Rede zur Situation am privatisierten Uniklinikum

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Es ist in der Tat erfreulich, dass alle Fraktionen im Ausschuss einstimmig den vorliegenden Gesetzentwurf beschlossen haben. Damit wird den Beschäftigten am privatisierten Uniklinikum Gießen und Marburg immerhin eine verlängerte Frist bis Ende des Jahres eingeräumt, in der sie sich entscheiden können, ob sie von ihrem Rückkehrrecht zum Land Gebrauch machen oder nicht. Es wäre in der Tat eine Zumutung gewesen, von den Beschäftigten zu verlangen, sich in diesen schwierigen Zeiten und angesichts aller dieser Unklarheiten bis Ende des Monats entscheiden zu müssen. Deswegen haben wir selbstverständlich dem Gesetzentwurf zugestimmt.

Leider ist das nur eine kleine Geste an die Kolleginnen und Kollegen, deren Grundlage – daran will ich schon noch einmal erinnern – sie sich auch erst vor dem Bundesverfassungsgericht erkämpfen mussten. Wir haben natürlich das Problem, dass die Verunsicherung der Beschäftigten aufgrund der unklaren Situation wegen der geplanten Übernahme der Rhön AG durch Fresenius und aufgrund des angekündigten erneuten Stellenabbaus anhält.

Es gab monatelang Gerüchte, ob Stellen in der Größenordnung von 500 am Klinikum wegfallen sollen. Jetzt ist es relativ klar, dass es einen massiven Stellenabbau von 236 Arbeitsplätzen an den Unikliniken geben wird, das ist geplant. Herr Büger, das zeigt einmal mehr, wer die Folgen der Privatisierung zu tragen hat, nämlich in erster Linie die Beschäftigten.

Vor etwa drei Wochen war ich in einer Betriebsratssitzung in Marburg zu Gast, um mich über die Arbeitsbelastung der Beschäftigten zu informieren. Ich will Ihnen sagen: Die Berichte des Betriebsrats sind wirklich alarmierend. Die Personaldecke ist bereits jetzt viel zu dünn, krankheitsbedingte Ausfälle können kaum noch kompensiert werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen schon jetzt physisch und psychisch an ihre Grenze und teilweise darüber hinaus, um eine bestmögliche Patientenversorgung sicherzustellen.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ich will an dieser Stelle klar sagen, dass das überhaupt keine Kritik an der Leistung der Beschäftigten ist, die wirklich alles tun. Vielmehr ist das eine Kritik an den schlechten Bedingungen, unter denen sie arbeiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor dem Hintergrund ist ein weiterer Personalabbau völlig unverantwortlich. Er gefährdet die Patientenversorgung sowie Forschung und Lehre an den Unikliniken.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ich bin der Meinung, dass die Landesregierung dabei nicht untätig zusehen darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte Ihnen die dramatische Situation noch einmal verdeutlichen. Es gibt einen offenen Brief an die Verantwortlichen, den Sie sicher auch erhalten haben – einmal an das Uniklinikum selbst, aber auch an die Landesregierung –, der mit den Worten betitelt ist: Gegen einen Zustand kollektiver Verantwortungs- und Hilflosigkeit. – Auch dieser Brief ist alarmierend. In allen Bereichen komme es zu Engpässen und somit zur Mehrarbeit und Überlastung. Intern werde Druck ausgeübt, all dies einfach klaglos hinzunehmen. Unter solchen Voraussetzungen können und wollen die Beschäftigten nicht arbeiten. In einer Umfrage des Betriebsrats sprechen sich deshalb 98 % der Beschäftigten für einen Rückkauf der Unikliniken durch das Land aus. Das sollte Ihnen zu denken geben. Wenn jemand wirklich beurteilen kann, wie die Situation am Uniklinikum ist, sind es die Beschäftigten. Das sollten Sie sehr ernst nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Beschäftigten werden mit ihren Sorgen ganz einfach allein gelassen. Wir haben öfter vorgeschlagen, dass man hier gesetzliche Regelungen treffen könnte, die zumindest verhindern würden, dass immer weiter Personalabbau betrieben und so Geld auf Kosten der Beschäftigten gespart wird. Sie könnten gesetzliche Mindeststandards einführen; nicht grundlos hat ver.di schon im letzten Jahr die bundesweite Kampagne „Der Druck muss raus" gestartet. Arbeitsbedingungen, die jeden Beschäftigten bis an die eigene Belastungsgrenze und darüber hinaus bringen, sind – das wissen Sie – eine Gefahr für die Beschäftigten selbst und deren Gesundheit wie auch für die Gesundheit der Patienten.

Doch statt sich darüber Gedanken zu machen, bejubelt die Landesregierung die geplante Übernahme der Rhön AG durch Fresenius. Sowohl der Ministerpräsident als auch die Wissenschaftsministerin haben öffentlich erklärt, dass die Übernahme eine große Chance für die Unikliniken sei. Frau Ministerin, Herr Ministerpräsident, ich frage mich bis heute, wie Sie eigentlich zu dieser Aussage gekommen sind.

