Janine Wissler zu den Artikeln von Gesine Lötzsch und Andrea Ypsilanti

Rede von Janine Wissler zum Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Bekenntnis zu Freiheit, Demokratie und sozialer Marktwirtschaft und Distanzierung von abwegigen Vorstellungen der Landtagsabgeordneten Ypsilanti und der Bundesvorsitzenden der Linken Lötzsch am 2. Februar 2011

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die CDU will heute über die Aufsätze von zwei linken Frauen, nämlich Gesine Lötzsch und Andrea Ypsilanti, diskutieren. Im Grundsatz können wir das nur begrüßen, weil es allemal besser ist als über Ihre verqueren Vorstellungen zu reden. Aber leider geht es Ihnen nicht um den Inhalt, sondern um parteipolitische Spielchen und falsche Unterstellungen.

Gesine Lötschs Artikel

Gesine Lötzsch hat einen Artikel geschrieben, in dem sie sich auf Rosa Luxemburg bezieht:

Ich zitiere: „Sie forderte die Herrschaft des Volkes über Wirtschaft und Gesellschaft genauso ein wie die Freiheit des Andersdenkenden. Sie war eine radikale demokratische Sozialistin und konsequente sozialistische Demokratin. Deswegen konnte der sowjetische Parteikommunismus sich [...] genauso wenig mit ihr versöhnen wie der bürgerliche Liberalismus. [...] Und genau deswegen ist sie für die Partei Die Linke eine der wichtigsten Bezugspersonen in der Geschichte der Arbeiterbewegung."

Der Artikel endet mit den Worten, dass dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört.

Wer diesen Text zum Anlass nimmt, Gesine Lötzsch oder die Linke in eine stalinistische Ecke zu rücken nur weil sie das Wort „Kommunismus" verwendet, der hat ihn entweder nicht gelesen oder täuscht ganz bewusst.

Alle großen Utopien der Menschheitsgeschichte sind für die Rechtfertigung von Verbrechen missbraucht worden. Die christliche Idee ist missbraucht worden für Hexenprozesse, die Inquisition und Kreuzzüge. Trotzdem käme niemand auf Idee, sich davon zu distanzieren, wenn er über das Christentum spricht. Ihre Partei trägt ein C im Namen, aber in Ihrem Parteiprogramm findet sich keine Aufarbeitung der Verbrechen, die im Namen des Christentums angerichtet wurden.

Ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie mich auf dem Scheiterhaufen sehen wollen, also hören Sie auf uns zu unterstellen, wir wollten die Demokratie abschaffen.

Und liebe Herren von der FDP, auch der Liberalismus ist nicht frei von historischer Schuld. Die Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitsverfassung waren Sklavenhalter und die deutschen Liberalen haben dem Ermächtigungsgesetz der Nazis zugestimmt.

Karl Marx definierte den Kommunismus als Ende der Herrschaft des Menschen über den Menschen, als Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung.

Die Idee des Kommunismus wurde missbraucht für Verbrechen des Stalinismus und in der DDR. Davon hat sich DIE LINKE eindeutig distanziert. Das ist aber kein Grund die Ideen von Karl Marx, Rosa Luxemburg und anderen denen zu überlassen, die sie ins Gegenteil verkehrt haben.

Es ist weniger entscheidend, wie man etwas nennt, entscheidend ist, was man darunter versteht und das hat Gesine Lötzsch deutlich gemacht.

Nach der tiefen Krise des Kapitalismus, nach dem Crash an den Börsen und nach milliardenschweren Rettungspaketen ist es nicht nur unser Recht, sondern geradezu unsere Pflicht über Alternativen zum Kapitalismus nachzudenken. Millionen Hungertote, Kriege, Umweltzerstörung, Massenarmut und Erwerbslosigkeit machen die Suche nach einer anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht nur legitim, sondern unbedingt notwendig.

Nach einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung glauben 90 Prozent der Deutschen nicht, dass der Kapitalismus die drängenden sozialen und ökologischen Probleme lösen kann.

