Rede zum Biblis-Urteil

Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Der VGH hat entschieden, dass die Abschaltung von Biblis im Rahmen des Moratoriums im März 2011 rechtswidrig war. Der VGH hat RWE Recht gegeben. Das ist eine riesige Klatsche für die Landesregierung. Vor allem ist das aber sehr schmerzhaft für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil es im Zweifelsfall bis zu 190 Millionen € kosten kann, die das Land Hessen an RWE überweisen muss. Frau Ministerin, deswegen ist es wirklich absolut unverantwortlich, in welche Position Sie das Land gebracht haben.
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)
Es ist an Schäbigkeit kaum zu überbieten, dass RWE, nachdem sich das Unternehmen jahrzehntelang auf Kosten der Bevölkerung, auf Kosten der Allgemeinheit bereichert hat, jetzt Klage führt und durch den Atomausstieg quasi verloren gegangene Profite einklagen will. Frau Ministerin, natürlich ist das schäbig, aber jeder weiß, dass RWE so agiert und dass RWE ein verantwortungsloser Konzern ist. Deswegen muss man doch alles rechtssicher machen, wenn man verfügt, dass ein Atomkraftwerk stillgelegt wird. Genau darauf haben Sie verzichtet, Frau Ministerin.
Ich habe mir gestern Nacht das Protokoll der damaligen ULA-Sitzung durchgelesen. Wir hatten kurz nach der Abschaltverfügung eine Ausschusssitzung. Ich habe einmal nachgelesen, was Sie damals gesagt haben. Frau Ministerin, es ist ja nicht so, dass damals keine Bedenken vorgetragen wurden. Wir haben im Gegenteil sehr, sehr viele Fragen gestellt, insbesondere zum Moratorium selbst und zur Rechtssicherheit des Moratoriums.
Der VGH kritisiert jetzt, dass Sie RWE nicht förmlich angehört haben. Genau zu dieser Frage haben Sie sich damals im Ausschuss geäußert. Ich will an der Stelle auch daran erinnern, dass Hessen das letzte Bundesland war, das eine Abschaltverfügung erlassen hat. Wir haben Sie gefragt, warum alle anderen Bundesländer schneller waren. Sie haben gesagt: Wir waren deshalb so langsam, weil wir es eingehend prüfen mussten. – Das war Ihre Antwort, Frau Ministerin. Was dabei herausgekommen ist, wissen wir jetzt.
Im Protokoll ist Folgendes nachzulesen:
„Von einer förmlichen Anhörung nach § 28 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz konnte abgesehen werden, weil sie vorliegend nicht geboten erscheint."
Das heißt, Sie haben diese Frage geprüft und im Ausschuss noch gesagt, es sei überhaupt nicht notwendig, eine solche Anhörung durchzuführen. Auch deshalb ist das Urteil des VGH eine Klatsche für Sie.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Ministerin, ich habe in dieser Ausschusssitzung nachgefragt, wie Sie das Klagerisiko einschätzen, ob es Gespräche mit RWE gegeben hat usw. Damals haben Sie erklärt:
„Die Vertreter von RWE haben erklärt ... dass im Moment Rechtsfragen, z. B. Schadensersatzklagen, nicht im Vordergrund stünden."
Das haben Sie damals in der Ausschusssitzung erklärt. Frau Ministerin, wenn man denkt, man könne sich auf die Freunde von RWE verlassen, dass sie schon nicht dagegen klagen werden, dann bestätigt sich wieder einmal der Satz, dass die Freundschaft aufhört, wenn es ums Geld geht. Das gilt auch für die Freundschaft zwischen RWE und Ihnen, Frau Ministerin.
Ich will deshalb noch einmal klarstellen, dass an der ganzen Vorgehensweise, was das Moratorium angeht, von Anfang an ganz erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel bestanden haben. Ich will nur den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgericht Papier erinnern, der damals gesagt hat: Das ist ein verfassungswidriger Eingriff in Grundrechte; man kann geltende Gesetze nicht aufgrund eines Moratoriums aussetzen. – Damals haben mehrere Verfassungsrechtler der Bundesregierung gesagt: Man kann ein Moratorium erlassen, aber dann muss man den Bundestag einbeziehen und eine gesetzliche Grundlage schaffen. – Aber so stümperhaft, wie die Bundesregierung dieses Moratorium gemacht und Sie es umgesetzt haben, war doch klar, dass das eine Einladung an die Konzerne war, dagegen zu klagen und sich Schadenersatz vom Land zu erstreiten.
