Rede zur Regierungserklärung des Wirtschaftsministers

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Nach den Bildungs- und Sicherheitswochen hat die Landesregierung jetzt die Wirtschaftswochen ausgerufen und zum Auftakt eine Kabinettssitzung am Frankfurter Flughafen gemacht. Ich finde das schon bezeichnend, denn der Titel der Regierungserklärung lautet „Wachstumspolitik". Gerade am Frankfurter Flughafen zeigt sich aber, welche fatalen Auswirkungen Ihre sogenannte Wachstumspolitik hat.

Am kommenden Montag findet die 49. Montagsdemonstration am Frankfurter Flughafen statt. Seit
weit über einem Jahr demonstrieren jeden Montag tausende Menschen gegen die Verlärmung der Region. Ich möchte auch an dieser Stelle den Bürgerinitiativen herzlich zu ihrer Ausdauer und ihrer Hartnäckigkeit gratulieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen in der Rhein-Main-Region können es nur als eine Drohung auffassen, dass der Ministerpräsident gestern erklärt hat, der Flughafen brauche „auch in Zukunft Entwicklungsperspektiven".

Ich frage Sie: Was soll das heißen? Noch eine Landebahn, noch mehr Flüge, noch mehr Lärm?
Die Menschen fühlen sich schon jetzt verraten und sind enttäuscht. Die Mediation hatte keine andere
Funktion, als die Region einzulullen und ruhigzustellen. Deswegen sage ich – auch an die Adresse
der SPD gerichtet –: Was die Menschen brauchen, sind keine neuen Arbeitskreise und Gesprächsrunden. Was die Menschen brauchen, sind konkrete Lösungen gegen den Lärm.

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD hat nun ein Gutachten vorgelegt, mit dem sie ihr Nichtstun im Falle einer Regierungsübernahme schon ankündigt. Sie sagt, rechtlich sei angeblich nichts mehr zu machen. – Dazu will ich sagen: Ich halte es für feige, wenn sich eine Partei, die sich immer für den Flughafenausbau ausgesprochen hat, jetzt hinter einem juristischen Gutachten versteckt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer einen Flughafen ausbaut, damit es mehr Flugbewegungen gibt, der kann sich danach doch nicht
ernsthaft darüber wundern, dass es mehr Lärm gibt. Deshalb bleibt DIE LINKE dabei: Wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein juristischer Weg. Natürlich können falsche Entscheidungen korrigiert werden. In diesem Fall müssen sie sogar korrigiert werden, weil die Auswirkungen auf das Leben der Menschen in der Rhein-Main-Region eben so fatal sind. Fluglärm lässt sich nicht aussitzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Wirtschaftsminister, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung auch ein paar Worte zum Flughafen
gesagt. Mich würde schon interessieren, wo die der Region für den Bau der neuen Landebahn versprochenen 100.000 neuen Arbeitsplätze eigentlich sind. Herr Minister, Ihre sogenannte Wachstumspolitik bedeutet vielleicht wachsende Gewinne für die Luftverkehrswirtschaft. Für die Menschen bedeutet sie ein Schrumpfen ihrer Lebensqualität. Es ist zynisch, wenn sich die Landesregierung hinstellt und sagt, man habe gemeinsam mit der Luftverkehrswirtschaft einen „fairen Ausgleich" zwischen dem Flughafen und den Anwohnern geschaffen. Das können Sie doch den Menschen nicht ernsthaft erklären, die ihre Fenster nicht mehr öffnen können, deren Kinder Konzentrationsprobleme haben und die nachts regelmäßig geweckt werden, weil ein Ferienflieger mal wieder zu spät losgeflogen ist.

Auch die „Allianz für Lärmschutz" ist eine Farce. Den Großteil der Kosten für den Lärmschutz tragen
nicht etwa die Verursacher, sondern die Steuerzahler. Das nennt man „Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren".

(Beifall bei der LINKEN)

Der Lärm muss an der Quelle reduziert werden, auch durch eine Reduzierung der Flugbewegungen.
Die Landesregierung setzt stattdessen auf Wegzugsprämien. Wir sagen: Nicht die Menschen müssen
weichen, sondern der Lärm in der Rhein-Main-Region muss weichen. Nicht der Lärmschutz ist einzigartig in der Welt, wie Sie behaupten, Herr Minister. Einzigartig ist die politische Dummheit, einen Flughafen inmitten eines Ballungsraums immer weiter auszubauen.

Deswegen bleiben wir dabei: Wir brauchen ein konsequentes achtstündiges Nachtflugverbot. Wir
brauchen eine Deckelung der Zahl der Flugbewegungen, und die neue Landebahn muss stillgelegt
werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Fliegen ist die umweltfeindlichste Art der Fortbewegung, nicht nur wegen des Lärms, sondern
auch wegen der Schadstoffe. Deswegen muss auch die Privilegierung des Flugverkehrs endlich ein
Ende haben.

Herr Minister, Sie belassen es ja nicht bei einem Flughafen. Sie haben es angesprochen: Kassel-Calden soll am 4. April den Betrieb aufnehmen. Ich stelle hierzu fest, dass die FDP in Hinsicht auf Kassel- Calden offenbar überhaupt keine Probleme mit der Staatswirtschaft hat. Angebot und Nachfrage können bei dieser Entscheidung nämlich kaum eine Rolle gespielt haben, denn eine Nachfrage nach diesem Flughafen gibt es faktisch nicht. Kaum eine Fluggesellschaft hat Interesse, und wenn doch, dann nur wegen den hohen Subventionen. Das „Wall Street Journal" sprach von einem „Flughafen, den in Deutschland keiner braucht" und einem „Politikerdenkmal". Alle Welt macht sich derzeit über das Desaster am Berliner Flughafen lustig. Ich finde aber, dass auch Kassel-Calden durchaus Potenzial hat, zu einer Lachnummer zu werden. Vor allem hat Kassel-Calden sehr viel Potenzial, zu einem Millionengrab zu werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Statt 150 Millionen € wird der Bau von Kassel-Calden 270 Millionen € kosten, also fast doppelt so viel.
Klar ist, dass Calden mindestens bis 2018 ein Verlustgeschäft sein wird. Das Defizit wird auf etwa 8
bis 10 Millionen € pro Jahr geschätzt. Das muss man sich vorstellen: Die Stadt Kassel, die gerade unter den sogenannten Kommunalen Schutzschirm geschlüpft ist, die jetzt an allen Ecken kürzen muss, wird in den nächsten Jahren einen defizitären Flughafen subventionieren, während auf der anderen Seite Stadtteilbibliotheken geschlossen werden und städtisches Personal abgebaut wird.

