Schuldenbremse macht Straßen kaputt
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
FDP und GRÜNE streiten darüber, wer dafür verantwortlich ist, dass weniger Mittel für den Straßenbau bereitstehen, als ursprünglich vorgesehen waren. Wirtschaftsminister Al-Wazir wirft seinem Vorgänger, Herrn Rentsch, vor, er habe mehr zugesagt, als finanzierbar gewesen sei. Der behauptet das Gegenteil und gibt seinem Nachfolger die Schuld.
Meine Damen und Herren, um was geht es hier? Es geht hier primär um Instandhaltungsmaßnahmen und den Ausbau der Landesstraßen. 63 Projekte sollen aus Einspargründen erst später umgesetzt werden. Ich denke, dass die Verschiebung dieser Projekte eigentlich nur ein Symptom für sehr viel grundlegendere Probleme in der Verkehrspolitik ist, die wir vor allem bei der Finanzierung öffentlicher Aufgaben und öffentlicher Infrastruktur im Allgemeinen haben. Im Bauherrenkostenbericht, den das Verkehrsministerium im letzten Jahr vorgelegt hat, kann man das ganz gut nachlesen. Danach decken die bereitgestellten Mittel den Bedarf für die Straßenerhaltung bei Weitem nicht. Das galt also schon, als Straßenfreund Rentsch noch Verkehrsminister war.
(Beifall bei der LINKEN)
In dem Bericht, den das Ministerium vorgelegt hat, als Sie, Herr Rentsch, noch Wirtschafts- und Verkehrsminister waren, heißt es wörtlich: „Vor dem Hintergrund der Konsolidierung des Landeshaushalts und der Schuldenbremse ist weiterhin von einer entsprechenden Diskrepanz über die nächsten Jahre und der weitergehenden Substanzverschlechterung im Landesstraßennetz auszugehen.“
(Florian Rentsch (FDP): Ja, wir brauchen mehr Geld!)
Ich fasse das, was das Ministerium da schreibt, in kurzen Worten zusammen: Schuldenbremse macht Straßen kaputt. – Das ist genau die Konsequenz, die in diesem Bericht dargestellt wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb vermittle ich gerne im Streit zwischen der FDP und den GRÜNEN und baue eine Brücke.
(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Ohje!)
Sie brauchen sich gar nicht zu streiten, wer dafür verantwortlich ist, denn letztlich sind Sie beide dafür verantwortlich. Sie haben nämlich hier im Landtag gemeinsam die Schuldenbremse beschlossen, nachdem man die Handlungsspielräume der öffentlichen Hand durch Steuersenkungen für Reiche, für Vermögende, für Unternehmen auf der Bundesebene immer weiter verkleinert hatte. Das hat zu einer Erosion bei den Einnahmen geführt, der jetzt in verschiedenen Bereichen hinterhergespart wird, ob es die Straßen sind, ob es die Finanzierung kommunaler Leistungen ist oder ob es um Bildungseinrichtungen geht.
Diese Finanzierungslücken sind also auch eine Folge ungerechter Steuerpolitik. Genau davor haben wir, haben die Gewerkschaften und haben die Sozialverbände gewarnt, als es um die Schuldenbremse ging. Es ist nämlich ein Irrsinn, dass man für Investitionen keine Kredite mehr aufnehmen darf.
Und im Übrigen sind wir der Meinung: Wer mit den dicksten Autos auf öffentlichen Straßen fährt, der sollte auch einen angemessenen Beitrag zu ihrer Finanzierung leisten.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, viele Pendler, viele Menschen im ländlichen Raum haben gar keine Alternative zum Auto mehr. In den letzten 20 Jahren sind die Preise für Benzin und Diesel drastisch gestiegen. Das bekommen gerade Menschen mit kleinen Einkommen zu spüren. Gleichzeitig sind leider auch die Preise für den öffentlichen Verkehr stärker als die Lebenshaltungskosten insgesamt gestiegen.
Zu einer solchen Entwicklung trägt natürlich das Ziel bei, den Kostendeckungsgrad aus Fahrkarten möglichst hochzuschrauben, wie die Vorgabe der Landesregierung für die hessischen Verkehrsverbünde lautet. Daher müssen die Verkehrsverbünde dafür sorgen, dass sie möglichst hohe Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf erzielen. Das heißt, die Kosten steigen für die Pendlerinnen und Pendler immer weiter.
Der öffentliche Verkehr muss in Zukunft eine zentralere Rolle spielen, weil er zum einen in der Gesamtrechnung viel billiger ist als der motorisierte Individualverkehr und weil er zum anderen die Straßen und die Infrastruktur weit weniger belastet. Das ist ja auch vollkommen einleuchtend, weil in einem Bus 60 Leute mitfahren können, die sich sonst auf 15 Pkw aufteilen müssten. Die Einsparungen kämen der öffentliche Hand zugute. Sie müsste weniger in den Erhalt und in den Ausbau des Straßennetzes investieren.
Auch der Energieverbrauch pro Fahrgast ist im ÖPNV entsprechend geringer als im Individualverkehr. Gerade im ländlichen Raum geschieht aber das Gegenteil. Buslinien werden ausgedünnt und durch Ruftaxis ersetzt. Wer die grundlegende Infrastruktur ausdünnt, der darf sich am Ende über die Landflucht nicht wundern.