Ich habe mir die Presse aus dieser Zeit noch mal angesehen und will aus der Frankfurter Rundschau zitieren, dass das nordrhein-westfälische Umweltministerium damals erklärt hat, dass Forderungen auf Schadenersatz keine Chance hätten. In der „Frankfurter Rundschau" von damals ist nachzulesen:
„Eine andere Position vertritt der Berliner Anwalt Siegfried de Witt, der mehrere Landesregierungen in Atomfragen berät. Nach seiner Auffassung muss der Staat eine angemessene Entschädigung leisten, wenn er die Nutzung von Eigentum zeitlich begrenzt. Auch Kraftwerke seien durch das Eigentumsgrundrecht in der Verfassung geschützt."
Ich zitiere das deshalb, weil Herr de Witt der Anwalt ist, der Sie, Frau Ministerin, vor dem VGH verteidigt hat.
(Lachen bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wie kann es denn bitte sein, dass Sie ein Anwalt vor dem VGH verteidigt, der, wenn es um die Frage einer Entschädigung geht, im März 2011 in der „Frankfurter Rundschau" öffentlich mit der Aussage zitiert wird, dass er das Moratorium für verfassungsrechtlich bedenklich halte und dass Schadenersatzleistungen und Entschädigungen angemessen seien. Frau Ministerin, das hätte ich gerne einmal erklärt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja unglaublich! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Die nächste Fehlleistung!)
Ich will Ihnen auch nicht vorenthalten, dass Siegfried de Witt die gesamte dreizehnte Novelle zum Atomgesetz, also den Ausstieg aus der Atomkraft im Jahre 2011, für verfassungswidrig hält. Auch das kann man auf seiner Homepage recherchieren. Dazu hat er Vorträge gehalten, Frau Ministerin.
(Holger Bellino (CDU): Was lernen wir daraus?)
Damit bin ich beim nächsten Punkt. Das dicke Ende kann ja noch kommen, denn der VGH hat nur die Klage von RWE gegen die Stilllegung von Biblis behandelt. Vor dem Bundesverfassungsgericht klagen nämlich E.ON, Vattenfall und RWE gegen den gesamten Atomausstieg. Auch hier haben wir das Problem, dass es ganz enorme juristische Mängel gibt und sich Rechtsfragen stellen. Wir haben damals dem Konsens nicht zugestimmt, weil wir gesagt haben, der Atomausstieg kommt erstens zu spät, zweitens aber ist er vor allem nicht rechtssicher, er ist eine Einladung an die Konzerne, zu klagen. Die IPPNW, die atomkritische Ärzteorganisation, hat damals erklärt:
„Da fehlender Sachverstand nicht zu unterstellen ist, stellt sich die Frage, ob dieser Gesetzentwurf den vorsätzlichen Versuch darstellt, den Steuerzahlern ein erhebliches Kostenrisiko aufzubürden, und ob diesbezüglich heimliche Absprachen mit den Betreibern bestehen."
Frau Ministerin, angesichts der handwerklichen Fehlern, die gemacht wurden, und angesichts der juristischen Fahrlässigkeiten, sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene, stelle ich ganz bewusst die Frage: Frau Ministerin, ist das Unfähigkeit, oder ist das Absicht?
(Zurufe von der CDU)
Frau Ministerin, ich finde, beides ist ein Grund für einen Rücktritt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Holger Bellino (CDU): Ach du lieber Gott!)
Es drängt sich wirklich der Eindruck auf, dass das eine Art Ablasshandel war nach dem Motto „Wir legen euch die Atomkraftwerke still, und im Nachhinein könnt ihr Schadenersatz einklagen, weil wir so viele juristische Fehler eingebaut haben".
(Beifall bei der LINKEN – Lebhafte Zurufe von der CDU)
Das ist vollkommen unverantwortlich. Wie kann man denn so stümperhaft vorgehen und dem Land eine so enorme Summe als Risiko aufbürden, Frau Ministerin?
(Lebhafte Zurufe von der CDU)
– Herr Bellino, getroffene Hunde bellen. Schön, dass wir heute Nachmittag über den Länderfinanzausgleich und über die nächste Klage reden, die Sie anstreben, obwohl Sie gerade so viel Geld in den Sand gesetzt haben.
(Lebhafte Zurufe von der CDU)
Frau Ministerin, deswegen ist es klar: Sie tragen die Verantwortung für dieses Desaster, und Sie müssen sie im Zweifelsfall auch übernehmen. – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Wortmeldung in der weiteren Debatte
Janine Wissler (DIE LINKE):


Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Das vorneweg: Herr Stephan, ich werde nicht zurücktreten; denn ich habe die richtigen Fragen im Ausschuss gestellt.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie sich jetzt hierhin stellen und sagen, die Landesregierung hätte Ihrer Meinung nach richtig gehandelt, dann frage ich mich wirklich, was passiert, wenn die Landesregierung Ihrer Meinung nach einmal einen Fehler macht.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt auch noch der Opposition die Schuld an diesem Desaster zu geben, nach dem Motto: „Soll doch die Opposition zurücktreten, weil sie die Regierung nicht von diesem Schwachsinn abhalten konnte", das ist doch wirklich ungeheuerlich.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ihre letzte Bemerkung, dass Sie allen Ernstes sagen: „Jetzt habt euch mal nicht so; wir geben in den nächsten Jahren so viel Geld für erneuerbare Energien aus; dann können wir RWE doch auch 190 Millionen € in den Rachen werfen" – was ist das für eine Aussage, Herr Stephan? Ich bitte Sie.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU) – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So eine Truppe regiert das Land!)
In dem Protokoll kann man gut nachlesen, welche Fragen hier gestellt wurden, nämlich: Wie bewertet die Landesregierung die Klageabsichten von RWE und anderen Betreibern? Existieren rechtliche Bedenken bei der Landesregierung? Halten Sie Schadenersatzforderungen für möglich? Können Sie den Einnahmeverlust quantifizieren, der durch die Abschaltung von Biblis entsteht? – Das sind jede Menge Fragen. Dieses Protokoll ist umfangreich, und es besteht zum großen Teil aus Fragen und Antworten. Zu sagen, wir hätten diese Frage nicht gestellt, ist vollkommen absurd.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Richtig ist, dass die Landesregierung in einem Dilemma war. Wer jahrelang herumrennt und erzählt, Biblis sei sicher, alles kein Problem, keine Mängel, der hat Erklärungsnot, wenn er auf einmal von einem auf den anderen Tag Biblis abschaltet. Das ist vollkommen klar. Sie hätten die Abschaltung mit Mängeln und Sicherheitsaspekten begründen müssen. Aber dann hätten Sie Ihre eigene Argumentation, die Sie noch die Woche vorher gebracht haben, ad absurdum geführt.

Vizepräsident Frank Lortz:
Frau Kollegin Wissler, Sie müssen zum Schluss kommen.
Janine Wissler (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss. – Sie haben wie eine Monstranz vor sich hergetragen: Biblis ist sicher. – Frau Ministerin, selbst in der Sitzung haben Sie noch erklärt, die Betriebssicherheit sei nicht gefährdet. Das ist Ihr Problem. Das ist Ihr Dilemma. Ich würde jetzt wirklich gern von Ihnen hören, was Sie zu den Aussagen Ihres Anwalts sagen, ob die Ihnen im Vorfeld bekannt waren. Frau Ministerin, dazu hätte ich gern eine Stellungnahme von Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Janine Wissler (DIE LINKE):

