Rede zum Mindestlohn, Altersarmut und Renten

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

ich finde es bemerkenswert, dass die SPD ausgerechnet ihr derzeit größtes innerparteiliches Streitthema, nämlich die Rentenpolitik, im Landtag zum Thema macht. Erst am Montag wurde die Entscheidung im SPD-Parteivorstand vertagt, weil es massive Kritik der SPD-Linken gegen das vorgelegte Konzept von Sigmar Gabriel gibt, die SPD hat also noch gar kein gemeinsames Konzept. Aber ich finde es schön, dass Sie den Landtag an dieser Debatte und Ihrer Positionsfindung teilhaben lassen und werde Ihnen meine guten Anregungen nicht vorenthalten.

Niedriglohn

Meine Damen und Herren, dass Altersarmut ein wachsendes Problem ist, hat mittlerweile auch die Bundesregierung erkannt. Erwerbslosigkeit, die Ausweitung prekärer Arbeit und sinkende Löhne führen zu Lücken in der Erwerbsbiografie und damit fehlenden Beitragszeiten.

Niedrige Löhne führen zu niedrigen Renten. Deshalb kann man nicht über die Rente diskutieren, ohne über die Löhne und über die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre zu reden.

In Hessen arbeiten heute rund 300.000 Beschäftigte zu Niedriglöhnen, also zu Löhnen, die kaum oder gar nicht ausreichen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Frauen sind davon besonders stark betroffen: Mittlerweile arbeitet jede dritte Frau im Niedriglohnsektor.

Durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors steigt das Armutsrisiko für breite Schichten der Bevölkerung. Eine wachsende Zahl von Menschen ist gezwungen trotz Vollzeitbeschäftigung ihre geringen Einkommen mit Hartz IV aufzustocken. Das ist vor allem entwürdigend für die Betroffenen. Und es geht zu Lasten der Allgemeinheit und belastet die Sozialversicherungssysteme.

Deshalb hat die Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht (CDU), völlig Recht, wenn Sie sagt, dass es nicht hinnehmbar sei, dass Menschen trotz täglich achtstündiger Arbeit „als Bittsteller beim Staat vor der Tür stehen".

Niedriglohnsektor war politisch gewollt

Für das Anwachsen des Niedriglohnsektors gibt es Gründe. Der DGB Hessen nennt an erster Stelle die ZITAT „arbeitsmarktpolitische Weichenstellungen der jüngsten Vergangenheit, insbesondere... die Hartz-Gesetzgebung".

Also die Liberalisierung der Leiharbeit durch Hartz I, die Einführung der Minijobs durch Hartz II und natürlich Hartz IV.

Hartz IV bedeutet niedrige Regelsätze, von denen die Menschen nicht leben können, und - wegen der Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln - den Zwang quasi jeden Job annehmen zu müssen.

Wer in Hartz IV rutscht und in einem eigenen Haus oder einer eigenen Wohnung lebt, bekommt nur Arbeitslosengeld II, wenn der Wohnraum nicht zu groß ist. Sonst muss das Eigenheim in der Regel verkauft werden.

Es ist absurd: Erst sollen die Menschen privat fürs Alter vorsorgen und wenn sie arbeitslos werden, müssen sie ihre gesamte Altersvorsorge erst wieder auflösen, um überhaupt ALG II zu bekommen. Was für ein Irrsinn.

Die Angst der Beschäftigten vor Hartz IV wirkt sich auf die Kampfbereitschaft der Gewerkschaften und hat mit dafür gesorgt, dass die Reallöhne in Deutschland in den letzten Jahren gesunken sind.

Der DGB hat bei der Einführung der Hartz--Gesetze genau vor der Entwicklung gewarnt, die heute beklagt wird. Wer also heute über die Abnahme der Bindekraft von Tarifverträgen und über den allgemeinen Trend zu Niedriglöhnen klagt, liebe SPD, ist gut beraten, sich die Diskussionen um die Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes durch die rot-grüne Bundesregierung noch einmal anzuschauen.

In der Opposition setzt sich die SPD für die Lösung von Problemen ein, die sie selbst geschaffen hat.

