Sie schaden dem Sport
Rede von Janine Wissler zur Aktuellen Studne der CDU-Fraktion betreffend Hessen fiebert mit bei EM: Patriotismus und Unterstützung der deutschen Nationalmannschaft schließen sich nicht aus am 28. Juni 2012 (unkorr. Manuskript)
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
die CDU hat eine Aktuelle Stunde beantragt mit dem Titel „Patriotismus und Unterstützung der deutschen Nationalmannschaft schließen sich nicht aus".
Mal abgesehen davon, dass der Titel schon völlig daneben ist, ist das eine politische Vereinnahmung, die dem Sport nicht gut tut. Denn so wird ein Fußballturnier zu politischen Zwecken instrumentalisiert.
Fußball ist in erster Linie einmal Sport, auch wenn der sportliche Gedanke oft zu kurz kommt hinter Kommerz und patriotischem Pathos.
Man kann auch Fußballfan sein ohne eine patriotische Gesinnung und ohne darüber einen Positivbezug zur Nation herzustellen.
Sie unterstellen all jenen, die das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer kritisch sehen, sie seien Spaßbremsen, die den Menschen die Freude am Fußball nehmen wollen. Um das klar zu sagen: Es geht natürlich nicht darum, alle Fußballfans, die sich eine Deutschlandfahne ans Auto hängen, zu verurteilen.
Man muss aber auch kritisch hinterfragen, was im Windschatten dieser Euphorie passiert, wenn die BILD-Zeitung titelt: „Schwarz-rot-geil: 1. Heimspiel in Danzig". Wenn deutsche Fans in ukrainischen und polnischen Stadien „Sieg" und „Hurra, die Deutschen sind wieder da" skandieren.
Wenn es am Rand der Fanmeilen zu nationalistisch motivierter Gewalt kommt und Fußballspieler aufgrund ihrer Hautfarbe rassistischen Fangesängen und Beleidigungen ausgesetzt sind.
Es wird gern behauptet, es habe sich in Deutschland ein neuer unbedenklicher Partypatriotismus entwickelt, der sogar integrativ wirke. Ignoriert wird dabei, dass rechte Gruppierungen die Fanmeilen gezielt als Plattform nutzen.
Das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung kam zu dem Ergebnis, dass nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 befragte Personen „nationalistischer eingestellt" waren als früher Befragte und dass die Fremdenfeindlichkeit zugenommen habe.
Nationalstolz führe zu einer Abwertung von Anderen. Der Leiter der Studie, Prof. Heitmeyer, nennt die These vom „toleranten Patriotismus" einen „gefährlichen Unsinn".
Und weiter schreibt er: Die "Schwarz-rot-geil-Stimmung" sei der Versuch eines „Ankers auf schwankendem sozialen Boden". Ein ethnisches Kollektiv soll bieten, was die soziale Marktwirtschaft nicht mehr zu leisten vermag: Darüber „sollen jene Angehörige der Mehrheitsgesellschaft emotional wieder integriert werden, die andererseits sozial desintegriert worden sind."
Nationalstolz soll also als Kitt für eine zunehmend gespaltene Gesellschaft dienen.
Patriotismus paart sich oft mit Spekulationen über einen feststehenden Nationalcharakter oder obskuren biologischen Annahmen, die auch bei Sarrazin zu finden ist.
Kommentatoren analysieren pseudowissenschaftlich „die Südeuropäer" und feiern die sogenannten „deutschen Tugenden". Aber „das Deutsche" gibt es ebenso wenig wie „das Südeuropäische".
Wie schnell aus solchen Klischees bösartige Anschuldigungen werden können, sieht man bei der nationalistischen Stimmungsmache gegen die Griechen.
Die These vom unverkrampften Patriotismus wird auch widerlegt durch die Anfeindungen und sogar Gewaltandrohungen, die es gegenüber der Grünen Jugend wegen deren Kampagne „Patriotismus? Nein danke!" gegeben hat. Diese Reaktionen zeigen, wie ernst es vielen offenbar ist.
Der hessischen CDU geht es hier nicht um den Sport, sondern darum, solche Ereignisse zu nutzen, um den aus guten Gründen in Verruf gekommenen deutschen Patriotismus wieder hoffähig zu machen. Dazu hatte die WM 2006, wie eine Berliner Sozialpsychologin es nennt, den „Charakter eines nationalen Coming-Out".
Das sieht auch der CDU-Fraktionsvorsitzende, Christean Wagner, so – ich zitiere ihn ungern, aber keiner demaskiert ihn so gut wie er sich selbst: „Die Fußballweltmeisterschaft in unserem Land hat den Umgang mit nationalen Symbolen wieder selbstverständlicher gemacht. Die Diktatur der Nationalsozialisten und die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs hatten das deutsche Nationalgefühl stark beschädigt. In den Jahrzehnten nach 1945 hatten wir Deutsche große Probleme, zu einem normalen Patriotismus zurückzufinden. Das scheint nun gelungen zu sein."
Herr Wagner, was Sie hier machen, ist die Fußballbegeisterung zu Ihren Zwecken zu instrumentalisieren.
Es gibt genug Gründe die Rolle Deutschlands in der Welt sehr kritisch zu sehen, nicht nur aufgrund der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart. Deutschland wird in Europa zunehmend als Hegemonialmacht wahrgenommen und Volker Kauder erklärt, in Europa werde zukünftig deutsch gesprochen. Da gruselt es mich.
Im Gegensatz zur CDU stehen wir nicht für Patriotismus und Nationalstolz sondern für Internationalismus.
Ich habe nie verstanden, warum ich auf Goethe und Schiller stolz sein darf, nicht aber auf Shakespeare oder Dostojewski. Dabei habe ich an den Werken Goethes den gleichen Anteil wie an denen Dostojewskis: nämlich keinen.
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass Fans miteinander die Spiele ansehen, ohne sich dabei nationalistisch zu erhöhen. In Hessen leben Menschen aus fast 200 verschiedenen Nationen, die Hessen brauchen sicher keine Belehrungen der hessischen CDU, wem sie beim Fußball die Daumen zu drücken haben.