Bildung ist ein Grundrecht
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Ein Wissenschaftsminister stellt sich vor den Landtag und erklärt, warum es richtig ist, Geld für Hochschulen in Hessen auszugeben. Da könnte man über das Streben der Menschen nach Bildung sprechen. Man könnte über die Neugierde des Forschens und das humboldtsche Bildungsideal reden. Man könnte deutlich machen, dass Bildung in einer Demokratie ein Grundrecht ist und dass jeder gleichen Zugang dazu haben muss – könnte man. Oder man macht es so wie Herr Rhein. Wenn Sie über Hochschulen reden, dann folgen im nächsten Satz die Worte Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftskraft. Das heißt im Klartext: Bildung muss sich lohnen, und zwar in erster Linie finanziell.
Wir sagen aber: Bildung ist kein Investment, sondern Bildung ist ein Grundrecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir dürfen Bildung nicht daran ausrichten, dass Bildungseinrichtungen – ob Kitas, Schulen oder Hochschulen – einen größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen haben, sondern Bildung muss der Emanzipation, der Selbstverwirklichung und auch der demokratischen Teilhabe dienen und sie ermöglichen. Sie reden davon, dass die Hochschulen Hessen wettbewerbsfähiger machen sollen, so als sei die Hochschulpolitik ein Teilbereich der Wirtschaftsförderung. Dabei ist es doch gerade die Aufgabe von Forschung und Wissenschaft, wirtschaftliche, technologische, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu hinterfragen. Aber das ist gar nicht möglich, wenn man die Arbeit von Hochschulen allein ökonomischen Zwängen unterwirft. Anders als Sie, Herr Minister, sind wir auch nicht der Meinung, dass wir mehr Wettbewerb im Bildungsbereich brauchen. Wir sind der Meinung, wir brauchen eine regional ausgewogene Hochschulfinanzierung, eine auskömmliche Hochschulfinanzierung und vor allem eine Kooperation zwischen den Hochschulen und kein Konkurrieren um ohnehin viel zu knappe staatliche oder eben auch private Mittel.
(Beifall bei der LINKEN)
Es gibt viele Gründe dafür, die Hochschulen finanziell besser auszustatten, und zwar sehr viel besser, als die Landesregierung das aktuell tut. Aber dann sollten wir als Erstes über die Wissensvermittlung reden, über die kritischen Wissenschaften, über die Forschung, die an den Hochschulen stattfindet.
Herr Minister, da Sie in der Regel nicht auf uns LINKE hören – das haben Sie bedauerlicherweise in Ihrer Zeit als Innenminister schon nicht getan –,
(Minister Boris Rhein: Das stimmt!)
– das wäre an vielen Stellen besser gewesen –
(Minister Boris Rhein: Ich habe aber die Gerichtsverfahren gewonnen!)
– ja, aber Innenminister sind Sie nicht mehr – möchte ich Ihnen folgende Worte von Hermann Hesse ans Herz legen. Diese Worte stammen aus der Einleitung zur „Bibliothek der Weltliteratur“. Sie lauten:
„Echte Bildung ist nicht Bildung zu irgendeinem Zwecke, sondern sie hat … ihren Sinn in sich selbst.“ Sie diene eben nicht dazu, „uns reich, berühmt oder mächtig zu machen“, sondern hat ihren Lohn in sich selbst, „indem es unser Lebensgefühl, unser Selbstvertrauen steigert, indem es uns … glücklicher macht“ und unser Bewusstsein erweitert. So weit Hermann Hesse. Herr Minister, ich würde einfach anregen, zur Vorbereitung auf Ihre Reden mal bei Hermann Hesse nachzuschauen. Schauen Sie doch in der Literatur nach, anstatt sich vor allem auf die Veröffentlichung der Bertelsmann-Stiftung zu verlassen und sich darin zu bedienen. Ich glaube, das würde Ihrer Rede sowohl in Wortwahl als auch im Inhalt ganz gut tun.
