Rede zu Amazon, Leiharbeit und der Deregulierung des Arbeitsmarktes

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Es ist gut, dass sich der Landtag mit den unhaltbaren Zuständen bei amazon beschäftigt. Die Reportage „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei amazon" hat zu Recht große Empörung ausgelöst. Ich will auch sagen, dass ich großen Respekt vor dieser mutigen Recherchearbeit der Reporter des
Hessischen Rundfunks habe.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Bartelt, dass die Zustände bei amazon öffentlich wurden, war doch nicht der Erfolg staatlicher
Kontrollen. Das war schon gar nicht das Verdienst der Landesregierung. Vielmehr ist das einzig und
allein das Verdienst mutiger Journalisten, mutiger Gewerkschafter und mutiger Beschäftigter bei amazon, die das in dieser Reportage so dargestellt haben. Das ist deren Verdienst. Es ist aber nicht das Verdienst der Landesregierung, dass wir heute über diese skandalösen Zustände sprechen können.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Rechercheergebnisse müssen Konsequenzen haben. Deshalb hat die LINKE für morgen früh
eine Aktuelle Stunde zu amazon beantragt, weil wir finden, dass dieser Aspekt in dem doch eher sehr
langen Antrag der SPD-Fraktion etwas untergeht.

Ich halte es für ein Armutszeugnis für diese Landesregierung, dass sie ganze acht Tage gebraucht
hat, um die Zuständigkeit zu klären. Zunächst erklärte der Ministerpräsident – alles Ernstes, ich will das wörtlich zitieren –: „Die Landesregierung ist hier nicht zuständig, aber wir werden sehr sorgfältig die weitere Entwicklung verfolgen."

Meine Damen und Herren, was ist denn das für ein Ministerpräsident? Da fördern Journalisten zutage,
dass spanische Leiharbeiter in ihren Unterkünften von einer Sicherheitsfirma mit Verbindungen in die
Naziszene schikaniert werden, dass diese Sicherheitsleute sogar gegenüber dem hr-Team handgreiflich wurden – und dieser Ministerpräsident erklärt, man werde die weitere Entwicklung verfolgen. Das ist doch wirklich das Allerletzte, eine solche Erklärung nach einer solchen Enthüllung abzugeben.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Stattdessen sollten Sie einmal der Frage nachgehen, wann bei amazon die letzte Betriebsprüfung
stattgefunden hat, welche Rolle die Arbeitsagentur dort gespielt hat und vor allem, wie verhindert werden kann, dass es solche Zustände gibt, ob bei amazon oder anderswo.

Der Sozialminister hat sich erst nach tagelangem öffentlichen Druck nach Bad Hersfeld bequemt. Herr
Grüttner, ein guter Sozialminister hätte am nächsten Morgen bei amazon auf der Matte gestanden und
sich erkundigt, was in diesem Laden eigentlich abgeht.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Quatsch! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Der war an diesem Tag nicht zuständig!)

Aber das ist symptomatisch für den Umgang Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land:
Die Landesregierung lässt die Beschäftigten im Regen stehen, wenn es um Arbeitsbedingungen geht,
und auch, wenn es um Massenentlassungen geht.

Im Dezember hat die „FAZ" eine Liste von 68 Unternehmen veröffentlicht, die aktuell einen Stellenabbau von mehr als 200 Beschäftigten in Deutschland vollzogen oder für die nächste Zeit angekündigt haben. Meine Damen und Herren, auf dieser Liste stehen erschreckend viele hessische Unternehmen oder Unternehmen, die einen Standort in Hessen haben.

Ganz oben auf dieser Liste steht natürlich Schlecker, wo 25.000 Arbeitsplätze wegfielen, davon 2.000
in Hessen. Auf Platz 3 folgt Neckermann mit über 3.000 Arbeitsplätzen. Weiter stehen auf der Liste die
Lufthansa – trotz des angeblichen Jobmotors Frankfurter Flughafen –, der Offenbacher Druckmaschinenhersteller manroland, Opel, Merck, Clariant, HP, das Solarunternehmen SMA sowie eine ganze Reihe von Banken mit Sitz in Frankfurt, darunter die Deutsche Bank, Sal. Oppenheim,

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Union Investment und auch die Landesbank Hessen-Thüringen. Dabei fehlt noch die Commerzbank,
die erst kürzlich angekündigt hat, ebenfalls mehrere Tausend Stellen zu streichen, und übrigens steht
auch das Universitätsklinikum Gießen und Marburg auf dieser Liste. Hinzu kommen noch – wie die SPD das in ihrem Antrag richtig schreibt – infraserv und vodafone.

