„Lärmpausen“ sind nur Lärmverschiebung

Rede im Hessischen Landtag am 24. September 2014

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

„So, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.“ – Mit diesen Worten war ein Brief überschrieben, mit dem sich der damalige grüne Spitzenkandidat und heutige Wirtschaftsminister Al-Wazir kurz vor der Landtagswahl an die von Fluglärm geplagten Bürgerinnen und Bürger in der Region gewandt hat. Darin heißt es: „Zum Schutz und zur Entlastung der Bevölkerung fordern wir … den Verzicht auf den Bau des Terminals 3 …,“

(Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

„ein absolutes Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr … [sowie] eine Deckelung der Zahl der Flugbewegungen …“

(Beifall bei der LINKEN)

– Schade, die GRÜNEN klatschen gar nicht mehr. – Das sind alles richtige Forderungen. Leider ist davon nicht mehr viel übrig. So, wie es ist, kann es nicht bleiben – klar ist: So, wie es ist, wird es nicht bleiben. Es wird nämlich noch lauter werden. Fraport will das dritte Terminal bauen. Das war die ganze Zeit über klar. Das haben sie immer deutlich gesagt. Jetzt hat man noch ein Gutachten dazu vorgelegt, und zwar von dem gleichen Unternehmen, das auch die Gutachten gemacht hat, die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde lagen und die sich alle als vollkommen fehlerhaft herausgestellt haben.

Das waren alles falsche Prognosen, und genau dieser Gutachter legt jetzt wieder ein Gutachten vor, warum man angeblich das Terminal 3 braucht. Das Ministerium erklärt zwar, es würde jetzt eine ergebnisoffene Bedarfsprüfung geben, aber es prüft auf der Datenbasis von Fraport. Wenn das Ministerium keine eigene, von der Fraport und der Luftfahrtlobby unabhängige Prognose erstellen lässt, dann kann hier von Ergebnisoffenheit überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Frankfurts grüner Planungsdezernent hat die Baugenehmigung für Terminal 3 erteilt, obwohl wichtige, für den Bau vorauszusetzende Bedingungen nicht erfüllt waren, und nun unternimmt Tarek Al-Wazir offenbar nichts, um den Bau zu verhindern. Wir können die GRÜNEN nur davor warnen, zu einer weiteren Flughafenausbaupartei zu werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Frage ist, wie der Minister den Bau verhindern will. Das hat er vor der Wahl zugesagt, und an der Einhaltung dieses Wahlversprechens wird er gemessen werden. Ich will Sie daran erinnern, Herr Al- Wazir, es gab die klare Aussage: Mit mir wird es kein Terminal 3 geben.

(Zuruf von der SPD: Oh!)

Herr Al-Wazir, wenn das noch Gültigkeit hat, dann muss sich die Landesregierung wohl entscheiden: Tarek Al-Wazir oder das neue Terminal.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können Sie einmal den Text vorlesen und nicht nur die Überschrift?)

– Ich lese Ihnen gerne den Text vor, Frau Dorn. – In dem Interview hat er gesagt, dass er ein achtstündiges Nachtflugverbot, die Verhinderung von Terminal 3 und eine Reduzierung der Flugbewegungen durchsetzen möchte. Dann wurde er gefragt, ob er das denn durchsetzen kann. Daraufhin die Antwort:

Al-Wazir: Wir sind harte Kämpfe gewöhnt. Ich glaube an die politische Gestaltungskraft und sogar an die Vernunft von Fraport.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Frau Kollegin Dorn, wenn alle GRÜNEN in der Vergangenheit so kampflos aufgegeben hätten, hätte Ihre Partei sicher nichts erreicht. Was der Minister gemacht hat, war nicht, einen Kampf zu führen, sondern er ist eingeknickt vor der Fraport, nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Da komme ich zum nächsten Thema; denn nicht nur beim Terminal 3, sondern auch beim Nachtflugverbot haben Sie kapituliert vor Ihrem Koalitionspartner und der Fraport, bevor der Kampf überhaupt begonnen hat.

Meine Damen und Herren, es ist schon interessant, was sich binnen eines Jahres so alles ändern kann. Aus dem „Rechtspopulisten“ und „Nachlassverwalter Roland Kochs“, wie Tarek Al-Wazir den Ministerpräsidenten wenige Tage vor der Wahl bezeichnet hat,

(Florian Rentsch (FDP): Aha!)

wurde Volker, und aus dem konsequenten Nachtflugverbot eine Verschiebung von Lärm, die sogenannten Lärmpausen. Durch den abwechselnden Verzicht auf die Nutzung einer Bahn bei stärkerer Nutzung der anderen soll es jetzt abwechselnd eine etwas längere Nachtruhe für die Anwohner geben, angeblich. Um das klarzustellen: Durch diese Regelung wird am Frankfurter Flughafen kein Flugzeug weniger fliegen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat auch niemand behauptet!)