Interessant ist aber auch, zu was Sie in Ihrer Rede nichts gesagt haben. Sie haben leider kein Wort zu einem zentralen Problem gesagt, das wir nach wie vor im Bildungssystem und auch an den Hochschulen haben. Das ist nämlich die soziale Ungerechtigkeit im Bildungssystem, denn der Hochschulzugang hängt immer noch sehr stark von der sozialen Herkunft und dem Bildungsgrad der Eltern ab. Von 100 Akademikerkindern beginnen 77 ein Hochschulstudium. In Nichtakademikerhaushalten sind es hingegen nach der aktuellen Sozialstudie des Deutschen Studentenwerkes lediglich 23. Die „FAZ“ schrieb deshalb vor einigen Tagen:
„Man kann es auf die Formel bringen: Ein Kind aus einem Akademikerhaushalt studiert fast immer, ein Kind aus einem Arbeiterhaushalt selten. Sogar die Wahl des Studienfaches ist schichtspezifisch. So findet man unter Medizin- und Jurastudenten kaum Arbeiterkinder, aber relativ viele in den Ingenieurwissenschaften, Geisteswissenschaft und dem Bereich soziale Arbeit.“
Diese Bildungsungleichheit ist ein Problem, aber offensichtlich ein Problem, das Sie nicht sonderlich umzutreiben scheint, Herr Minister. Dabei wurde doch gerade mit dem Master durch die Bologna-Reform eine weitere Bildungshürde eingezogen. Wir sind in Hessen einen wichtigen Schritt gegangen, als wir die Studiengebühren wieder abgeschafft haben, weil sie eine Bildungshürde waren und weil sie soziale Ungleichheit noch verschärft haben. Das war ein richtiger Schritt.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber das reicht natürlich nicht, solange das BAföG nicht ausgebaut wird, solange die Studienbedingungen nicht verbessert werden, solange die soziale Infrastruktur nicht bedarfsdeckend ausgebaut wird und solange die soziale Auslese lange vor der Hochschulreife im Schulsystem beginnt.
Herr Minister, ein weiterer Punkt, über den Sie fast nichts gesagt haben, sind die über 40.000 Beschäftigten, die wir an den Hochschulen haben. Die haben Sie nur einmal kurz und knapp erwähnt. Ich glaube, ein bisschen weniger Selbstlob und ein paar Worte zu den Professoren, zu den Lehrbeauftragten, zu den Mitarbeitern im Mittelbau, zu dem technisch-administrativen Personal hätte Ihrer Rede schon gut angestanden. Statt dem Ministerpräsidenten und dem Finanzminister zu danken, sollten Sie vielleicht auch einmal denen Respekt zollen, die trotz der Politik der Landesregierung in den letzten Jahren, trotz knapper Mittel, trotz der Umstellung auf den Bologna-Prozess für gute Ausbildung und Forschung an den Hochschulen sorgen. Denen hätten Sie danken können, statt sich nur in Selbstlob hier zu ergehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Weil ich das Thema schon angeschnitten habe, möchte ich kurz etwas zu den zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnissen sagen, die wir an den Hochschulen haben. 90 % der Stellen im Mittelbau sind mittlerweile befristet. Bei den Drittmittelprojekten sind es nahezu alle. Mehr als die Hälfte dieser Verträge laufen unter zwölf Monaten und mehr als zwei Drittel auf Teilzeitbasis. Diese befristeten Kettenverträge haben sich im Wissenschaftsbereich zu einem Riesenproblem entwickelt – zum einen für die Beschäftigten, weil sie sich von Vertrag zu Vertrag hangeln, da sie nicht genau wissen, ob sie wieder einen Job bekommen, wenn der Vertrag ausläuft. Sie können überhaupt keine verlässliche Existenz aufbauen. Die Leute bekommen noch nicht einmal einen Kredit, geschweige denn, dass sie ihre Familienplanung irgendwie absichern können. Die Befristungspraxis ist für die Beschäftigten ein Problem.
