25 Prozent seiner BAföG-Schulden.

Das wird ab 2012 abgeschafft. Von diesem Bonus haben jährlich immerhin 12.000 Studierende profitiert, das sind mehr als über das Stipendienprogramm gefördert werden.

Eine grundlegende Reform der Studienfinanzierung ist dringend nötig. Durch die neuen Studienstrukturen hat der materielle Druck auf die Studierenden zugenommen. Bachelor und Master studierbar zu machen, heißt auch, den finanziellen Druck auf die Studierenden zu entschärfen. Dazu wird das Stipendienprogramm aber keinen Beitrag leisten.

Deshalb lehnen wir eine derartige Elitenförderung ab und werden dem vorgelegten Antrag deswegen auch nicht zustimmen.