Rede zu Bibliotheksschließungen in Hessen
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Bibliotheken sind wichtige Kultur- und Bildungseinrichtungen. Sie dienen der Leseförderung, der Stärkung der Medienkompetenz und ermöglichen einen kostenfreien Zugang zu Informationen. Für Menschen mit niedrigen Einkommen bedeutet der kostenlose Zugang zu Büchern gesellschaftliche Teilhabe.
Bibliotheken sind Orte der Begegnung, hier werden Lesefreude und Lesebegeisterung geweckt, gerade bei Kindern und Jugendlichen.
Bibliotheken zählen zu den so genannten freiwilligen Aufgaben der Kommunen. Existenz und Entwicklungsstand sind abhängig von der finanziellen Lage der Kommune und angesichts der Krise der öffentlichen Finanzen sind in den vergangenen Jahren viele Bibliotheken den Sparzwängen geopfert worden.
Der Deutsche Bibliotheksverband hat einen „Bericht zur Lage der Bibliotheken 2012" veröffentlicht, der aufzeigt, wie ernst die Lage ist.
Eine bundesweite Befragung hat ergeben, dass über 40 Prozent der Bibliotheken von Kürzungen betroffen sind, in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern sind es sogar 80 Prozent.
Hessen schneidet bei der Finanzierung öffentlicher Bibliotheken besonders schlecht ab. Bei den Ausgaben für Bibliotheken pro Einwohner liegt Hessen auf dem drittletzten Platz aller Bundesländer und auch bei den Entleihungen pro Einwohner unter dem Durchschnitt.
Die Ausgaben des Landes für die über 400 Bibliotheken in Hessen betragen gerade einmal 1,25 Millionen Euro – und das sind Mittel aus dem Kommunalen Finanzausgleich wohlgemerkt. Dieser Betrag wurde seit dem Jahr 2002 nicht erhöht.
In der Antwort auf eine kleine Anfrage der LINKEN hat die zuständige Wissenschaftsministerin eingeräumt, dass in Hessen seit 1999 mindestens 52 kommunale Bibliotheken geschlossen wurden. Hinzu kommen Zusammenlegungen von Bibliotheken, sowie Schließungen von Zweigstellen und Ortsteilbibliotheken.
In ihrer Antwort schreibt die Ministerin, dass „die Schließung einer Bibliothek oder einer Zweigstelle nicht mit einer Verschlechterung des Angebots einhergehen" müsse.
Das ist eine bemerkenswerte Aussage, Frau Ministerin. Nach dem Motto: Ein nicht existierendes Angebot kann kein schlechtes Angebot sein. Auf die Idee muss man im Ministerium auch erst mal kommen.
Die Lage der Bibliotheken war bisher schon schwierig und mit dem sogenannten kommunalen Schutzschirm drohen weitere Schließungen, die Reduzierung von Öffnungszeiten und Kürzungen bei den Anschaffungsetats.
Nach Angaben des Landesverbands Hessen des Deutschen Bibliotheksverbands sind rund ein Viertel aller öffentlichen Bibliotheken in Hessen von Kürzungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem sogenannten kommunalen Schutzschirm betroffen. Eine Presseerklärung vom August 2012 trug den Titel „Kommunaler Schutzschirm: Bibliotheksverband in Sorge um öffentliche Bibliotheken in Hessen".
Der CDU-Landtagsabgeordnete und damalige Vorsitzende des Hessischen Bibliotheksverbandes, Herr Lenz, erklärte, der Schutzschirm werde Zitat „die ohnehin angespannte Situation der Büchereilandschaft zusätzlich verschärfen." Es bestünde die Gefahr, dass für ein niedriges Sparvolumen Leistungen großflächig zerschlagen werden.
Herr Lenz, als ich diese Presseerklärung des Vorsitzenden des Bibliotheksverbandes Lenz gelesen haben, habe ich mich schon gefragt, warum der Abgeordnete Lenz dem kommunalen Schutzschirm und der Gefährdung öffentlicher Bibliotheken denn dann zugestimmt hat im Landtag.
