Landebahn stilllegen! Rede zum Fluglärm

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

CDU und FDP bringen einen Antrag zum Thema Fluglärm in den Landtag ein – aber nicht etwa, weil die Situation für die betroffenen Anwohner unerträglich ist oder weil sie als Regierungsparteien endlich einmal handeln wollten, nein: Sie thematisieren den Fluglärm hier nur, weil sich die SPD beim Nachtflugverbot innerparteilich nicht einig ist.
Deshalb will ich hier als erstes einmal über die Situation der Betroffenen sprechen; denn deren Problem ist – mit Verlaub – nicht, dass vier Oberbürgermeister der SPD Herrn Schäfer-Gümbel auf der Nase herumtanzen, wie Sie es genannt haben, sondern deren Problem ist, dass Fraport der ganzen Region auf der Nase herumtanzt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich war gerade vor zwei Wochen zu Gast in Flörsheim und habe einige Anwohner zu Hause besucht. Die Menschen machen sich völlig zu Recht Sorgen um ihre Gesundheit und die ihrer Kinder. Sie können ihre Fenster nicht mehr öffnen, die Gärten nicht mehr nutzen. Sie werden morgens um fünf aus dem Schlaf gerissen, manchmal aber auch mitten in der Nacht, wenn das Nachtflugverbot wieder einmal gebrochen wird.
Auf dem Friedhof in Flörsheim müssen bei Ostwind Beerdigungen und Trauerfeiern unterbrochen werden, weil man kein Wort mehr verstehen kann. Mir haben Menschen erzählt, dass sie ihr Leben mittlerweile nach dem Wind planen, dass Gartenpartys oder Grillfeste abgesagt werden müssen, wenn Ostwind weht. Diese Menschen wollen doch keine Wegzugsprämien, sie wollen ihr Leben zurück.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb fordere ich jeden, der den Flughafenausbau heute noch verteidigt, dazu auf, seine diesjährigen Sommerferien in der Einflugschneise zu verbringen und sich selbst einmal dem Lärm auszusetzen, den man anderen zumutet.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Mutter hat mir immer gesagt: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.
(Zuruf von der CDU: Eine kluge Frau!)
Es geht dabei nicht nur um Lärm und Schadstoffe, sondern auch um die Gefahr beispielsweise der Wirbelschleppen. Immer wieder verursacht der Luftstrom der Wirbelschleppe Schäden an den Dächern innerhalb der Einflugschneise. Nach Angaben von Fraport passiert das fünf bis fünfzehn Mal im Jahr.
Erst vor kurzem wurden innerhalb einer Woche drei Dächer in Flörsheim durch Wirbelschleppen beschädigt, Dachziegel wurden in Vorgärten geschleudert. Die Menschen haben mittlerweile Angst, ihre Kinder überhaupt im Freien spielen zu lassen.
Das Problem ist, dass sich niemand dafür zuständig fühlt. Oftmals kann man gar nicht nachvollziehen, welche Fluggesellschaft für die Beschädigungen eigentlich verantwortlich ist. Was sagt das Verkehrsministerium dazu? Ein Sprecher teilte auf Anfrage mit, es handle sich hier um Einzelfälle. Wirbelschleppenschäden würden nicht statistisch erfasst oder ausgewertet. Aber sollten die Fälle eine andere Dimension annehmen, so – Zitat – „will ich nicht ausschließen, dass man tätig werden muss", erklärt der Sprecher des Verkehrsministeriums. – Was soll das denn heißen, Herr Minister, dass die Fälle eine andere Dimension annehmen? Muss erst ein Kind von einem Dachziegel erschlagen werden, bevor das Ministerium an dieser Stelle tätig wird?
(Beifall bei der LINKEN)
Ständig wird in diesem Haus von Sicherheit gefaselt, aber die Luftverkehrswirtschaft genießt offensichtlich Narrenfreiheit in diesem Land. Das Recht der Flughafenanwohner wird durch den Bruch des Nachtflugverbots permanent verletzt. Allein in der letzten Woche gab es in einer Nacht 33 Ausnahmegenehmigungen. Herr Minister, das Ministerium ist dafür zuständig, das Nachtflugverbot einzuhalten. Sie sind doch kein verlängerter Arm der Fraport und Sie können doch nicht zulassen, dass die Nachtruhe permanent gebrochen wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei allem Verständnis für gestrandete Passagiere: Die Menschen in der Region müssen morgens auch zur Arbeit, in die Schule und ausgeruht sein. Sie haben ohnehin nur sechs Stunden Ruhe. Deswegen kann es nicht sein, dass wenn die Flugpläne durcheinander geraten – ob wegen der Witterung oder aufgrund der Unfähigkeit der Fluggesellschaft –, die Anwohner dies ausbaden müssen, Herr Minister. Es kann doch nicht wahr sein, dass die Luftverkehrswirtschaft über dem Gesetz steht.
(Beifall bei der LINKEN)
Nun haben vier Oberbürgermeister der SPD gefordert, das Nachtflugverbot auszuweiten. Und das verkünden sie eine Woche nach dem Parteitag der hessischen SPD, bei dem alle Anträge für ein verlängertes Nachtflugverbot abgelehnt wurden. Ich persönlich finde, die Initiative wäre glaubwürdiger gewesen, hätte man sie vor oder auf dem Parteitag gestartet
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und vielleicht versucht, die innerparteiliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Aber gut, die Herren Oberbürgermeister haben es anders entschieden und Herr Schäfer-Gümbel hat klargestellt, dass die Oberbürgermeister nicht für die SPD sprechen würden. Mehr als sechs Stunden Nachtruhe gibt es mit der SPD nicht.
Etwas merkwürdig fand ich den Hinweis, dass die Oberbürgermeister die Interessen der Region vertreten würden, weil ich mich schon frage, welche Interessen dann die Landes-SPD vertritt. Wessen Interessen vertreten Sie, wenn die Oberbürgermeister die Regionen vertreten?
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ich würde einmal in die Landesverfassung schauen, Frau Kollegin! – Weitere Zurufe von der SPD)
Im Verwaltungsverfahrensgesetz ist festgelegt, dass Planfeststellungsbeschlüsse auch rückgängig gemacht werden können. Deswegen sagen wir: Wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein juristischer Weg. Wir brauchen eine Reduzierung der Flugbewegungen, ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr und ja, diese Landebahn muss stillgelegt werden, weil alles andere überhaupt nicht tragbar ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme zum Schluss. Bei einer der letzten Montagsdemonstrationen hat eine Pfarrerin aus Sachsenhausen, Frau Alves-Christe, gesprochen. Sie sagte:
„Sie alle wissen, wie viele Lügen, gefälschte Statistiken, Gefälligkeitsgutachten, geschönte Berechnungen, gebrochene Versprechen und falsche Versprechungen diese Landebahn überhaupt erst möglich gemacht haben. ..."

