Mindestlohn: Von Arbeit muss man leben können

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die FDP hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil sie sich angeblich um die Zukunftschancen junger Menschen sorgt, die sie ausgerechnet durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns bedroht sieht. Wenn Sie aber junge Menschen fragen, welche Zukunftssorgen sie haben, werden Sie wohl kaum hören, dass sie Angst vor dem Mindestlohn haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wovor junge Menschen aber tatsächlich Angst haben, ist, dass sie keine Chance auf einen sicheren Job haben. Viele Menschen kämpfen mit ständigen Befristungen, die mittelfristige Planungen oder gar eine Familiengründung unmöglich machen, und viele arbeiten zu Niedriglöhnen. Das wirkliche Problem ist, dass Hunderttausende in Praktika stecken, die, wenn überhaupt, eher symbolisch bezahlt werden. In der Hoffnung, in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen zu werden, arbeiten sie teilweise jahrelang in aneinandergereihten Praktika, ohne davon wirklich leben zu können.

Deshalb: Wenn sich die FDP wirklich Sorgen um die Perspektiven junger Menschen machen würde, sollte sie einmal eine Aktuelle Stunde zu prekärer Beschäftigung, zu Kettenbefristungen und zu Lohndumping beantragen, statt hier absurde Horrorszenarien zum Mindestlohn zu konstruieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade erst am Montag hat das Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen eine Studie zu den Folgen des Mindestlohns vorgestellt. Diese kommt zu dem Schluss, dass der Mindestlohn in anderen Ländern keinerlei negative Beschäftigungseffekte hat, genauso wenig wie die hierzulande bereits existierenden Branchenmindestlöhne. Im Gegenteil, die Mindestlöhne seien im Kampf gegen das Lohndumping wichtig.

Frau Beer, Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass junge Menschen keine Ausbildung mehr machen, weil im Gelegenheitsjob ein Lohn von 8,50 € pro Stunde lockt. Das Problem ist vielmehr, dass viele Menschen überhaupt keinen Ausbildungsplatz finden. Es ist auch ein Märchen, dass es die sogenannten Unqualifizierten sind, die auf einen Niedriglohnsektor angewiesen sind. Auch hier hilft ein Blick in die Studie: Mehr als drei Viertel aller Betroffenen mit Stundenlöhnen unter 8,50 € haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, teilweise sogar einen akademischen Abschluss.

Frau Beer, die tatsächlich niedrig qualifizierten jungen Menschen brauchen doch keine Billigjobs und keine schlecht bezahlten Praktika, sondern Ausbildungsplätze.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Statt die vermeintlichen Risiken des Mindestlohns zu beschwören, sollten Sie sich einmal mit den Risiken und Nebenwirkungen des Niedriglohns befassen; denn Niedriglöhne bedeuten ein Leben in Armut und Unsicherheit, gerade auch im Alter. Meine Damen und Herren von der FDP, ich finde es zynisch, den Mindestlohn abzulehnen, wenn man selbst weich gebettet ist und erst gestern die eigenen Diäten erhöht wurden.

(Zurufe von der FDP: Oh Gott!)

Wenn man selbst abgesichert ist, ist es sehr leicht, so darüber zu reden. Es ist genau dieser Wohlstandschauvinismus, der die FDP zutiefst unsympathisch macht und dafür gesorgt hat, dass sie aus dem Bundestag geflogen ist.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP)

Frau Beer, ich finde, Sie sollten sich die Frage stellen, ob Sie bereit wären, für 5, für 6 oder für 7 € in der Stunde zu arbeiten, ob Sie jeden Morgen für ein Leben auf Sozialhilfeniveau aufstehen würden,

(Clemens Reif (CDU): Und Sie?)

und wie es Ihnen ginge, wenn Sie den anderen beim Leben zuschauen und Ihren Kindern immer erklären müssten, dass ein Kinobesuch, Eisessen oder gar ein Urlaub ein Luxus ist, den Sie sich nicht leisten können. Wenn Sie Freundschaften verlieren würden, weil Sie sich den abendlichen Kneipenbesuch nicht mehr leisten können und sich schämen, das Ihren Freunden gegenüber zuzugeben.

(Clemens Reif (CDU): Haben Sie schon einmal gearbeitet?)

Versetzen Sie sich einmal in die Lage von jemandem, der Vollzeit arbeitet und trotzdem aufstocken muss. Wenn Arbeit so wenig wert ist wie Dreck, nimmt man den Menschen nicht nur die materielle Grundlage, sondern man raubt ihnen auch noch die Würde.

(Beifall bei der LINKEN – Judith Lannert (CDU): Wo sind die Beispiele?)

Das sollten Sie sich einmal für sich selbst vorstellen, bevor Sie anderen Leuten erzählen, dass sie zu Hungerlöhnen arbeiten sollen, und das auch noch als Chance verkaufen.

(Judith Lannert (CDU): Kein einziges Beispiel!)

Nein, die FDP sorgt sich nicht um junge Arbeitnehmer; denn die sind durch den Mindestlohn überhaupt nicht in Gefahr. Der Mindestlohn ist vielmehr eine Gefahr für Niedriglöhne und vor allem für die Gewinne derjenigen, deren Geschäftsmodell genau darauf basiert, dass sie Dumpinglöhne zahlen. Sie machen sich zum Anwalt von Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen und ihr Geschäftsmodell genau darauf gründen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb sage ich: Ja, wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, und zwar ohne Ausnahmen und Schlupflöcher.

(Beifall bei der LINKEN)

Das fordern auch die Gewerkschaften. Es darf keine Beschäftigten zweiter Klasse geben. Der Lohn muss von der Arbeit abhängig sein; er darf nicht vom Status abhängig sein. Deswegen muss der Mindestlohn auch für Langzeiterwerbslose und für junge Menschen gelten. Jede zusätzliche Ausnahme erschwert Kontrollen, schafft Ungerechtigkeiten und eröffnet die Möglichkeit, den Wettbewerb doch wieder nach unten zu treiben, wie es heute schon durch Leiharbeit und Werkverträge geschieht.

Der Niedriglohnsektor hat sich in den letzten Jahren immer weiter ausgebreitet. Seit der Agenda 2010 hat er einen Boom erlebt – auf Kosten der Beschäftigten. Wir reden heute über 8 Millionen Niedriglöhner in Deutschland. In keinem anderen europäischen Land hat sich in den letzten Jahren ein solch riesiger Niedriglohnsektor entwickelt. Es muss hier ein Mindestlohn geschaffen werden, um eine verlässliche Untergrenze einzuziehen. Ich komme zum Schluss.

Vizepräsident Frank Lortz: Ja, Kollegin Wissler, seien Sie so lieb.

Janine Wissler (DIE LINKE): DIE LINKE tritt seit ihrer Gründung für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein, den praktisch alle Nachbarländer haben. Von einem Vollzeitjob muss man leben und später eine armutsfeste Rente beziehen können, und dafür reichen 8,50 € nicht aus. Der Mindestlohn muss existenzsichernd sein; denn in diesem reichen Land muss gelten:

Von Arbeit muss man leben können.

(Beifall bei der LINKEN)