Staufreies Hessen heißt ÖPNV ausbauen - Verkehrswende ist nötig
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Wenn die Landesregierung überhaupt keine Ideen mehr hat, dann reichen die Regierungsfraktionen hier in der Regel irgendwelche inhaltslosen Jubelanträge ein, um die Regierungspolitik zu feiern. Wenn es wirklich nichts mehr zu feiern gibt, weil ein Leuchtturm nach dem anderen zusammenbricht, dann reden wir wieder einmal über so etwas wie das „staufreie Hessen“; Sie machen hier viel Lärm um nichts und loben sich für eine Sache, die man zwar einmal in einer Presserklärung erwähnen kann, über die der Landtag aber sicher nicht eine Stunde lang diskutieren müsste.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die ständige Ausweitung des motorisierten Straßenverkehrs ist angesichts der ökologischen, sozialen
und auch der wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht zukunftstauglich. Er ist
teuer. Ich finde es immer wieder entlarvend, wie bereitwillig die Regierungsfraktionen für den Straßenverkehr und für den Flugverkehr jederzeit Steuergelder lockermachen, während für andere Politikbereiche angeblich kein Geld da ist. So leichtfertig wie für den Straßenverkehr geben Sie anderswo kein Geld aus.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch, für die EBS!)
– Das stimmt. Aber neben der EBS wurde sofort eine Tiefgarage gebaut. Auch hier also eine Koppelung zur Automobilindustrie.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Man kann von einem EBS-Studenten doch nicht erwarten, dass er hier in Wiesbaden einen Parkplatz
sucht. Das wäre ja der Horror. Deshalb war bei der Planung auch gleich der Bau einer Tiefgarage vorgesehen. Da waren Sie ganz großzügig, ohne Rücksicht auf Verluste.
(Minister Florian Rentsch: Seid ihr eine Opposition!)
– Herr Rentsch, ich weiß, „EBS“ ist Ihr Stichwort. Dazu können Sie ja später etwas sagen.
Die „Allianz pro Schiene“, auf die von meinen Vorrednern bereits hingewiesen wurde, hat im „Bundesländerindex Mobilität 2012“ festgestellt, dass Hessen im Bereich der nachhaltigen Mobilität im Länder-Ranking auf Platz 16 liegt. Schwarz-Gelb führt Hessen also auch auf diesem Feld sehr sicher an die Schlussposition. Herr Müller, das nennen Sie dann „Musterland Mobilität“. Wenn „Musterland Mobilität“ ungefähr so etwas ist wie „Bildungsland Nummer eins“ oder „Musterland erneuerbare Energien“, dann schwant mir Übles, was Sie in Zukunft in der Verkehrspolitik noch planen.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
Von einem „staufreien Hessen“, heißt es in der Bewertung weiter, kann ebenfalls noch nicht die Rede
sein. Beim Indikator „Stau pro Kilometer Autobahn“ kommt Hessen im Bundesländer-Ranking nur auf
den 12. Platz.
Der tagtägliche Stau auf hessischen Autobahnen ist aber eine Vergeudung von Ressourcen und vor allem eine Vergeudung der Lebenszeit der Betroffenen. Wer meint, man könnte das Problem des wachsenden Verkehrs dadurch lösen, dass man die Seitenstreifen zeitweise für den Verkehr freigibt, der irrt. Das mag eine sinnvolle Einzelmaßnahme sein, aber das grundsätzliche Problem wird dadurch überhaupt nicht gelöst. Deswegen frage ich mich, ob man eine Landesregierung wirklich dafür bejubeln muss, dass sie die Standstreifen zeitweise freigibt. Das zeigt, dass Sie gar keine Erfolge haben, die Sie hier feiern können.
(Zuruf von der Regierungsbank)
– Sie freuen sich? Das ist schön. – Die Bundesregierung geht von einer Steigerung der Verkehrsleistung beim motorisierten Verkehr um 19,4 % bis 2025 aus. Den allergrößten Teil macht der motorisierte Individualverkehr aus. Dafür macht der Bund die Vergrößerung des Pkw-Bestands und auch die Entwicklung der Siedlungsstrukturen verantwortlich. Wenn wir nicht im Verkehr und in den Abgasen untergehen wollen, brauchen wir – Frau Kollegin Müller hat das angesprochen; ich meine das ebenfalls – einen völlig neuen Zugang zur Verkehrspolitik.