Wie viel der Landesregierung die Bibliotheken wert sind, konnte man im Entwurf für den Leitfaden für die Schutzschirm-Kommunen nachlesen.
Darin wurde den Kommunen empfohlen, die Öffnungszeiten von Büchereien zu reduzieren oder sie saisonal ganz zu schließen. Die Beschaffungsetats könnten gekürzt, Personal abgebaut und Stadtteilbibliotheken geschlossen werden.
Das waren alles Empfehlungen für die Kommunen. Und dann schreibt die Ministerin in der Antwort auf meine kleine Anfrage, es sei einzig und alleine die Entscheidung der jeweiligen Kommune, welche Einsparmaßnahmen sie unternehme und ob sie Bibliotheken schließe. Das sei Ausdruck der Kommunalen Selbstverwaltung.
Frau Ministerin, das ist jawohl ein schlechter Witz. Die Landesregierung kürzt 344 Millionen Euro bei den Kommunen, was verfassungswidrig war, wie der Staatsgerichtshof diese Woche geurteilt hat. Dann wird der sogenannte Schutzschirm aufgelegt, mit dem die Kommunen einen Teil der gekürzten Mittel wiederbekommen, aber nur unter harten Sparauflagen. Und dann sprechen sie von kommunaler Selbstverwaltung und freien Entscheidungen der Kommunen. Das ist wirklich ein Hohn.
Der Finanzminister freut sich öffentlich über Zitat „ungeahnte Einsparmöglichkeiten" in den Kommunen und meint damit Personalabbau und die Schließung von Bibliotheken. Die Auflagen des Schutzschirms bedeuten die weitere Zerstörung der kommunalen Infrastruktur.
Deshalb haben wir den sogenannten Schutzschirm nicht nur hier im Landtag abgelehnt, wir lehnen die Umsetzung auch vor Ort in den Kommunen ab.
Was bedeutet der sogenannte Schutzschirm in der Praxis?
In Darmstadt wurden zwei Stadtteilbibliotheken geschlossen, so hat es die grün-schwarze Koalition beschlossen. Damit fällt nicht nur die wohnortnahe Bücherausleihe weg, sondern auch ein Ort der Begegnung, die Vorlesetage und Bastelstunden für Kinder. In Zukunft müssen die Anwohner quer durch die Stadt fahren, um zur nächsten Bibliothek zu kommen. Einsparungen für die Stadt: lächerliche 57.000 Euro.
In Darmstadt soll jetzt ein Bücherbus eingesetzt werden. Bücherbusse können eine sinnvolle Ergänzung zu Bibliotheken sein, aber sie sind kein Ersatz. Die wichtige soziale Funktion der Stadtbücherei kann der Bücherbus nicht ersetzen.
Das hat sich in Frankfurt gezeigt. Dort wurde 2011 die Stadtteilbibliothek im Riederwald geschlossen - nach 98 Jahren. Die Stadtteilbücherei arbeitete eng mit der örtlichen Grundschule und den Kindergärten zusammen und war der einzige kulturelle Treffpunkt im Stadtteil. 80.000 Euro sollten damit eingespart werden, also minimale Einsparung, maximaler Schaden.
Dann wurde ein Bücherbus eingesetzt, der einmal die Woche kommt, montags zwischen 13 Uhr und 14.30 Uhr. Zu dieser Zeit haben Berufstätige in der Regel keine Zeit und Schüler auch nicht, weil sie meistens erst später aus der Schule kommen. Und wenn der Bücherbus aufgrund dieser ungünstigen Ausleihzeiten nicht genutzt wird, dann heißt es, wird eh nicht genutzt, kann man einsparen.
So wie bei den Büchereien: Erst werden die Öffnungszeiten immer weiter reduziert, teilweise auf nur noch zwei Ausleihnachmittage in der Woche. Und wenn dann viele Menschen die Bücherei nicht mehr nutzen können, wird gesagt, die Bücherei lohne sich nicht mehr, weil es zu wenig Besucher gibt.
