Schnurstracks in die Sackgasse: Rede zur Verkehrspolitik in Hessen
Vizepräsident Lothar Quanz:
Frau Müller, vielen Dank. – Ich darf Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen.
(Zuruf: Die überholen jetzt links!)
Janine Wissler (DIE LINKE):
Links überholt uns keiner. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das wurde schon angesprochen: Im „Bundesländerindex Mobilität" belegt Hessen den sechzehnten, also den letzten Platz. Das ist auch kein Wunder, wenn man einen Verkehrsminister hat, der Verkehrspolitik wie ein Geisterfahrer betreibt.
Die Landesregierung setzt auf den Bau immer neuer Straßen. Sie privilegiert den Automobil- und Luftverkehr, während der ÖPNV in Hessen chronisch unterfinanziert ist. Anstatt sich einmal Gedanken
darüber zu machen, wie eine Verkehrswende in Hessen aussehen könnte, anstatt sich einmal Gedanken darüber zu machen, wie die Verkehrsströme reduziert werden könnten, schlagen Sie allen Ernstes zur Entlastung des Verkehrs den Bau neuer Straßen vor. Dabei zeigt die Erfahrung doch: Wer
Straßen baut, wird noch mehr Verkehr ernten.
Ihre Politik verursacht hohe Belastungen für das Klima und die Gesundheit der Menschen. Sie schadet der Umwelt, und sie verursacht enorm hohe Kosten. Hessen braucht die Verkehrswende. Hessen braucht vor allem eine ganz klare Prioritätensetzung zugunsten des ÖPNV.
Nun kritisiert die SPD-Fraktion in ihrem Antrag die Verkehrspolitik der Landesregierung. Sie bezeichnet sie als den Weg „schnurstracks in die Sackgasse". Das Problem ist aber, dass die SPD in vielen Fällen Hand in Hand mit der Landesregierung in diese Sackgasse läuft.
(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Denn bei den größten verkehrspolitischen Fehlentscheidungen stand die SPD leider aufseiten der
Landesregierung. Das gilt für den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Das gilt für den Bau des Flughafens Kassel-Calden. Das gilt auch für die sinnlosen Autobahnprojekte wie den Weiterbau der A 44 und der A 49. All diese Projekte hat die SPD leider unterstützt.
Am nächsten Montag findet die 62. Montagsdemonstration am Flughafen statt. Seit über eineinhalb
Jahren demonstrieren die Menschen jeden Montag gegen die Verlärmung der Region. Die LINKE bleibt dabei: Wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein juristischer Weg. Fehlentscheidungen wie der
Bau der Landebahn müssen korrigiert werden, wenn Sie so fatale Auswirkungen haben. Fluglärm
lässt sich nicht aussitzen. Fluglärm muss aktiv bekämpft werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Problem ist, dass die sogenannte Wachstumspolitik der Landesregierung vielleicht wachsende
Gewinne für die Luftverkehrswirtschaft bedeutet. Aber für viele Menschen bedeutet das ein Schrumpfen, nämlich ein Schrumpfen ihrer Lebensqualität. Die Grenzen der Belastbarkeit sind bereits überschritten. Deshalb darf es auch kein Terminal 3 geben. Wir fordern, dass die Pläne für den Bau des Terminals 3 endlich ad acta gelegt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir fordern das auch deshalb, weil die Prognosen der Passagierzahlen offensichtlich genauso falsch
waren, wie die Prognose der angeblich entstehenden 100.000 Arbeitsplätze war, die angeblich durch
die neue Landebahn geschaffen werden sollten. Nötig ist stattdessen die Priorität für den Lärmschutz.
Wir brauchen ein achtstündiges Nachtflugverbot. Wir brauchen eine Reduzierung der Flugbewegungen. Ich denke, wir müssen die neue Landebahn stilllegen.
Bei all diesen Fragen hat die SPD aber leider immer mit Schwarz-Gelb gestimmt. Auch hinsichtlich der
Frage des Endes der Privilegierung des Flugverkehrs hat die SPD leider auf der Seite der Landesregierung gestanden.
So war das leider auch bei dem Millionen-Euro-Grab Flughafen Kassel-Calden. Eine Verlärmung der
Region kann man dem Flughafen Kassel-Calden zumindest nicht vorwerfen. Vielleicht gab es in der
Vergangenheit ein bisschen Baulärm. Aber mittlerweile scheint es in der Region eher still zu sein.
