Drei Jahre nach Fukushima
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Vor drei Jahren lösten ein Erdbeben und ein Tsunami die Atomkatastrophe von Fukushima aus. Damit passierte zum zweiten Mal innerhalb von nur 25 Jahren etwas, was – wenn man den Lobbyisten der Atomwirtschaft Glauben schenkt – eigentlich nur alle paar Millionen Jahre passieren dürfte. Heute ist die Situation in Fukushima immer noch außer Kontrolle. Nach wie vor treten große Mengen an Strahlung aus. Die Folgen für das Grundwasser sind dramatisch. Weiterhin läuft hoch verstrahltes Wasser ins Meer: 200.000 l verseuchtes Wasser täglich. Etwa 150.000 Menschen werden nicht mehr in ihr Zuhause zurückkehren können. Die gesundheitlichen Langzeitfolgen sind kaum abzuschätzen. Nebenbei: Die Bewältigung dieser Katastrophe hat bisher mindestens 200 Milliarden € gekostet.
Die Katastrophe in Japan und der Druck der Anti-Atomkraft- Bewegung sowie die nahende Landtagswahl in Baden- Württemberg haben damals dazu geführt, dass die Regierung die ältesten AKWs in Deutschland stillgelegt und die gerade beschlossenen Laufzeitverlängerungen zurückgenommen hat. Allerdings muss man feststellen, dass drei Jahre nach Fukushima immer noch neun Atomkraftwerke in Deutschland am Netz sind. Sie produzieren täglich neuen Atommüll. Dieselben Politiker, die sonst gern von Generationengerechtigkeit sprechen, haben offenbar keinerlei Skrupel, nachkommenden Generationen tonnenweise atomaren Müll zu hinterlassen, der über Hunderttausende von Jahren sicher aufbewahrt werden muss. Deswegen sagen wir: Der verantwortungsvollste Umgang mit Atommüll ist, dass man als Erstes damit aufhört, immer weiter welchen zu produzieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Dank des späten Ausstiegstermins – erst im Jahr 2022 – hat die Atomlobby zudem noch viele Jahre Zeit, erneut um einen Ausstieg aus dem Ausstieg zu kämpfen. Ich teile die Einschätzung von Herrn Gremmels, dass uns eine solche Diskussion in den nächsten Jahren bevorsteht; denn auch der sogenannte Atomausstieg ist eben nicht unumkehrbar.
Das ist genau das Problem: Wenn die Energiewende ausgebremst wird, wie wir es leider derzeit auf der Bundesebene erleben, werden wir, befürchte ich, eine Debatte über die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke bekommen. Deshalb hat DIE LINKE nach Fukushima vorgeschlagen, den Verzicht auf die zivile und die militärische Nutzung der Atomkraft im Grundgesetz festzuschreiben. Das wäre gut und sinnvoll gewesen. Dann wäre der Ausstieg wirklich unumkehrbar gewesen.
(Beifall bei der LINKEN)
Nötig ist heute der Ausbau der erneuerbaren Energien; denn sie sind klimafreundlich, praktisch überall verfügbar und verursachen keine hohen Folgekosten. Die Alternative zur Atomkraft ist nicht die klimaschädliche Kohlekraft. Es hilft nicht, die eine Risikotechnologie durch die andere zu ersetzen. Deswegen lehnen wir auch das Fracking ab. Wir wollen nicht, dass es in Hessen oder sonst wo eingesetzt wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber wenn man sich anschaut, wie es um die Energiewende in Hessen steht, ist das leider wenig erfreulich. Jahrelang hat die schwarz-gelbe Landesregierung die Energiewende verschleppt und blockiert. Auch der neue, schwarzgrüne Koalitionsvertrag macht nicht allzu viel Hoffnung, dass sich das grundlegend ändern wird. Was die Ziele angeht, haben sich die GRÜNEN der CDU bereits angepasst. Die CDU hat im Wahlkampf erklärt: 100 % erneuerbare Energien in Hessen bis zum Jahr 2050. Die GRÜNEN haben im Wahlkampf noch von dem Jahr 2030 als Ziel gesprochen. Der Kompromiss aus den Zielen 2030 und 2050 ist – das kann man im Koalitionsvertrag nachlesen – das Jahr 2050.
Auch die konkreten Schritte in dieser Legislaturperiode bleiben unklar. Für uns ist die Energiewende mehr als der Austausch eines Energieträgers. Hermann Scheer hat geschrieben, dass es in den politischen Auseinandersetzungen um die Energiewende „nur vordergründig um das Pro und Contra zu erneuerbaren Energien, im Kern doch stets um die Strukturen der Energieversorgung und die Verfügungsgewalt darüber“ gehe. Das sehen wir auch so. Deswegen muss die Ära des Strom-Oligopols der Großkraftwerksbetreiber mit der Ära des fossil-atomaren Zeitalters enden.
(Beifall bei der LINKEN)
Was wir brauchen, ist eine Dezentralisierung und Demokratisierung der Energiewirtschaft; sie muss Bestandteil öffentlicher Daseinsvorsorge sein. Wir brauchen eine stärkere Rolle der Stadtwerke; und wir brauchen eine stärkere Bevorzugung von Bürgergenossenschaften, weil die Erträge aus der Stromerzeugung dann den Menschen vor Ort, in der Region, zugutekommen. Das wird auch dazu beitragen, die viel beschworene Akzeptanz der Energiewende zu steigern.
Was wir nicht brauchen, ist eine Privilegierung von Großprojekten wie Offshore-Windparks, weil die nur dazu geeignet sind, die bisherigen zentralistischen Strukturen zu erhalten. Ich will noch einmal sagen, dass wir auch dem Mythos des teuren Stroms durch die Energiewende entgegentreten müssen. Herr Rock, ich finde, gerade angesichts der Milliardensubventionen, die in die Atomkraft gesteckt wurden, ist es wirklich ein schlechter Witz, wenn Sie jetzt die EEG-Umlage anführen. Schauen Sie sich an, was in Fukushima passiert ist. Angesichts derartiger Folgekosten ist es wirklich ein Witz, von teurer Windenergie oder Solarenergie zu sprechen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Heike Habermann: Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen.
Janine Wissler (DIE LINKE): Frau Präsidentin, vielen Dank. Ich komme zum Schluss. – Ich denke, Fukushima mahnt uns alle, die Energiewende in Hessen und in Deutschland endlich umzusetzen und uns dazu nicht nur in Sonntagsreden zu bekennen. – Vielen Dank.