Rede zum VW-Gesetz
Vizepräsident Frank Lortz:
Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Das Wort hat Frau Abg. Janine Wissler, DIE LINKE.
(Florian Rentsch (FDP): Sie fahren doch einen Fiat, Frau Wissler!)
Janine Wissler (DIE LINKE):
Einen Seat. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung steht heute das VW-Gesetz. Aber ich finde, gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen und der Spekulationen über Werksschließungen und Personalabbau bei Opel zeigt sich, wie notwendig ein staatlicher Einfluss auf Automobilhersteller grundsätzlich ist und sein kann.
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP: Ah!)
Es wäre eine ganz andere Situation, wenn das Land Hessen Anteile und Mitspracherecht bei Opel hätte; denn dann könnte das Land direkt Einfluss nehmen und die Diskussionen zu Opel hier im Landtag wären sehr viel weniger abstrakt und spekulativ. Vor allem aber wären die Entscheidungen beeinflussbar; das wäre ein großer Vorteil. Wir werden in diesem Hause wieder über Opel zu reden haben, das ist sicher. Deswegen möchte ich zu Beginn ein paar Bemerkungen machen.
Einem „Spiegel"-Bericht zufolge will der US-Mutterkonzern General Motors seine Kapazitäten in Westeuropa herunterfahren und verstärkt in Niedriglohnländern produzieren, um dadurch profitabler wirtschaften zu können. Den europäischen Markt will GM zunehmend mit Einfuhren bedienen, bis 2016 sollen zusätzlich 300.000 Fahrzeuge aus Werken in Mexiko, Korea und China nach Europa exportiert werden.
Zwar hat der Opel-Vorstandschef Karl-Friedrich Stracke Spekulationen über unmittelbar bevorstehende Werksschließungen in Europa zurückgewiesen, aber er hat auch angekündigt, dass das Unternehmen wirtschaftlicher organisiert werden müsse. Darüber soll in der heutigen Aufsichtsratssitzung beraten werden. Klar sei aber, so Stracke, dass man „jeden Stein umdrehe" und „nichts tabu" sei. Auch Einschnitte bei den Mitarbeitern, wie Lohnkürzungen oder eine Streichung von Zulagen, sind demnach nicht auszuschließen.
Meine Damen und Herren, ich will nur darauf hinweisen: Wenn etwas Ähnliches bei VW anstünde, könnte das Land Niedersachsen dank des VW-Gesetzes eingreifen, um z. B. Standortverlagerungen und Arbeitsplatzverlagerungen in Niedriglohnländer zu verhindern.
Das VW-Gesetz existiert seit über 50 Jahren und sichert dem Land Niedersachsen eine Sperrminorität und auch den Arbeitnehmern eine starke Position, weil ohne Zustimmung kein Werk geschlossen oder ins Ausland verlagert werden kann.
Volkswagen ist eine staatliche Gründung. Nach dem Krieg war es die britische Militärverwaltung, die das Unternehmen an den Bund, das Land Niedersachsen und die Beschäftigten übergab. Gerade diese Idee der Mischwirtschaft, also einer starken Rolle für den Staat und für Unternehmensformen, die nicht allein auf Privatbesitz und Gewinnstreben aufbauen, fand ihren Ausdruck nicht nur im Ahlener Programm der CDU – ich würde Ihnen empfehlen, sich das noch einmal zu Gemüte zu führen –, sondern es prägte die gesamte Wirtschaftspolitik des sogenannten rheinischen Kapitalismus.
Ich will darauf hinweisen – Herr Kollege Kaufmann hat es bereits gesagt –, der Volkswagenkonzern ist heute der zweitgrößte Automobilhersteller der Welt. Trotz aller Turbulenzen im Zuge der Wirtschaftskrise ist das Unternehmen durch Zukäufe und Verkaufssteigerungen gewachsen. Ich will auch darauf hinweisen, dass das Lohnniveau und die Arbeitszeiten bei Volkswagen zumindest für die Kernbelegschaft weiterhin vergleichsweise gut sind.