Aber gerade angesichts der Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur – das geschieht bei der Straße, der Schiene und dem ÖPNV, die SPD kritisiert das in ihrem Antrag vollkommen zu Recht –, erscheinen Investitionen wie die in den Flughafen Kassel-Calden geradezu absurd und fehlplatziert.
Der Bau des Flughafens Kassel-Calden hat das Land Hessen fast 271 Millionen € gekostet. Das ist fast doppelt so viel, wie ursprünglich geplant war. Dafür werden die Passagiere dann mit Taxis nach Paderborn kutschiert, weil es sich einfach nicht lohnt, vom Flughafen Kassel-Calden Flugzeuge mit
sechs Passagieren an Bord starten zu lassen.
An dieser Stelle aber hat die FDP keinerlei Probleme mit der Staatswirtschaft. Es ist vollkommen klar:
Kassel-Calden wird mindestens bis zum Jahr 2018 ein Verlustgeschäft sein, mit einem Defizit von ungefähr 8 bis 10 Millionen € pro Jahr.
(Hermann Schaus (DIE LINKE): Bis 2080!)
Meine Damen und Herren, das muss man sich einmal vorstellen: Die Stadt Kassel ist gerade unter
den sogenannten kommunalen Schutzschirm geschlüpft. Jetzt wird dort an allen Ecken gekürzt. Stadtteilbibliotheken werden geschlossen, und städtisches Personal wird abgebaut. Genau diese Stadt aber beteiligt sich jetzt an der Subventionierung eines Flughafens, der sich einfach nicht rechnet, bei dem nicht einmal ein Flugzeug fliegt. Meine Damen und Herren, hier betreiben Sie doch eine absurde Politik.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Der Energiegipfel hat das große energiepolitische Thema Verkehr ausgespart. Klar ist jedoch, dass
der Straßenverkehr gerade in Hessen einer der größten Energieverbraucher ist. Deshalb halten wir
auch nichts von dem Ausbau der A 44 und der A 49. Das sind zwei von vielen Straßenbauprojekten
zweifelhaften Nutzens. Leider hat die SPD gegen diese verkehrspolitischen Dinosaurierprojekte in den
letzten Jahren keinen Einspruch erhoben.
Für Hessen als wirtschaftlich starkes und geografisch zentral gelegenes Bundesland ist die Verkehrspolitik ein bedeutendes Thema. Gerade in Hessen wäre es sinnvoll, Vorreiter bei der Erarbeitung und Umsetzung moderner Verkehrskonzepte zu sein.
Als Allererstes will ich dabei das Thema Verkehrsvermeidung ansprechen. Wie in der Energiepolitik gilt auch im Verkehrsbereich: Vermeidung ist die beste Methode, um individuelle, volkswirtschaftliche und ökologische Kosten zu senken. Das Verkehrsvolumen wächst kontinuierlich und massiv. Die Prognosen der Bundesregierung gehen von einer weiteren starken Steigerung des Verkehrsaufkommens in Deutschland aus, insbesondere beim Güterverkehr. Das hat weitere negative
Folgen in der Form von Klimazerstörung und Verlärmung sowie der Luftverschmutzung. Schon heute gehört das Rhein-Main-Gebiet zu einer der am stärksten belasteten Regionen Deutschlands hinsichtlich der Luftqualität. Dass eine solche Belastung auch zu gesundheitlichen Problemen führt, ist
zweifelsohne nachgewiesen.
Gleich nach der Vermeidung von Verkehr kommt die Frage: Wie kann man Verkehrswege verkürzen?
Einen Großteil des heutigen Verkehrs muss man als erzwungenen Verkehr verstehen. Hunderttausende Pendler, die sich tagtäglich auf den Weg machen, tun das nicht, weil sie freie Fahrt für freie Bürger genießen wollen, sondern sie sind gezwungen, lange Wege zu ihren Arbeitsplätzen zurückzulegen. Dieser Verkehr wäre vermeidbar, wenn wir in der Politik endlich damit aufhören würden, immer nur die Starken zu stärken und den ländlichen Raum massiv abzuhängen.
