Rede zu Stuttgart 21 und zum Zustand hessischer Bahnhöfe
Rede zu Stuttgart 21 und zum Zustand hessischer Bahnhöfe
21.3.2013
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Der Bau des unterirdischen Bahnhofs Stuttgart 21 ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Es ist vor allem ein Vorgang, bei dem die Bahn und auch der Bund als ihr Eigentümer massiv an Vertrauen eingebüßt haben. Herr Caspar, ich finde, hier liegen neue Fakten auf dem Tisch. 2 Milliarden € Mehrkosten könnte man schon zum Anlass nehmen, um das ganze Projekt spätestens jetzt noch einmal zu hinterfragen.
(Beifall bei der LINKEN)
Mittlerweile werden die Kosten nicht mehr auf 4,5 Milliarden €, sondern auf 6,5 Milliarden € geschätzt
– 6,5 Milliarden € für einen einzigen Bahnhof. Meine Damen und Herren, zum Vergleich: Für alle anderen Investitionen in die Infrastruktur will die Bahn im Jahr 2013 4,4 Milliarden € ausgeben. Das Ergebnis wird ein Bahnhof sein, falls er jemals fertiggestellt wird, der weniger Züge abfertigen kann als
der heutige Kopfbahnhof. Es handelt sich also um einen Abbau von Kapazitäten, der noch dazu Milliarden kostet. Ich halte das schon für ziemlich absurd, was hier passiert.
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dafür wird die Stuttgarter Innenstadt umgepflügt, das Grundwasser wird gefährdet, und es muss auf
Jahre hinweg mit massiven Verspätungen bei den Zugverbindungen in und durch Stuttgart gerechnet
werden. Aufgrund vorbereitender Baumaßnahmen ist es bereits zu einem halben Dutzend Zugentgleisungen gekommen.
Das alles wurde durchgesetzt – auch das darf man nicht vergessen – gegen ganz massive Proteste
der Bevölkerung. Wir alle erinnern uns an die Bilder von Wasserwerfereinsatz gegen Schulkinder und
Rentner, und wir erinnern uns an die schrecklichen Folgen. Ich glaube, das zeigt einmal mehr: Wer
Politik gegen die Menschen macht, der setzt am Ende auch Schlagstöcke und Wasserwerfer ein, um
sein Anliegen durchzusetzen. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass die Menschen sich bis heute
nicht haben entmutigen lassen und der Protest gegen dieses Wahnsinnsprojekt noch immer anhält.
Deshalb will ich auch an der Stelle ein ganz herzliches „Oben bleiben" nach Stuttgart senden.
(Beifall bei der LINKEN)
Außer den Immobilienspekulanten sind es eigentlich nur die Bauunternehmen, die aus diesem Schildbürgerprojekt einen Vorteil ziehen. Aber trotz abermals gestiegener Kostenprognosen halten die Bahn und die Bundesregierung und leider auch die SPD in Baden-Württemberg an Stuttgart 21 fest. Der Aufsichtsrat der Bahn hat entschieden, den Bau trotz massiver Kostensteigerung in Milliardenhöhe fortzusetzen. Damit wird eines gemacht: Damit wird die Entscheidung auf die Zeit nach der Bundestagswahl verlegt. Die Bundesregierung will zum gegenwärtigen Zeitpunkt ihr Scheitern im Fall Stuttgart 21 nicht eingestehen. Das Problem ist, dass das die Steuerzahler Milliarden kosten wird.
Die exorbitanten Kostensteigerungen waren schon länger bekannt, nämlich schon bevor sie publik
wurden. Herr Oettinger wies seine Verwaltung bereits 2009 an, die Zahl 6,5 Milliarden € nicht öffentlich zu machen, weil sie – Zitat – schwer kommunizierbar sei. Diesen internen Vermerk entdeckte die grün-rote Landesregierung kurz nach ihrem Amtsantritt im Frühjahr 2011. Deswegen finde ich die allseitigen Bekundungen, dass man jetzt schockiert sei und sich wundere, wenig glaubwürdig.
Ich frage mich in der Tat schon, warum die grün-rote Landesregierung diesen Vermerk nicht schon vor der Volksabstimmung öffentlich gemacht hat. Ich hätte diese Information den Menschen nicht vorenthalten. Vielleicht wäre dann die Volksabstimmung anders ausgegangen.
Nun ist die Befürchtung, dass Stuttgart 21 ein Milliardengrab ist. Ich sage: Ganz egal, wer am Ende
des Tages formal die Kosten trägt, es handelt sich hier um öffentliche Mittel, es handelt sich hier um
Mittel, die woanders fehlen werden. Es handelt sich nämlich um Mittel für den öffentlichen Personenverkehr.