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP)
Die „Frankfurter Rundschau" schrieb am 20. Juli 2010 anlässlich des 50-jährigen Bestehens des VW-Gesetzes:
„VW ist ein gutes Argument gegen die These, der Staat möge sich aus der Wirtschaft heraushalten. Das oberste Ziel des VW-Gesetzes war es, eine feindliche Übernahme zu verhindern. Das ist nicht nur gelungen. Vielmehr sei die These gewagt, dass vor allem dieser Schutz maßgeblich zum Erfolg beigetragen hat. Denn kurzfristig orientierte Eigner hatten bei VW nie eine Chance, ans Ruder zu gelangen. Der Konzern war vor Ausplünderungen durch seine Anteilseigner geschützt, da langfristige Interessen wie Standortsicherung mindestens dasselbe Gewicht hatten wie ein hoher Gewinn."
Ich finde, dass die „Frankfurter Rundschau" das sehr gut auf den Punkt bringt und eine gute Einschätzung zum VW-Gesetz hat.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass bei VW alles prima laufe und das Modell der Weisheit letzter Schluss ist. Gerade bei einem Unternehmen, wo eine so starke Mitsprache der öffentlichen Hand vorhanden ist, müssen Entwicklungen besonders kritisch hinterfragt werden. Es gibt dazu auch bei VW genug Anlass. Das hat sich gezeigt bei der sogenannten Lustreisenaffäre. Aber das zeigt sich vor allem auch an dem völlig überzogenen Jahresgehalt von Herrn Winterkorn, der mit über 17 Millionen € sein Jahreskommen gerade mal verdoppelt hat. Auch darauf muss hingewiesen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Er verdient mehr als jeder andere Spitzenmanager in Deutschland
(Zuruf der Abg. Holger Bellino (CDU) und Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und weitere Abgeordnete – Glockenzeichen des Präsidenten)
und bekommt etwa 350-mal so viel wie ein durchschnittlicher VW-Mitarbeiter verdient. VW hat aufgrund der guten Geschäftszahlen fürs vergangene Jahr Boni für alle Mitarbeiter beschlossen, insgesamt 700 Millionen €. 70 Millionen € davon, also 10 %, gingen allein an die sieben Mitglieder des Vorstandes. Den Rest teilten sich die übrigen Mitarbeiter. So eine Verteilung der Früchte des Erfolgs hat mit Gerechtigkeit nichts mehr zu tun. Das ist auch eines Unternehmens unwürdig, das sich zum Teil in öffentlicher Hand befindet.
(Beifall bei der LINKEN)
Dennoch kann das Vetorecht des Landes Niedersachsen eben gerade verhindern, dass Porsche eines Tages beschließen kann, die Produktion in ein Niedriglohnland zu verlagern. Deshalb ist das VW-Gesetz eine absolut sinnvolle Einrichtung. Deshalb muss es auch erhalten werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber das VW-Gesetz ist den unbelehrbar Neoliberalen und Marktgläubigen in der Europäischen Kommission ein Dorn im Auge. Seit Jahren kämpft die EU-Kommission gegen die öffentliche Beteiligung an Unternehmen, sei es in der Telekommunikation, bei Versorgungsbetrieben oder auch bei öffentlich-rechtlichen Banken. Dabei beruft sich die Kommission auf das europäische Wettbewerbsrecht, dem – das muss man leider sagen – soziale Kriterien und gesamtgesellschaftliche Verantwortung weitgehend fremd sind.
Die EU-Kommission sieht in dem VW-Gesetz einen Verstoß gegen das Recht auf freien Kapitalverkehr und will daher erneut ein Verfahren gegen Deutschland einleiten, weil wegen des VW-Gesetzes ausländische Großinvestoren abgeschreckt werden könnten – so die Befürchtung der EU-Kommission. Die Leier, die dahintersteht, ist immer dieselbe, nämlich öffentliches Unternehmen ist gleich ineffizient und träge, und private Unternehmen sind effizient, innovativ und letztlich die einzige vernünftige und nachhaltige Form zu wirtschaften.
Ich will aber auch darauf hinweisen, dass VW durch seine bloße Existenz und seinen Erfolg diese falsche Binsenweisheit infrage stellt. Das Unternehmen hat seine Verkaufszahlen und seine Gewinne in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert. Ein Teil dieser Gewinne geht an das Land Niedersachsen. Und das ist natürlich ein nicht zu unterschätzender Vorteil dieser Besitzform.