Verkehrspolitik hat viel mit Flächenplanung und Wohnungsbau zu tun. Es hat etwas mit der Stärkung der Innenstädte statt einer Ansiedlung von Einkaufszentren auf der grünen Wiese zu tun. Letztlich ist auch das Verkehrspolitik – aber eine, die nicht nur in Straßenkilometern denkt und meint, mehr Straßen, mehr Autos seien die Lösung aller Probleme.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Karin Müller (Kassel) und Frank-Peter Kaufmann
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Ein Viertel aller täglichen Wege werden zu Fuß zurückgelegt, 10 % mit dem Fahrrad. Das sind die
Verkehrsarten, die am wenigsten belasten, die umweltfreundlichsten. Aber die haben natürlich nur
dann eine Chance, wenn Arbeitsplätze auch nah am Wohnort sind bzw. umgekehrt. Deswegen müssen wir das Thema bezahlbarer Wohnraum in den Innenstädten mit diskutieren, denn auch das würde zu einer Verkehrsvermeidung beitragen.
Angesichts des zunehmenden Güterverkehrs müssen wir uns auch die Frage stellen: Müssen wir wirklich Lebensmittel quer durch die Welt transportieren? Wem nützt das eigentlich? Ist es nicht viel sinnvoller, regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken und auch dadurch Verkehr und lange Transportwege zu vermeiden?
(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Als Drittes geht es uns um die Verlagerung von Verkehr auf möglichst umweltfreundliche Verkehrsarten. Die Ziele von 30 % aller Flüge vom Frankfurter Flughafen aus liegen in einer Reichweite von unter 500 km. Es wäre möglich, einen Großteil davon auf die Bahn zu verlagern.
Dabei geht es um die Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs und um ein attraktives ÖPNV-Angebot.
Einer Studie zufolge sagt mehr als ein Viertel aller Hessinnen und Hessen, sie verzichten aus Kostengründen auf Fahrten. Mobilität wird wirklich für viele Menschen zum Luxus und ist kaum noch bezahlbar. Die Preise insbesondere beim RMV gehören zu den teuersten in Deutschland. Ich habe es nochmals nachgeschaut: Im aktuellen Hartz-IV-Regelsatz sind gerade einmal 19,44 € im Monat für Busse und Bahnen vorgesehen. Nun kann man sich überlegen, wie weit man im RMV für 19,44 € im Monat kommt. Wohlgemerkt sind das Mittel für Erwachsene. Kindern und Jugendlichen steht noch weniger Geld dafür zur Verfügung. Gerade in der Oberstufe aber ist das ein riesiges Problem, weil die Kosten der Schülerbeförderung viele Familien finanziell einfach überlasten. Für Normalverdiener
werden die hohen Preise zum Problem – wenn man nicht nur die Hälfte des Einkommens für Miete ausgeben muss, sondern auch noch 80 € oder 100 €, je nachdem, für eine Monatskarte.
Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Ein leistungsfähiger ÖPNV braucht qualifiziertes Personal.
Die Beschäftigten, die den ÖPNV in Hessen am Laufen halten, haben eine anständige Entlohnung
und gute Arbeitsbedingungen verdient.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber bei den Löhnen, die heute im ÖPNV-Bereich bezahlt werden, müssen Busfahrer Nebenjobs annehmen und Wohngeld beantragen. Ihre Gehälter reichen oft einfach nicht aus. Das ist eine Folge des Wettbewerbs, der Privatisierung. Aber der Wettbewerb darf nicht zu Lohndumping führen. Auch deshalb brauchen wir endlich ein Vergabegesetz in Hessen, das die Beschäftigten schützt.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Lothar Quanz:
Frau Wissler, Sie kommen bitte zum Schluss?
Janine Wissler (DIE LINKE):
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Wir brauchen in Hessen eine Politik, die sich am Mobilitätsbedürfnis der Menschen orientiert und den Ausbau des ÖPNV an die erste Stelle stellt. Wir brauchen bezahlbare Preise und barrierefreie Bahnhöfe.