Präsident Norbert Kartmann:
Bitte kommen Sie zum Schluss.

Janine Wissler (DIE LINKE):
„Eine Fehlentscheidung wird nicht dadurch richtig, dass sie teuer war."
Ich finde, sie hat vollkommen recht. Die Versprechungen sind nicht eingetreten. Es gibt keine 100.000 Arbeitsplätze. Deshalb werden wir als LINKE die Proteste weiterhin unterstützen, und wir wünschen den Flughafen-BIs viel Ausdauer und viel Durchhaltevermögen, um diesen Irrsinn endlich zu beenden.
(Beifall bei der LINKEN)

Wortmeldung in der weiteren Debatte:
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Herr Minister, ich finde, Ihr Auftritt hat ein bisschen gezeigt, dass Ihnen offensichtlich die Dimension des Problems, über das wir hier reden, nämlich die Verlärmung einer gesamten Region, nicht so ganz deutlich geworden ist. Sie haben die meiste Zeit Ihrer Redezeit dafür gebraucht, über die Führungsqualitäten oder Nichtführungsqualitäten des Landesvorsitzenden der SPD zu reden. Aber das ist hier nicht die Frage, und das ist auch nicht das Problem, das die Menschen in der Region haben.
(Minister Florian Rentsch: Was halten Sie denn von den Führungsqualitäten?)
– Das ist weder Ihre noch meine Aufgabe, es zu beurteilen. Ich finde, dass die SPD ihre innerparteilichen Debatten dort führen muss. Ich möchte darüber reden, was die Landesregierung tun kann, um dieses Lärmproblem zu beseitigen. Deswegen finde ich es schon ein bisschen armselig, dass Sie dazu gar nichts sagen
(Beifall bei der LINKEN)
und stattdessen hier nur über die SPD reden. Wir hätten diesen ganzen Antrag nicht gehabt, wenn die SPD hier nicht innerparteilich ein bisschen Zoff gehabt hätte.
(Minister Florian Rentsch legt der Rednerin Papiere auf das Rednerpult.)
– Vielen Dank. Ich sage gleich etwas zu Ihren Maßnahmen, Herr Minister.
Ich finde, dass Sie zu einigen Fragen doch einiges hätten sagen können. Herr Minister, ich frage Sie noch einmal: Was ist mit dem Problem den Wirbelschleppen? Was muss da passieren, bevor das Ministerium handelt? Es kann doch nicht angehen, dass in Flörsheim Dachziegel durch die Gegend fliegen. Dort spielen draußen Kinder. Da gehen Leute über die Straße.
(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))
– Frau Lannert, ja, das kann doch wohl nicht wahr sein. Wann tun Sie dagegen etwas? Das ist doch wirklich ein Problem, dem Sie sich annehmen müssten.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt zu Ihren Maßnahmen, die Sie mir gerade freundlicherweise hingelegt haben. Herr Minister, Ihre Lärmschutzmaßnahmen – Sie haben von 165 Millionen € gesprochen. Wie viel zahlt davon die Fraport? Wie viel ist es denn? – Ich brauche nicht nachzusehen, ich weiß es. Es sind 15 bis 20 Millionen €.
Das heißt also: 100 % Verursacher, 8 % der Kosten. Das ist, finde ich, eine Politik der Verluste sozialisieren und Gewinne privatisieren. – Es kann doch nicht sein, dass die Anwohner für die Lärmschutzmaßnahmen auch noch selber blechen müssen, nämlich über die Steuergelder.
Deswegen bin ich nicht der Meinung, dass Sie sehr stolz auf diese Lärmschutzmaßnahmen sein müssen, sondern es das Mindeste wäre, die Kosten zu 100 % der Fraport in Rechnung zu stellen, denn die verursacht auch den Lärm.
(Beifall bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): 4.350 €!)
Das ist genau der Punkt: Der maximale Betrag, den man überhaupt bekommen kann, beträgt 4.350 €. Herr Minister, das reicht nicht einmal für zwei Lärmschutzfenster. Das ist doch lächerlich, was Sie über Maßnahmen erzählen. Wie soll denn das den Menschen helfen, ganz davon abgesehen, dass die Menschen natürlich nicht eingepfercht in ihren Häusern sein wollen, sondern das sie ihre Gärten und Terrassen benutzen und sich vielleicht auch im Freien aufhalten wollen?