Es ist aber auch ein Problem für die Wissenschaftslandschaft, weil einfach viele gut ausgebildete junge Wissenschaftler den Hochschulen verloren gehen. Durch die Arbeitsbedingungen erhalten sie gar nicht die Möglichkeit, sich akademisch zu qualifizieren, und zwar nicht nur, weil die Qualifikationsstellen mittlerweile Mangelware sind, sondern auch, weil die immens hohe Belastung es nicht zulässt, sich auf die eigene Weiterbildung zu konzentrieren.Der akademische Werdegang, der früher mit einer Beschäftigung an einer Hochschule ziemlich sicher gegangen werden konnte, bleibt vielen jungen Wissenschaftlern einfach verwehrt. Aufgrund des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes scheiden immer mehr nach einigen Jahren zwangsläufig aus, weil sie sich nicht weiterqualifiziert haben. Viele dieser Menschen entscheiden irgendwann, dass sie nicht darauf warten, ob sich vielleicht irgendwann eine Perspektive eröffnet, an der Hochschule zu bleiben. Sondern wenn diese Menschen irgendwann Mitte/Ende 30 sind und ein verlässliches Einkommen haben wollen, entscheiden sie oft, dass sie die Hochschule verlassen und anderswo ihr Geld verdienen. So gehen den Hochschulen ganze Generationen junger Wissenschaftler verloren, Herr Minister. Das ist ein Problem. Damit wird eben nicht Wissen geschaffen, wie Sie Ihre Regierungserklärung überschrieben haben, sondern mit einer solchen Befristungspraxis wird Wissen und werden Wissenschaftler mit Füßen getreten.
(Beifall bei der LINKEN)
Gleichzeitig wird wieder über Nachwuchsmangel lamentiert. Dann werden Programme aufgelegt, um weibliche Doktorandinnen und Professorinnen an die Hochschule zu bekommen. Das ist aber völlig absurd, wenn man nicht dafür sorgt, dass Hochschulen gute Arbeitgeber sind, dass sie gute Arbeitsbedingungen und verlässliche Rahmenbedingungen schaffen.
Wir sind der Meinung, für Daueraufgaben braucht man Dauerstellen. Sie haben in Ihrer Rede leider keinen Lösungsvorschlag gemacht, wie man dieses Problem angehen kann, wie Sie die Hochschulen dabei unterstützen. Man kann die Verantwortung nicht einfach auf die Hochschulen abschieben, wie das im Koalitionsvertrag gemacht wurde: Die sollen mal machen. – Nein, das Land ist auch in der Pflicht, hier verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
(Beifall bei der LINKEN)
Und ich will auch kurz etwas zu den Beamtinnen und Beamten an den Hochschulen sagen, die sich nämlich 2015 einer Nullrunde und 2016 pauschal einer Besoldungserhöhung von 1 % entgegensehen. Herr Minister, das ist nicht Ihre persönliche Entscheidung gewesen. Aber es ist Resultat der selbst auferlegten Schuldenbremse. Und ganz ehrlich: Bei solchen Rahmenbedingungen wundert es mich nicht, dass die Hochschulpräsidenten immer wieder darauf hinweisen, was sie alles unternehmen müssen und wollen, um ihre Hochschulen als Arbeitgeber attraktiv zu machen.
Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede leider nichts zur Gleichstellung von Frauen und Männern gesagt, zur Berufung von Professorinnen, zur familienfreundlichen Hochschule. Aber wenn Sie Ihre halbstündige Redezeit dazu genutzt hätten, zu solchen Fragen etwas zu sagen, wäre natürlich sehr viel weniger Zeit für Ihre Lobhudelei auf die Landesregierung geblieben. Man muss natürlich Prioritäten setzen, und die haben Sie gesetzt – leider die falschen, Herr Minister.
(Beifall bei der LINKEN)
Was auch völlig unerwähnt bleibt, ist das privatisierte Uniklinikum Gießen-Marburg. Das war immerhin einmal ein Leuchtturm der Landesregierung gewesen. Ich stelle fest, so überzeugt scheinen Sie von Ihrer Regelung zur Partikeltherapieanlage offenbar nicht zu sein, wenn Sie sie so vollständig hier unter den Tisch fallen lassen, wo Sie sich für so vieles gelobt haben, wofür Sie überhaupt nicht verantwortlich sind. Das haben Sie nicht erwähnt. Ich finde, das spricht dafür, dass wir es hier mit einem eingestürzten Leuchtturm zu tun haben und dass diese Privatisierung grandios gescheitert ist.