Meine Damen und Herren, was sagt der Flughafenchef, Jörg Ries, dazu? Er erklärt, ein Flughafen
müsse sich betriebswirtschaftlich doch gar nicht rechnen. Es gehe ja darum, die Wirtschaft vor Ort anzukurbeln.

– Ein Flughafen muss sich also nicht rechnen. Krankenhäuser werden privatisiert, wenn sie rote Zahlen schreiben. Aber für Calden plant man das Defizit einfach ein. Herr Minister, das ist doch
grotesk, was Sie hier machen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Minister, ich fand es auch ganz interessant, dass das Wall Street Journal ausgerechnet hat, dass
Kassel-Calden sogar teurer ist als Schönefeld. Es ist teurer als Schönefeld, wenn man die Investitionen mit den zu erwartenden Fluggästen ins Verhältnis setzt. Denn teilt man die Kosten der beiden Flughäfen durch die Zahl der angepeilten Fluggäste für zehn Jahre, stellt man fest, dass in Berlin jeder Fluggast den Steuerzahler 14 € und in Kassel-Calden 54 € kosten wird –

(Minister Florian Rentsch: Abwarten!)

und das, wohlgemerkt, wenn die Passagierprognosen im Fall von Kassel-Calden stimmen. Kein
Mensch weiß, ob die zutreffen.

Herr Minister, Sie betreiben eine Verkehrspolitik wie ein Geisterfahrer. Sie schlagen allen Ernstes vor,
zur Verkehrsentlastung neue Straßen zu bauen, statt sich einmal Gedanken über eine Verkehrswende
und eine Reduzierung von Verkehrsströmen zu machen. Herr Minister, die Erfahrung zeigt doch: Wer
Straßen baut, wird noch mehr Verkehr ernten.

An der Stelle will ich auch sagen – Herr Minister, da stehen Sie in Kontinuität zu Ihrem Vorgänger –:
Artenvielfalt und Naturschutz sind keine Lächerlichkeiten. Umweltschutz und Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht aufgeweicht werden, nur weil sie nervig für den einen oder anderen Investor sind.

An Ihrem Dialogforum im Internet – Sie haben in der Presse groß angekündigt, dass Bürger Ideen für
die Wirtschaftspolitik in Hessen und für andere Politikfelder äußern können – haben sich bisher ganze
sechs Bürgerinnen und Bürger aus Hessen beteiligt. Ich habe das noch einmal nachgeschaut. Ich will
nur feststellen: Es ist kein Wunder, dass sich die Menschen daran nicht beteiligen, denn wer den Umgang der Landesregierung beispielsweise mit der Mediation erlebt hat, der weiß, dass Bürgerbeteiligung für die Landesregierung in erster Linie belästigend ist und, wenn überhaupt, nur als Feigenblatt taugt.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Am Wochenende haben Sie – meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen – in einem Interview
gesagt, man merke der Union an, dass die Wirtschaftskompetenz gerade nach dem Weggang von Roland Koch nicht mehr vorhanden sei. Ich finde das schon ein bisschen hart gegenüber dem Kollegen Arnold. So gesehen veranstalten Sie die Wirtschaftswochen vermutlich auch als Fortbildungsveranstaltung für die CDU. Herr Minister, nun kennen Sie die CDU besser als ich. Wenn für Sie Roland Koch, dessen sogenannte Leuchtturmprojekte gerade in sich zusammenbrechen, die letzte Wirtschaftskompetenz der CDU war, dann sagt das schon eine ganze Menge über das Unvermögen der CDU aus.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Minister, Ihren eigenen Wirtschaftssachverstand haben Sie im Stiftungsvorstand der EBS hinreichend unter Beweis gestellt. Daran war auch Herr Arnold beteiligt. Vielleicht so viel dazu.

Herr Minister, Ihre ganze Regierungserklärung war eine einzige Lobhudelei auf die Landesregierung.
Sie bejubeln sich sogar dafür, dass Hessen in der Mitte Deutschlands liegt. Das ist nun zweifelsohne
nicht das Verdienst von Schwarz-Gelb.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Hauptsache Mitte! – Peter Stephan (CDU): Deutsche Einheit!)

Sie sagen, Hessen gehe es so gut wie nie zuvor. Da frage ich Sie schon: Herr Minister, wer ist denn
„Hessen"? Meinen Sie die entlassene Verkäuferin von Schlecker, die immer noch keinen Arbeitsplatz
gefunden hat? Meinen Sie die wachsende Zahl von Niedriglöhnern in Hessen? Sie behaupten, den
Menschen in Hessen würde es so gut gehen wie nie zuvor, und verlieren kein Wort darüber, dass in
diesem reichen Land Hessen jedes fünfte Kind in Armut aufwächst.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es!)

Meine Damen und Herren, die FDP kann den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fälschen. Aber die Realität ändert sie dadurch nicht.

((Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Gefälscht wird hier nichts! Das war vielleicht in anderen Teilen Deutschlands der Fall! Das ist eine Unterstellung!)

Sie freuen sich, dass die Erwerbslosenquote auf dem niedrigsten Stand seit 1992 ist. Aber Sie verschweigen, dass die Statistiken von heute mit denen von 1992 überhaupt nicht mehr vergleichbar
sind, denn viele Erwerbslose werden nicht mehr mitgerechnet. Die Statistiken werden geschönt, wenn
Erwerbslose, die krank sind, Erwerbslose in einem Ein-Euro-Job oder Erwerbslose, die an einer Weiterbildung teilnehmen, nicht mehr als arbeitslos gezählt werden. Erwerbslose, die älter als 58 Jahre sind, erscheinen nicht in der offiziellen Statistik. Wenn private Arbeitsvermittler tätig werden, zählt der von ihnen betreute Erwerbslose auch nicht mehr als erwerbslos, obwohl er keine Arbeit hat.
Zudem steigt die Zahl der Erwerbslosen in Hessen wieder leicht, wie die Regionaldirektion der Arbeitsagentur mitteilte. Meine Damen und Herren, das hat seine Ursache auch in den Pleiten von Firmen wie Schlecker, Neckermann und manroland, bei denen die Landesregierung untätig zusah.