Denn der Ausbau des Niedriglohnsektors war eines der zentralen Projekte der rot-grünen Bundesregierung. „Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen", erklärte Ex-Kanzler Schröder wörtlich. Den haben wir jetzt. Es handelt sich also beim ausufernden Niedriglohnsektor nicht um irgendwelche unabsehbaren Fehlentwicklungen.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Niedriglohnsektor keinesfalls ein Sprungbrett in bessere Arbeitsverhältnisse ist, wie gerne behauptet wurde. Statt einem Sprungbrett erleben wir vielmehr eine Rutschbahn der Löhne.

Altersarmut

Meine Damen und Herren, die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die zunehmenden prekären Beschäftigungsverhältnisse werden zu einer explodierenden Altersarmut führen. Schon heute liegen die gesetzlichen Renten in Hessen im Durchschnitt nur bei etwas über 700 Euro, bei Frauen noch niedriger.

Viele Menschen können nicht mehr von ihrer Rente leben und sind gezwungen bis ins hohe Alter zu arbeiten, um nicht völlig in die Armut abzurutschen. Ich habe erst letztens von einem 84-jähtiger Rentner gelesen, der in Vollzeit als Taxifahrer arbeitet, 50 Stunden die Woche. Er tut das, weil seine Rente einfach nicht reicht und das, obwohl er sein Leben lang gearbeitet hat.

Das ist kein Einzelbeispiel, die Zahl der Rentner, die auf Grundsicherung angewiesen sind, ist in nur sechs Jahren um fast 150.000 gestiegen, das ist ein deutlicher Beleg für eine wachsende Altersarmut.

Auch das Bundesarbeitsministerium schreibt: "Stundenlöhne, die bei Vollzeit zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Alleinstehenden nicht ausreichen, verschärfen Armutsrisiken."

Mindestlohn

Deshalb brauchen wir endlich einen gesetzlichen Mindestlohn, der die Menschen vor Dumpinglöhnen schützt.

Wir brauchen gute Löhne, in erster Linie höhere Tariflöhne durch starke Gewerkschaften, aber eben auch einen Mindestlohn, damit Lohndumping endlich Einhalt geboten wird.

Nicht nur Niedriglöhner

Aber ein Mindestlohn allein wird das Problem nicht lösen. Denn auch wer heute ein durchschnittliches Gehalt hat, ist nicht vor Altersarmut gefeit. Nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit droht allen Beschäftigten, die heute weniger als 2.500 Euro brutto im Monat verdienen, zukünftig eine Rente in Höhe des Grundsicherungsniveaus.

Dies betrifft zwei von fünf Beschäftigten. Selbst ein Stundenlohn von 10 Euro, wie ihn DIE LINKE fordert und was ja gern als völlig überhöht bezeichnet wird, würde das Problem alleine auch nicht lösen. Nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums wäre ein Stundenlohn von 15,62 Euro über 35 Jahre hinweg nötig, um auf eine Rente von 688 Euro zu kommen.

Und das hat seine Ursache in der Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent, dass die rot-grüne Bundesregierung seinerzeit beschlossen hat. Erst wurde die Riester-Rente eingeführt und dann das "Nachhaltigkeitsgesetz" (2004) – was für ein grotesker Name, mit dem das Rentenniveau schrittweise sinkt. Die große Koalition hat zusätzlich die Rente ab 67 durchgesetzt.

Rente ab 67

Und die Rente mit 67 ist natürlich eine weitere Rentenkürzung. In vielen Berufen wird das gesetzliche Rentenalter schon heute nicht erreicht. Ein Dachdecker, der mit 63 nicht mehr arbeiten kann und in Rente geht, muss heute einen Abschlag in Höhe von 7,2 Prozent auf seine Rente hinnehmen. Wenn er künftig mit 63 in Rente gehen muss, weil er durch die Reform ja nicht gesünder wird, wird er Rentenabschläge von 14,4 Prozent hinnehmen müssen.

Die Rentenreformen der letzten Jahre lassen das Niveau der gesetzlichen Rente langfristig dramatisch sinken. Die Versicherten sollen diese Kürzungen durch mehr private Vorsorge „Riestern" ausgleichen. Aber was ist mit den Erwerbslosen und Geringverdienern? Zudem hat die Deutsche Rentenversicherung vorgerechnet, dass Riestern der Mehrzahl der heutigen Sparer nichts einbringen wird.

