Studierende brauchen bezahlbaren Wohnraum!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Wir haben gestern schon über die desaströsen Zustände an den hessischen Hochschulen gesprochen, und es ist gut, dass wir heute gesondert über die Wohnsituation der Studierenden sprechen. Denn hier gibt es ganz besonders große Probleme. Diese Probleme – da hat Herr May vollkommen recht – sind nicht wie ein Naturereignis über diese Landesregierung gekommen, sondern das ist lange absehbar gewesen. Seit Jahren steht das Thema studentischer Wohnraum auf der Tagesordnung. In vielen Unistädten rufen die Hochschulen zu Beginn des Wintersemesters Einwohner alljährlich dazu auf, privaten Wohnraum zu Verfügung zu stellen, weil es einfach nicht genug Studierendenwohnheime gibt.
Viele Studierende wissen zu Beginn ihres Studiums oftmals gar nicht, wo sie wohnen werden. Oftmals
wohnen sie die ersten Wochen in Notunterkünften. Es gibt das sogenannte „Wohnen gegen Hilfe“,
oder aus der Not heraus werden überteuerte Mietverträge abgeschlossen. All das gehört zum Alltag
an den Universitätsstandorten auch in Hessen. Das hat den Hintergrund, dass einfach viel zu wenig
bezahlbarer Wohnraum für Studierende zur Verfügung steht.
Meine Damen und Herren, die „Wirtschaftswoche“ veröffentlichte im August dieses Jahres einen Artikel mit der Überschrift: „Hier scheint die Wohnungssuche aussichtlos“. Von den vier Städten bundesweit, in denen Studierende am schwierigsten Wohnraum finden, sind zwei in Hessen, nämlich Frankfurt und Darmstadt.
Ich bin schon der Meinung, dies ist ein Armutszeugnis für eine Landesregierung, die lieber ein halbes
Jahr lang darüber diskutiert, ob sie die Nassauische Heimstätte verkaufen soll, anstatt bezahlbaren
Wohnraum nicht nur, aber auch für Studierende zu schaffen.
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, alles, was der FDP zu diesem Thema hier im Landtag einfällt, ist, dass der
Antrag in einem anderen Ausschuss behandelt werden sollte. Liebe FDP, ich halte das für sehr wenig,
was Sie dazu zu sagen haben. Offensichtlich ist Ihnen das Problem nicht bewusst. Vielleicht sollten
Sie sich einmal mit anderen Studierenden, die diese realen Probleme haben, unterhalten als mit denen von der EBS.
(Beifall der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: In Fulda gibt es z. B. gerade einmal für 4 % der Studierenden öffentliche Wohnheimplätze. Die Zahlen in Fulda haben sich sogar verschlechtert. 2002 waren es noch 8 %, mittlerweile sind es 4 %. Das ist kein Einzelfall. Auch in Kassel sinkt der prozentuale Anteil an Studierenden, für die Wohnheimplätze zur Verfügung stehen. In Marburg, dem hessischen Spitzenreiter, was die Wohnheimquote angeht, sind es gerade einmal 9,55 % der Studierenden, die einen Wohnheimplatz zur Verfügung haben, und auch hier ist die Tendenz sinkend.
Wenn wir über Frankfurt reden, wo Sie sich gerade mit dem neu errichteten Campus Westend gebrüstet haben, dort gibt es Studierende, die noch Wochen nach Semesterbeginn auf Wohnungssuche sind und in Notunterkünften oder Zwangslösungen wohnen. Sie lassen diese Studierenden im Regen stehen. Nicht ohne Grund existieren solche Programme wie Wohnen für Hilfe, bei denen sich Studenten für eine geringe Miete in Privathaushalten ein Zimmer mieten und sich gleichzeitig verpflichten, im Haushalt der Vermieter zu helfen. Das kann im Einzelfall eine sinnvolle Lösung sein, aber so lässt sich der Mangel an studentischem Wohnraum überhaupt nicht bekämpfen.