Wir brauchen Investitionen nicht in sinnlose Großprojekte, sondern vor allem in den Lärmschutz,
beispielsweise beim Bahnlärm im Rheintal und anderswo. Vor allem aber müssen wir darüber reden,
wie wir Verkehr vermeiden. Deswegen: Hessen braucht dringend eine Verkehrswende. – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tarek Al-Wazir, Kordula Schulz-Asche und Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Wortmeldung in der weiteren Debatte
Janine Wissler (DIE LINKE):
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Das Problem ist, dass die Landesregierung eine Verkehrspolitik macht, die an den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen vollständig vorbeigeht. Sie machen eine Verkehrspolitik, die nicht zukunftsfähig ist, weil sie einen viel zu hohen Flächenverbrauch hat, weil der Ressourcenverbrauch viel zu hoch ist, weil sie zu hohe Kosten verursacht und weil sie zu hohe
Belastungen für das Klima, für die Menschen und die Umwelt bedeutet. Herr Müller, es ist so, dass Verkehrsmanagement Grenzen hat. Natürlich kann man sich kluge Strategien überlegen, wie man Verkehr managen kann.
Natürlich kann man kluge Strategien entwickeln. Aber bei den Verkehrsströmen, die wir heute haben,
ist es doch völlig illusorisch, zu einem staufreien Hessen zu kommen. Deswegen stellt sich die Frage,
wie man Verkehr vermeiden, wie man Verkehr von den völlig überlasteten Straßen verlagern kann.
Herr Minister, Sie haben sich eben hierhin gestellt und sich darüber beschwert, dass die Klageverfahren den Autobahnausbau verzögern würden. Herr Minister, wir leben in einem Rechtsstaat. Da haben die Betroffenen Rechte. Sie haben beispielsweise das Recht, angehört zu werden. Sie müssen angehört werden. Die Betroffenen haben das Recht, Einsprüche einzulegen. Die Betroffenen haben auch das Recht, gegen Verkehrsprojekte, die sie massiv betreffen, vor Gericht zu ziehen. Herr Minister, die Betroffenen haben auch das Recht, am Ende gegen beschlossene Projekte zu demonstrieren. Auch das gehört dazu.
Ich finde es schon merkwürdig, wenn sich ein Verkehrsminister hier hinstellt – noch dazu von den sogenannten Liberalen – und sich darüber beschwert, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte wahrnehmen und gegen Großprojekte klagen. Ich finde, es ist schon ein ziemlicher Hammer, dass Sie dies bei der A 44 und A 49 sagen und sich darüber beschweren, dass Bürgerinnen und Bürger die Rechte in Anspruch nehmen, die ihnen zustehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will auch noch etwas zur Verwendung der Mittel aus der Lkw-Maut sagen. Sie haben insofern recht, dass die Einnahmen aus der Lkw-Maut ab 2011 in den Straßenbau geflossen sind. Was Sie
jetzt aber nicht gesagt haben, ist, dass die Steuermittel genau um diesen Betrag, um den Betrag der
Maut-Mittel, gesenkt wurden. Das heißt, die Lkw-Maut hat auch unter einer schwarz-gelben Bundesregierung eben nicht zur Erhöhung der Investitionen für den Straßenbau geführt, weil die Steuermittel einfach durch die Mittel aus der Maut ersetzt wurden. Das heißt, Sie haben es von einer Tasche in die andere gesteckt. Es ist aber nicht so, dass die Lkw-Maut dazu geführt hätte, dass mehr Gelder in den Straßenbau geflossen wären.
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ach!)
Herr Minister, dies nur, um noch einmal klarzustellen, dass Sie sicherlich nicht dafür gesorgt haben, dass zusätzliche Einnahmen aus der Lkw-Maut auch in den Straßenbau geflossen wären. Ich halte es
sowieso für falsch. Ich halte es für sinnvoller, wenn die Lkw-Maut eben nicht in Investitionen für den
Straßenbau fließt, sondern dass man damit beispielsweise auch den ÖPNV oder die Schiene fördert.
Was wir brauchen, sind kluge und integrierte Verkehrskonzepte. Die GRÜNEN haben natürlich vollkommen recht, wenn sie schreiben, dass man nicht nur den ÖPNV ausbauen, sondern ihn eben mit anderen Verkehrsarten kombinieren müsse. Das kann das Carsharing sein, es kann aber eben auch das Fahrrad sein, und es kann sein, dass man durch wohnortnahes Arbeiten Wege einfach zu Fuß zurücklegt.
Herr Minister, dieses intelligente, integrierte Verkehrskonzept scheint Sie zu überfordern. Es ist aber ein Konzept, und es ist sehr viel mehr, als einfach nur Beton in die Landschaft zu gießen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)