Die Bahn befindet sich in 100-prozentigem Eigentum des Bundes. Ihren stattlichen jährlichen
Gewinnen stehen milliardenschwere Subventionen gegenüber. Deshalb finde ich, ist es sinnvoll, im
Landtag zu diskutieren, welche Auswirkungen dieser Bahnhofsbau auf Hessen hat.
Der Ausstieg aus Stuttgart 21 ist möglich, und er ist notwendig; denn eine falsche Entscheidung wird
nicht dadurch richtig, dass sie teuer ist. Je länger man wartet, umso teurer wird der Ausstieg. Wenn
man sich verlaufen hat und merkt, dass man in die falsche Richtung läuft, muss man irgendwann einmal umkehren. Man sollte nicht sagen: „Jetzt bin ich aber schon so lange in die falsche Richtung gelaufen, jetzt lohnt sich das Umkehren gar nicht mehr."
Ich finde, das ist eine Haltung, die überhaupt nicht geht. Die Bahn und die Bundesregierung müssen
Schluss machen mit diesem Wahnsinnsprojekt und das Projekt Stuttgart 21 endlich beenden.
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Al-Wazir, natürlich wäre es gut, diesen Antrag auch in Baden-Württemberg zu stellen.
Wir können ihn hier diskutieren. Ich finde es auch gut, dass wir ihn hier diskutieren, auch die Auswirkungen auf Hessen. Aber entschieden wird es letztlich im Bund, bei der Bahn, in Baden-Württemberg. Da stellen die GRÜNEN den Ministerpräsidenten. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Ministerpräsident Kretschmann Ihrem Antrag, den Sie heute gestellt haben, in dieser Form zustimmen würde. Ich gebe zu, deswegen war ich auch etwas verwundert über den Setzpunkt. Aber ich finde auch: Wir müssen in der Tat darüber reden, welche Auswirkungen das Projekt Stuttgart 21 für Hessen hat.
Herr Müller, ich finde, zu behaupten, dass die Investitionen der Bahn in Hessen durch Stuttgart 21
überhaupt nicht tangiert würden, ist schon reichlich kurzsichtig. Wir reden hier über begrenzte Mittel;
und das Fernverkehrsangebot der Bahn ist über die letzten Jahre nicht besser geworden, sondern hat
sich massiv verschlechtert. Ganze Regionen wurden vom Fernverkehr auf der Schiene regelrecht abgehängt, und mit dem letzten Fahrplanwechsel wurden erneut Verbindungen gestrichen.
Der Bau von Stuttgart 21 bedeutet eine gewaltige Verschwendung öffentlicher Mittel ohne jeden langfristigen Nutzen. Die Hessische Landesregierung steht sonst immer an allererster Stelle, wenn es darum geht, andere Bundesländer zu verurteilen, dass sie angeblich mit hessischen Steuergeldern ihre sozialen Wohltaten finanzierten. Angesichts dessen, dass natürlich auch die Mittel der Bahn und die Mittel für den öffentlichen Personennahverkehr endlich sind und nur einmal zur Verfügung stehen, frage ich mich schon, warum Sie hier keine Kritik vorbringen, weil die Kosten für Stuttgart 21 natürlich
auch zulasten hessischer Bahnhöfe gehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, dann schauen wir uns einmal die hessische Bahninfrastruktur an. Wichtige
Projekte warten seit Jahren auf ihre Realisierung. Herr Kollege Al-Wazir hat bereits darauf hingewiesen. Viele Bahnhöfe in Hessen sind in der Tat in einem beklagenswerten Zustand.
(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)
Ich will hier einen Punkt ganz besonders betonen, nämlich die Barrierefreiheit. Bahnhöfe müssen so
ausgestattet sein, dass sie jeder nutzen kann. Dazu braucht es eben Blindenleitsysteme. Dazu
braucht es Ansagen für Blinde, Laufbänder und Hinweistafeln für Gehörlose und Schwerhörige. Menschen im Rollstuhl müssen auch in der Lage sein, Bahnhöfe benutzen zu können, weil diese barrierefrei sind. Menschen in Rollstühlen, aber auch Fahrgäste mit Kinderwagen oder Fahrrädern haben größte Probleme. Oftmals sind sie auf fremde Hilfe angewiesen, weil es einfach keine Fahrstühle gibt. Wir brauchen, das will ich auch sagen, an den Bahnhöfen mehr Personal. Wir brauchen an den Bahnhöfen überhaupt wieder Personal, weil auch Automaten nicht barrierefrei sind. Sie stellen für sehr viele Menschen eine Hürde dar.