Herr Minister, Sie haben gesagt, Arbeit sichere den Wohlstand jedes Einzelnen. Schön wär's, kann
man da nur sagen. Denn die Realität sieht leider anders aus. 300.000 Menschen arbeiten in Hessen
im Niedriglohnsektor. Das ist ein Fünftel aller Beschäftigten. Herr Minister, das sind die Zahlen Ihres
Ministeriums. Bei den Frauen arbeitet bereits ein Drittel im Niedriglohnsektor. Herr Minister, das sind
Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben, geschweige denn Wohlstand erreichen können, wie Sie
das ausdrücken. Das sind Menschen, die im Alter in Armut leben werden, weil sie zu wenig in die
Rentenkasse einbezahlt haben und sich logischerweise private Vorsorge überhaupt nicht leisten können.

Auch in Hessen sind Minijobs auf dem Vormarsch. In einigen ländlichen Kreisen liegt der Anteil der
400-Euro-Jobber an der Gesamtzahl der Beschäftigten bei mittlerweile 26 bis 29 %. Das sind zweifelsohne alles Jobs, von denen man nicht leben kann. Das sind Zusatzeinkünfte, die bestenfalls ein Haushaltsgeld aufbessern können. Immer mehr Menschen haben es schwer, überhaupt noch eine unbefristete Stelle zu finden, insbesondere junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie leben in permanenter Unsicherheit. Sie leben in befristeten Arbeitsverhältnissen und verdienen dort meistens weniger als in den unbefristeten Arbeitsverhältnissen.

Deshalb muss man dieser Prekarisierung von Arbeit den Kampf ansagen. Es kann nicht sein, dass junge Menschen heute nicht einmal mehr einen Kredit aufnehmen können, weil sie keine Ahnung haben, ob sie in den nächsten Wochen und Monaten überhaupt noch einen Job haben. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Leiharbeit und der Missbrauch der Werkverträge müssen endlich wieder verboten werden. Minijobs und Niedriglohn müssen bekämpft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Ministerpräsident hat gestern richtigerweise festgestellt, dass die Wirtschaftskraft Hessens nicht
naturgegeben sei, sondern tagtäglich von den Menschen erarbeitet werde. Dem kann ich vollkommen
zustimmen. Werte werden eben nicht an den Börsen dieser Welt geschaffen. Die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer schaffen tagtäglich den gesellschaftlichen Reichtum. Deshalb denke ich, dass die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch angemessen am Wirtschaftswachstum beteiligt werden
müssen. Das ist gerade nicht der Fall, wenn die Realeinkommen sinken, während die Wirtschaft wächst.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich würde mir wünschen, dass ein Wirtschaftsminister sich auch als Anwalt der Beschäftigten versteht.
Wann immer Maßnahmen zur Regulierung der Banken vorgeschlagen werden, schreien Sie auf und
warnen vor Arbeitsplatzabbau am Finanzplatz Frankfurt. Aber wenn die Commerzbank ankündigt,
6.000 Arbeitsplätze abzubauen, dann hört man keinen Piep von dieser Landesregierung. Das ist das
Problem. Wo war diese Landesregierung, als die Arbeitsplätze bei Neckermann wegfielen? Wo war
die Landesregierung, als die Beschäftigten von manroland vor der Staatskanzlei für den Erhalt ihrer
Arbeitsplätze protestiert haben? Jetzt, acht Monate vor der Landtagswahl, kündigt die Landesregierung die Wirtschaftswochen an,

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

während denen sie in die Betriebe gehen und sich vor Ort ein Bild machen will.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Es wird langsam Zeit!)

Schlimm genug, sage ich, Herr Wirtschaftsminister, dass man das überhaupt extra betonen muss.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ich wette, getreu Ihrem Motto: „Stärken stärken" werden Sie auch nur in Betriebe gehen, die als Kulisse für Ihren Wahlkampf dienen können, wo es rund läuft und wo sich der FDP-Wirtschaftsminister für die Arbeit anderer Leute feiern lassen kann. Dann ist keine Rede mehr davon, dass sich der Staat
heraushalten soll. Sonst vertritt die Landesregierung immer die Auffassung, der Staat solle sich möglichst aus der Wirtschaft heraushalten. Wenn es schlecht läuft, bleiben Sie in der Regel auch bei dieser Linie, wie bei den jüngsten Firmenpleiten. Goethe hätte Ihnen dazu gesagt: Die Zeit zum Handeln jedes Mal verpassen, nennt ihr, die Dinge sich entwickeln lassen. – Aber wenn es gut läuft, wenn Unternehmen erfolgreich sind, dann waren es die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Landesregierung und ihre zukunftsweisenden Konzepte, weil sie sich offensichtlich ganz besonders gut herausgehalten hat.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Nun freuen Sie sich über die angeblich so rosige Wirtschaftslage in Hessen. Ich will nur feststellen,
dass die Steuereinnahmen diese Einschätzung nicht ganz hergeben, wie wir seit zwei Wochen wissen. Aber auch die Wirtschaft selbst ist gar nicht so begeistert. Der letzte IHK-Konjunkturbericht war mit den Worten überschrieben: „Hessische Wirtschaft: Euro-Krise dämpft Erwartungen". Dort war
nachzulesen, die Stimmung bei den Unternehmen habe sich eingetrübt. Zum ersten Mal seit 2009 liege der Anteil an Unternehmen, die von schlechteren Geschäften ausgehen, wieder über dem Anteil an Unternehmen, die von einer Verbesserung ausgehen. Interessant sind die Antworten, wenn man die Unternehmen zu den ihrer Meinung nach größten Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung befragt: 56 % der Unternehmen nennen die Inlandsnachfrage, 45 % die Energiepreise und dann folgen mit 41 % die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, für die Sie sich gerade so gelobt haben. Die IHK spricht sogar von einem Risikofaktor Wirtschaftspolitik. Ich will also nur einmal feststellen, dass die Bundes- und Landesregierung offensichtlich das drittgrößte Risiko aus Sicht der hessischen Unternehmen sind.