Hinzu kommt, lieber Herr Thorsten Schäfer-Gümbel, aber auch der massive Stellenabbau durch die Insolvenz bei der „Frankfurter Rundschau". Ich finde es ein bisschen schade, dass die SPD in ihrem Antrag so viele Unternehmen aufführt, ausgerechnet aber die „Rundschau" vergessen hat, an der Sie schließlich über ihre Mediengesellschaft beteiligt sind und bei der Sie aktiv Einfluss nehmen könnten. Herr Schäfer-Gümbel, ich finde, die hätten Sie auch mit aufführen können.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Clemens Reif und Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU)
und Abgeordneten der FDP – Günter Rudolph (SPD): Das ist Beifall von der falschen Seite!)

– Der Applaus von der FDP ist mir jetzt auch ein bisschen peinlich.

(Günter Rudolph (SPD): Das wäre mir auch peinlich!)

Angesichts dieser Liste stellt sich aber die Frage: Was hat denn eigentlich die Landesregierung unternommen, um diese Arbeitsplätze zu erhalten?

(Unruhe)

Das ist aber leider herzlich wenig.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Die „FAZ" hat aber gleichzeitig die Liste der Neueinstellungen veröffentlicht. Ich finde, diese Rangliste
der Firmen mit Neueinstellungen ist nicht weniger alarmierend. Ich will sie Ihnen kurz beschreiben: Auf
Platz 1: Orizon, Zeitarbeitsfirma; auf Platz 2: Adecco, Zeitarbeitsfirma; Platz 4: Time-Partner, Zeitarbeitsfirma; Auf Platz 5 kommt dann die Bahn, und dann folgen noch vier weitere Zeitarbeitsfirmen auf dieser Liste.

Das zeigt, wie verbreitet Leiharbeit inzwischen ist. Wer heute einen Arbeitsplatz sucht, der findet oftmals überhaupt nur noch in der Zeitarbeit Beschäftigung. Leiharbeiter sein heißt, ständig auf Abruf zu leben, ohne feste Arbeitszeiten und ohne eine verlässliche Lebensperspektive.

Meine Damen und Herren, ja, der Fall amazon ist schockierend. Aber leider ist er kein Einzelfall, sondern er ist vielmehr die Spitze eines Eisbergs. Viele Unternehmen nutzen die Leiharbeit systematisch, um Tarifverträge zu unterlaufen und Lohndumping zu betreiben. Deshalb: Wer über amazon spricht, der darf über die Hartz-Gesetze nicht schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn erst durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, auch „Hartz I" genannt, wurde die Leiharbeit in Deutschland massiv ausgeweitet. SPD und GRÜNE haben diesen Gesetzentwurf im Jahr 2002 in den Bundestag eingebracht. Ich will Ihnen einmal einen Satz aus der Gesetzesbegründung vorlesen. Da heißt es wörtlich:
„Arbeitnehmerüberlassung wird ... von all denjenigen Regelungen befreit, die bisher als Schutzmaßnahmen notwendig waren, weil Leiharbeit aufgrund ... hoher Flexibilitätsanforderungen mit
relativ geringen Entgelten vielfach als prekär angesehen werden musste."

