Aktuelle Stunde zur "Rentenreform"
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Die Neuauflage der Großen Koalition nahm gerade ihre Arbeit auf und startete gleich eine riesige PR-Kampagne für die sogenannte Rentenreform. Allein diese Werbung hat gut 1 Million € gekostet. Das will ich an der Stelle auch einmal erwähnen. Schaut man sich aber die Details dieser sogenannten Rente ab 63 Jahren an, sieht man, dass leider nicht allzu viel dahintersteckt.
Das hat vor allem diesen Grund: Nur sehr wenige Menschen könnten überhaupt in den Genuss der Rente ab 63 Jahren kommen. Deutschlandweit kamen im Jahr 2012 nur etwa 10.000 Männer und 2.000 Frauen beim Renteneintritt auf 45 Beitragsjahre. Das ist nicht einmal ein Zehntel eines Rentenjahrgangs. Von diesem kleinen Kreis können dann gerade einmal vier Geburtenjahrgänge, nämlich die von 1949 bis 1952, die Rente mit 63,0 Jahren in Anspruch nehmen. Danach erhöht sich nämlich das Renteneintrittsalter mit jedem Jahrgang um zwei Monate.
Das heißt also: Alle heute unter 50-Jährigen gucken in die Röhre. Für sie gibt es keine Rente ab 63. Die Rente ab 63 Jahren, so wie sie die Große Koalition auf den Weg gebracht hat, ist also eine Mogelpackung, die nur sehr wenigen Menschen Verbesserungen bringen wird. Sie wird groß beworben. Aber es steckt leider sehr wenig dahinter.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Irrweg der Rente ab 67 Jahren wird parallel weiter beschritten. Immer wieder bezeichnend ist, dass, wenn man Befürworter der Rente ab 67 Jahren fragt, ob das für den Dachdecker gelten soll, immer gesagt wird: Nein, für den natürlich nicht. – Wenn man nach der Erzieherin fragt, wird gesagt: Nein, für die natürlich auch nicht. Bei Krankenschwestern, Altenpflegern oder Straßenwärtern ist es kaum vorstellbar, dass diese Menschen bis ins hohe Alter hinein körperlich schwer arbeiten und das dann auch noch im Schichtdienst tun.
Nach einer Umfrage der IG Metall rechnen beispielsweise fast 70 % der Beschäftigten im Baugewerbe nicht damit, dass sie bis zur Erreichung des gesetzlichen Renteneintrittsalters werden arbeiten können. Für die meisten Menschen ist die Rente ab 67 Jahren also eine Rentenkürzung. Das betrifft besonders die Menschen, die zu Niedriglöhnen gearbeitet haben und die ohnehin durch Erwerbslosigkeit eine geringere Rente zu erwarten haben. Wenn man diesen Menschen auch noch erzählt, sie sollten doch privat für ihr Alter vorsorgen und ihr Geld irgendwie an den Kapitalmärkten vermehren, dann halte ich das einfach nur für zynisch.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Ganze wird dann noch ungerechter, wenn man sich im Vergleich dazu einmal anschaut, wie die Altersversorgung der Abgeordneten aussieht, die für andere die Rentenkürzung beschließen. Ich will auch noch erwähnen, dass es der Großen Koalition offensichtlich ein dringlicheres Anliegen war, sich erst einmal die Diäten um 10 % zu erhöhen, als endlich den gesetzlichen Mindestlohn einzuführen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Rente ab 67 Jahren führt direkt in die Altersarmut. Das haben die Gewerkschaften immer wieder scharf kritisiert. Die Zugeständnisse, die jetzt für einen sehr kleinen Personenkreis gemacht werden, sollen davon einfach nur ablenken. Die FDP hat jetzt eine Verbindung zum angeblichen Fachkräftemangel hergestellt. Es mag in einigen Betrieben ein Problem sein, wenn erfahrene Mitarbeiter in Rente gehen. Darüber muss man sich vielleicht mal Gedanken machen, bevor die Mitarbeiter das 60. Lebensjahr überschreiten. Man braucht da Nachwuchs. In vielen Berufen sorgt das spätere Renteneintrittsalter aber nicht dafür, dass die Arbeitnehmer länger arbeiten, sondern einfach nur dafür, dass sie höhere Abschläge bei der Rente hinnehmen müssen.
Herr Rentsch, das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt heute bei 61 Jahren. Bereits heute geht ein großer Teil der Versicherten mit Abschlägen in Rente. Nur eine kleine Minderheit schafft überhaupt den Übergang in den Ruhestand aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Wenn Sie sich die Realität auf dem Arbeitsmarkt für ältere Beschäftigte anschauen, werden Sie feststellen, dass nur rund 10 % der 60- bis 64-Jährigen überhaupt sozialversicherungspflichtig vollzeitbeschäftigt sind. Das heißt, die Rente ab 67 Jahren ist eine Rentenkürzung. Sie wird nicht dazu führen, dass die Fachkräfte, wie es die FDP behauptet, länger in den Betrieben bleiben, sondern sie werden einfach Einbußen bei der Rente haben.
Herr Rentsch, ich sage Ihnen: Wenn den Unternehmen Fachkräfte fehlen – sie klagen darüber –, dann liegt das nicht am Renteneintrittsalter. Das liegt z. B. an der mangelnden Ausbildungsbereitschaft. Das liegt auch an der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das liegt an den fehlenden Betreuungsplätzen. Dazu sage ich noch einmal: Das Betreuungsgeld hilft da gar nichts. Das ist eine teure Geldverschwendung. Mit dem Geld hätte man viele gute Kindertagesstättenplätze schaffen können.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Fachkräftemangel ist auch auf eine schlechte Bezahlung und miese Arbeitsbedingungen zurückzuführen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 7. Sitzung · 13. März 2014 355 Wenn Unternehmen klagen, dass sie keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finden, dann sollten sie mehr ausbilden. Sie sollten die Beschäftigten, wie es beispielsweise in der Pflegebranche geschieht, aber auch nicht mit miserablen Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen abspeisen, sonst dürfen sie sich über Personalschwierigkeiten nicht beklagen. Ich komme zum Schluss meiner Rede.
Die Demontage der gesetzlichen Rente zugunsten der privaten Versicherungswirtschaft und der wachsende Niedriglohnsektor sind die Hauptprobleme der gegenwärtigen Rentenpolitik. Die Rente mit 67 Jahren ist ein Irrweg, der in die Altersarmut führt. Stattdessen brauchen wir einen flexiblen Ausstieg aus dem Arbeitsleben, und zwar auch vor dem 65. Lebensjahr. – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)