Folgen der Schlecker-Insolvenz nicht auf die Beschäftigten abwälzen
Rede von Janine Wissler zur Aktuellen Stunde der LINKE. Fraktion betreffend Folgen der Schlecker-Insolvenz nicht auf die Beschäftigten abwälzen am 8. März 2012 (unkorr. Manuskript)
Herr/Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,
als erstes begrüße ich die Betriebsrätinnen von Schlecker aus Südhessen auf der Besuchertribüne. Ich freue mich, dass sie heute hier sind.
Meine Damen und Herren, die Drogeriekette Schlecker hat vor einigen Wochen Insolvenz angemeldet. Bundesweit soll fast die Hälfte der 25.000 Arbeitsplätze wegfallen. In Hessen arbeiten über 2.000 Beschäftigte in 380 Schlecker-Filialen, 41 Schlecker XL und 52 IhrPlatz-Filialen. Das sind vor allem Frauen. Was aus ihnen werden soll und welche Filialen schließen werden, ist derzeit völlig unklar. Die Beschäftigten sind einmal mehr die Leidtragenden einer verfehlten Geschäftspolitik. Schlecker hat jahrelang für Negativschlagzeilen gesorgt.
Wer in den letzten Jahren über Lohndumping und unfairen Umgang mit Arbeitnehmern sprach, verwies gern auf das Beispiel Schlecker. Da wurden Überstunden und reguläre Arbeitszeiten nicht entlohnt, Beschäftigte wurden bespitzelt und drangsaliert und den Mitarbeiterinnen nicht erlaubt, auf die Toilette zu gehen, weil sie meistens allein im Laden waren. Dieses Geschäftsmodell ist gescheitert.
Anton Schlecker hat mit seiner Geschäftspolitik erst den Ruf des Unternehmens ruiniert und schließlich das ganze Unternehmen. Mit Unterstützung der Gewerkschaft verdi haben die Beschäftigten in vielen Filialen Betriebsräte aufbauen können. Das war ein harter Kampf, weil seitens der Unternehmensleitung immer wieder versucht wurde, Beschäftigte zu verunsichern und einzuschüchtern. Trotzdem konnte die Tarifbindung des Unternehmens durchgesetzt werden, so dass Schlecker heute nach Tarifvertrag des Einzelhandels entlohnt. Die geplante Tarifflucht mithilfe einer eigenen Leiharbeitsfirma konnte verhindert werden.
Was die Schlecker-Beschäftigten geleistet haben, obwohl viele von ihnen auf Minijob- und Teilzeitbasis beschäftigt sind, war ein Akt gelebter Demokratie. Sie haben sich organisiert, um ihre berechtigten Interessen durchzusetzen, und das gegen eine Geschäftsleitung, die es völlig in Ordnung fand, dass die Schlecker-Familie mit ihrem Unternehmen zu Milliardären wurde, während die Angestellten in den Filialen zu Niedriglöhnen arbeiten. Das geschätzte Vermögen von Anton Schlecker betrug im Jahr 2011 mehr als zwei Milliarden Euro. Schlecker steht damit beispielhaft für den Einzelhandel, in dem einige große Familienbetriebe auf Kosten der Beschäftigten ein astronomisches Vermögen angehäuft haben. Die Schlecker-Beschäftigten haben auch bewiesen, dass Gewerkschaftsarbeit auch heute und auch im Dienstleistungsbereich möglich ist und erfolgreich sein kann.
Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Ausweitung der rechtlichen Möglichkeiten zu geringfügiger Beschäftigung und die Lockerungen des Kündigungsschutzes haben die Arbeit von Gewerkschaften und die Organisierung von Beschäftigten in vielen Bereichen zwar erschwert, aber nicht unmöglich gemacht, das haben die Schlecker-Frauen ganz praktisch bewiesen.
In Hessen bangen 2.000 Schlecker-Beschäftigte um ihren Job. Und ich frage: Wie erklärt man eigentlich einer Schlecker-Beschäftigten, die nach Jahrzehnten harter Arbeit völlig unverschuldet ihren Job verliert, dass Christian Wulff nach seinem Rücktritt aufgrund persönlicher Verfehlungen nach nur eineinhalb Jahren im Amt 200.000 Euro Ehrensold plus Büro und Mitarbeiter bekommt? Das ist doch nicht vermittelbar. Den Schlecker-Beschäftigten droht währenddessen Hartz IV, sie hätten für ihren Einsatz einen Ehrensold verdient. Die Beschäftigten dürfen nicht im Regen stehen gelassen werden.
Die Politik hat sich in den ganzen Jahren der Auseinandersetzungen um Schlecker für nicht zuständig erklärt. Ich wage mal zu behaupten, dass wir uns im Landtag schon längst mit der Schlecker-Insolvenz beschäftigt hätten, wenn Schlecker Autos bauen würde. Bei Schlecker geht es bundesweit genauso viele Arbeitsplätze wie damals bei Opel, auch wenn sie nicht geballt an einem Ort konzentriert, sondern in die Fläche verteilt sind. Die Arbeitsplätze der Kolleginnen von Schlecker, deren Existenzen und Familien sind nicht weniger wert als Arbeitsplätze in der Industrie.
Die Beschäftigten haben die Krise des Unternehmens nicht verursacht und dürfen nun auch nicht die Leidtragenden sein. Deshalb sollte der Landtag ein Zeichen für den Erhalt der Arbeitsplätze setzen, auch gegenüber der Insolvenzverwaltung und der Inhaberfamilie. Die Familie Schlecker, die an der Arbeit ihrer Mitarbeiter Milliarden verdient hat, muss zur Sanierung des Unternehmens herangezogen werden. Gemeinsam mit den Beschäftigten, ihrer Gewerkschaft und anderen Akteuren ist ein Zukunftskonzept zu entwickeln, mit dem die Filialen und Arbeitsplätze weitgehend erhalten bleiben. Das Land Hessen muss sich gemeinsam mit Baden-Württemberg für eine Lösung einsetzen. Es geht dabei auch darum, eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs zu gewährleisten. Im ländlichen Raum gibt es immer weniger Einzelhandelsläden, oftmals ist Schlecker eines der wenigen Geschäfte am Ort.
Staatliche Hilfe wird nötig sein, Bürgschaften oder staatliche Kredite könnten Schlecker unter der Bedingung zur Verfügung gestellt werden, dass Arbeitsplätze und die bestehende Tarifbindung erhalten bleiben. Sagen Sie nicht, es wäre kein Geld da. Hunderte Milliarden wurden für die Banken locker gemacht, für Opel wurde eiligst eine Bürgschaft bereitgestellt. Hier stehen tausende Frauenarbeitsplätze auf dem Spiel. Und gerade am internationalen Frauentag, der auf einen Arbeitskampf mutiger Frauen im Jahr 1908 zurückgeht, sollte der Landtag ein Zeichen setzen zur Unterstützung der Schlecker-Frauen beim Kampf um ihre Arbeitsplätze.