Das heißt also, diese Schutzmaßnahmen wurden ganz bewusst abgeschafft. Man wusste, dass Leiharbeit Prekarisierung bedeutet. Man hat sie dennoch ausgeweitet. Der zuständige Minister war damals Wolfgang Clement. Auch er verdient sein Geld heute bei einer Leiharbeitsfirma, allerdings nicht als Leiharbeiter.
Jedem, der immer noch glaubt, die Agenda 2010 sei eine Erfolgsgeschichte, empfehle ich das Buch
„Deutschland Dritter Klasse". Darin wird unter anderem die Geschichte von Volker Hoppe beschrieben:

Fünf Jahre arbeitslos, trotz 560 Bewerbungen, von der Mittelschicht in Hartz IV abgerutscht. Die
Altersversorgung, Eigenheim, Freundeskreis und soziales Umfeld – alles bröckelte nach und nach
weg. Er fand in fünf Jahren einen einzigen Job, und das bei einer Leiharbeitsfirma, die ihn in die Verwaltung eines Großunternehmens schickte. Er erzählt – ich darf das zitieren –:

„Ich hab da zwar nur 9 € brutto die Stunde bekommen, halb so viel wie meine Kollegen. Aber ich
war trotzdem begeistert. Ich hab mich reingehängt, Überstunden gemacht, mich von der allerbesten
Seite gezeigt. Alle hätten ihm signalisiert, dass er bald auf eine feste, regulär bezahlte Stelle übernommen werden könnte. Dann, nach fast drei Monaten, an einem Freitagmittag, hat mich der Chef zu sich geholt und gesagt: ‚Sie brauchen am Montag nicht mehr zu kommen, wir benötigen Sie nicht mehr' ... Es war wie ein Schlag in den Magen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass sie mich übernehmen wollen. Er habe sich dann umgehört, mit vielen Kollegen gesprochen und erfahren, dass das immer so laufe. Man bestelle immer Leiharbeiter für zwei, drei Monate, melde sie dann wieder ab, und dann kämen die nächsten. Er hatte geglaubt, er habe eine Chance, wenn er sich wirklich bewähre. Am Montag ging er dann zu einer Leiharbeitsfirma, denn dort hatte er einen unbefristeten Vertrag unterschrieben. Aber die haben ihm gesagt, dass sie ihn nur so lange beschäftigen, solange das große Unternehmen ihn anfragt."

Meine Damen und Herren, so sehen die Erfahrungen eines Betroffenen aus. Leiharbeit erfüllt einen
Zweck für die Unternehmen – nämlich dass sie Mitarbeiter einfach zurückgeben könne, wie es ihnen
gefällt, dass sie im Falle von Urlaub oder Krankheit keine Kosten haben. Das ist ein Vorteil für Unternehmen – aber das ist eine moderne Form der Sklavenarbeit. Deshalb treten wir als LINKE auch dafür ein, dass die Leiharbeit verboten wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Um die Situation der Leiharbeiter zu verbessern, müssen Sofortmaßnahmen umgesetzt werden. Als
Erstes natürlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Natürlich müssen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter
den gleichen Lohn erhalten. Es darf natürlich nicht sein, dass ein Tarifvertrag schlechtere Bedingungen vorsehen darf.

Wir brauchen die Wiedereinführung des Synchronisationsverbots, das durch Hartz I abgeschafft wurde. Wir müssen die Dauer, für die Leiharbeiter an ein und dasselbe Unternehmen verliehen werden, auf drei Monate begrenzen. Die Mitbestimmung muss auf die Leiharbeit ausgeweitet werden. Und wir brauchen ein Verbot von Leiharbeit in bestreikten Betrieben: Leiharbeiter dürfen nicht als Streikbrecher missbraucht werden.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Die Deregulierung des Arbeitsmarkts durch die Hartz-Gesetze hat eine Rutschbahn der Löhne in
Gang gesetzt. Der Niedriglohnsektor ist so stark angewachsen wie in keinem anderen Industrieland.
Diese Ausbreitung der Niedriglöhne ist eben kein Kollateralschaden der Agenda 2010, sondern ein integraler Bestandteil. Gerhard Schröder erklärte damals wörtlich, man müsse in Deutschland einen
Niedriglohnsektor schaffen. Genau den haben wir jetzt. Fast jeder Fünfte arbeitet zu Niedriglöhnen.
Deshalb hat der DGB damals vollkommen zu Recht vor den Hartz-Gesetzen gewarnt und sie abgelehnt.