Dass sich die Unternehmen Sorge um die Binnennachfrage machen, ist auch logisch. Das folgt, wenn
man eine einseitige Exportorientierung verfolgt. Sie rühmen sich ob der hohen Exportüberschüsse in
Hessen. Was Sie aber nicht erwähnen ist, dass es die Beschäftigten sind, die durch sinkende Löhne
den Preis für die Gewinne der Exportwirtschaft zahlen.

Wenn Sie dann von einer hervorragenden Infrastruktur sprechen, die Wissenschaftsministerin loben
und als gutes Beispiel die hessischen Hochschulen nennen, kann ich Ihnen nur raten, Herr Rentsch:
Sehen Sie sich auch einmal an anderen Hochschulen um als an der EBS. Die Hochschulen sind völlig
überfüllt und platzen aus allen Nähten wegen des Andrangs der Studierenden. Gerade gestern haben
die Universitätspräsidenten hier im Haus eine Pressekonferenz abgehalten, wo sie dargelegt haben,
wie dramatisch die Situation ist, und dass die Mittel pro Student sinken. Die EBS mag zwar auch finanzielle Probleme haben, Herr Minister, aber das ist nicht dem Andrang von Studierenden geschuldet, sondern im Gegenteil dem Umstand, dass dort offensichtlich kein Mensch mehr hin möchte.

Herr Wirtschaftsminister, nun besteht ja Anlass zur Hoffnung, dass Ihre erste Regierungserklärung
auch Ihre letzte ist.

(Peter Beuth (CDU): Hochmut kommt vor dem Fall!)

Deshalb will ich einmal skizzieren, was ich mir in einer Regierungserklärung eines hessischen Wirtschaftsministers oder einer Wirtschaftsministerin zu hören wünschen würde – vielleicht schon einmal als Anregung für potenzielle Bewerber.

(Peter Beuth (CDU): Vielleicht ist es Ihre letzte Regierungserklärung, die Sie hier als Abgeordnete erleben!)

Sie sagen, Sie wollen die Stärken stärken. Ich würde gerne mal in einer Regierungserklärung hören,
dass sich die Landesregierung auch über die Schwachen Gedanken macht

(Beifall bei der LINKEN)

und dafür kämpft, dass die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Ballungsgebieten und ländlichen
Regionen nicht immer weiter auseinandergeht.

Wir brauchen eine Landesregierung – dazu haben Sie leider nichts gesagt –, die die Energiewende
endlich entschlossen vorantreibt und sich nicht als Lobbyist der Energiekonzerne versteht.

Herr Minister, ich hätte mir von Ihnen ein klares Bekenntnis gegen die Privatisierung von Wasser und
anderen öffentlichen Gütern gewünscht. Sie hätten dem Nestlé-Konzernchef öffentlich widersprechen
können, wenn dieser behauptet, der Zugang zu Wasser sollte kein öffentliches Recht sein. – Sogar
die bayerische FDP schafft es, sich hiergegen auszusprechen. Warum sagt nicht auch der hessische
Wirtschaftsminister, dass Wasser keine Ware ist und deswegen nicht privatisiert werden darf?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der die Schaffung von Wohnraum als eine Kernaufgabe
des Staates ansieht. Hessen braucht endlich ein wirksames Tariftreue- und Vergabegesetz, damit Unternehmen, die Lohndumping betreiben und Umweltstandards unterlaufen, nicht noch durch öffentliche Aufträge belohnt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich wünsche mir einen Verkehrsminister, der sich für die Beschäftigten im ÖPNV einsetzt und Lohndumping unterbindet, statt Wettbewerb auf deren Rücken zu fördern.

Ich würde mir einen Wirtschaftsminister wünschen, der der systematischen Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben den Kampf ansagt. Ich befürchte aber, dass man bei der FDP sehr lange darauf warten kann.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Darauf kann man wirklich lange warten!)

Das wäre im Übrigen auch ein Beitrag zum Kampf gegen den befürchteten Fachkräftemangel, den Sie
hier gerne beklagen. Sie wollen stattdessen die verzweifelte Lage junger Spanier ausnutzen, um diese
hier als Lohndrücker einzusetzen. Wenn Sie mehr Fachkräfte wollen, müssen Sie die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf verbessern, statt Frauen durch das Betreuungsgeld und fehlende Kita-Plätze
vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer Fachkräfte will, muss Fachkräfte ausbilden. Ich wünsche mir deswegen einen Wirtschaftsminister,
der sich dafür einsetzt, dass jeder junge Mensch einen Ausbildungsplatz bekommt und der gerade die
großen Unternehmen dazu verpflichtet, sich nicht weiter aus dieser Verantwortung zu stehlen. Ich
wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der den Unternehmen auf die Finger schaut, dass sie gut ausbilden und den Jugendarbeitsschutz einhalten.

Eine sinnvolle Wirtschaftsförderung wäre es, wenn das Land ein Programm zur Förderung von Belegschaftsbeteiligungen und Belegschaftsübernahmen auflegen und Rekommunalisierung fördern würde. Das wäre ein Beitrag zur Demokratisierung der Wirtschaft, Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade in Hessen würde es nicht schaden, wenn sich ein Wirtschaftsminister Gedanken über Konversionsprogramme für die Rüstungswirtschaft machen würde. Das wäre auch ein sinnvoller Beitrag für Frieden und Abrüstung in diesem Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir leben in einem kranken Wirtschaftssystem, in dem Banken und Versicherungen mit Nahrungsmitteln spekulieren, während Menschen anderswo auf der Welt verhungern. Dies anzusprechen und zu kritisieren gehört auch zur Verantwortung für den Finanzplatz Frankfurt.

(Beifall bei der LINKEN)

Hessen bräuchte einen Wirtschaftsminister oder eine Wirtschaftsministerin, für die oder den die Menschen wichtiger sind als Profite und die kapitalistischen Verwertungsinteressen von Fraport, Lufthansa, der Deutschen Bank oder E.ON. Wir bräuchten einen Wirtschaftsminister, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt und der auch die Verfassung ernst nimmt, in der es heißt, dass die Wirtschaft die Aufgabe hat, dem Wohle des gesamten Volkes zu dienen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Rede zur Regierungserklärung des Wirtschaftsministers

29.1.2013

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

 

Nach den Bildungs- und Sicherheitswochen hat die Landesregierung jetzt die Wirtschaftswochen ausgerufen und zum Auftakt eine Kabinettssitzung am Frankfurter Flughafen gemacht. Ich finde das schon bezeichnend, denn der Titel der Regierungserklärung lautet „Wachstumspolitik“. Gerade am Frankfurter Flughafen zeigt sich aber, welche fatalen Auswirkungen Ihre sogenannte Wachstumspolitik hat.