Die Rentenreformen haben Versicherungskonzernen und Unternehmen genützt, denn an der Finanzierung der privaten Vorsorge sind sie nicht beteiligt, und niemandem sonst. Dass diese Rentenkürzungen zu Lasten kommender Rentnergenerationen dann auch noch Generationengerechtigkeit genannt werden, ist vollends absurd.

Ich will nur darauf hinweisen: Die Abgeordneten, die die Rente ab 67 beschlossen haben, sind davon selber gar nicht betroffen.

Verteilung

Sinkende Renten sind kein demographisches Problem, wie gerne behauptet wird, sondern ein Problem der Verteilung. Die Produktivität in Deutschland steigt Jahr für Jahr – schneller als die Löhne und Gehälter.

Auch der Reichtum wächst, das belegt der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.

Auch in der Rentenpolitik geht es letztlich um eine Frage der Verteilung und um nichts anderes.

Streit in der SPD

Beim Streit in der SPD um das Rentenkonzept geht es um sehr viel mehr als um die Rente, es geht auch um mehr als die Frage, welches Männergesicht die SPD auf Plakate drucken wird.

Der Konflikt hat eine grundsätzliche Bedeutung. Es geht letztlich darum, ob die SPD weiter auf dem Boden der Agenda 2010 steht. Und dafür stehen Steinmeier und Steinbrück als Architekten der Agenda 2010. Steinbrück forderte erst vor wenigen Tagen auf dem Zukunftskongress der SPD, die Partei solle selbstbewusster mit dem Erbe der Agenda 2010 umgehen. "Etwas mehr Stolz, etwas mehr Selbstbewusstsein über das, was uns gelungen ist, täte dem öffentlichen Erscheinungsbild der SPD gut."

Meine Damen und Herren, wie kann man ernsthaft stolz sein auf Hartz IV, die Riester-Rente und die Liberalisierung der Leiharbeit? Mittlerweile wächst jedes siebte Kind in Armut auf und das hat seine Ursachen auch in Hartz IV und dem ausufernden Niedriglohnsektor.

Im Antrag lobt die SPD jetzt den Generationenvertrag, den die selbst zerschossen hat, als sie die Rentenformel verändert und die Rente teilprivatisiert hat. Das Rentenkonzept, das Sigmar Gabriel vorgelegt hat, wird das Problem der Altersarmut nicht ansatzweise lösen.

Denn Sigmar Gabriel will keine schnelle Anpassung der Ost-Renten und auch keine Sonderregelungen, die Frauen besser stellen würden. Vor allem aber will er an der geplanten Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent und der Rente ab 67 festhalten, trotz massiver innerparteilicher Kritik. Das hat auch eine gewisse Logik, denn wer mit Steinbrück oder Steinmeier in den Wahlkampf ziehen will, kann wohl kaum glaubwürdig die Rücknahme der Rente ab 67 fordern.

So ebnet man vielleicht den Weg zu einer Neuauflage der großen Koalition, aber Altersarmut wird damit nicht bekämpft.

Hilde Matheis von der SPD- Linken sagt: „Wir müssen jetzt feststellen, dass die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse auf 25,5 Prozent aller erwerbstätigen Personen zugenommen hat, Millionen Menschen sind von Altersarmut bedroht. Da kann doch die Antwort der SPD nicht heißen: Rente mit 67."

Recht hat sie, ich kann den Sozialdemokraten in der SPD nur viel Erfolg wünschen beim Kampf gegen die Rente ab 67.

Meine Damen und Herren, wer Altersarmut bekämpfen will, muss zuerst mal die Regeln auf dem Arbeitsmarkt ändern. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, ein Verbot von Leiharbeit und eine Eindämmung des Niedriglohnsektors.

Die gesetzliche Rente könnte gut funktionieren, wenn endlich alle Erwerbstätigen einzahlen würden, auch Selbständige, Beamte und Politiker/innen, und wenn höhere Einkommen stärker herangezogen würden.

Die Absenkung des Rentenniveaus und die Rente ab 67 müssen zurückgenommen werden und eine Mindestrente von 1050 Euro eingeführt werden, damit jeder Mensch im Alter in Würde leben kann.