(Beifall bei der LINKEN – Karin Wolff (CDU): Das hätten Sie gern!)
Zur Finanzierung der Hochschulen: Herr Rhein, in der Tat fließt mehr Geld an die hessischen Hochschulen. Durch die jährlich zusätzlich etwa 80 Millionen € an BAföG-Mitteln, die nun vom Bund getragen werden, eröffnen sich tatsächlich Spielräume. Aber man muss klar sagen, das ist jetzt kein Verdienst des Landes Hessen.
Herr Rhein, ich frage mich, was hätten Sie eigentlich in dieser Regierungserklärung verkündet, wenn die Übernahme der BAföG-Gelder vom Bund nicht stattfinden würde? Sich jetzt dafür loben zu lassen, dass Sie diese Mittel nicht zweckentfremden, sondern dafür einsetzen, wofür sie gedacht sind, das finde ich doch ein bisschen vermessen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir finden es richtig, dass dieses Geld an die Hochschulen fließt. Das werden wir nicht kritisieren. Aber wir werden dafür die Landesregierung auch nicht loben, weil wir es für eine Selbstverständlichkeit halten – gerade angesichts der Situation, denen die Hochschulen ausgesetzt sind. Angesichts eines Zustroms an Studierenden ist es doch notwendig und klar, dass dieses Geld an den Hochschulen bleiben muss. Ich finde aber, dass sich die Hochschulfinanzierung in Hessen eben nicht nur mit anderen Bundesländern vergleichen lassen muss. Man muss auch schauen, wie die Hochschulfinanzierung in Hessen gemessen an der Wirtschaftskraft ist. Wenn man sich das anschaut, dann sind die Zahlen auch nicht so rosig, wie Sie das behaupten.
Herr Rhein, letzte Woche haben Sie in einer Pressekonferenz erklärt, was Sie denn jetzt mit den zusätzlichen Mitteln machen wollen. Zum Beispiel sollen die Hochschulen endlich die Tariferhöhung finanziert bekommen. Das finden wir gut und richtig; das ist aber auch keine Großtat, weil es auch das Land ist, das die Tarifverhandlungen führt, zumindest für die meisten Hochschulen. Da kann ich nur sagen, dann wünsche ich den Gewerkschaften sehr viel Erfolg dabei, eine anständige Tariferhöhung durchzusetzen, und hoffe, dass das Land bei dem Versprechen bleibt, diese Tariferhöhung dann auch voll zu finanzieren.
(Beifall bei der LINKEN – Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)
Herr Minister, ich frage mich ein bisschen, was Sie hier erklärt hätten, wenn es die 80 Millionen € zusätzlich nicht gegeben hätte. Was wäre dann mit der dringend notwendigen Erhöhung der Grundfinanzierung und mit der Tariferhöhung gewesen? Ja, es gibt mehr Geld, das ist ein Grund zur Freude. Aber ich finde, das ist jetzt auch kein Grund, sich hier feiern zu lassen und sich selbst auf die Schulter zu klopfen, wenn man einfach nichts dazu beigetragen hat, dass es dieses Geld jetzt gibt. Ähnlich ist es auch bei HEUREKA. Sie loben sich jetzt für das Hochschulbauprogramm HEUREKA, dabei kürzen Sie diesem Programm die Mittel. Das ist geradezu absurd.