 

Am kommenden Montag findet die 49. Montagsdemonstration am Frankfurter Flughafen statt. Seit

weit über einem Jahr demonstrieren jeden Montag tausende Menschen gegen die Verlärmung der Region. Ich möchte auch an dieser Stelle den Bürgerinitiativen herzlich zu ihrer Ausdauer und ihrer Hartnäckigkeit gratulieren.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Die Menschen in der Rhein-Main-Region können es nur als eine Drohung auffassen, dass der Ministerpräsident gestern erklärt hat, der Flughafen brauche „auch in Zukunft Entwicklungsperspektiven“.

 

Ich frage Sie: Was soll das heißen? Noch eine Landebahn, noch mehr Flüge, noch mehr Lärm?

Die Menschen fühlen sich schon jetzt verraten und sind enttäuscht. Die Mediation hatte keine andere

Funktion, als die Region einzulullen und ruhigzustellen. Deswegen sage ich – auch an die Adresse

der SPD gerichtet –: Was die Menschen brauchen, sind keine neuen Arbeitskreise und Gesprächsrunden. Was die Menschen brauchen, sind konkrete Lösungen gegen den Lärm.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Die SPD hat nun ein Gutachten vorgelegt, mit dem sie ihr Nichtstun im Falle einer Regierungsübernahme schon ankündigt. Sie sagt, rechtlich sei angeblich nichts mehr zu machen. – Dazu will ich sagen: Ich halte es für feige, wenn sich eine Partei, die sich immer für den Flughafenausbau ausgesprochen hat, jetzt hinter einem juristischen Gutachten versteckt.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Wer einen Flughafen ausbaut, damit es mehr Flugbewegungen gibt, der kann sich danach doch nicht

ernsthaft darüber wundern, dass es mehr Lärm gibt. Deshalb bleibt DIE LINKE dabei: Wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein juristischer Weg. Natürlich können falsche Entscheidungen korrigiert werden. In diesem Fall müssen sie sogar korrigiert werden, weil die Auswirkungen auf das Leben der Menschen in der Rhein-Main-Region eben so fatal sind. Fluglärm lässt sich nicht aussitzen.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Herr Wirtschaftsminister, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung auch ein paar Worte zum Flughafen

gesagt. Mich würde schon interessieren, wo die der Region für den Bau der neuen Landebahn versprochenen 100.000 neuen Arbeitsplätze eigentlich sind. Herr Minister, Ihre sogenannte Wachstumspolitik bedeutet vielleicht wachsende Gewinne für die Luftverkehrswirtschaft. Für die Menschen bedeutet sie ein Schrumpfen ihrer Lebensqualität. Es ist zynisch, wenn sich die Landesregierung hinstellt und sagt, man habe gemeinsam mit der Luftverkehrswirtschaft einen „fairen Ausgleich“ zwischen dem Flughafen und den Anwohnern geschaffen. Das können Sie doch den Menschen nicht ernsthaft erklären, die ihre Fenster nicht mehr öffnen können, deren Kinder Konzentrationsprobleme haben und die nachts regelmäßig geweckt werden, weil ein Ferienflieger mal wieder zu spät losgeflogen ist.

 

Auch die „Allianz für Lärmschutz“ ist eine Farce. Den Großteil der Kosten für den Lärmschutz tragen

nicht etwa die Verursacher, sondern die Steuerzahler. Das nennt man „Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren“.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Der Lärm muss an der Quelle reduziert werden, auch durch eine Reduzierung der Flugbewegungen.

Die Landesregierung setzt stattdessen auf Wegzugsprämien. Wir sagen: Nicht die Menschen müssen

weichen, sondern der Lärm in der Rhein-Main-Region muss weichen. Nicht der Lärmschutz ist einzigartig in der Welt, wie Sie behaupten, Herr Minister. Einzigartig ist die politische Dummheit, einen Flughafen inmitten eines Ballungsraums immer weiter auszubauen.

 

Deswegen bleiben wir dabei: Wir brauchen ein konsequentes achtstündiges Nachtflugverbot. Wir

brauchen eine Deckelung der Zahl der Flugbewegungen, und die neue Landebahn muss stillgelegt

werden.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Das Fliegen ist die umweltfeindlichste Art der Fortbewegung, nicht nur wegen des Lärms, sondern

auch wegen der Schadstoffe. Deswegen muss auch die Privilegierung des Flugverkehrs endlich ein

Ende haben.

 

Herr Minister, Sie belassen es ja nicht bei einem Flughafen. Sie haben es angesprochen: Kassel-Calden soll am 4. April den Betrieb aufnehmen. Ich stelle hierzu fest, dass die FDP in Hinsicht auf Kassel- Calden offenbar überhaupt keine Probleme mit der Staatswirtschaft hat. Angebot und Nachfrage können bei dieser Entscheidung nämlich kaum eine Rolle gespielt haben, denn eine Nachfrage nach diesem Flughafen gibt es faktisch nicht. Kaum eine Fluggesellschaft hat Interesse, und wenn doch, dann nur wegen den hohen Subventionen. Das „Wall Street Journal“ sprach von einem „Flughafen, den in Deutschland keiner braucht“ und einem „Politikerdenkmal“. Alle Welt macht sich derzeit über das Desaster am Berliner Flughafen lustig. Ich finde aber, dass auch Kassel-Calden durchaus Potenzial hat, zu einer Lachnummer zu werden. Vor allem hat Kassel-Calden sehr viel Potenzial, zu einem Millionengrab zu werden.

 

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Statt 150 Millionen € wird der Bau von Kassel-Calden 270 Millionen € kosten, also fast doppelt so viel.

Klar ist, dass Calden mindestens bis 2018 ein Verlustgeschäft sein wird. Das Defizit wird auf etwa 8

bis 10 Millionen € pro Jahr geschätzt. Das muss man sich vorstellen: Die Stadt Kassel, die gerade unter den sogenannten Kommunalen Schutzschirm geschlüpft ist, die jetzt an allen Ecken kürzen muss, wird in den nächsten Jahren einen defizitären Flughafen subventionieren, während auf der anderen Seite Stadtteilbibliotheken geschlossen werden und städtisches Personal abgebaut wird.