Der Lärm soll gebündelt und umverteilt werden. Das heißt, dass es kurzzeitig vielleicht irgendwo leiser wird. Woanders wird es deshalb lauter. Von verlässlichen Lärmpausen kann überhaupt keine Rede sein. Das hat der Minister selbst eingeräumt.  Letztlich ist es vom Wetter, vom Wind und anderen Faktoren abhängig, ob die Lärmpausen überhaupt eingehalten werden können. Wir alle wissen, dass Wind bekanntlich nicht planbar ist. Wenn wir uns anschauen, wie häufig auch jetzt schon das Nachtflugverbot gebrochen wird – –

(Michael Boddenberg (CDU): Völliger Quatsch!)

– Allein neun Nächte im Juli. Herr Boddenberg, Sie können das gerne nachschauen. – Wenn man sich jetzt anschaut, wie oft das Nachtflugverbot gebrochen wird – im Gegensatz zu den Lärmpausen hat das eine Rechtsgrundlage –, dann kann man sich vorstellen, wie oft wir keine Lärmpausen am Frankfurter Flughafen erleben werden, weil eben die Lärmpausen im Gegensatz zum Nachtflugverbot auf Freiwilligkeit beruhen. Vor Gericht hätten sie überhaupt keinen Bestand.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo ist eigentlich Ihr Vorschlag?)

Wenn die Zahl der Flugbewegungen in den Nachtrandstunden steigt, werden sie sich auch nicht realisieren lassen; denn in den Modellen geht man vom bisherigen Status quo aus. Wenn sich die Zahl der Flugbewegungen den im Planfeststellungsbeschluss genehmigten durchschnittlich 133 Flugbewegungen in den Nachtrandstunden nähert, wird es Kapazitätsprobleme geben.  Ich will auch darauf hinweisen, dass es für die Anwohner unter der neuen Nordwestlandebahn in den Morgenstunden überhaupt keine Entlastung geben wird. Keines der fünf Modelle sieht vor, dass die Menschen unter der Nordwestlandebahn auch nur einmal eine Stunde länger Nachtruhe haben.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist völliger Quatsch!)

Es ist Augenwischerei, an den anderen Orten Leuten zu erklären, sie hätten Ruhe, wenn die Centerbahn nicht und stattdessen die Südbahn angeflogen wird. Sie wissen ganz genau, dass beide Bahnen 500 m voneinander entfernt liegen. Es macht für die Anwohner faktisch keinen Unterschied. Vielleicht kann es in den äußersten Randbereichen der Lärmschleppen mal kurzfristig etwas ruhiger werden. Aber substanziell ist das doch keine Verbesserung, was man hier umsetzen will.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich stelle fest, die GRÜNEN haben sich von der Forderung nach einer Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr komplett verabschiedet. Das grün geführte Wirtschaftsministerium hat den Frankfurter Flughafen jetzt auch noch in diesem Imagefilm, den Sie produziert haben, als einen Vorreiter beim Lärmschutz bezeichnet, was ich – ehrlich gesagt – grotesk finde. Es ist einmalig, dass ein Flughafen inmitten eines Ballungsgebietes immer weiter ausgebaut wird. Deshalb ist Frankfurt sicher kein Beispiel für Lärmschutz. Es ist ein Beispiel dafür, wie Profitmaximierung auf Kosten der Menschen in der Region geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Gegensatz zu allen anderen Parteien unterstützt DIE LINKE die Forderung der Bürgerinitiativen nach einem konsequenten Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr.

(Michael Boddenberg (CDU): Was ist mit der Schließung der Landebahn? – Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir hoffen auch, dass die Fluglärmgegner in der gesamten Region weiter zusammenstehen und dass die Pläne dieses Wirtschaftsministers nicht zum Spaltpilz werden. Denn das, was Sie vorgelegt haben, wird nicht nur das Problem nicht lösen. Sondern das ist dazu geeignet, die Region gegeneinander auszuspielen und die Fluglärmgegner zu spalten. Genau das ist auch die Zielsetzung der Rede von Frank Kaufmann, die wir eben gehört haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der FDP)

Eine Umverteilung von Lärm nützt niemand. Wenn die Bahnen abwechselnd genutzt werden, bedeutet das, dass die einen ein bisschen länger Ruhe haben, für die anderen wird es noch viel lauter. Die Grenzen des Wachstums sind lange überschritten.  Es geht auch nicht nur um Lärm. Wir dürfen auch über die Schadstoffbelastung in der Region durch den Flughafenausbau nicht schweigen. SPD, CDU und FDP haben damals den Bau der Nord-West- Landebahn durchgesetzt. Das war ein schwerer Fehler. Aber statt das zu korrigieren, statt Korrekturen durchzusetzen, gehen Sie diesen Weg faktisch weiter, Herr Al-Wazir.