(Zuruf des Ministers Boris Rhein)
Zum einen ist es so: Wenn man die gleichen Mittel auf eine längere Zeit streckt, ist das eine Kürzung. Zum anderen bin ich auch nicht der Meinung, Herr Minister, dass man sich dafür bejubeln muss, dass man jahrzehntelang versäumte Sanierungen endlich einmal nachholt. Nichts anderes ist HEUREKA. Dass HEUREKA überhaupt nötig geworden ist, liegt doch daran, dass man die baulichen Maßnahmen über Jahrzehnte hinweg vernachlässigt hat. Fakt ist doch einfach, dass wir immer noch in vielen Fachbereichen viel zu wenig Lernraum haben, so dass Seminare auf Orte außerhalb des Campus ausweichen müssen. In Kassel haben wir eine Situation, wo auf Kirchen und Kinos ausgewichen wird. Es ist doch klar, dass die Landesregierung auch in der Verantwortung steht, die baulichen Voraussetzungen zu schaffen. Dass es ein solches Programm gibt, ist sinnvoll; aber auch das ist kein Grund, sich hier zu bejubeln, vor allem wenn man die Mittel streckt oder kürzt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich bin ganz ehrlich: Ich finde, man könnte in Bezug auf HEUREKA auch einmal über die Verteilung der Mittel reden. Ich bin selbst Frankfurterin, wie Sie, aber ich halte es schon für ein Problem, wenn in Frankfurt von „Harvard am Main“ geredet wird und woanders der Putz von der Decke bröckelt. Ich bin schon der Meinung, dass man eine regional etwas ausgewogenere und gerechtere Verteilung der HEUREKA-Mittel – Kollege May aus Waldeck-Frankenberg nickt – hätte hinkriegen müssen. Deswegen muss man über die Verteilung von HEUREKA in der Vergangenheit auch kritisch reden.
Nun, die Verhandlungen über den neuen Hochschulpakt sollen spätestens im Januar 2015 zu Ende geführt worden sein. Ich bin sehr gespannt, wie die einzelnen Hochschulen die Ergebnisse und auch die vorgestellten Eckdaten bewerten. Ich bin auch sehr gespannt darauf, ob es diesmal Verhandlungen auf Augenhöhe geben wird, nachdem es bei den Verhandlungen des letzten Hochschulpakts – Frau Kühne-Hörmann wird sich erinnern – doch ein paar Probleme gegeben hat, weil die Hochschulpräsidenten nicht so wollten, wie die Ministerin damals wollte, aber dann die Ministerin aufgezeigt hat, wo die engen Grenzen der Hochschulautonomie bei dieser Frage sind. Deswegen hoffe ich schon, dass die Verhandlungen diesmal in einer anderen Art und Weise und einem anderen Stil stattfinden. Herr Minister, viel Erfolg dabei.
Seit Jahren kämpfen die Hochschulen um eine Erhöhung der Grundfinanzierung; denn nur so kann es überhaupt eine Planungssicherheit und eine Verlässlichkeit geben, und nur so kann man auch die prekären Beschäftigungsverhältnisse einigermaßen eindämmen. Aber die tief liegenden Probleme in der Hochschulfinanzierung bleiben.
Meine Damen und Herren, wir haben die Schwierigkeit, dass die Forschung an den Hochschulen mittlerweile zu einem großen Teil von Drittmitteln abhängig ist. Das Aufkommen von Drittmitteln an den Hochschulen hat sich von 1995 bis 2010 verdreifacht, die Grundmittel sind aber im gleichen Zeitraum nur um gut 30 % angewachsen. Das heißt, das Verhältnis von Grundmitteln, die eine eigenmotivierte Forschung ermöglichen, zu wettbewerblichen Drittmitteln hat sich dramatisch verschoben, und das ganz besonders in den Fächern der Naturwissenschaften, der Technik und der Lebenswissenschaften. Inzwischen wird dort an vielen Orten ausschließlich auf Drittmittelbasis geforscht. Ganze Hochschulen strukturieren sich nach dem Bedarf der Drittmitteleinwerbung, und Drittmittel sind auch ein ganz entscheidendes Kriterium zur Personalauswahl geworden. Damit rücken natürlich auch kritische Wissenschaften in den Hintergrund.