Herr Weimar, zu Ihren Ausführungen. Ich finde, Herr Weimar hat das hier sehr treffend dargelegt,
warum man die Versorgung mit Wohnraum nicht allein dem Markt überlassen darf. Sie haben dargelegt, dass Vermieter, wenn sie vor der Wahl stehen, eher hochpreisigen Wohnraum schaffen, weil man mehr Geld damit verdienen kann, und dass Studenten zweifelsohne auch nicht Gruppe von Mietern seien, der man am liebsten eine Wohnung vermietet.
Deswegen finde ich die Ausführungen von Herrn Weimar an diesem Punkt sehr richtig. Ich denke, das
spricht dafür, dass das Land Hessen, dass die öffentliche Hand auch in der Verantwortung ist, ausreichend Wohnraum zu schaffen, und sich nicht darauf verlassen kann, dass es ausreichende Wohnungen auf dem Markt gibt.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, der Antrag der GRÜNEN geht in die richtige Richtung. Allerdings geht er
uns nicht weit genug. Sie fordern 5 Millionen € für ein Sonderprogramm zur Förderung von Investitionen für Studierendenwohnheime für die Studierendenwerke. Das wäre unbestritten ein Schritt in die richtige Richtung. Mit 5 Millionen € werden Sie dieses Problem nicht ansatzweise in den Griff bekommen.
Wir haben derzeit in Hessen etwa 15.000 Wohnheimplätze für nur 7 % der hessischen Studierenden.
Damit ist Hessen bundesweit auf dem drittletzten Platz. Nur Schleswig-Holstein und Bremen sind
schlechter als Hessen. Die Studierendenzahlen steigen dramatisch an, und die Ministerin redet die Lage schön. Ich sage nicht, dass in den letzten Jahren überhaupt nichts passiert wäre. Aber angesichts der Studierendenzahlen, die doch zu erwarten waren, wenn man G 8 einführt und weiß, dass man auch Doppeljahrgänge hat, und wenn man sich die Schülerzahlen anschaut – es gibt doch klare Prognosen über die Studierendenzahlen. Sie haben da überhaupt nicht vorgebaut. Was Sie jetzt tun, reicht bei Weitem nicht aus, weil wir einen ganz enormen Nachholbedarf haben.
Teilweise höre ich ein bisschen heraus: Es lohnt sich eigentlich gar nicht so richtig zu bauen; bis man
das alles umgesetzt hat, werden die Studierendenzahlen doch wieder abnehmen. – Immer wieder ist
der Versuch vorhanden zu sagen: Wir müssen den Studentenberg irgendwie untertunneln. – Das ist
immer die Richtung, in die diese Diskussion geht.
(Clemens Reif (CDU): Das ist nicht wahr!)
Ich will sehr davor warnen, weil erstens die Studenten, die in den nächsten Jahren anfangen zu studieren, auf jeden Fall vier, fünf Jahre an den Hochschulen sind. Und zum anderen geht es um die Frage, wie wir langfristig die Studierendenquote erhöhen. Es ist eigentlich ein gemeinsames Ziel, auch
das der Bundesregierung, die Studierendenquote langfristig zu erhöhen. Deshalb ist es sinnvoll, die
Wohnheimplätze jetzt auszubauen. Nebenbei gesagt, glaube ich, dass es kein Problem geben wird,
wenn man einen Überfluss an bezahlbarem Wohnraum hat. Es gibt eine ganze Menge Auszubildende, die z. B. sehr froh wären, wenn für sie kostengünstig Wohnraum zur Verfügung stünde.
(Beifall bei der LINKEN, bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Wir fordern in unseren Haushaltsanträgen für die nächsten beiden Jahre 40 Millionen € für ein Programm zum Ausbau von studentischem Wohnraum. Wir sind der Meinung, das ist auf jeden Fall angemessen angesichts der Tatsache, dass man der EBS gerade einmal 25 Millionen € in den Rachen geworfen hat, damit eine Hochschule wie die EBS von öffentlichen Geldern eine Tiefgarage gebaut bekommt.
Warum soll es dann nicht möglich sein, auch aktiv Studierendenwohnheime zu bauen.