In den letzten Jahren wurde eine Politik gemacht, die die stärkeren Regionen noch weiter gestärkt und den ländlichen Raum abgehängt hat. Das hat natürlich Folgen. Es hat die Folge, dass sich die Arbeitsplätze immer mehr in den Zentren konzentrieren, es hat die Folge, dass dort eine immer größere Nachfrage nach Wohnraum entsteht, und es hat natürlich die Folge, dass der Pendlerverkehr zunimmt.
Deswegen sagen wir: Man muss attraktive Alternativen zum Auto schaffen. Man muss den ÖPNV ausbauen. Immer mehr Straßen zu bauen löst die Probleme nicht. Das verlagert den Verkehr nur, während das ÖPNV-Angebot vielerorts verschlechtert wird. Ich sage ganz ehrlich: Wir brauchen über die Ziele des Energiegipfels und auch über die Klimaschutzziele überhaupt nicht zu diskutieren, wenn wir nicht endlich zu einer Verkehrswende und zu einer ökologischeren Art der Fortbewegung kommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Minister Al-Wazir, ich will ausdrücklich sagen: Wir halten den Ansatz „Erhalt vor Neubau“ im Bereich der Straßen für richtig. Wer aber nicht ständig Neubauprojekte finanzieren und die Erhaltungskosten mindern möchte, der muss zukunftsfähige Konzepte haben, um den Straßenverkehr zu reduzieren. Wir sind sehr gespannt, was da in den nächsten Jahren aus Ihrem Ministerium kommen wird.
Wir brauchen auch Antworten auf die Frage: Wie sieht eigentlich der Gütertransport der Zukunft aus? Lkw belasten die Straßen deutlich stärker als Pkw. Der Transitverkehr durch Hessen soll sich nach Prognosen in den kommenden 15 Jahren sogar verdoppeln, was ich, ehrlich gesagt, für eine Horrorvorstellung halte. Wir müssten also daran arbeiten, z. B. regionale Produktkreisläufe zu stärken, statt vermeintlich billige Ware von weither heranzuschaffen. Wenn in einem Becher Jogurt 6.700 km Transportweg stecken, muss man sich doch fragen, was das mit einer Steigerung der Lebensqualität zu tun hat und ob es nicht nötig wäre, regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken und auch dadurch Verkehr zu vermeiden.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Art des Verkehrs kostet nämlich nicht nur Geld, sondern auch Luftqualität, und es belastet die Gesundheit. Wenn es irgendwann doch so kommen sollte und sich Gigaliner als rollende Lagerhäuser durch die Straßen schieben und diese noch weiter verschleißen, werden die Kosten entsprechend weiter steigen. Deshalb brauchen wir eine Verkehrswende.
Ob diese 63 Projekte dieses oder nächstes Jahr verwirklicht werden: Die Grundprobleme bleiben. Deshalb dürfen wir nicht immer nur über die Symptome und über einzelne Maßnahmen reden, sondern wir müssen über das Grundproblem sprechen. Ohne eine grundlegende Verkehrswende werden wir weiter darüber diskutieren müssen, wie wir dem anwachsenden Straßenverkehr hinterherbauen, während immer mehr Landstriche vom ÖPNV abgehängt werden.
Deshalb sagen wir: Wir wollen statt einer weiteren Privilegierung des motorisierten Individualverkehrs den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, und zwar so, wie ihn die Menschen brauchen: flächendeckend, attraktiv und bezahlbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wäre verkehrspolitisch notwendig. Die FDP hingegen – das haben wir heute einmal mehr erlebt – denkt ausschließlich in den Kategorien Straße und Asphalt. Herr Rentsch, Sie haben sich in Ihrer Amtszeit als Schutzpatron der Raser hervorgetan. Sie haben lieber Warnschilder vor Radarfallen errichtet und Tempolimits abgeschafft,
(Zuruf des Abg. René Rock)
statt dass Sie sich um innovative und integrative Verkehrskonzepte gekümmert hätten. Herr Rentsch, auch dafür sind Sie abgewählt worden. Das müssen Sie so hinnehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen zweifelsohne eine gute Verkehrsinfrastruktur und einen attraktiven ÖPNV. Aber natürlich brauchen wir auch Straßen ohne Schlaglöcher, mehr Radwege und an der einen oder anderen Stelle Ortsumgehungen, um Anwohner zu entlasten. Wenn das Geld für den Unterhalt der Straßen nicht reicht, wie hier beklagt wird, dann ist das eine Angelegenheit fehlender Einnahmen, und dann geht es um die Frage, ob der Staat seine Aufgabe erfüllen und die öffentliche Infrastruktur in einem guten Zustand erhalten kann.
Es ist letztlich aber auch eine Frage von Prioritäten. Anstatt den verkehrsberuhigten Flughafen Kassel-Calden künstlich am Leben zu erhalten, könnte man schon eine ganze Menge Radwege bauen, eine ganze Menge Schlaglöcher auffüllen und einige Projekte, die jetzt aufgeschoben wurden, doch verwirklichen – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)