Wir müssen Tarifflucht bekämpfen. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Vor einigen Jahren
war DIE LINKE noch die einzige Partei im Bundestag, die für den Mindestlohn war. Mittlerweile fällt es
selbst der FDP schwer, den Menschen, die für 4 € pro Stunde arbeiten, zu erklären, dass der Markt
dieses Problem schon lösen werde. Brüderle und Westerwelle haben deshalb ein Einlenken beim Mindestlohn angedeutet. Vielleicht ist das nur Wahlkampfgeplänkel, aber für Guido Westerwelle ist das ein weiter Weg, denn 2007 hat er behauptet: „Mindestlohn ist DDR pur, ohne Mauer".

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Frau Höhn zahlt 4 € die Stunde!)

Ich finde, das ist mit Abstand so ziemlich die dümmste Aussage, die ich in diesem Zusammenhang
bisher gehört habe.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Frau Höhn von den GRÜNEN zahlt 4 € die Stunde! – Gegenruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und weitere Wortwechsel)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Der Antrag der SPD ist mit den Worten überschrieben „Endlich Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herstellen". Wer aber hat denn diese Ordnung beseitigt? Ich finde, Ihr Einsatz für die Beschäftigten in Hessen wäre glaubwürdiger, wenn Sie sich endlich kritisch mit der Agenda 2010 auseinandersetzen würden und auch mit der Rolle Ihrer eigenen Partei.

Es ist gut, dass die Reportage über amazon eine solch breite Empörung ausgelöst hat. Aber die Debatte darf nicht bei amazon stehenbleiben. Wir müssen darüber nachdenken, welche politischen Konsequenzen aus diesem Skandal gezogen werden können. Und dazu, ja dazu gehört auch die vollständige Rücknahme der Hartz-Gesetze. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Wortmeldung in der weiteren Debatte

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Herr Minister, ich kann nur sagen: Was für ein armseliger Auftritt eines Sozialministers.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte schon erwartet, dass sich ein Sozialminister hier ans Rednerpult stellt und als allerersten
Satz einmal sagt, was das für eine verdammte Sauerei ist, was amazon da mit seinen Beschäftigten
macht. Dass Sie das sagen, hätte ich von einem Sozialminister erwartet.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Das hat er doch!)

Ich finde, dass Ihr Auftritt die ganze Arroganz und Ignoranz dieser Landesregierung gegenüber den
Beschäftigten in diesem Land einmal mehr zum Ausdruck gebracht hat. Sie haben hier gerade erklärt:
amazon wurde regelmäßig kontrolliert. – Herr Minister, das ist ja noch schlimmer. Wenn amazon regelmäßig kontrolliert wurde, warum sind dann diese Missstände bitte schön nicht zutage getreten?

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum brauchte es dann die Reporter des Hessischen Rundfunks, um das aufzudecken, wenn die
staatlichen Behörden bei ihren Kontrollen offensichtlich nichts gefunden haben? – Herr Minister, gerade eben haben Sie eine umfangreiche Presseerklärung herausgegeben. In der ist nachzulesen: Am vergangenen Freitag habe eine eingehende Betriebsprüfung stattgefunden, die eine Reihe von Mängeln ans Licht gebracht habe. – Was denn nun? Haben Sie die ganze Zeit geprüft und nichts gefunden? Haben Sie die ganze Zeit geprüft und etwas gefunden? Oder warum gibt es erst jetzt durch den öffentlichen Druck eine gescheite Betriebsprüfung? – Herr Minister, erst jetzt finden Sie die Missstände; das kann doch nicht wahr sein.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Manfred Pentz (CDU): Das ist ganz billig!)

Zu der Frage der Zuständigkeit. Wir haben einen Ministerpräsidenten, der immerhin vor nicht allzu langer Zeit Innenminister war, der hört, dass in diesem Land eine Sicherheitsfirma mit Verbindungen ins Nazimilieu die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei amazon schikaniert und eine solche Sicherheitsfirma Journalisten tätlich angreift, und dieser Ministerpräsident stellt sich hin und sagt, er sei nicht zuständig. Das ist doch das Allerletzte, Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Pentz (CDU): Was wollen Sie denn? – Das ist schäbig!)