 

Meine Damen und Herren, was sagt der Flughafenchef, Jörg Ries, dazu? Er erklärt, ein Flughafen

müsse sich betriebswirtschaftlich doch gar nicht rechnen. Es gehe ja darum, die Wirtschaft vor Ort anzukurbeln.

 

– Ein Flughafen muss sich also nicht rechnen. Krankenhäuser werden privatisiert, wenn sie rote Zahlen schreiben. Aber für Calden plant man das Defizit einfach ein. Herr Minister, das ist doch

grotesk, was Sie hier machen.

 

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

 

Herr Minister, ich fand es auch ganz interessant, dass das Wall Street Journal ausgerechnet hat, dass

Kassel-Calden sogar teurer ist als Schönefeld. Es ist teurer als Schönefeld, wenn man die Investitionen mit den zu erwartenden Fluggästen ins Verhältnis setzt. Denn teilt man die Kosten der beiden Flughäfen durch die Zahl der angepeilten Fluggäste für zehn Jahre, stellt man fest, dass in Berlin jeder Fluggast den Steuerzahler 14 € und in Kassel-Calden 54 € kosten wird –

 

(Minister Florian Rentsch: Abwarten!)

 

und das, wohlgemerkt, wenn die Passagierprognosen im Fall von Kassel-Calden stimmen. Kein

Mensch weiß, ob die zutreffen.

 

Herr Minister, Sie betreiben eine Verkehrspolitik wie ein Geisterfahrer. Sie schlagen allen Ernstes vor,

zur Verkehrsentlastung neue Straßen zu bauen, statt sich einmal Gedanken über eine Verkehrswende

und eine Reduzierung von Verkehrsströmen zu machen. Herr Minister, die Erfahrung zeigt doch: Wer

Straßen baut, wird noch mehr Verkehr ernten.

 

An der Stelle will ich auch sagen – Herr Minister, da stehen Sie in Kontinuität zu Ihrem Vorgänger –:

Artenvielfalt und Naturschutz sind keine Lächerlichkeiten. Umweltschutz und Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht aufgeweicht werden, nur weil sie nervig für den einen oder anderen Investor sind.

 

An Ihrem Dialogforum im Internet – Sie haben in der Presse groß angekündigt, dass Bürger Ideen für

die Wirtschaftspolitik in Hessen und für andere Politikfelder äußern können – haben sich bisher ganze

sechs Bürgerinnen und Bürger aus Hessen beteiligt. Ich habe das noch einmal nachgeschaut. Ich will

nur feststellen: Es ist kein Wunder, dass sich die Menschen daran nicht beteiligen, denn wer den Umgang der Landesregierung beispielsweise mit der Mediation erlebt hat, der weiß, dass Bürgerbeteiligung für die Landesregierung in erster Linie belästigend ist und, wenn überhaupt, nur als Feigenblatt taugt.

 

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

 

Am Wochenende haben Sie – meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen – in einem Interview

gesagt, man merke der Union an, dass die Wirtschaftskompetenz gerade nach dem Weggang von Roland Koch nicht mehr vorhanden sei. Ich finde das schon ein bisschen hart gegenüber dem Kollegen Arnold. So gesehen veranstalten Sie die Wirtschaftswochen vermutlich auch als Fortbildungsveranstaltung für die CDU. Herr Minister, nun kennen Sie die CDU besser als ich. Wenn für Sie Roland Koch, dessen sogenannte Leuchtturmprojekte gerade in sich zusammenbrechen, die letzte Wirtschaftskompetenz der CDU war, dann sagt das schon eine ganze Menge über das Unvermögen der CDU aus.

 

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

 

Herr Minister, Ihren eigenen Wirtschaftssachverstand haben Sie im Stiftungsvorstand der EBS hinreichend unter Beweis gestellt. Daran war auch Herr Arnold beteiligt. Vielleicht so viel dazu.

 

Herr Minister, Ihre ganze Regierungserklärung war eine einzige Lobhudelei auf die Landesregierung.

Sie bejubeln sich sogar dafür, dass Hessen in der Mitte Deutschlands liegt. Das ist nun zweifelsohne

nicht das Verdienst von Schwarz-Gelb.

 

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Hauptsache Mitte! – Peter Stephan (CDU): Deutsche Einheit!)

 

Sie sagen, Hessen gehe es so gut wie nie zuvor. Da frage ich Sie schon: Herr Minister, wer ist denn

„Hessen“? Meinen Sie die entlassene Verkäuferin von Schlecker, die immer noch keinen Arbeitsplatz

gefunden hat? Meinen Sie die wachsende Zahl von Niedriglöhnern in Hessen? Sie behaupten, den

Menschen in Hessen würde es so gut gehen wie nie zuvor, und verlieren kein Wort darüber, dass in

diesem reichen Land Hessen jedes fünfte Kind in Armut aufwächst.

 

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es!)

 

Meine Damen und Herren, die FDP kann den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fälschen. Aber die Realität ändert sie dadurch nicht.

 

((Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Gefälscht wird hier nichts! Das war vielleicht in anderen Teilen Deutschlands der Fall! Das ist eine Unterstellung!)

 

Sie freuen sich, dass die Erwerbslosenquote auf dem niedrigsten Stand seit 1992 ist. Aber Sie verschweigen, dass die Statistiken von heute mit denen von 1992 überhaupt nicht mehr vergleichbar

sind, denn viele Erwerbslose werden nicht mehr mitgerechnet. Die Statistiken werden geschönt, wenn

Erwerbslose, die krank sind, Erwerbslose in einem Ein-Euro-Job oder Erwerbslose, die an einer Weiterbildung teilnehmen, nicht mehr als arbeitslos gezählt werden. Erwerbslose, die älter als 58 Jahre sind, erscheinen nicht in der offiziellen Statistik. Wenn private Arbeitsvermittler tätig werden, zählt der von ihnen betreute Erwerbslose auch nicht mehr als erwerbslos, obwohl er keine Arbeit hat.

Zudem steigt die Zahl der Erwerbslosen in Hessen wieder leicht, wie die Regionaldirektion der Arbeitsagentur mitteilte. Meine Damen und Herren, das hat seine Ursache auch in den Pleiten von Firmen wie Schlecker, Neckermann und manroland, bei denen die Landesregierung untätig zusah.

