Vergabe- und Tariftreuegesetz: Regierungsentwurf ist mangelhaft

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Es ist gut, dass wir heute wieder über das Tariftreue- und Vergabegesetz reden; denn in Hessen arbeiten mittlerweile über 20 % der Beschäftigten zu Niedriglöhnen, bei Frauen ist es sogar jede dritte. Die Tarifbindung nimmt immer weiter ab. Wenn man sich die Arbeitsbedingungen auf hessischen Baustellen oder auch im öffentlichen Personennahverkehr anschaut, wird klar, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.

Hessen braucht ein wirksames Tariftreue- und Vergabegesetz. Die öffentliche Hand ist nämlich der größte Auftraggeber der Privatwirtschaft, und deshalb kann durch die Vergabepraxis Einfluss genommen werden, und es können Standards für das gesamte Wirtschaftsleben gesetzt werden. Unternehmen, die Lohndumping betreiben, sich ihrer Ausbildungsverantwortung entziehen oder Umweltstandards unterlaufen, dürfen nicht durch öffentliche Aufträge des Landes oder der Kommunen belohnt werden.

Das billigste Angebot ist eben nicht unbedingt das beste, und oft ist es auch nur kurzsichtig betrachtet das billigste. Viele Unternehmen unterlaufen Umweltstandards, und die öffentliche Hand muss am Ende für die Folgekosten aufkommen. Arbeitgeber zahlen Niedriglöhne, und ihre Beschäftigen sind am Ende gezwungen, zum Amt zu gehen, um ihre niedrigen Löhne aufstocken zu lassen. Durch die Vergabepraxis muss die öffentliche Hand vernünftige Standards setzen, statt Dumpinglohnkonkurrenz zu befördern.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE hat bereits vor einigen Wochen einen Entwurf für ein Vergabegesetz vorgelegt. Wir freuen uns, dass nun sowohl die SPD als auch die Regierungsfraktionen nachgezogen haben. Wenn wir bei den Regierungsfraktionen Prozesse beschleunigen konnten, freut uns das sehr. Die Freude hält aber nicht an, wenn man sich den Inhalt des Gesetzentwurfs von Schwarz-Grün anschaut. Sie bleiben nämlich an vielen Punkten hinter dem zurück, was Sie angekündigt haben. Ich will einige Punkte nennen.

Zum Beispiel fehlt die Festlegung eines vergabespezifischen Mindestlohns. Sie verweisen lediglich auf die Bundesgesetzgebung, die es aber überhaupt noch nicht gibt. Es gibt überhaupt noch keinen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn. So, wie ihn die Große Koalition plant, sind Ausnahmen vorgesehen, beispielsweise bei Langzeiterwerbslosen. Wir sind der Meinung, Langzeiterwerbslose sind keine Menschen zweiter Klasse. Deshalb lehnen wir diese Ausnahmen ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sind der Meinung, Lohn muss von der Arbeit und nicht vom Status abhängen. Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ muss gelten, egal ob jemand vorher zwölf Monate lang arbeitslos war oder nicht. Deswegen unterstützen wir die Kampagne von ver.di für einen Mindestlohn ohne Ausnahmen. Wir wollen auch die eindeutige Festlegung eines Mindestlohns im Vergabegesetz, so, wie es andere Bundesländer bereits getan haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen Tariftreue, und wir brauchen verbindliche Standards im öffentlichen Personennahverkehr. Es darf nicht sein, dass der Wettbewerb hier auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Wir haben die Situation, dass Busfahrer von ihrem Gehalt nicht mehr leben können und gezwungen sind, zwei Jobs anzunehmen.

Als LINKE verstehen wir den ÖPNV als einen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Deshalb sagen wir grundsätzlich, in diesem Bereich hat der Wettbewerb überhaupt nichts zu suchen. Aber wenn es ihn gibt, muss man zumindest verbindliche Standards festlegen, damit der Wettbewerb nicht auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube, gerade die Situation in Wiesbaden – die Streiks, die dort stattgefunden haben – zeigt das ganz gut. Die Tariftreue im ÖPNV ist zwar in den Gesetzentwurf von Schwarz-Grün aufgenommen worden – das will ich ausdrücklich würdigen –, allerdings wurde kein Kriterium festgelegt, nach dem der Tarifvertrag auszuwählen ist. Das kann in der Praxis durchaus zu einem Problem werden. Auch die Ausbildungsbereitschaft von Unternehmen wird nicht als zwingendes Vergabekriterium festgeschrieben, ebenso wenig wie die Frauenförderung oder die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es steht den Vergabestellen völlig frei, ob sie es berücksichtigen oder nicht.