Drei Viertel der Ostdeutschen und die Hälfte der Westdeutschen halten den Sozialismus für eine gute Idee, das können nicht nur Wähler der Linken sein.

Sozialismus und Freiheit schließen einander nicht aus, wie Sie in Ihrem Antrag behaupten, sondern bedingen einander. Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, in dem die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht das Profitstreben. Echte Demokratie und Freiheit bedeuten auch demokratische Entscheidungen über die Wirtschaft.

Sie sollten auf Ihr Parteimitglied Heiner Geissler zu hören, der die CDU aufforderte, den Kapitalismus zu bekämpfen, weil die heutige anarchische Wirtschaftsordnung über Leichen gehe.

Ich darf ihn zitieren: „Wo bleibt der Aufschrei der SPD, der CDU, der Kirchen gegen ein Wirtschaftssystem, in dem große Konzerne gesunde kleinere Firmen [...]aufkaufen, als wären es Sklavenschiffe aus dem 18.Jahrhundert, sie dann zum Zwecke der Marktbereinigung oder zur Steigerung der Kapitalrendite und des Börsenwertes dichtmachen und damit die wirtschaftliche Existenz von Tausenden mitsamt ihren Familien vernichten?

Den Menschen zeigt sich die hässliche Fratze eines unsittlichen und auch ökonomisch falschen Kapitalismus, wenn der Börsenwert und die Managergehälter [...] umso höher steigen, je mehr Menschen wegrationalisiert werden."

Das schrieb Heiner Geissler, Mitglied der CDU und Ihr hoch gelobter Schlichter bei Stuttgart 21.

Wir wollen die Eigentumsverhältnisse ändern, weil heute 10 Prozent der Bevölkerung über zwei Drittel des Vermögens in Deutschland verfügen.

Vier Energiekonzerne bestimmen die Politik der Bundesregierung und machen das Lebensumfeld von hunderttausenden Menschen zu einer radioaktiven Müllkippe.

Auch deshalb wollen wir mehr Gemeineigentum und damit mehr öffentliche und demokratische Kontrolle der Wirtschaft.

Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass Verstaatlichungen zum Verlust der Freiheit führe.

Was sagen Sie damit über die Geschichte der Bundesrepublik? Sie erklären damit, dass wir bis zur Privatisierungswelle der 90er Jahre in Unfreiheit gelebt haben. Ich empfehle Ihnen einen Blick ins Ahlener Programm der CDU. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es gesellschaftlicher Konsens in Deutschland, dass staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nötig und öffentliche Unternehmen eine wichtige Säule der Wirtschaft sind.

Sie bejubeln in Ihrem Antrag den Segen der sozialen Marktwirtschaft, ohne zu erwähnen, dass die Wirklichkeit für viele Menschen in diesem Land schon lange weder sozial noch segensreich ist.

Jedes sechste Kind lebt in Deutschland in Armut und 8 Millionen Menschen arbeiten zu Niedriglöhnen, während die Zahl der Vermögensmillionäre auf Rekordniveau gestiegen ist. Das sollten Sie hier zum Thema machen.

Verhalten der Landesregierung

Und Ihr Schmierentheater wird vollends lächerlich, wenn man sich die Reisen der Landesregierung anschaut. Im Jahr 2010 reisten Sie mit Wirtschaftsdelegationen in die Volksrepublik China und in die sozialistische Republik Vietnam, wo Sie sich von Vertretern der Kommunistischen Partei Chinas und der KP Vietnam empfangen ließen.

Dieses Jahr geht's zu Ghaddafi nach Libyen und erneut nach China. Meine Damen und Herren, Ihnen ist doch kein Weg zum Kommunismus zu weit.

Der stellvertretende Ministerpräsident Hahn besucht in China das Mao-Geburtshaus, lässt sich vor einer Mao-Büste ablichten und dann entrüsten Sie sich, wenn einer das Wort Kommunismus benutzt. Wenn Gesine Lötzsch statt über Wege zum Kommunismus über Flugrouten zum Kommunismus geschrieben hätte, dann hätte Sie die Reisepolitik der hessischen Landesregierung beschrieben.