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ja, Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Menschen. Aber Mobilität ist nicht mit dem Autofahren gleichzusetzen, und Mobilität muss auch für alle Menschen bezahlbar sein und bleiben. Mobilität darf nicht zum Luxusgut werden. Aber heute ist ein großer Teil der Mobilität erzwungene Mobilität, die überhaupt nicht dazu dient, die Lebensqualität in irgendeiner Form zu erhöhen, sondern ganz im Gegenteil mit Stress und Zeitverlust verbunden ist.
Angesichts dessen, aber auch angesichts des Klimawandels müssen wir darüber diskutieren, wie wir
perspektivisch dahin kommen, dass Menschen nicht mehr gezwungen sind, jeden Tag etliche Kilometer mit dem Auto zur Arbeit zu pendeln. Ich denke, ein Punkt, über den man in diesem Zusammenhang auch reden muss, ist bezahlbarer Wohnraum in Arbeitsnähe, damit die Menschen nicht gezwungen sind, auf dem Land zu wohnen und tagtäglich in die Städte zu pendeln, weil sie die hohen Mieten dort nicht mehr bezahlen können. Das zieht ein enormes Verkehrsaufkommen nach sich und bedeutet letztendlich auch überhaupt keinen Gewinn an Lebensqualität.
Meine Damen und Herren, man braucht Autos umso mehr, je weniger Alternativen es gibt. Eine Alternative wäre ein bezahlbarer und flächendeckender ÖPNV mit häufig verkehrenden Bussen und Bahnen. Dessen Finanzierung käme die meisten Menschen auch billiger als die Finanzierung eines Autos.
Der hessische ÖPNV landet im bundesweiten Ranking aber auf dem 14. Platz von 16. Immerhin ist er
auf diesem Platz gelandet, könnte man jetzt angesichts anderer Ergebnisse sagen. Ich will an der
Stelle aber auch betonen, dass das sicherlich nicht an den beim ÖPNV Beschäftigten liegt. Ich kann
nicht oft genug darauf hinweisen, dass die Stundenlöhne derjenigen, die in Hessen Busse und Bahnen fahren, an der offiziellen Niedriglohngrenze liegen. Ich bin der Meinung, es ist wirklich ein Skandal, dass Menschen, die eine solch verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben, so schlecht bezahlt werden und teilweise gezwungen sind, zwei Jobs anzunehmen, weil sie von diesem Lohn überhaupt nicht leben können.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie machen hier Werbung für sich – nicht einmal besonders glaubwürdig, wie man feststellt, wenn
man sich die Untersuchung der Allianz pro Schiene anschaut – als Parteien der Autofahrer und der
Straße. So wollen Sie sich profilieren. Aber ein zukunftsweisendes Verkehrskonzept müsste die Bedingungen dafür schaffen, dass der Verkehr, insbesondere der Straßenverkehr, reduziert wird. Wir
brauchen Strategien zur Verkehrsvermeidung und keine zum weiteren Ausufern des Verkehrs.
Nun rede ich einmal über die schlimmen Folgen des Lärms. Das ist immer wieder ein Thema. Ich fand
es sehr richtig, dass Frau Staatssekretärin Müller-Klepper im Rheingau auf der Demonstration gegen
den Bahnlärm gesagt hat: Lärm ist die moderne Form der Folter. – Aber, Frau Müller-Klepper, Sie wissen natürlich, dass das nicht nur für den Bahnlärm, sondern auch für den Fluglärm und den Straßenlärm gilt. Ich denke, dass wir, wenn wir über Verkehrsvermeidung reden, das auch unter dem Aspekt der Lärmreduzierung machen müssen. Frau Müller-Klepper, deswegen finde ich, Sie haben völlig recht, dass Sie das auf dieser Demonstration so deutlich angesprochen haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Es geht nicht nur um Lärm, sondern auch um die Abgase – den Feinstaub –, die die Gesundheit belasten. Autofahren ist darüber hinaus in jeder Hinsicht teuer, zum einen für den Einzelnen, und zum anderen sind auch hohe gesellschaftliche Kosten damit verbunden. Es ist, auch wenn Sie die Augen davor verschließen, absehbar, dass das Auto und das Flugzeug nicht mehr die Rollen werden spielen
können, die sie heute spielen. Sie fördern Verkehrsarten, die allein aufgrund der Rohstoffverknappung
nicht immer weiter ausgebaut werden können.