Natürlich sind die Drittmittel nicht alles Mittel aus der Industrie, sondern zum Teil auch öffentliche Mittel, die anders verteilt werden. Aber es ist einfach kein demokratischer und transparenter Prozess mehr. Der Wettbewerb um die Finanzierung wurde zum Leitmotiv in der Wissenschaftspolitik. Aber man muss klar sehen, dass Drittmittelgeber in der Regel klare Vorstellungen haben, was am Ende bei einer Forschung herauskommen soll, nämlich Ergebnisse, die für sie von Nutzen sind. Deswegen sagen wir, Forschung darf nicht allein nach ökonomischer Verwertbarkeit ausgerichtet werden. Sie verstehen Forschungspolitik als Teil der Wirtschaftsförderung. Wir sagen: Wir brauchen an den Hochschulen eine freie Möglichkeit, zu forschen. Hochschulen müssen auch in der Lage sein, Projekte abzulehnen, und dürfen nicht finanziell vollkommen abhängig von Drittmitteln sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Verdrittmittelung führt eben auch dazu, dass Forschung und Lehre immer weiter auseinanderdriften, dass sie nicht mehr als Einheit begriffen werden, und sie führt zu einer zunehmenden Abhängigkeit. Wenn an einigen Hochschulen etwa ein Drittel des Gesamthaushalts aus Drittmitteln besteht, muss man schon fragen: Wie frei sind sie dann von den Interessen ihrer Geldgeber? Wie frei können Hochschulen unter diesen Umständen wirklich forschen?
Deswegen halten wir es nicht für zielführend, wenn Hochschulen in Hessen miteinander um Drittmittel konkurrieren –auch noch um öffentliche Drittmittel - wobei sie in Hessen auch um staatliche Mittel miteinander konkurrieren. Was wir brauchen, ist eine regional ausgewogene Hochschulfinanzierung.
An der Stelle will ich auch sagen: Es reicht eben nicht aus, die QSL-Mittel beizubehalten. Das ist gut und richtig. Aber was wir doch bräuchten, wäre eine Dynamisierung, weil wir heute eine ganz andere Anzahl von Studierenden haben als 2008, als die QSL-Mittel eingeführt wurden. Deswegen finde ich, auch hier muss man noch einmal drangehen und nicht einfach sagen: „Wir behalten bei, was ist“, und sich dafür feiern lassen.
Natürlich bringen die Forschungsvorhaben im Rahmen von LOEWE, mit denen sich die Landesregierung so gern brüstet, viele gute und innovative Ergebnisse. Aber auch LOEWE führt zu einer immer weiteren Verdrittmittelung der hessischen Hochschulen und heizt den wirtschaftlichen Wettbewerb von Bildungseinrichtungen untereinander an. Deshalb brauchen wir wirklich eine Schwerpunktlegung auf die Grundfinanzierung. Sie brüsten sich jetzt damit, dass Sie 26 Millionen € mehr in die Grundfinanzierung stecken. Ich will nur einmal sagen: Das sind 26 Millionen € für 13 Hochschulen im Land, und das in einer Situation, wo die Hochschulen immer höhere Studierendenzahlen stemmen, wo die Betreuungsrelationen schlechter werden und wo damit natürlich auch die Ausbildungsqualität schlechter wird.
Letztlich ist es kein Verdienst des Wissenschaftsministers in Hessen, dass es jetzt etwas mehr Geld für die Hochschulen gibt. Insgesamt kann man feststellen, dass die Hochschulen dennoch unterfinanziert sind. Wir müssen uns wirklich anschauen, wie die Hochschulfinanzierung aussieht, wenn die Grundfinanzierung immer weiter geschwächt wird und stattdessen die Abhängigkeit von Drittmitteln immer stärker wird. Da sagen wir: Wir brauchen sehr viel mehr Geld an den Hochschulen, damit sie die Aufgaben leisten können, die jetzt gerade auf sie zulaufen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich finde, wir brauchen auch eine bessere Finanzierung der sozialen Infrastruktur. Die Studentenwerke müssen dringend besser ausgestattet werden. Viele Studierende sind angewiesen auf Wohnheime, auf kostengünstiges Essen in der Mensa, auf Kinderbetreuung und Beratungsangebote. Die Landeszuschüsse zu den Studentenwerken liegen mittlerweile unter 10 %. Das heißt, der Großteil der Studentenwerke wird faktisch über die Studierenden bezahlt, nämlich über ihre Semesterbeiträge und dann natürlich auch über die Preise, die sie bezahlen.
Hier ist ganz besonders die Wohnsituation ein Problem. Der Hessische Rundfunk hat vor einigen Tagen dankenswerterweise sehr ausführliche Zahlen dazu veröffentlicht. Demnach stehen unmittelbar vor Beginn des Wintersemesters noch 5.700 Studierende auf Wartelisten für einen Wohnheimplatz. Viele müssen in den ersten Tagen auf Notquartiere ausweichen und sich mit einem Klappbett im Schlafsaal begnügen. An einigen Orten sind sogar diese Notschlafplätze bereits belegt.