 

Herr Minister, Sie haben gesagt, Arbeit sichere den Wohlstand jedes Einzelnen. Schön wär’s, kann

man da nur sagen. Denn die Realität sieht leider anders aus. 300.000 Menschen arbeiten in Hessen

im Niedriglohnsektor. Das ist ein Fünftel aller Beschäftigten. Herr Minister, das sind die Zahlen Ihres

Ministeriums. Bei den Frauen arbeitet bereits ein Drittel im Niedriglohnsektor. Herr Minister, das sind

Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben, geschweige denn Wohlstand erreichen können, wie Sie

das ausdrücken. Das sind Menschen, die im Alter in Armut leben werden, weil sie zu wenig in die

Rentenkasse einbezahlt haben und sich logischerweise private Vorsorge überhaupt nicht leisten können.

 

Auch in Hessen sind Minijobs auf dem Vormarsch. In einigen ländlichen Kreisen liegt der Anteil der

400-Euro-Jobber an der Gesamtzahl der Beschäftigten bei mittlerweile 26 bis 29 %. Das sind zweifelsohne alles Jobs, von denen man nicht leben kann. Das sind Zusatzeinkünfte, die bestenfalls ein Haushaltsgeld aufbessern können. Immer mehr Menschen haben es schwer, überhaupt noch eine unbefristete Stelle zu finden, insbesondere junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie leben in permanenter Unsicherheit. Sie leben in befristeten Arbeitsverhältnissen und verdienen dort meistens weniger als in den unbefristeten Arbeitsverhältnissen.

 

Deshalb muss man dieser Prekarisierung von Arbeit den Kampf ansagen. Es kann nicht sein, dass junge Menschen heute nicht einmal mehr einen Kredit aufnehmen können, weil sie keine Ahnung haben, ob sie in den nächsten Wochen und Monaten überhaupt noch einen Job haben. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Leiharbeit und der Missbrauch der Werkverträge müssen endlich wieder verboten werden. Minijobs und Niedriglohn müssen bekämpft werden.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Der Ministerpräsident hat gestern richtigerweise festgestellt, dass die Wirtschaftskraft Hessens nicht

naturgegeben sei, sondern tagtäglich von den Menschen erarbeitet werde. Dem kann ich vollkommen

zustimmen. Werte werden eben nicht an den Börsen dieser Welt geschaffen. Die Arbeitnehmerinnen

und Arbeitnehmer schaffen tagtäglich den gesellschaftlichen Reichtum. Deshalb denke ich, dass die

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch angemessen am Wirtschaftswachstum beteiligt werden

müssen. Das ist gerade nicht der Fall, wenn die Realeinkommen sinken, während die Wirtschaft wächst.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Ich würde mir wünschen, dass ein Wirtschaftsminister sich auch als Anwalt der Beschäftigten versteht.

Wann immer Maßnahmen zur Regulierung der Banken vorgeschlagen werden, schreien Sie auf und

warnen vor Arbeitsplatzabbau am Finanzplatz Frankfurt. Aber wenn die Commerzbank ankündigt,

6.000 Arbeitsplätze abzubauen, dann hört man keinen Piep von dieser Landesregierung. Das ist das

Problem. Wo war diese Landesregierung, als die Arbeitsplätze bei Neckermann wegfielen? Wo war

die Landesregierung, als die Beschäftigten von manroland vor der Staatskanzlei für den Erhalt ihrer

Arbeitsplätze protestiert haben? Jetzt, acht Monate vor der Landtagswahl, kündigt die Landesregierung die Wirtschaftswochen an,

 

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

 

während denen sie in die Betriebe gehen und sich vor Ort ein Bild machen will.

 

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Es wird langsam Zeit!)

 

Schlimm genug, sage ich, Herr Wirtschaftsminister, dass man das überhaupt extra betonen muss.

 

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

 

Ich wette, getreu Ihrem Motto: „Stärken stärken“ werden Sie auch nur in Betriebe gehen, die als Kulisse für Ihren Wahlkampf dienen können, wo es rund läuft und wo sich der FDP-Wirtschaftsminister für die Arbeit anderer Leute feiern lassen kann. Dann ist keine Rede mehr davon, dass sich der Staat

heraushalten soll. Sonst vertritt die Landesregierung immer die Auffassung, der Staat solle sich möglichst aus der Wirtschaft heraushalten. Wenn es schlecht läuft, bleiben Sie in der Regel auch bei dieser Linie, wie bei den jüngsten Firmenpleiten. Goethe hätte Ihnen dazu gesagt: Die Zeit zum Handeln jedes Mal verpassen, nennt ihr, die Dinge sich entwickeln lassen. – Aber wenn es gut läuft, wenn Unternehmen erfolgreich sind, dann waren es die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Landesregierung und ihre zukunftsweisenden Konzepte, weil sie sich offensichtlich ganz besonders gut herausgehalten hat.

 

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

 

Nun freuen Sie sich über die angeblich so rosige Wirtschaftslage in Hessen. Ich will nur feststellen,

dass die Steuereinnahmen diese Einschätzung nicht ganz hergeben, wie wir seit zwei Wochen wissen. Aber auch die Wirtschaft selbst ist gar nicht so begeistert. Der letzte IHK-Konjunkturbericht war mit den Worten überschrieben: „Hessische Wirtschaft: Euro-Krise dämpft Erwartungen“. Dort war

nachzulesen, die Stimmung bei den Unternehmen habe sich eingetrübt. Zum ersten Mal seit 2009 liege der Anteil an Unternehmen, die von schlechteren Geschäften ausgehen, wieder über dem Anteil an Unternehmen, die von einer Verbesserung ausgehen. Interessant sind die Antworten, wenn man die Unternehmen zu den ihrer Meinung nach größten Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung befragt: 56 % der Unternehmen nennen die Inlandsnachfrage, 45 % die Energiepreise und dann folgen mit 41 % die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, für die Sie sich gerade so gelobt haben. Die IHK spricht sogar von einem Risikofaktor Wirtschaftspolitik. Ich will also nur einmal feststellen, dass die Bundes- und Landesregierung offensichtlich das drittgrößte Risiko aus Sicht der hessischen Unternehmen sind.