Ich befürchte, dass Ihre Hoffnungen auf Fresenius völlig unbegründet sind. Fresenius ist ebenso wie Rhön eine Aktiengesellschaft, die ihren Aktionären und nicht den Patienten verpflichtet ist.

(Minister Michael Boddenberg: Ei, ei, ei! Das ist ja furchtbar, die verdienen sogar Geld! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

– Herr Boddenberg, ich kann Ihnen einmal erzählen, wie die Geschäftspraktiken von Fresenius aussehen. Sie wirken ja sehr kompetent, wenn Sie hier dazwischenrufen; Sie haben sich sicher damit auseinandergesetzt.

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Es ist doch vollkommen logisch, dass Fresenius kein Samariter ist, der Krankenhäuser aus Nächstenliebe betreibt. Natürlich will Fresenius Geld verdienen, und auch hier sind die Beschäftigten die Leidtragenden.

Die Krankenhaussparte von Fresenius, Helios, ist eines der größten Krankenhausunternehmen mit 43.000 Beschäftigten und 2,7 Milliarden € Jahresumsatz. Das wissen Sie sicher, Herr Boddenberg, weil Sie sich so für die Thematik interessieren.

(Minister Michael Boddenberg: Ja! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Nicht so arrogant, bitte!)

Helios ist gerade auf Einkaufstour. Der Konzern setzt seit Jahren auf teure Expansion durch Aufkäufe. Allein in Deutschland hat Helios seit Mitte der Neunzigerjahre Dutzende Krankenhäuser eingekauft, und das wird finanziert durch die Beschäftigten.

Die Schlagzeilen, die Helios in den letzten Jahren und auch aktuell in den letzten Tagen gemacht hat, sprechen deutliche Worte. Wir reden davon, dass im Klinikum an der Ostsee kurzerhand 1.000 Beschäftigten gekündigt wird, weil sie um Tarifverträge gekämpft haben. Frei nach dem Motto „Wer streikt, fliegt raus" wird da agiert.

Stundenlöhne werden bei Helios zum Teil bis auf 5 oder 6 € gedrückt. Verträge, die aus dem öffentlichen Dienst stammten, wurden bei Übernahmen durch Helios umgestaltet, sodass die Beschäftigten teilweise mit Gehaltseinbußen von bis zu 35 % abgespeist wurden. Das wissen Sie sicher auch, Herr Boddenberg.

(Michael Boddenberg (CDU): Ja! Ich habe mich extra hierher gesetzt, damit ich zwischenrufen kann! Sie kennen ja solche Unternehmen nur aus der Zeitung!)

– Das dient der Debatte, das dient sicherlich dem Niveau von Zwischenrufen, wenn Sie sich dahin setzen. – Das ist also der Hoffnungsträger der Landesregierung.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Ein bisschen mehr Demut!)

Da frage ich mich erneut: Frau Ministerin, wie kommen Sie zu der Einschätzung, dass Fresenius eine große Chance für das Uniklinikum ist? Mit Fresenius kommen Sie vom Regen in die Traufe.

(Beifall bei der LINKEN)

Ob es überhaupt eine Übernahme gibt, ist völlig ungewiss. Das kommt davon, wenn man ein Uniklinikum an eine Aktiengesellschaft verkauft: Es wird zum Spielball der Finanzmärkte.

Es drängt sich natürlich die Frage auf, die auch Kollegin Schulz-Asche gestellt hat: Was passiert, wenn die Übernahme durch Fresenius scheitert? Was wird dann vonseiten der Landesregierung unternommen, nachdem die Wissenschaftsministerin erklärt hat, von einem Eigentümerwechsel seien nur Verbesserungen zu erwarten?

Wir sind der Meinung, öffentliche Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand. Sie muss einer demokratischen Kontrolle unterliegen.

(Michael Boddenberg (CDU): Ihre Programmatik ist uns bestens bekannt!)

Meine Damen und Herren, Privatisierungen bedeuten Demokratieabbau, weil demokratisch gewählte Parlamente keinen Einfluss mehr nehmen können. Das Land besitzt noch gerade mal 5 % am Uniklinikum, und aus meiner Erfahrung hier im Landtag kann ich Ihnen sagen, dass man mit 5 % nicht allzu viel zu bestimmen hat. Aber diese Erfahrungen machen Sie bei der Rhön AG gerade selbst.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Worauf es ankommt, ist, dass ein Konzept für den Rückkauf des Klinikums durch die Landesregierung erarbeitet wird. Ich will nochmals sagen: 98 % der Beschäftigten sprechen sich für einen Rückkauf aus. Die Privatisierung ist und bleibt ein gravierender Fehler. Deshalb sollten Sie jetzt endlich die Möglichkeit nutzen, diesen Fehler auszubügeln.

(Beifall bei der LINKEN)