Meine Damen und Herren, klären Sie doch mal Ihr Verhältnis zum sogenannten Kommunismus in Ländern wie China. Wenn Ihnen Menschenrechte so am Herzen liegen, sprechen Sie sie doch mal an, statt sich anzubiedern, damit die Geschäfte besser laufen. Treffen Sie sich doch mit Oppositionellen und Gewerkschaftern.

Und nehmen Sie Ihre Reden von heute mit, die können Sie beim Staatsbankett in Tripolis und bei Ihren Freunden von der KP China halten.

Es ist Heuchelei pur, was Sie hier betreiben. Es ist Ihnen doch völlig egal, ob sich ein Land sozialistisch, kommunistisch oder Taka-Tuka-Land nennt, solange die Geschäfte stimmen.

Es geht Ihnen nicht um den Kommunismus und auch nicht um die Opfer des Kommunismus, die Sie hier anführen, die sind bestenfalls Statisten in Ihrer Inszenierung.

Aufsatz von Andrea Ypsilanti

Und weil Ihre Dreckkübel prall gefüllt sind, schütten Sie auch gleich mal wieder einen über Andrea Ypsilanti aus.

Und zwar wegen einem Aufsatz, in dem sie Regierungspraxis der SPD kritisch analysiert. Sie setzt sich mit der Agenda 2010, den Hartz-Gesetzen und der Rente mit 67 auseinander und kritisiert, dass es auch heute noch eine neoliberale Hegemonie in der SPD gibt. Es verdient Respekt, dass sich endlich mal jemand in der SPD damit auseinandersetzt, warum 100.000e Mitglieder und noch viel mehr Wähler die Partei verlassen haben.

Sie skandalisieren, dass Andrea Ypsilanti vom „Terror der Ökonomie" schreibt. Aber wie nennen Sie es, wenn Hunderttausende sterben, weil an den internationalen Börsen auf steigende Lebensmittelpreise gewettet wird? Die einen spekulieren, die anderen verhungern. Zynischer und menschenverachtender kann eine Ökonomie kaum funktionieren.

Wer dieses System nicht verändern will, der handelt verantwortungslos.

Ihr Problem mit Andrea Ypsilanti ist aber nicht, dass sie einen Artikel schreibt. Sie haben einen Ypsilanti-Komplex, seit sie 2008 die Wahl gegen Roland Koch gewonnen hat. Diese Niederlage haben Sie nicht verkraftet und weil Sie sie nicht zwangspensionieren können, bewerfen Sie sie mit Dreck.

Es ist hanebüchen: Der Landtag soll sich von zwei Aufsätzen distanzieren, das ist geradezu peinlich angesichts der realen Probleme in diesem Land. Dahinter steckt der Versuch, linke Kritik, ob von linkssozialdemokratischer oder von sozialistischer Seite von vornherein zu verteufeln. Sie wollen ablenken von Ihrer Politik, den Auswirkungen des Sparpaketes, Ihrem Kniefall vor den Atomkonzernen und Ihren unzähligen Skandalen in Hessen wie aktuell bei der Stiftung Kloster Eberbach.

Ich halte beide Artikel, so unterschiedlich sie sind, für legitime Ansätze gesellschaftliche Alternativen über die bestehenden Verhältnisse hinaus zu entwickeln. Und ich möchte den hessischen Wirtschaftsminister zitieren: „Wovon man sich auch immer leiten lassen mag – von christlicher, von sozialer, von politischer Verantwortung -: der Weg in eine glücklichere Zukunft führt über den Sozialismus zur Demokratie." Herr Posch, das Zitat stammt, wie Sie vielleicht bemerkt haben, leider nicht von Ihnen, sondern von einem Ihrer Vorgänger, von Harald Koch.

Wir werden uns nicht verbieten lassen auch weiterhin über Alternativen zum Kapitalismus zu diskutieren, aber das tun wir in Zukunft lieber ohne Sie, Herr Wagner, dann ist das Niveau höher.