In Kassel – ebenfalls Schutzschirmkommune – ist die Schließung von drei Stadtteilbibliotheken geplant. In der Stadtverordnetenversammlung haben SPD, Grüne und FDP gegen die Stimmen der LINKEN und der CDU für die Schließung der Stadtteilbibliotheken gestimmt.
Zur Begründung dieser Entscheidung wurde angeführt, dass Stadtteilbibliotheken nicht mehr „zeitgemäß" seien und zu wenig genutzt würden.
Die Einsparung durch eine Schließung der Büchereien beläuft sich laut Aussage der Stadt auf 360.000 Euro pro Jahr, eine Zahl im Promillebereich des Stadthaushalts.
In Kassel hat sich eine „Initiative Stadtteilbibliotheken" gegründet, die von einem breiten Bündnis getragen wird, und die die Schließung mit einem Bürgerbegehren verhindern will.
Innerhalb von nur zehn Tagen kamen annähernd doppelt so viele Unterschriften zusammen wie erforderlich.
Damit ist zum ersten Mal in der Geschichte Kassels ein Bürgerbegehren erfolgreich und wir wünschen der Bürgerinitiative viel Erfolg beim Bürgerentscheid am 30. Juni für den Erhalt der Büchereien und den ersten – hoffentlich erfolgreichen – Bürgerentscheid in Kassel.
Meine Damen und Herren, wir lehnen den sogenannten kommunalen Schutzschirm ab, er gefährdet kommunale Bibliotheken, Schwimmbäder und Jugendzentren.
Die Kommunen brauchen höhere Einnahmen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Es kann doch nicht sein, dass man in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt über den Erhalt von Stadtteilbibliotheken diskutieren muss, während sonst für jeden Unsinn Geld da ist.
Was wir brauchen ist ein Landesprogramm zum Erhalt von Bibliotheken. Die Landesregierung muss die Mittel erhöhen. 1,25 Millionen Euro für über 400 Bibliotheken sind geradezu lächerlich, zumal es in den letzten zehn Jahren nicht mal einen Inflationsausgleich gab. Und das, obwohl die Bibliotheken beispielsweise durch die Digitalisierung und die Veränderung der Medienlandschaft vor neuen Aufgaben standen.
Die Landesregierung muss sich mit den Kommunen und den Bibliotheken an einen Tisch setzen, um den Finanzbedarf zu ermitteln, damit die Bibliothekslandschaft in Hessen nicht weiter ausdünnt.
2010 hat der Landtag ein Bibliotheksgesetz beschlossen. Schon damals hat DIE LINKE darauf hingewiesen, dass ein solches Gesetz sowohl Mindeststandards als auch Regelungen zur verbindlichen Finanzierung beinhalten müsse, weil es sonst völlig wirkungslos ist.
Bibliotheken sind auch zum Leidwesen vieler Kommunalpolitiker keine Pflichtaufgaben. Eine Kommune ist in der finanziellen Not gezwungen, die Gemeindestraße weiter zu teeren, während die Bibliotheken kaputtgespart werden. Zu einer funktionsfähigen Infrastruktur gehören aber nicht nur Verkehrswege, sondern auch Kultur- und Bildungseinrichtungen.
Deshalb heißt es im Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages: „Öffentliche Bibliotheken sollen keine freiwillige Aufgabe sein, sondern eine Pflichtaufgabe werden."
Und das heißt, dass das Land sie auch ausreichend finanzieren muss. Das fordern auch der Deutsche Bibliotheksverband und die Gewerkschaft verdi. Wir brauchen Mindeststandards und kein Bibliotheksgesetz, das faktisch gar nichts regelt. Bibliotheken brauchen ein breites Angebot, qualifiziertes Personal und benutzerfreundliche Öffnungszeiten. Sie müssen gut erreichbar und barrierefrei sein.
Meine Damen und Herren, Hermann Hesse sagte einmal: „Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste." Öffentliche Bibliotheken sind für viele Menschen der Zugang zu dieser Welt und der darf ihnen nicht versperrt werden.