Herr Minister, auch H.E.S.S. ist eine hessische Firma, und daher frage ich: Was haben Sie denn getan, was tut denn der Innenminister, um diesen Vorwürfen gegenüber der Firma H.E.S.S. nachzugehen? – An der Stelle können Sie doch nicht einfach wegschauen und sagen, Sie seien dafür nicht zuständig.

Ich will klar sagen: Ja, wir lehnen Leiharbeit grundsätzlich ab, gerade aufgrund solcher Zustände, weil
uns solche Zustände immer wieder davon überzeugen, wie die Auswirkungen sind, wenn man es mit
einer derart deregulierten Leiharbeit zu tun hat. Sie zeigen uns, dass die Unternehmen dies natürlich
ausnutzen. Sie nutzen es, um Tarifflucht und Lohndumping zu begehen. Deswegen war die Deregulierung der Leiharbeit ein riesiger Fehler, und es geht nicht nur zulasten der Leiharbeiter, sondern der gesamten Beschäftigten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu will ich noch einmal etwas sagen. Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben gesagt, die Leiharbeit sei ein
taugliches Instrument. Sie haben auch gesagt: „gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Ich halte diesen Satz
für absolut richtig. Ich will Ihnen erklären, was Hartz I damit zu tun hat, dass gleicher Lohn für gleiche
Arbeit nicht gilt. Dass in einem Gesetz nicht geregelt ist, dass Neonazi-Sicherheitsdienste Mitarbeiter
schikanieren, ist doch vollkommen klar. Natürlich ist das illegal; das bezweifelt doch auch niemand.
Niemand hat sich hier hingestellt und gesagt: Das ist in Hartz I geregelt. – Selbstverständlich nicht.

Was aber doch in Hartz I geregelt ist, ist, dass gerade der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit,
der bis dahin im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz klar geregelt war, mit einer Klausel versehen wurde, nämlich dass, wenn Tarifverträge abgeschlossen werden, eine andere Regelung gelten kann.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Und was ist dann passiert?)

– Was ist dann passiert? – Ich sage Ihnen, was dann passiert ist. Dann wurden die christlichen Gewerkschaften auf den Plan gerufen, und die haben – –

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Und von wem denn?)

– Na ja, zweifelsohne auf Ihrer gesetzlichen Grundlage. – Dann wurden die christlichen Gewerkschaften auf den Plan gerufen und haben Dumpinglohntarifverträge abgeschlossen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Jetzt seid doch lieb zueinander!)

Aber das Problem ist doch diese Öffnungsklausel. Wenn man sagt: „gleicher Lohn für gleiche Arbeit",
warum schreiben Sie dann eine Öffnungsklausel ins Gesetz? Warum bedarf es dann überhaupt dieser
Öffnungsklausel, wenn gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten soll? – Es war doch klar, dass man das
ausnutzen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schäfer-Gümbel, dann hätte man im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz klarmachen müssen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit ohne irgendwelche Ausnahmen. Leiharbeiter müssen vom ersten Tag an das Gleiche verdienen.

Das Gleiche gilt beim Synchronisationsverbot. Auch das ist Hartz I. Was bei amazon passiert ist, ist,
dass die Leute bei der Leiharbeitsfirma rausgeschmissen wurden, weil sie amazon nicht mehr gebraucht hat. Das ist genau die Folge der Aufhebung des Synchronisationsverbots, das bis dahin im
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelt wurde. Das ist auch eine Folge von Hartz I. Deswegen sage ich: Natürlich hätten amazon und die Leiharbeitsfirma ohne Hartz I in der Lohnfrage

Vizepräsident Heinrich Heidel:
Frau Kollegin, Sie müssten zum Schluss kommen.

Janine Wissler (DIE LINKE):
– ich komme zum Schluss –, aber auch bei der Kopplung von Ausleihzeiten an Vertragszeiten, so
nicht verfahren können. Diesen Zusammenhang können Sie nicht leugnen, und deswegen sagen wir:
Natürlich müssen die Vorgänge bei amazon aufgedeckt werden, insbesondere auch die illegalen Vorgänge, Herr Sozialminister. Aber es braucht eben auch politische Konsequenzen aufgrund dieses
Skandals, weil es einmal mehr zeigt, dass Leiharbeit zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Die Zeit ist vorbei!)