Gerade in Frankfurt haben wir einen ganz enormen Mangel an Wohnheimplätzen: Im bundesweiten Schnitt finden 10 bis 12 % der Studierenden einen Platz im Wohnheim, in Frankfurt sind es gerade mal 6 % – und da sind die Kirchen und Stiftungen, die auch studentisches Wohnen anbieten, schon mitgezählt. In Frankfurt stehen über 50.000 Studierenden gerade mal etwas mehr als 3.000 Wohnheimplätze zur Verfügung. Aktuell befinden sich dort 2.000 Studierende auf der Warteliste, aber im Bau bzw. in der Planung sind nur 500 neue Plätze.
Das ist in anderen Städten ähnlich. In Marburg stehen 800 auf der Warteliste, hier sind ganze 60 neue Plätze geplant. Das heißt, viele Erstsemester sind gezwungen, zu Hause wohnen zu bleiben und lange Strecken zu pendeln, was nicht gerade dazu führt, dass das Studium angenehmer wird, oder auch nicht dazu führt, dass Abbrecherquoten gesenkt werden, was Sie gern möchten.
Wir müssen auch bedenken, dass wir es weiterhin mit steigenden Studierendenzahlen zu tun haben. Das hat die Prognose der Kultusministerkonferenz noch einmal klargemacht. Wir haben keine kurzfristige Situation, dass wir hier einen Studierendenberg haben, der wieder kleiner wird, sondern hier ist die Landesregierung gefordert, langfristig mehr Wohnheimplätze zu schaffen. Sie sagen, Sie hätten in den letzten vier Jahren insgesamt 2.162 Wohnheimplätze geschaffen. Aber wenn man sich anschaut, wie viele Studierende wir in den letzten vier Jahren zusätzlich zu verzeichnen haben, dann stellt man fest, dass das seit dem Wintersemester 2010 rund 30.000 sind. Es gibt 30.000 Studierende mehr, aber nur 2.162 neue Wohnheimplätze. Das ist ein ganz klares Missverhältnis.
Ich hätte mir schon gewünscht, dass die GRÜNEN ihre Forderungen aus ihrem Wahlprogramm, nämlich 10.000 Studienplätze zusätzlich zu schaffen und ein Sofortprogramm gegen Wohnungsmangel aufzulegen, in den Koalitionsvertrag hineingebracht hätten. Das haben Sie leider nicht geschafft. Sie wollten ein Sofortprogramm a) zur Schaffung von mehr Studienplätzen und b) von mehr Wohnheimplätzen auflegen. Beides findet sich leider nicht im Koalitionsvertrag. Beides haben Sie leider nicht hineinverhandelt bekommen.
Herr Minister, die Studentenwerke brauchen endlich höhere Zuschüsse. Es geht nicht nur darum, die Grundfinanzierung der Hochschulen zu verbessern, sondern auch die soziale Infrastruktur. Denn gerade Studierende, die nicht aus reichen Familien kommen, sind darauf dringend angewiesen.
Ich will noch ein paar Sätze zur Novellierung des Hochschulgesetzes sagen. Dazu haben Sie fast nichts gesagt.
In den letzten Jahren wurde die Demokratie innerhalb der Hochschulen enorm geschwächt. Wir fordern die Reduzierung des Einflusses der Hochschulräte auf eine beratende Funktion. Aber laut Koalitionsvertrag soll die Macht des Hochschulrats sogar gestärkt werden. Bislang wird der Präsident vom Senat gewählt. Künftig soll eine vom Hochschulrat und dem Senat paritätisch besetzte Findungskommission einen Wahlvorschlag machen.