Deshalb ist der erneute Angriff auf das VW-Gesetz vollkommen daneben und stößt nicht nur in Niedersachsen auf Kopfschütteln und Unverständnis, zumal – darauf wurde bereits hingewiesen – die aktuell angegriffene Regelung in der Satzung der Volkswagen AG verankert ist, was durch das Aktiengesetz ausdrücklich erlaubt wird. Ich bin der Meinung, die EU-Kommission sollte sich lieber um andere Unternehmen kümmern, statt ein erfolgreiches Unternehmen zu destabilisieren. Deshalb sagen wir: Hände weg vom VW-Gesetz.
(Beifall bei der LINKEN)
Grundsätzlich muss auf europäischer Ebene dafür gesorgt werden, dass die Ausrichtung der EU-Politik von einem Dreiklang „Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung" abkommt. Ginge es nach der EU-Kommission, dann würden sich in öffentlicher Hand überhaupt nur Unternehmen befinden, die ohnehin keinen Gewinn abwerfen; alles andere wäre privat zu organisieren. Deshalb will ich klar darauf hinweisen, dass das Problem auch in einer arbeitnehmerfeindlichen Ausrichtung des gesamten europäischen Institutionengefüges und der EU-Verträge liegt. Wenn die anders gestaltet wären, dann müssten wir uns heute überhaupt keine Sorgen um das VW-Gesetz machen. Das Problem ist gerade, dass die EU-Kommission und das europäische Wettbewerbsrecht Wettbewerb über alles stellt und solche Fragen wie Tariftreue unheimlich erschwert, das auf nationaler Ebene überhaupt noch durchzusetzen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, die neue Diskussion um Opel zeigt einmal mehr, dass die Krise in der Automobilindustrie andauert. Die gesamte Autoindustrie ist mit einem schwachen europäischen Markt konfrontiert. Das macht – bei allem Erfolg – auch VW zu schaffen. Beispielsweise brach der Absatz in Spanien ein, in Italien legte er nur minimal zu. Auch im Geschäftsbericht von VW ist nachzulesen, dass sich die Nachfrage in Westeuropa voraussichtlich abschwächen werde; von weiteren Steigerungen ist vorerst nicht die Rede.
Die Abwrackprämie hat in Deutschland ein Strohfeuer ausgelöst. Sie hat dafür gesorgt, dass Käufe vorverlegt wurden. Aber sie hat die Probleme allenfalls aufgeschoben. Ursachen der Krise sind und waren Überproduktion und Absatzprobleme. VW hat die Möglichkeit, auf Märkte außerhalb Europas auszuweichen. Diese Möglichkeit hat Opel so nicht. Deshalb ist entscheidend, dass wir für die Autoindustrie eine Perspektive entwickeln, damit wir in den nächsten Jahren nicht wieder über Rettungspakete reden.
Die Automobilbranche insgesamt ist nicht die Zukunftsbranche, auf die wir im Hinblick auf ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit setzen können. Der Absatz an Autos muss zurückgehen, wenn wir den Klimaschutz und die Energiewende ernst nehmen. Dazu hat Herr Kaufmann leider nichts gesagt. Das hat mich schon gewundert, dass sich die GRÜNEN jetzt dafür einsetzen, dass es mehr Autoexporte geben soll. Das wundert mich schon sehr, weil das klimapolitisch vollkommen kontraproduktiv ist. Wir müssen doch überlegen, wie wir weltweit den Absatz von Autos in Zukunft reduzieren können,
(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))
damit wir die Klimaschutzziele überhaupt erreichen können. Dass die GRÜNEN so argumentieren, wundert mich doch sehr, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Frank Lortz:
Frau Kollegin Wissler, Sie müssen zum Schluss kommen.
Janine Wissler (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss. – Wir müssen uns rechtzeitig Gedanken über eine sinnvolle Konversionsstrategie für die Automobilindustrie machen. Private Investoren werden sich solche Gedanken nicht machen. Deshalb brauchen wir eine öffentliche Beteiligung gerade an Unternehmen wie VW, aber auch an Opel, deren Schicksal nämlich auf so viele Menschen und ganze Regionen Einfluss hat. Wir brauchen mehr Modelle wie das VW-Gesetz und nicht weniger. Deswegen lehnen wir selbstverständlich den Vorstoß der EU-Kommission ab. – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)