Dadurch könnte der Bestand an Wohneinheiten für die studentische Nutzung in Hessen jährlich um
2.000 Einheiten durch Neubau erweitert werden. Dieser Neubau studentischen Wohnraums würde mit
Landesmitteln von jeweils 20.000 € je Einheit gefördert werden. Ich finde, das ist eine absolut notwendige Maßnahme: 2.000 Einheiten durch Neubau. Herr May hat vorhin auch darauf hingewiesen, dass allein in Frankfurt 1.000 Plätze fehlen.
Ich will einen Punkt ansprechen, der noch gar nicht genannt wurde. Es gibt nämlich auch in der Barrierefreiheit einen ganz erheblichen Nachholbedarf. Ich will Sie darauf hinweisen, dass es in Kassel ganze sechs barrierefreie Wohnheimplätze gibt – ganze sechs. Im Sinne von Inklusion und gleicher Chancen sind auch barrierefreie Wohnheimplätze neben barrierefreien Studienbedingungen an den Hochschulen ein ganz wichtiges Thema.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mit Maßnahmen zum Ausbau und zur energetischen Sanierung von studentischen Wohnheimen könnte der Mangel wirksam bekämpft werden. Das wäre auch ein Beitrag dazu, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt in vielen Städten für Gering- und Normalverdiener wieder entspannt. Das heißt aber als allererstes einmal, dass bestehende Studentenwohnheime erhalten werden müssen – anders als in Frankfurt, wo gerade ein Wohnheim in Bockenheim mit 80 Plätzen abgerissen werden soll, leider mit Unterstützung der GRÜNEN in Frankfurt und ihres Planungsdezernenten. Das ist eine meisterhafte Fehlplanung, wenn man bedenkt, dass in Frankfurt den rund 43.000 Studierenden gerade einmal 3.600 Wohnheimplätze zur Verfügung stehen. Herr May hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Warteliste auch in Frankfurt voll ist. Deswegen halten wir es für absolut notwendig, bestehende Wohnheime nicht abzureißen, sondern zu erhalten.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich finde auch einen Punkt wichtig, den Herr Weimar in Bezug auf die ausländischen Studierenden
ausgeführt hat. Gerade wenn sich die Hochschulen das Ziel gesetzt haben – wir hatten dazu im Ausschuss eine Anhörung –, die ausländische Studierendenquote zu erhöhen, dann gehört dazu, dass Wohnraum vor Ort ist und die ausländischen Studierenden überhaupt eine Möglichkeit haben, Studentenwohnraum vorzufinden.
Meine Damen und Herren, in Frankfurt standen im letzten Jahr mehr als 2 Millionen qm Büroflächen
leer. Ich frage mich schon, warum diese Flächen nicht genutzt werden, um studentischen, um sozialen
Wohnraum zu schaffen. Es sind nicht nur Studierende, die dringend bezahlbaren Wohnraum suchen.
Das sind auch die Geringverdiener. Dazu brauchen wir auf Landesebene endlich wieder ein wirksames Gesetz gegen Wohnraumzweckentfremdung, das den Kommunen die Möglichkeit gibt, gegen Lehrstand vorzugehen und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen.
(Karlheinz Weimar (CDU): Büroraum steht frei – weshalb Wohnraumzweckentfremdung?)
– Herr Weimar, das kann ich Ihnen sagen. Im Wohnraumzweckentfremdungsgesetz wurde nicht nur
die Frage geregelt, ob Wohnraum zu privatem Raum umgewandelt wurde, sondern
Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Frau Kollegin Wissler, Sie müssten zum Ende Ihrer Rede kommen.
Janine Wissler (DIE LINKE):
auch die Möglichkeit geschaffen wird, gegen Leerstand vorzugehen. Damit hätte die Kommune ein Instrument, gegen Leerstände vorzugehen.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss, ein letzter Satz. – Die Studierendenwerke sind völlig unterfinanziert. Das ist zu Recht angesprochen worden. Die Mittel pro Student sanken ganz dramatisch von 110 € im Jahr 1008 auf derzeit nur noch 88 €. Wir sind der Meinung, gute Studienbedingungen brauchen auch gute soziale Infrastruktur. Das gilt auch für die Frage Kindertagesstätten, die angesprochen wurde. Das gilt aber auch ganz besonders für das Thema Wohnraum. Deshalb wäre der Ausbau von Studentenwohnraum auch ein Beitrag zum Abbau von sozialen Bildungsbenachteiligungen in unserem Bildungssystem.