 

Dass sich die Unternehmen Sorge um die Binnennachfrage machen, ist auch logisch. Das folgt, wenn

man eine einseitige Exportorientierung verfolgt. Sie rühmen sich ob der hohen Exportüberschüsse in

Hessen. Was Sie aber nicht erwähnen ist, dass es die Beschäftigten sind, die durch sinkende Löhne

den Preis für die Gewinne der Exportwirtschaft zahlen.

 

Wenn Sie dann von einer hervorragenden Infrastruktur sprechen, die Wissenschaftsministerin loben

und als gutes Beispiel die hessischen Hochschulen nennen, kann ich Ihnen nur raten, Herr Rentsch:

Sehen Sie sich auch einmal an anderen Hochschulen um als an der EBS. Die Hochschulen sind völlig

überfüllt und platzen aus allen Nähten wegen des Andrangs der Studierenden. Gerade gestern haben

die Universitätspräsidenten hier im Haus eine Pressekonferenz abgehalten, wo sie dargelegt haben,

wie dramatisch die Situation ist, und dass die Mittel pro Student sinken. Die EBS mag zwar auch finanzielle Probleme haben, Herr Minister, aber das ist nicht dem Andrang von Studierenden geschuldet, sondern im Gegenteil dem Umstand, dass dort offensichtlich kein Mensch mehr hin möchte.

 

Herr Wirtschaftsminister, nun besteht ja Anlass zur Hoffnung, dass Ihre erste Regierungserklärung

auch Ihre letzte ist.

 

(Peter Beuth (CDU): Hochmut kommt vor dem Fall!)

 

Deshalb will ich einmal skizzieren, was ich mir in einer Regierungserklärung eines hessischen Wirtschaftsministers oder einer Wirtschaftsministerin zu hören wünschen würde – vielleicht schon einmal als Anregung für potenzielle Bewerber.

 

(Peter Beuth (CDU): Vielleicht ist es Ihre letzte Regierungserklärung, die Sie hier als Abgeordnete erleben!)

 

Sie sagen, Sie wollen die Stärken stärken. Ich würde gerne mal in einer Regierungserklärung hören,

dass sich die Landesregierung auch über die Schwachen Gedanken macht

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

und dafür kämpft, dass die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Ballungsgebieten und ländlichen

Regionen nicht immer weiter auseinandergeht.

 

Wir brauchen eine Landesregierung – dazu haben Sie leider nichts gesagt –, die die Energiewende

endlich entschlossen vorantreibt und sich nicht als Lobbyist der Energiekonzerne versteht.

 

Herr Minister, ich hätte mir von Ihnen ein klares Bekenntnis gegen die Privatisierung von Wasser und

anderen öffentlichen Gütern gewünscht. Sie hätten dem Nestlé-Konzernchef öffentlich widersprechen

können, wenn dieser behauptet, der Zugang zu Wasser sollte kein öffentliches Recht sein. – Sogar

die bayerische FDP schafft es, sich hiergegen auszusprechen. Warum sagt nicht auch der hessische

Wirtschaftsminister, dass Wasser keine Ware ist und deswegen nicht privatisiert werden darf?

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Ich wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der die Schaffung von Wohnraum als eine Kernaufgabe

des Staates ansieht. Hessen braucht endlich ein wirksames Tariftreue- und Vergabegesetz, damit Unternehmen, die Lohndumping betreiben und Umweltstandards unterlaufen, nicht noch durch öffentliche Aufträge belohnt werden.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Ich wünsche mir einen Verkehrsminister, der sich für die Beschäftigten im ÖPNV einsetzt und Lohndumping unterbindet, statt Wettbewerb auf deren Rücken zu fördern.

 

Ich würde mir einen Wirtschaftsminister wünschen, der der systematischen Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben den Kampf ansagt. Ich befürchte aber, dass man bei der FDP sehr lange darauf warten kann.

 

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Darauf kann man wirklich lange warten!)

 

Das wäre im Übrigen auch ein Beitrag zum Kampf gegen den befürchteten Fachkräftemangel, den Sie

hier gerne beklagen. Sie wollen stattdessen die verzweifelte Lage junger Spanier ausnutzen, um diese

hier als Lohndrücker einzusetzen. Wenn Sie mehr Fachkräfte wollen, müssen Sie die Vereinbarkeit

von Familie und Beruf verbessern, statt Frauen durch das Betreuungsgeld und fehlende Kita-Plätze

vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, Herr Minister.

 

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Wer Fachkräfte will, muss Fachkräfte ausbilden. Ich wünsche mir deswegen einen Wirtschaftsminister,

der sich dafür einsetzt, dass jeder junge Mensch einen Ausbildungsplatz bekommt und der gerade die

großen Unternehmen dazu verpflichtet, sich nicht weiter aus dieser Verantwortung zu stehlen. Ich

wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der den Unternehmen auf die Finger schaut, dass sie gut ausbilden und den Jugendarbeitsschutz einhalten.

 

Eine sinnvolle Wirtschaftsförderung wäre es, wenn das Land ein Programm zur Förderung von Belegschaftsbeteiligungen und Belegschaftsübernahmen auflegen und Rekommunalisierung fördern würde. Das wäre ein Beitrag zur Demokratisierung der Wirtschaft, Herr Minister.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Gerade in Hessen würde es nicht schaden, wenn sich ein Wirtschaftsminister Gedanken über Konversionsprogramme für die Rüstungswirtschaft machen würde. Das wäre auch ein sinnvoller Beitrag für Frieden und Abrüstung in diesem Land.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Meine Damen und Herren, wir leben in einem kranken Wirtschaftssystem, in dem Banken und Versicherungen mit Nahrungsmitteln spekulieren, während Menschen anderswo auf der Welt verhungern. Dies anzusprechen und zu kritisieren gehört auch zur Verantwortung für den Finanzplatz Frankfurt.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Hessen bräuchte einen Wirtschaftsminister oder eine Wirtschaftsministerin, für die oder den die Menschen wichtiger sind als Profite und die kapitalistischen Verwertungsinteressen von Fraport, Lufthansa, der Deutschen Bank oder E.ON. Wir bräuchten einen Wirtschaftsminister, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt und der auch die Verfassung ernst nimmt, in der es heißt, dass die Wirtschaft die Aufgabe hat, dem Wohle des gesamten Volkes zu dienen. – Vielen Dank.

 

(Beifall bei der LINKEN)