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Herr Ministerpräsident, Sie haben eben gesagt, Hessen würde sich nicht hinter dem Bund verstecken. Es würde mich nun schon interessieren, was Sie denn angesichts dieses Urteils zu tun gedenken. Gibt es denn auf Bundesebene Gespräche mit dem Umweltministerium? Gibt es denn Gespräche mit der Bundesregierung? Was unternehmen Sie denn jetzt eigentlich? – Sie haben in Ihrer Rede, außer die Opposition zu beschimpfen, eigentlich nichts gesagt, Herr Ministerpräsident.

Ich würde schon erwarten, dass ein Ministerpräsident angesichts eines solchen Urteils – zu dem Sie
wenigstens noch eingeräumt haben, dass es Sie nicht mit Begeisterung erfüllt; das ist auch eine Aussage,

(Lachen des Abg. Günter Rudolph (SPD))

wo man nur den Kopf schütteln kann, Herr Ministerpräsident –, wenigstens einmal sagt, was er denn
jetzt tun will und was für ihn die nächsten Schritte sind, um aus dieser Situation herauszukommen. Ich
will auch noch einmal klarmachen, dass es Ihr Anwalt war, der gestern sehr klar gesagt hat, die Entscheidung sei eine Sache des Bundesumweltministeriums gewesen. Es habe eine Weisung erteilt,
und das hessische Ministerium habe nur vollzogen, und es sei überhaupt nichts Hessenspezifisches
gewesen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Der Ministerpräsident sagt das Gegenteil!)

Ich finde, da muss man doch einmal aufklären und fragen: Was stimmt denn jetzt? – Was ist denn
jetzt eigentlich die Realität?

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Gab es eine Weisung oder nicht?)

– Gab es eine Weisung oder nicht? – Ihr Anwalt stellt sich hin und sagt: Es gab eine Weisung. Das ist
heute der Presse zu entnehmen.

(Beifall bei der LINKEN – Timon Gremmels (SPD): Der Anwalt muss zurücktreten!)

Ja, Herr Gremmels, ich habe in der Tat das Gefühl, die Anwälte dieser Landesregierung führen eine
Art Eigenleben. Das war schon bei der Klage und der Revision gegen das Nachtflugverbot so, dass
der Anwalt auf einmal eine Begründung geschrieben hat, welche von der Landesregierung angeblich überhaupt nicht geteilt wurde.

(Zuruf des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Das Eigenleben der Anwälte, die diese Landesregierung vertreten, finde ich unglaublich, dazu würde
ich gerne einmal ein paar Sätze hören.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will es noch einmal klar sagen: Sofortiger Atomausstieg – den auch wir immer gefordert haben –
bedeutet Atomausstieg ohne schuldhaftes Verzögern. Das bedeutet natürlich nicht den dümmstmöglichen Atomausstieg. Das heißt auch nicht, dass man den Konzernen Tür und Tor öffnet, damit sie danach noch Ansprüche einklagen können. Das ist doch nicht die Forderung gewesen. Natürlich war klar, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen. Aber man muss es so machen, dass sich die Atomkonzerne am Ende nicht noch auf Kosten der Steuerzahler bereichern können, Frau Ministerin.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich will auch für meine Fraktion eines ganz klar zurückweisen, nämlich den
Vorwurf der Schadenfreude. Der ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit. Es geht hier um 190 Millionen €. Jetzt überlegen Sie bitte, was man alles mit diesem Geld in den nächsten Jahren Sinnvolles tun könnte.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Wie viele Lehrerstellen wären das? Wie viel Geld, was man zusätzlich in den Kita-Ausbau stecken
könnte? Wie viel Geld ist das denn? Da kann man doch nicht unterstellen, dass die Opposition Schadenfreude empfinden würden, wenn es hier um 190 Millionen € geht; das ist doch vollkommen absurd, was Sie hier erzählen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)