Ich kündige jetzt schon an, dass wir auch bei dieser Novelle des Hochschulgesetzes beantragen werden, die Macht der Hochschulräte zu beschneiden. Wir wollen mehr Demokratie an den Hochschulen. Wenn wir über Autonomie und einen Autonomieprozess reden, kann es nicht sein, dass die ganzen zusätzlichen Kompetenzen nur auf das Präsidium und den Hochschulrat verlagert werden. Das muss den demokratischen und Selbstverwaltungsgremien zugutekommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich kündige an, dass wir beantragen werden, eine Zivilklausel im Hochschulgesetz festzuschreiben. Viele Hochschulen haben das bereits in ihren Satzungen verankert. Die Hochschulen sind dem Frieden verpflichtet. Deswegen muss die Rüstungsforschung an den Hochschulen verboten werden.
Herr Minister, Ihre Ernennung zum Wissenschaftsminister hat nicht gerade Begeisterung ausgelöst, auch bei Ihnen selbst nicht. Es schwang ein bisschen mit, dass hier ein in Ungnade gefallener Innenminister degradiert werden soll. Ehrlich gesagt, finde ich, das ist ein fatales Signal an die Hochschulen. Denn das Wissenschaftsministerium ist kein Verschiebebahnhof.
Auch bei den Studierenden und den Lehrenden hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Denn einem Wissenschaftsminister, der in seiner Zeit als Innenminister für eine ziemlich autoritäre Law-and-Order-Politik stand und der den gewaltsamen Polizeieinsatz bei Blockupy zu verantworten hat, trauen viele Studierende offenbar nicht zu, viel Gespür für freie und emanzipatorische Bildung zu haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Wie ich gelesen habe, wurden Sie bei Ihrem Antrittsbesuch an der Frankfurter Universität schon mit Protesten der Studierenden begrüßt, obwohl Sie damals noch keine fünf Tage im Amt waren. Dazu kann ich nur sagen: Respekt. Das hat nicht einmal Frau Kühne-Hörmann geschafft und sie war im Beliebtheitsranking der Wissenschaftsminister bundesweit immer auf dem letzten Platz.
Herr Minister, auch wenn es nicht gerade Ihr Traumjob zu sein scheint, stehen Sie trotzdem in der Verantwortung, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen. Schaffen Sie studentischen Wohnraum, der bezahlbar ist! Sorgen Sie für gute Arbeitsbedingungen im Mittelbau! Sorgen Sie dafür, dass die Professorinnen und Professoren gut arbeiten können! Sorgen Sie dafür, dass es für die Studierenden in Hessen gute Bedingungen gibt!
(Armin Schwarz (CDU): Genau das macht er!)
– Warten wir es einmal ab. Herr Schwarz, am Ende der Legislaturperiode können wir noch einmal darüber reden. Wenn Sie das jetzt schon wissen, dann haben Sie, glaube ich, seherische Fähigkeiten. So viel zu sehen war da noch nicht, aber wenn Sie irgendwelche Talente haben, in die Zukunft zu sehen, ist das toll.
(Armin Schwarz (CDU): Augen öffnen, dann können Sie sehen!)
Die Hochschulen brauchen eine solide Grundausstattung. Sie brauchen Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Die hohe Anzahl Studierender ist kein vorübergehendes Phänomen. Es wird in den nächsten zehn Jahren keinen Rückgang der Zahl der Studierenden geben. Das ist allgemein bekannt. Es ist ein politisches Ziel, die Quote der Studierenden langfristig zu erhöhen. Deswegen muss man die Bedingungen dafür schaffen.
Wer die Hochschulen nicht besser ausstattet, raubt tausenden jungen Menschen das Recht auf ein Studium. Denn am Ende werden viele Menschen durch den Numerus clausus und durch Hochschulzulassungsbeschränkungen gar nicht die Möglichkeit haben, das zu studieren und den Beruf auszuüben, den sie möchten. Das trifft vor allem diejenigen, die es im deutschen Bildungssystem ohnehin schwer haben. Das verschärft noch die soziale Auslese.
Herr Minister, ich finde, wenn Sie Begeisterung für Wissenschaft und Forschung wecken wollen, dann sollten Sie nicht über Wettbewerb und wirtschaftliche Verwertbarkeit reden, sondern Sie sollten als erstes einmal über die großen Errungenschaften der Wissenschaft reden und auch darüber, dass der freie Zugang zu Bildung ein Grundpfeiler der Demokratie ist. – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Ulrike Alex (SPD))