(Michael Boddenberg (CDU): Was wollen Sie eigentlich?)

Was die Landesregierung wirklich machen könnte, um Fluglärm zu reduzieren, das liegt auf der Hand. Das steht aber leider nicht im Koalitionsvertrag. Das kann man u. a. im Wahlprogramm der GRÜNEN nachlesen. Man müsste die Flugbewegungen reduzieren. Wer Lärm reduzieren will, muss dafür sorgen, dass es weniger Flugbewegungen gibt. Wer die Gesundheit der Menschen schützen will, der braucht weniger Flugbewegungen als zum jetzigen Zeitpunkt und erst recht als die im Planfeststellungsbeschluss festgelegten 700.000.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Michael Boddenberg (CDU): Wie machen Sie das?)

– Frau Dorn, darauf habe ich nur gewartet. Jetzt wird von den GRÜNEN immer gesagt, was die BIs und was die LINKE fordern, ist total unrealistisch und rechtlich nicht umzusetzen. Ich will eines klarstellen: Was ich in Bezug auf das Nachtflugverbot vertrete, ist das grüne Wahlprogramm – im Gegensatz zu Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Falsch!)

Das ist das grüne Wahlprogramm, in dem genau diese Forderungen stehen: achtstündiges Nachtflugverbot, Reduzierung von Flugbewegungen, kein Terminal 3. Das haben Sie in Ihr Wahlprogramm geschrieben. Wenn Sie Ihr eigenes Wahlprogramm für unrealistisch halten, dann haben Sie ein Problem und nicht wir.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun erwägt die Landesregierung sogar im Koalitionsvertrag die Betriebsgenehmigung für die Nordwestbahn zu ändern.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was war jetzt der Vorschlag, Frau Wissler?)

Auch das ist ein Weg, wie es gehen kann. Sie haben selber im Koalitionsvertrag geschrieben: Für den Fall, dass dieses Ziel – also die siebenstündigen Nutzungspausen – nicht in angemessener Zeit erreicht werden kann, behalten sich die Partner Initiativen für eine entsprechende Planänderung bzw. modifizierte Betriebsgenehmigung vor.  Da haben wir es doch. Wir sagen, wer den angeblich in Stein gemeißelten Feststellungsbeschluss ändern kann, um siebenstündige Lärmpausen durchzusetzen, der kann ihn auch ändern, um ein achtstündiges Nachtflugverbot durchzusetzen. Sie wissen ganz genau, dass es juristische Gutachten gibt, die das belegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das haben die GRÜNEN im Wahlkampf auch so gesehen. Ich habe den Bürgerbrief von Herrn Al-Wazir erwähnt. Er schreibt da weiter: „Eine Umsetzung dieser Forderungen würde durch eine Änderung der sehr fluglärmfreundlichen bundesgesetzlichen Vorschriften einfacher. Aber es hängt entscheidend an der Landesregierung, denn ohne eine hessische Regierung, die sich klar für die Menschen in Hessen einsetzt, wird es mehr Schutz vor Fluglärm um den Flughafen nicht geben.“ – Und dann wird darum geworben, den GRÜNEN die Stimme zu geben, damit Tarek Al-Wazir Wirtschaftsminister wird.

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Mit freundlichen Grüßen, Tarek Al-Wazir. – Ich gebe zu, ich habe die GRÜNEN nicht gewählt.

(Allgemeine Heiterkeit)

Herr Minister, aber Sie wären gut beraten, wenn Sie Ihre Wahlversprechen nicht in die Tonne kloppen würden. Sie haben das Amt, was Sie angestrebt haben. Jetzt tun Sie auch das, was Sie den Menschen versprochen haben. Setzen Sie bei Fraport durch, dass die Gesundheit der Menschen in der Region an erster Stelle steht, statt vor Ihrem Koalitionspartner und der Luftverkehrswirtschaft einzuknicken. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))