Lieber Kai Klose, das nächste große Problem bei Ihrem Gesetzentwurf ist, dass die ILO-Kernarbeitsnormen nicht enthalten sind. Dabei geht es hier um elementare Grundrechte, zu deren Einhaltung sich die Bundesrepublik verpflichtet hat, wie das Verbot von Kinderarbeit und das Recht auf Gewerkschaften.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das ist doch im Bundesgesetz!)

Das ist eine wichtige Forderung des Entwicklungspolitischen Netzwerks und der Gewerkschaften. In die meisten Vergabegesetze der anderen Bundesländer – Herr Arnold, das wissen Sie – wurde genau das aufgenommen.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das ist doch bereits Bundesgesetz!)

– Dann können Sie es doch gefahrlos hineinschreiben. Die Regelung zum Mindestarbeitslohn haben Sie doch auch hineingeschrieben. Von daher können Sie das völlig gefahrlos aufnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich muss hier leider sagen, das halte ich für ein Armutszeugnis für die GRÜNEN: Herr Klose, Sie haben das immer gefordert, als Sie noch in der Opposition waren. Die Frage ist: Warum stehen die ILO-Kernarbeitsnormen nicht im Gesetzentwurf?

Der DGB kritisiert in seiner Pressemitteilung zum Gesetzentwurf besonders die fehlende Generalunternehmerhaftung. Das heißt, dass die Firmen, die Aufträge der öffentlichen Hand erhalten, nicht für die von ihnen beauftragten Nachunternehmen haften. Das ist ein großes Problem, und es ist ein dickes Schlupfloch in Ihrem Gesetzentwurf. Der DGB stellt fest – ich zitiere wörtlich –: „An diesem Punkt wird deutlich, dass CDU und GRÜNE ganz offensichtlich kein Interesse daran haben, an den frühkapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen auf öffentlichen Baustellen in Hessen etwas zu ändern.“

Das erklärt der DGB. Die Ausführungen der Kollegin Barth haben eben ein bisschen veranschaulicht, was damit gemeint ist. Auch bei den Sanktionen fehlt es völlig an Verbindlichkeit und klaren Festlegungen. Die Kommunen sollen sich quasi selbst kontrollieren, und in Zeiten knapper Kassen gibt es dafür kaum Kapazitäten. Wir brauchen eine wirksame Kontrolle, wir brauchen Sanktionen zur Einhaltung dieses Gesetzes.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie unverbindlich Ihr Gesetzentwurf ist, kann man gleich auf der zweiten Seite nachlesen. Dort heißt es nämlich zu dem Punkt „Finanzielle Auswirkungen“: „Für den Fall, dass Vergabestellen von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen, können in vertretbarem Umfang zusätzliche Kosten entstehen.“ Sie gehen also selbst nicht davon aus, dass Ihr Gesetz flächendeckend Anwendung findet, wenn Sie das so formulieren.

Deshalb kam der DGB zu dem Schluss, der Gesetzentwurf sei „mangelhaft“ – in Schulnoten ausgedrückt also eine glatte Fünf. Das Beste wäre, Sie würden ihn zurückziehen und komplett überarbeiten. Aber noch besser wäre es, wenn Sie einfach unserem Gesetzentwurf zustimmten;

(Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

denn wir haben die relevanten Forderungen der Gewerkschaften aufgenommen und verbindliche Standards geschaffen. Das würde schneller gehen und Ihnen ein bisschen Arbeit ersparen. Sie können sichergehen, dass Sie ein vernünftiges Vergabegesetz bekommen.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Wovon träumen Sie denn?)

Auch der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion geht absolut in die richtige Richtung. Das ist ganz interessant. Lieber Kai Klose, wir können einmal eine Synopse erstellen: auf der einen Seite der Gesetzentwurf von Schwarz-Grün und auf der anderen Seite der Gesetzentwurf, den Sie damals in der Opposition eingebracht haben. Ich glaube, das wird ein ganz interessanter Vergleich. Ich bin gespannt auf die Anhörung und vor allem darauf, ob sich Schwarz-Grün als genauso beratungsresistent erweist wie Schwarz-Gelb.

Die GRÜNEN haben Schwarz- Gelb oft kritisiert, dass sie die Kritik von Experten und Betroffenen einfach ignorieren würden. Meine Damen und Herren, jetzt können Sie es besser machen. Ich bin gespannt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)