Herr Kollege Al-Wazir hat über den Bahnhof in Offenbach gesprochen. Schauen wir uns nun den
Bahnhof Frankfurt-Höchst an, der immerhin ab 2014 saniert werden soll. Dort gibt es täglich über
25.000 Fahrgäste. Es ist einer der größten Bahnhöfe in Hessen, aber Rollstuhlfahrer können diesen
Bahnhof nicht benutzen. Sie können dort weder ein- noch aussteigen. Ich halte das für ein riesiges
Problem. Mittlerweile gibt es dort sogenannte Mobilitätshelfer, die wenigstens bei Kinderwagen und
Fahrrädern helfen, aber auch dafür musste eine Bürgerinitiative lange kämpfen. Mittlerweile sind zwar
fast dreiviertel aller Bahnhöfe in Deutschland barrierefrei. Es gibt aber sehr große Unterschiede zwischen den Bundesländern.
Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN aus dem Jahr 2009 hat ergeben – es ist traurig, aber wahr; egal, welche Statistik man anschaut, Hessen ist immer hinten dabei, und zwar auch wenn man sich diese Statistik zu den barrierefreien Bahnhöfen anschaut –, dass der Bundesdurchschnitt bei 71 % liegt. Spitzenreiter ist Schleswig-Holstein mit 88 % barrierefreier Bahnhöfe.
Wer ist Drittletzter? – Hessen. Schlusslicht ist das Saarland mit nur 44 %. Dann kommt Hamburg
mit 51 %. Hessen liegt mit 54 % deutlich unter dem deutschen Mittelwert. Diese Unterschiede zwischen den Bundesländern zeigen, dass die Länder unterschiedlich viel für ihre Bahnhöfe tun.
Seit 2011 gibt es in Hessen ein Programm, mit dem Bahnhöfe modernisiert werden sollen. Insgesamt
sind es 93 Bahnhöfe, und dafür sollen in den kommenden Jahren – Herr Müller hat es angesprochen
– 258 Millionen € investiert werden. Ich will auch sagen, dass hierfür nur die Hälfte von der Bahn
kommt. Das Land Hessen schießt 94 Millionen € dazu, und einiges kommt noch vonseiten der Verbünde und Kommunen. Ein Drittel der Bahnhöfe haben auch nur einen 80-prozentigen Zuschuss des Landes in Aussicht.
Es ist ein Programm; das ist ein Anfang. Aber das reicht nicht aus, weil wir in Hessen nicht 93, sondern 424 Bahnhöfe haben. Davon ist fast die Hälfte nicht barrierefrei. Viele Bahnhöfe sind heruntergekommen und in einem schlechten Zustand. Das wird bei einigen bis 2019 so bleiben und sich bei anderen auf absehbare Zeit überhaupt nicht ändern.
Ich finde, es ist auch für die Bahn ein Armutszeugnis, dass sie das allein überhaupt nicht in Angriff genommen hätte. Man gibt viel Geld für Prestigeprojekte aus, aber die Maßnahmen, die die Bahn in den letzten Jahren durchgeführt hat, sind größtenteils aus dem Konjunkturpaket des Bundes finanziert
worden – trotz stattlicher Gewinne.
Es geht bei dem Programm auch nur um das, was wirklich Verkehrsinfrastruktur im engsten Sinne ist.
Das heißt, es geht um Bahnsteige, Treppen und Aufzüge. Das Problem vergammelter Empfangsgebäude bleibt z. B. bestehen. Die Bahn will zukünftig die Kommunen ansprechen, ob die nicht die oftmals heruntergekommenen Bauten erwerben und sanieren wollen. Ich glaube, das ist angesichts der kommunalen Haushaltslage an vielen Orten wirklich keine sehr Erfolg versprechende Strategie.
Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Frau Kollegin, Sie müssten zum Ende Ihrer Rede kommen.
Janine Wissler (DIE LINKE):
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Die „FR" hat anlässlich des „FR'"-Bahnhoftests 2011 einmal geschrieben: „Bahnhöfe sind die Eingangstore einer Stadt ... Die Attraktivität des öffentlichen Schienenverkehrs hängt nicht nur davon ab, dass man sich im Fahrzeug wohlfühlt. Auch das Ambiente beim Warten muss stimmen."
Ich finde das völlig richtig. Die Bahnhöfe dürfen nicht die versifftesten, dreckigsten und heruntergekommensten Gebäude der Stadt sein, sondern wir brauchen ein attraktives Bahnangebot. Das heißt, wir brauchen gute Bahnhöfe, gute Infrastruktur und bezahlbare Preise. Ich finde die neueste Preiserhöhung der Bahn falsch, und sie müsste eigentlich die Prioritäten beim barrierefreien Ausbau, dem Lärmschutz und bei der Senkung der Preise setzen. Das müssten die Prioritäten sein, nicht aber der Ausbau solcher sinnloser Prestigeobjekte.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)