Sie streuen den Menschen doch Sand in die Augen. Sie versuchen hier, kosmetische Korrekturen vorzunehmen. Mehr ist es nicht.
Wir sagen: Wir müssen an der Lärmquelle ansetzen. – Da frage ich einmal ganz ehrlich: Was ist denn die Alternative zur Stilllegung der Landebahn? – Es kann doch nicht so bleiben, wie es ist. Die Alternative kann doch nicht darin bestehen, dass man ganze Gemeinden entvölkert.
Ich sage Ihnen: Laut dem Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetz können Verwaltungsakte widerrufen werden. Sie können widerrufen werden, wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre, wenn neue Tatsachen bekannt werden oder um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu beseitigen.
Wir reden hier über permanenten Lärm. Wir reden über Schadstoffe und herumfliegende Dachziegel. Das alles ist hochgradig gesundheitsgefährdend. Da frage ich Sie: Wann, wenn nicht in diesem Fall, liegt denn ein schwerer Nachteil für das Gemeinwohl vor? Wann, wenn nicht in dieser Situation, muss eingegriffen werden, um diese Risiken zu vermeiden?
(Beifall bei der LINKEN)
Ich finde, man muss auch noch einmal vor allem an den Planfeststellungsbeschluss und an die Gutachten herangehen. Es ist doch klar, dass beispielsweise die Frage des Vogelschlagrisikos überhaupt nicht hinreichend gewürdigt wurde.
Es gab Prognosen und Gutachten hinsichtlich der Entwicklung der Zahl der Arbeitsplätze. Das hat sich in Luft aufgelöst. Herr Müller, Sie sprechen jetzt von 3.000 Arbeitsplätzen. Das ist doch ein Witz.
(Hermann Schaus (DIE LINKE): 100.000 sollten es sein! – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Sie haben von 100.000 Arbeitsplätzen für die Region gesprochen. Damit haben Sie versucht, die Menschen in der Region einzukaufen. Jetzt freuen Sie sich, dass es 3.000 Arbeitsplätze sind. Das steht doch in keinem Verhältnis zu der Schädigung, die die Menschen tagtäglich erfahren.
Herr Müller, ich wage sehr stark zu bezweifeln, ob das neue Arbeitsplätze sind. Sie könnten auch dorthin verlagert sein. Lassen Sie einmal ein Gutachten dazu machen und schauen Sie sich an, welche Arbeitsplätze dort angeblich entstanden sein sollen.
Herr Kollege Al-Wazir hat es angesprochen: Die Zahl der Passagiere ist rückläufig. – Das ist alles Lug und Trug gewesen. Es wurden Gutachten manipuliert. Es wurde mit falschen Fakten gearbeitet, um diesen Ausbau des Flughafens gegen alle Widerstände durchzusetzen.
(Dieter Posch (FDP): Das ist unglaublich, also wirklich!)
Das ist auch der Grund, warum den Flughafenausbauparteien in diesem Land keiner mehr etwas glaubt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme zu meinen letzten Sätzen. Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben gesagt, wir würden Hoffnungen schüren und Dinge versprechen, die wir nicht umsetzen könnten. Dazu sage ich als Erstes, dass ich den Menschen sage, sie müssten in allererster Linie weiterhin kämpfen.
Am letzten Montag war die 55. Montagsdemonstration. Die Menschen müssen weitermachen. Sie müssen weiterhin in der Gesellschaft Druck machen.

Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende Ihrer Rede kommen.

Janine Wissler (DIE LINKE):
Ich sage: Das Problem bei Ihnen besteht doch nicht darin, dass Sie es nicht könnten. Vielmehr wollen Sie es doch gar nicht. Die SPD hat immer für den Ausbau des Flughafens gestanden. Sie waren für das Nachtflugverbot von 23 Uhr bis 5 Uhr.
Jetzt erzählen Sie mir nicht, dass Sie nichts anderes umsetzen könnten. Sie wollen es nicht anders. Sie haben diese Entscheidung immer klar getroffen. Sie haben sie auf Ihrem Parteitag wieder einmal bestätigt.
(Beifall bei der LINKEN)