Deshalb ist Ihr Eigenlob, dass Sie in Hessen nachhaltige Mobilität sicherstellen, ehrlich gesagt nicht
viel mehr als ein schlechter Witz. Nachhaltig ist an Ihrer Verkehrspolitik eigentlich überhaupt nichts,
abgesehen von der Tatsache, dass Sie damit einen nachhaltigen Schaden anrichten.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich bin der Meinung, wir müssen hier darüber diskutieren, wie wir es schaffen können, die Zahl der
Pendler, die sich jeden Tag z. B. nach Frankfurt hineinkämpfen müssen, auch im Interesse der Lebensqualität der Betroffenen zu reduzieren. Mir ist, ehrlich gesagt, nicht ganz klar, was den Menschen ein Warnsystem bringen soll. Was ändert es an den grundlegenden Problemen, wenn sich die Fahrzeuge gegenseitig vor Staus und Unfällen warnen können? Das löst doch das grundlegende Problem, das wir haben, nicht. Den größten Teil der morgendlichen Radionachrichten nehmen ohnehin schon die Staumeldungen ein. In Zukunft können sie per Funk von Fahrzeug zu Fahrzeug gesendet werden.
(Horst Klee (CDU): Sie brauchen andere Menschen!)
Das löst doch nicht das Problem, dass es auf den Straßen immer mehr Verkehr gibt und dass die
Menschen immer mehr Zeit auf der Fahrt im Stau verbringen. Ich denke, eine wirklich intelligente Meldung, die das System, das Sie in Ihrem Antrag beschreiben, weitergeben könnte, wäre diese: Fahr mit dem öffentlichen Personennahverkehr, wenn es irgendwie möglich ist, und lass dein Auto stehen.
(Beifall bei der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Fahr mit dem Bus!)
–„Fahr mit dem Bus“ – genau, Herr Reif. Das können wir bei Ihnen einprogrammieren. Mit dem Bus
kann man auch fahren.
Aber das funktioniert nur, wenn man die ÖPNV-Verbindungen nicht immer weiter ausdünnt. Deshalb
müssen wir auch über die Finanzierung des ÖPNV reden. Wir gehen einem Finanzierungsdefizit von
140 Millionen € im Jahr entgegen. Das wird natürlich zu Leistungskürzungen im ÖPNV führen.
Diesem Kaputtsparen des ÖPNV muss etwas entgegengesetzt werden. Gerade für den ländlichen
Raum ist es doch entscheidend, dass man dort eine Verkehrsinfrastruktur hat, die gewährleistet, dass
nicht jeder Auto fahren muss, sondern dass für ältere Menschen, für Menschen, die keinen Führerschein haben, oder auch für diejenigen, die bewusst auf ein Auto verzichten wollen, Angebote gibt. Ich finde, das ist die entscheidende Frage.
Das Einzige, was Sie sich in Ihrem Antrag in Bezug auf den ÖPNV zugutehalten, ist die Einführung
von Handy-Tickets. Das mag modern und auch praktisch sein – keine Frage –, hat aber mit einer Verbesserung der Mobilitätsangebote zunächst einmal herzlich wenig zu tun. Schließlich fahren deswegen nicht mehr Züge und Busse, und die Preise werden auch nicht gesenkt. Das ist zwar ein praktischer Service, aber man braucht sich dafür nicht zu feiern. Mittlerweile gibt jeder fünfte Befragte an, auch aus Kostengründen auf Fahrten zu verzichten; denn Mobilität ist einfach viel zu teuer geworden.
Ich komme zum Schluss: CDU und FDP betätigen sich als verkehrspolitische Geisterfahrer. Sie konterkarieren mit ihrem Ausbau von Flughäfen und Autobahnen ihre eigene Nachhaltigkeitsstrategie, die es auch gibt. Deshalb brauchen wir eine Verkehrswende, und deshalb brauchen wir keine Landesregierung, die sich zum Anwalt der Automobilindustrie und der Luftverkehrswirtschaft macht.
– Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)