(Beifall bei der LINKEN)
Wortmedlung in der weiteren Debatte
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich es
gut fand, dass Herr Lenders noch einmal geredet hat und gesagt hat: Ja, beim studentischen Wohnraum haben wir ein Problem. – Die Frage, die sich mir jetzt stellt, lautet: Wer sagt es der Frau Ministerin?
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Ministerin hat gerade das die ganze Zeit in Zweifel gezogen. Sie haben Ihre komplette Redezeit
dafür verwendet – –
(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))
– Sie haben jetzt nicht gesagt: Immer auf die Kleinen, oder? Meinen Sie damit die FDP oder die Ministerin?
(Heiterkeit bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Frank Lortz:
Meine Damen und Herren, bitte kommen Sie zur Ruhe. Herr Kollege Rudolph hat Hunger. Machen
wir, dass wir vorankommen. – Frau Kollegin Wissler, bitte.
Janine Wissler (DIE LINKE):
Frau Ministerin, ich möchte Sie noch einmal mit Ihren eigenen Zahlen vertraut machen. In der Antwort
auf einen Berichtsantrag haben Sie die entsprechenden Zahlen vorgelegt, wie sich die öffentlich geförderten Wohnplätze in Relation zu der Studierendenzahl entwickelt haben. Wenn man sich diese Zahlen anschaut, stellt man fest, Darmstadt im Jahr 2002 10,6 %, 2011 8,4 %. Wiesbaden 2002 6,5 %, 2011 5,9 %. Gießen von 11 % auf 7,7 %. Fulda von 8 % – das habe ich vorhin schon gesagt – auf
4 %. Friedberg 13,9 % auf 5 %. Marburg 15,6 % auf 9,5 %. Kassel 8,9 % auf 6,1 %. Das sind alles Zahlen für den Zeitraum von 2002 bis 2011. Der einzige Ausreißer ist Frankfurt. Da haben Sie es geschafft, die Zahlen von 6,8 % auf 7,1 % zu erhöhen. Das sind doch Ihre eigenen Zahlen, die Sie uns vorgelegt haben.
(Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Sie müssen einfach zuhören!)
Das ist natürlich das Problem. Das Problem ist, dass wir gleichzeitig steigende Studierendenzahlen
haben. Natürlich haben Sie in den letzten Jahren Wohnheimplätze dazu gebaut, und es sind neue
Wohnheimplätze entstanden, bei Weitem aber nicht in dem Ausmaß, um den Bedarf auffangen oder
auch nur den Status quo halten zu können, den man 2002 hatte. Man muss sich nur Ihre Antwort auf den Berichtsantrag durchlesen. Dann ist doch ganz offensichtlich, dass wir hier ein Problem haben.
(Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Haben wir auch!)
– Frau Ministerin, dann sollten Sie Ihre Redezeit aber nicht darauf – –
(Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Hören Sie doch zu, Frau Wissler! – Günter Rudolph (SPD):
Was sollen die Zurufe von der Ministerbank?)
Vizepräsident Frank Lortz:
Meine Damen und Herren! Ich bitte, dass wir uns alle an die Regeln des Hauses halten. Von der Regierungsbank bitte keine Debattenbeiträge. Frau Kollegin Wissler hat nach wie vor das Wort.
Janine Wissler (DIE LINKE):
Frau Ministerin, ich merke, getroffene Hunde bellen, und Sie werden offensichtlich etwas nervös, wenn die eigene Fraktion sagt: Nicht immer auf die Kleinen. – Das kann ich durchaus verstehen.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Ministerin Eva Kühne-Hörmann)
Ich finde, dass Sie die Probleme konsequent wegreden. Das haben Sie im Ausschuss gemacht, und
das tun Sie jetzt auch hier. Sie sollten in dieser Situation nicht beschwichtigen, sondern Sie sollten die Situation ernst nehmen, entsprechend handeln und bedarfsgemäß Studierendenwohnheimplätze schaffen. Das ist Ihre Aufgabe als Ministerin, und nicht, hier etwas von blühenden Landschaften zu erzählen, die es an der Stelle überhaupt nicht gibt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)